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gewünscht hat; es folgt der zweite Theil, in dem das Zwiegespräch mit dem trügerischen Gespenst und der Todtenritt uns vorgeführt wird. Dass es eben ein trügerisches Gespenst sei, nicht, wie wir erwarten, der Geist Wilhelm's, das bekunden viele Andeutungen, die Lenore in der Verblendung ihrer Leidenschaft nicht merkt. Die wahre Natur desselben aber wird erst durch die am Schlusse erfolgende, schreckliche Metamorphose des Reiters ganz klar, V. 30. Der Todtenschädel, das Gerippe wird hier durch zwei Symbole noch genauer gekennzeichnet, die Bedeutung des Stundenglases ist an sich klar; die Hippe ist ein Symbol des Todes; weil man im Mittelalter den Tod als Ackersmann darstellte, der den Garten des Lebens jätet und eine Blume darin nach der andern bricht. So braucht z. B. Joh. Ackermann fast kein andres Bild als des grasenden und Blumen ausreutenden Todes. Dies Bild des Todes findet sich auch in Volksliedern, ich erinnere nur an das bekannte:

Es ist ein Schnitter, der heisst Tod,

Der hat Gewalt vom höchsten Gott.

Unmittelbar hieran grenzt es, wenn in Geilers Predigten der Tod ein Holzmaier, d. h. ein Förster, genannt wird, und so auch in Bildern der deutschen Ausgabe dargestellt wird, wie er Wald aushaut. Den Todtenritt im Allgemeinen anlangend, so gemahnt er einerseits an die seit dem 14. Jahrhundert lange Zeit im Schwange gehenden Todtentänze, in sofern diesen eben die Zusammenstellung des Todes mit solchen Lustbarkeiten, die Hand in Hand mit den übrigen Freuden eines Festmahles zu gehen pflegen, mit Musik und Tanz eigenthümlich ist. Der Tod holt die Lenore, um mit ihr seine Vermählung zu feiern, der grause Todtenritt ist eine Hochzeitsreise. Andrerseits gemahnt der Tod, wie er während des Rittes erscheint, an die im Mittelalter vielfach begegnende Vorstellung des Todes als eines gewaltigen Königs, der durch die Lande fährt, und seine Heerschaaren sammelt, der gewappnet auszieht gegen seine Feinde, die Menschen, und sie gefangen nimmt; Krankheiten sind die wiederholentlich mahnenden Boten. Als König in einer Art von Schattenreich tritt der Tod zumal auf in der ersten Scene des Todtenrittes, als König über Unterthanen, deren Leben nach allen Anzeichen eine Fortsetzung ihres Lebens auf der

Oberwelt ist. Der Ritt wird je länger, je wilder; die fortwährend gesteigerte Wildheit wird dargestellt durch Refrainartig wiederkehrende Zeilen, V. 20:

V. 24:

V. 27:

Zur rechten und zur linken Hand,
Vorbei an ihren Blicken,

Wie flogen Anger, Haid' und Land!
Wie donnerten die Brücken!

Wie flogen rechts, wie flogen links
Gebirge, Bäum' und Hecken!

Wie flogen links, und rechts und links
Die Dörfer, Städt' und Flecken!

Wie flog was rund der Mond beschien,
Wie flog es in die Ferne!

Wie flogen oben über hin

Der Himmel und die Sterne!

Mit der Wildheit des Todtenrittes steigert sich zugleich die Angst der Lenore, sie wird charakterisirt durch ihre dreimalige Antwort, die dem ebenfalls dreimal wiederkehrenden Todtenreiterliede folgt:

V. 20: Ach nein, doch lass die Todten!

V. 24:

Ach, lass sie ruh'n die Todten!

V. 27: O weh, lass ruh'n die Todten!

Die schon vorhin erwähnten Scenen des grausen Rittes werden durch den dreimal wiederkehrenden Refrain abgegrenzt:

Und hurre, hurre, hopp, hopp, hopp,
Ging's fort in sausendem Galopp,
Dass Ross und Reiter schnoben,

Und Kies und Funken stoben!

Die erste führt uns einen Leichenzug vor; Alles ist lebensvoll und anschaulich, Glockenklang, Todtensang, Sarg und Todtenbahre, Gefolge nebst Priester und Küster. In der zweiten ein eigentlicher Todtentanz:

Am Hochgericht tanzt um des Rades Spindel,
Halb sichtbarlich im Mondenlicht,

Ein luftiges Gesindel.

Der Schluss versetzt uns auf einen Gottesacker V. 29. Es folgt die schon oben besprochne grauenhafte Metamorphose des

Reiters und der Kettentanz der Geister und ihr Grabgesang für die bereits abgeschiedene Lenore. — Fassen wir also den Gang der Handlung kurz zusammen, so beginnt sie mit dem Anbruch des Morgens; Lenore erwacht nach schweren Träumen: im Verlauf des Tages kehrt das siegreiche Heer zurück; es folgt das Zwiegespräch Lenorens mit der Mutter, ihre Verzweiflung und ihr Hadern mit Gott bis 11 Uhr Nachts; darauf der grause Todtenritt. — Hat Bürger in dem Todtenritt ein Bild hitziger Fieberfantasien malen wollen, oder ist eine reale Grundlage in weiterm Masse anzunehmen, das sei dahingestellt; darüber kann kein Zweifel sein, dass die Idee des Ganzen in den Schlusszeilen des Gedichts enthalten sei:

Geduld, Geduld, wenn's Herz auch bricht.

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Der Grundgedanke ist sonach ethischer Art; der Tod tritt auf als himmlischer Rächer; er fordert ihr junges Leben als Opfer für ihre Verzweiflung und ihr Hadern mit Gott. Es ist nicht der Bräutigam, der im Tode wenigstens die Vereinigung mit der Braut feiern will, die ihm im Leben nicht vergönnt war.

Es erscheint somit, was die Behandlung des volksmässigen Stoffes anlangt, als charakteristisch, dass Bürger ihn mit Bewusstsein umgestaltet und zum Träger eines ethischen Grundgedankens umgeschaffen habe. Und will man überhaupt von einem Fehler dieser Ballade sprechen, so liegt er in der Willkür dieser Umgestaltung. Werfen wir nun zum Schluss noch einen Blick auf das Verhältniss der Lenore zu den Schiller'schen Balladen, so fällt in die Augen, dass in einem Punkte dieselben auf die Lenore als ihr Vorbild hinweisen, in einem andern weichen sie entschieden ab. Es ist nämlich gerade das eine charakteristische Eigenthümlichkeit der Schiller'schen Balladen, dass sie einen ethischen Grundgedanken zur Darstellung bringen, der in der Regel in der Dichtung selbst ausgesprochen wird. Aber Schiller hält sich, und dadurch unterscheidet er sich vom Dichter der Lenore, in der ganzen Weltanschauung streng an die Quelle, aus der ihm der Stoff zu seinen Balladen geflossen ist. Von der meisterhaften Form der Bürger'schen Dichtung, die mit Recht alle Bewunderung in Anspruch nimmt, habe ich ganz absehn zu können geglaubt; selbst Schiller in der bekannten, strengen Recension erkennt an die Schönheit

poetischer Malereien (dahin gehört namentlich die häufige Anwendung der Alliteration), poetische Kraft und Fülle, Sprachgewalt, Schönheit des Verses. Schiller bedurfte nicht eines Lehrmeisters im gewöhnlichen Sinne. Ihm war das hohe Talent verliehen, die Fülle idealer poetischer Anschauungen, die ihm im Herzen lebten, in das Gewand der Schönheit zu kleiden. Das aber ist Bürgers Verdienst, ihn zur Balladendichtung angeregt und damit eine Dichtungsart für immer eingeführt und zu Ehren gebracht zu haben, die vor andern die wichtige Aufgabe zu lösen hat, den in Geschichte und Sage verborgenen Schatz von Poesie in gangbare Münzen auszuprägen.

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Viehoff oder Lewes?

Wenn Jemand zu jetziger Zeit über Schiller etwas schreiben wollte, so könnte sich das Publicum in einem gewissen Rechte glauben ihm zurufen zu dürfen: Moutarde après dîner. Denn wie intensiv ist in dem letztvergangenen Jahrzehnt die Beschäftigung mit Schiller gewesen und hat ihren populärsten Austrag in dem Weimarischen Feste vom Jahre 1857 und in der Weltschillerfeier 1859 gefunden! Die hohen Sympathien, welchen das erstere überall begegnete, sind bei dem letzteren in ausgebreitetster Weise zur That geworden. Nichtsdestoweniger ist das Publicum nur vielleicht momentan befugt, wenn es sich übersättigt erklärt von Schillerbüchern und Schillerreden. In Wahrheit werden wir es uns stets zur Ehre anrechnen, dass wir, wie das Ausland uns vorwerfend entgegenhält, einen förmlichen Schillercultus eingerichtet haben. Die Schillerfeier das ist genugsam erörtert worden ist etwas mehr als eine bloss literarische Feier gewesen. Deutschland hatte, zur Wahrung der eigenen Würde, und namentlich dem Auslande gegenüber, das Bedürfniss sich als Nation darzustellen. Der Ausdruck dieses geistigen Manifestes knüpfte sich zwar nicht zufällig, aber auch nicht in Anerkennung voller Gültigkeit an die Person Schillers. Aus dem Xenienbunde der beiden grössten Dichter hatte das deutsche Volk die Verse nicht vergessen:

Und:

„Deutschland, aber wo liegt es? Ich weiss das Land nicht zu finden.

Wo das gelehrte beginnt, hört das politische auf."

„Zur Nation Euch zu bilden, Ihr suchtet es, Deutsche, vergebens.

Bildet, Ihr könnt es, dafür freier zu Menschen Euch aus.

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Archiv f. n. Sprachen. XXXI.

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