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Zu einem treuen und zuverlässigen Führer ist der Verfasser in jeder Beziehung befähigt. Obgleich von Geburt nicht Franzose, sondern aus der französischen Schweiz, besitzt Herr Reymond einerseits grosse Sympathien für dieses reich begabte Volk und die Eigenschaften, welche den französischen Geist kennzeichnen; anderseits hat er sich aber, als Ausländer, die objective Scharfe des Urtheils bewahrt. Ueberdies hatte der Verfasser durch einen mehrjährigen Aufenthalt in Paris Gelegenheit, mit den hervorragendsten Vertretern der französischen Literatur persönlich bekannt zu werden, und die verschiedenen Strömungen Frankreichs im Centrum desselben genau zu verfolgen und zu studiren.

Mit solcher Befähigung zu einem unparteiischen Berichterstatter der neuesten Entwicklung der französischen Literatur hat Herr Reymond seine Aufgabe meisterhaft gelöst. Seine Darstellung geht unmittelbar aus der lebendigen Anschauung der Dinge hervor und erhält dadurch eine eigenthumliche Frische und ein warmes Colorit.

Eine Reihe scharf gezeichneter und trefflich ausgeführter Bilder werden unserm Auge vorgeführt, wo die Einzelnheiten durch die allgemeinen Umrisse, durch eine kunstgemässe Vertheilung von Licht und Schatten hervortreten und selbst das forschende Auge des Kenners befriedigen.

Diese Bilder geben ein in sich gegliedertes harmonisches Gesammtgemälde; sie umfassen fast sämmtliche Gebiete der jetzigen Literatur, die Philosophie, die Poesie, den Roman, das Theater, die literarische Kritik und die Tagesliteratur der Zeitschriften und Journale.

Es kann hier meine Absicht nicht sein, eine eingehende oder auch nur übersichtliche Analyse des Inhalts vorliegenden Buches zu geben.

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Die Einleitung, welche der Verfasser seinen Studien vorausschickt, scheint mir am geeignetsten zu einem Referat, weil er darin klar und ausführlich seinen politischen und literarischen Standpunkt angibt und sich über die leitenden Principien, die seinem Urtheil zu Grunde liegen umwunden ausspricht. Sie gibt demnach den eigentlichen Schlüssel zum Verständniss des Buches ab, und wir werden uns bemühen, den Eindruck dieser Betrachtungen möglichst treu wiederzugeben.

Wir werden dann die Eigenschaften und das Charakteristische der literarischen Kritik Herrn Reymonds beleuchten, was uns Gelegenheit geben wird, auf einige specielle Fragen näher einzugehen, und zum Schluss noch einige Bemerkungen über die Schreibart des Verfassers hinzufügen.

Herr Reymond gibt zuerst einen historischen Ueberblick über die Entwicklung der französischen Literatur seit dem ersten Kaiserreich bis auf unsere Zeit. Er übergeht die Revolutionszeit, weil das Interesse damals durch die grossen politischen und socialen Bewegungen ganz absorbirt war und Literatur und Kunst nichts Bedeutendes hervorgebracht haben. Erst mit der neuen Ordnung der Dinge unter Napoleon kehrte einiges Leben in diesen ausgetrockneten Boden zurück; obschon leider der Einfluss der Regierung die naturgemässe, freie Entwicklung der Literatur mehr hemmte als förderte. Man schritt auf den breit getretenen Bahnen des Classicismus fort; die Poesie sank zu einer prosaischen Reimkunst herab, worin Delille das Höchste geleistet; das Theater hielt die Doctrin der drei Einheiten fest und die Heldengestalten Shakspeare's wurden von Ducis auf das Bett des Prokrustes gelegt und in moderne Franzosen umgewandelt. Kein Wunder also, dass die Classiker des Verfalls, wie man Fontanes, Esménard, Delille, Baour-Lormion, Lebrun betitelt hat, obgleich ihnen Talent und Verdienst nicht abzusprechen ist keine bleibende Werke hinterlassen haben.

Die französische Literatur blühte damals ausserhalb Frankreich, in Amerika durch Chateaubriand, in der Schweiz und in Deutschland durch Madame de Staël. Es ist dabei der Einfluss nicht zu verkennen, den auf diese Vertreter der neuen Literatur die von England und Deutschland kommende

Geistesströmung einerseits; der Rückschlag der französischen Revolution anderseits ausübten.

Die frivole, sceptische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts war unter der Bluttaufe der Revolution und in der Verbannung eine andere geworden; der Ernst des Lebens hatte sich tief in die Gemüther eingeprägt. Madame de Stael bemächtigte sich dieser Stimmung und verkündete dieselbe unter dem Namen Melancholie als ein neues literarisches Element, während Chateaubriand in seinem Génie du Christianisme die Idee einer neuen Poetik aufstellte, die er in den Martyrs verwirklichte.

Was jedoch damals die französische Gesellschaft belebte, war nicht sowohl ein positiver, eifriger Glaube als vielmehr ein affirmativer Zweifel, ein Bedürfniss zu glauben, eine Furcht vor der Vernichtung und dem Unendlichen. An die Stelle des Zweifels eines Voltaire, d'Holbach und Helvetius trat derjenige von Rousseau und Diderot.

Einer der grössten Dichter unserer Zeit, Alfred de Musset hat in ergreifender Weise die Seelenstimmung dieser Epoche geschildert (s. p. 11-12). Die zweite Strömung, welche von England und Deutschland ausging, wurde ebenfalls von Chateaubriand und Madame de Staël vermittelt.

Die Werke von Ossian, W. Scott, Lord Byron, Shakspeare und diejenigen der Koryphäen der deutschen Literatur erschlossen Frankreich eine ganz neue, unbekannte Wunderwelt.

Seit zwei Jahrhunderten zehrte die französische Literatur an dem Vermächtniss des „grand siècle"; die Quelle aller wahren poetischen Inspiration, die Natur, kannte man kaum, und von allen Schriftstellern des 18. Jahrhunderts haben allein Bernardin de St. Pierre, Buffon und Rousseau aus ihr unmittelbar geschöpft.

Aus dieser doppelten Geistesströmung ging nun die neue Literatur hervor, die man den Romantismus nennt.

Eine merkwürdige Erscheinung ist es, dass die Philosophen des 18. Jahrhunderts und die Revolution, nachdem sie alle Vorurtheile und Privilegien bekämpft und abgeschafft hatten doch eines unangetastet liessen, die überkommene literarische Form und Doctrin. Der Romantismus wurde demnach die literarische Ergänzung der politischen Errungenschaften der Revolution; seine Bedeutung und sein Einfluss auf das geistige Leben der Nation sind gross. Die Romantiker knüpften wieder an die literarische Entwicklung der Renaissance an (Tableau de la Poésie française au XVIe siècle par St. Beuve), befreiten den französischen Geist von den letzten Fesseln, welche ihn noch an die legitimistische und katholische Partei ketteten, und bereicherten die poetische Sprache durch neue Bilder und mannigfache Rhythmen, indem sie eine Menge origineller Ausdrücke aus der reichen Sprache von Montaigne, Rabelais, Ronsard, Matthurin Régnier. d'Agrippa d'Aubigné rehabilitirten, welche der Pedantismus eines Malherbe, Boileau und die Précieuses de l'Hôtel de Rambouillet verbannt. Wohl verlor dadurch die französische Sprache etwas von der Klarheit und edlen Einfachheit, welche die classischen Werke des 17. Jahrhunderts auszeichnen; aber sie wurde reichhaltiger, biegsamer und entsprach mehr dem neuen Geist. Die literarische Reform der Romantiker bezeichnet also einen bedeutenden Fortschritt: sie erneuert das poetische Ideal, verleiht der Imagination einen neuen mächtigen Schwung, eröffnet ihr einen weiten Horizont und ruft eine lebenskräftige, originelle Literatur in's Leben, welche die ganze erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgefüllt hat.

Zuerst waren die Romantiker in Frankreich wie in Deutschland gute Royalisten und Katholiken, während ihre Gegner, die Classiker, Liberale und Voltairianer waren. Aber bald wechselten sie die Rollen: die Romantiker entfalteten die Fahne der literarischen Unabhängigkeit und verspotteten die grossen Muster des 17. Jahrhunderts, welche sie Perrücken nannten; Vertreter der classischen Schule vertheidigten sich mit Heftigkeit und beis

die

sender Satyre (p. 15). Aber der Sieg verblieb den Romantikern, wozu die Revolution von 1830 wesentlich beitrug. Aus einer rein literarischen Opposition entwickelte sich wie von selbst eine mächtige politische, was einen treffenden Beleg dafür giebt, dass Literatur und Politik eng miteinander verbunden sind (p. 13-15).

Der Verfasser legt grosses Gewicht auf dieses Wechselverhältniss; er ist der Ansicht, dass die Literatur einer Epoche der Ausdruck des politischen und socialen Lebens derselben ist und sein muss, ja dass die Politik und ihre leitenden Principien das geistige Leben einer Nation geradezu bedingen. Wenn dies überhaupt richtig, so ist es nirgendwo zutreffender als in Frankreich, wo seit der ersten Revolution das politische Leben den ganzen Staatskörper durchdrungen und die Errungenschaften sich unvertilgbar in die Institutionen des Landes und in die Gemüther eingeprägt haben. Aus diesem Einflusse des socialen und politischen Lebens auf die Literatur erklärt sich denn auch die durchaus praktische und populäre Richtung derselben. Doch wir werden später noch Gelegenheit haben, auf dieses charakteristische Merkmal zurückzukommen.

Da der Verfasser sich die Aufgabe gestellt, die Literatur des zweiten Kaiserreichs eingehend zu besprechen, so konnte er nicht umbin, sich über den jetzigen politischen Zustand Frankreichs auszusprechen. Er thut es mit eben so grosser Freimüthigkeit als Gerechtigkeitsliebe; jede politische Intention liegt ihm fern und er polemisirt bloss vom Standpunkt der allgemeinen liberalen Grundsätze, indem er jede politische Meinungssolidarität zurückweist. (Avant-Propos V). Herr Reymond glaubt nicht, dass das zweite Kaiserreich die Bedingungen einer dauerhaften Regierung in sich vereinigt; er sieht in demselben nur ein auf beweglichem Sande aufgeschlagenes Zelt, eine Uebergangsperiode, einen temporären Rastpunkt auf dem Wege des Fortschritts (p. 5-6). Verfasser sucht zunächst die Ursachen auf, welche den jetzigen Zustand hervorgebracht: woher kommt die passive und resignirte Haltung eines sonst so geistig regen und thätigen Volks; woher diese politische Indifferenz, die alles geistige Leben in seiner Entwicklung hemmt, ja in seinen Keimen schon erstickt, und nur noch Raum lässt für ein fieberhaftes Jagen nach Reichthum, Ansehen, Luxus und allen materiellen Genüssen?

Die politische Entwicklung Frankreichs seit 60 Jahren erklärt diese Erscheinung nur zu leicht. „Quand une nation a proclamé depuis soixante ans treize constitutions et une vingtaine de gouvernements, on ne doit plus s'étonner de son scepticisme. Quand la même nation a abusé en si peu de temps de la liberté, du despotisme, de la religion, du sentiment, de la poésie, de tout enfin ce qui peut émouvoir les masses, que doit-il lui rester de son idéal" (p. 18).

Der unaufhörliche Wechsel, die Unsicherheit der Verhältnisse, der resultatlose Parteikampf erzeugten eine grosse Abspannung, in deren Folge eine ausserordentliche politische Gleichgültigkeit überhand nahm, die noch gesteigert wurde durch die instinctive Furcht vor den, seit den traurigen Erfahrungen von 1848 verpönten allgemeinen Ideen.

Seitdem man nämlich inne wurde, dass die socialistischen Theorien aus den Regionen der Abstraction in das praktische Leben einzudringen strebten, wurde man gegen das Denken und die Speculation selbst misstrauisch.

Man flüchtete sich entweder auf das Gebiet der abstracten Wissenschaft - oder auf dasjenige der frivolen Tagesliteratur, um daselbst, wie in einem sichern Hafen, vor den Stürmen der hohen See gesichert zu sein. Ja, man ging in dieser Reaction so weit, dass man den Parlamentarismus und die Freiheit der Presse, diese glorreichsten Errungenschaften der Revolution verläugnete und ihnen alles Unheil der letzten Jahre zuschrieb. Ein berühmter Publicist und eifriger Vertheidiger des Repräsentativsystems, M. de Montalembert, ruft diesen Verächtern der Vergangenheit zu: „Savez-vous

quel est votre plus grand crime? C'est d'avoir désenchanté la France de la liberté."

Der Verfall, der durch diese allgemeinen Ursachen herbeigeführt wurde, zeigte sich aber nicht allein auf dem Gebiete der Literatur, sondern erstreckte sich selbst bis auf dasjenige der Kunst. Die Kunstwerke müssen nach ihrem innern Werth geschätzt werden, dies kann vollständig nur von einer privilegirten Classe geschehen, die aufgeklärt genug ist, um dieselben zu würdigen, und reich genug, um sie zu bezahlen.

Deshalb hat die fürstliche Gunst auf dem Gebiete der grossen architektonischen Arbeiten, der plastischen Kunst und der geschichtlichen Malerei ihre volle traditionelle Wichtigkeit behalten. Die neuesten Kunstwerke Münchens, Dresdens, Berlins sind dafür ein eclatantes Beispiel. Auch in Frankreich wurde unter den früheren Regierungen für die Kunst viel gethan; selbst das erste Kaiserreich, trotz des damals herrschenden plumpen Geschmacks, war in seinen Kunstbestrebungen noch grossartig. Dies Alles ist verschwunden; nur noch, wie der Verfasser sich drastisch ausspricht, der Geschmack für Strassen- und Casernenbau zu finden. Das militärische und bürgerliche Genie hat den Sinn für Kunst und Literatur verdrängt.

Ein solcher Materialismus wurde theilweise durch die Einseitigkeit der Romantiker herbeigeführt. In jugendlichem Uebermuth hatten sie die Menschheit in zwei getrennte Lager getheilt: in die privilegirte Classe der Gelehrten, Dichter und Künstler, welche in den Sphären des Ideals leben, und in die grössere der Bürger oder der Krämer (épiciers), die in ihrer prosaischen Beschäftigung aufgehen. Aber das Glücksrad hat sich seitdem gedreht; durch die Revolution von 1830 kam die politische Macht in die Hande dieses Bürgerstandes, und nun erdrückt derselbe mit der Arroganz eines Emporkömmlings die Dichter und Künstler. Em. Renan macht dem französischen Adel der Restauration den Vorwurf, gleich demjenigen des 17. und 18. Jahrhunderts, keinen andern Ehrgeiz besessen zu haben, als dem König zu dienen und den Bürgerstand zu demüthigen.

Sollten sich die Franzosen seit dieser Zeit viel verändert haben? Adel und Bürgerstand haben nur die Rollen getauscht, und letzterer, der schon die Hauptstütze der Regierung Ludwig Philipp's gewesen, hat im Jahre 1852, unter dem Vorwand die socialistischen Theorien von sich zu weisen, Frankreich unter einen viel drückenderen und demüthigenderen Despotismus zurückversetzt, als der erstere war: denn dieser bürgerliche Toryismus, wie H. Guizot sich ausdrückt, besitzt nicht mehr die ritterlichen Traditionen des adlichen; er ist seiner Natur nach eifersüchtig, neidisch, kleinlich, ein Feind alles geistigen Schwunges und insbesondere der Freiheit selbst.

Was konnte eine solche prosaische Zeit und Generation für eine Literatur schaffen? wie hätten auf diesem vom Materialismus überwucherten Boden ideale Erzeugnisse hervorsprossen können?

Wie fern von uns liegen die Zeiten, wo Frankreich mit Staunen und Entzücken den unbekannten und zauberhaften Tönen eines Lamartine oder V. Hugo lauschte, wo der Streit der Classiker und Romantiker die ganze gebildete Gesellschaft in Bewegung setzte, wo die ganze Nation sich an den politischen Debatten der Tribüne lebhaft betheiligte; mit einem Worte, wo ein mächtiger, freier Geist Frankreich durchströmte und neugestaltend auf das Ausland einwirkte!

Und doch konnte das zweite Kaiserreich wenigstens einen Schein von Literatur nicht entbehren; nur begehrte der zur Herrschaft gekommene Stand eine wohlfeile Literatur, die mit ihren egoistischen Interessen übereinstimmte. Diesem Wunsche entsprach die Literatur du demi-monde, einer neuen Classe der pariser Gesellschaft, welche Alex. Dumas fils in mehreren Comödien fein und treffend geschildert hat. Ich verweise auf die Definition, die der Verfasser p. 22-23 mittheilt.

Die Literaten dieser Classe, vaudevillistes, chroniqueurs, feuilletonistes

und Romanschreiber beuten die Vorurtheile und den schlechten Geschmack der Menge aus, und suchen durch die Quantität ihrer Leistungen zu ersetzen, was ihnen an Qualität abgeht.

Auf diese Weise ist der Mercantilismus die Seele der französischen Literatur geworden; schnell zum Ziele kommen, d. b. zu Reichthum, Ansehn und Genuss, das ist das Losungswort dieser Herren, und um dies Ziel zu erreichen, ist ihnen jedes Mittel gut: man beutet die niedrigsten Leidenschaften aus, man redet dem Laster das Wort, indem man es beschönigt. Roman und Bühne wimmeln von lasciven Schilderungen, von moralisch zweideutigen oder geradezu verbrecherischen Charakteren. Aber es handelt sich darum, die Blasirtheit eines übersättigten Publicums zu reizen; und jemehr daher ein Buch oder ein Theaterstück Angriffe gegen die Moral enthält, desto grössern Anklang findet es, wenn es der Schriftsteller nur versteht, das Anstössige mit Geschick und Grazie zu verhüllen.

So sind eine Menge Schriftsteller zu Ansehn und Vermögen gelangt, Schriftsteller, deren Namen man in 30 Jahren nicht mehr kennen wird.

Ein eigenthümliches Merkmal dieser Tagesliteratur, das schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts hervortrat und von Molière so geistreich persifflirt wurde, ist die Affectation des Styls, immer ein sicheres Zeichen von Abwesenheit des Ideals und von Armuth der Phantasie. Schon bei den Romantikern, u. A. bei Sainte-Beuve und V. Hugo machte sich diese Ziererei bemerkbar; aber sie entsprang bei ihnen mehr aus dem Bedürfniss neue Wendungen, unerwartete und treffende Ausdrücke aufzufinden, eine neue poetische Sprache zu schaffen, während sie jetzt nur noch als Mittel dient, die Armuth an Ideen zu verbergen oder einen Gemeinplatz aufzufrischen; auch entspringt sie nicht, wie bei den Précieuses de l'Hôtel de Rambouillet aus dem Haschen nach Zartheit und Feinheit des Ausdrucks, sondern vielmehr aus der Furcht vor jeder poetischen Ausschmückung, aus der Sucht nach übertriebener Einfachheit, welche bei den Einen in Trockenheit, bei den Andern in Realismus ausartet. Letztere Richtung, welche durch die talentvollsten und gelesensten Schriftsteller, wie Oct. Feuillet, Dumas fils und Feydeau vertreten ist. zeigt immer noch die beste Seite der heutigen Literatur. „Wohl ist," sagt der Verfasser, der Realismus eine brutale Reaction, aber gleichzeitig gesund und stärkend gegen die verweichlichende Sentimentalität, welche die Restauration gehegt und gepflegt und gegen den Geschmack am Niedlichen und Abgerundeten, er ist eine Folge des bürgerlichen Industrialismus." Verfasser verheisst dem Realismus eine Zukunft, weil denselben eine frische Lebenskraft durchdringt, weil es die jungen Talente dieser Schule verstehen, die gesellschaftlichen Zustände genau zu schildern und scharf zu beurtheilen, weil sie zum Studium der Natur zurückstreben, welche die unerschöpfliche Quelle aller Poesie, Harmonie und Schönheit ist.

Die charakteristischen Merkmale der Literatur des zweiten Kaisserreichs, welche Verfasser hier nur skizzirt, treten bei der Besprechung der einzelnen Persönlichkeiten und Werke viel bestimmter und schärfer hervor.

Wie wir aus Obigem ersehen haben, ist Verfasser weit davon entfernt, den literarischen Verfall allein der jetzigen Literatur aufzubürden; dies erscheint ihm geradezu als eine Ungerechtigkeit und Uebertreibung. Sein Bestreben ging vielmehr dahin, nachzuweisen, dass die verfehlte politische Entwicklung Schuld daran trägt: zuerst die Julirevolution, mit ihren masslosen socialistischen Bestrebungen, dann die Regierung Ludwig Philipp's mit ihrer überhandnehmenden Corruption, endlich der vorzeitige Ausbruch der Revolution von 1848 mit ihren Verirrungen. Ja, Verfasser geht noch weiter, indem er, und zwar mit grossem Recht behauptet, dass das zweite Kaiserthum selbst als eine nothwendige Folge des Verfalls betrachtet werden muss, in den der französische Geist gerathen ist.

Il a fallu vingt ans de corruption et quelques mois de terreur,“ ruft

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