Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

spanischen und französischen Theaters, zum Theil ohne ihr Wissen, zum Theil aber auch absichtlich, zú wetteifern. Der Stolz des Königs Heinrich VIII. verlangte einen glänzenden Hofstaat, und was diesen erhöhen konnte, wurde von den Großen des Landes, wie von dem Könige selbst, nicht vernachlässigt. Bes sonders wollte Heinrich, der selbst ein Mann von Geist und gelehrten Kenntnissen war, in der Vers schönerung seines Hofes durch Schauspiele nicht hins ter Franz I. von Frankreich zurückbleiben. Es freuete ihn, so lange es noch keine andere dramatische Uns terhaltungen gab, wenigstens geistliche Stücke, Mos ralitäten und Farcen oder, wie sie in England gewöhn, lich genannt wurden, Interludien (Interludes) im alten Geist und Styl, aufführen zu lassen. Sobald nun die dramatische Poesie die neue Wendung nahm, die in ihrer Geschichte Epoche macht, war außer Mas drid und Paris kein Ort in Europa, wo die neue Kunst so schnell aufblühete, als in London. Einführung des Protestantismus in England lenfte die Aufmerksamkeit des Publicums nicht von dem Theater ab. Je bedenklicher es schien, durch neue Schauspiele nach protestantischen Begriffen die alten geistlichen Theaterstücke zu verändern, desto mehr waren die weltlichen Stücke willkommen, die den firchlichen Glauben überhaupt unberührt ließen; denn unter Heinrich VIII. durfte doch niemand in Glaubenssachen selbst urtheilen wollen. Nur wenige Schmeichler des Despoten versuchten, nach der neuen Dogmatik, die er der Nation vorgeschrieben hatte, gegen den Pabst vom Theater zu kämpfen. Unter Eduard VI. håtte das Beispiel, das dieser junge König selbst gab, leicht die geistliche Polemik auf dem Theater in Ansehen bringen und die wahre

Die

Bildung der dramatischen Poesie in der englischen Litteratur aufhalten können; denn Eduard selbst soll ein Schauspiel gegen den Pabst unter dem Titel Die babylonische Hure (The Whore of Babylon) verfaßt haben). Seine Nachfolgerin auf dem Throne, die Königin Maria, ließ sogar wieder fas tholische Schauspiele im alten Geschmacke `auffüh. ren, um auch dieses Mittel zu Hülfe zu nehmen, ihre Nation wieder mit der alten Kirche zu versöhnen. Aber während dieser Zett, die nicht lange dauerte, wurden die alten griechischen und römischen Tragós dien und Comödien den englischen Dichtern immer befannter. Und kaum war Elisabeth auf den Thron gestiegen, als die geistlichen Schauspiele mit allem Zubehör völlig von den englischen Theatern vers schwanden, und jeder Dichter, der Anlagen zur dras matischen Poesie zu haben glaubte, sich der Könis gin selbst durch Schauspiele nach dem neuen Ges schmacke zu empfehlen suchte. Dieser neue Ges schmack ging von einer seltsamen Mischung der ros mantischen und antiken Poesie aus. An einer solchen Mischung fand Elisabeth selbst ein besonderes Wohls gefallen. Keine Art von öffentlichen Vergnügungen war ihr lieber, als theatralische; und wer einen Ans strich von Gelehrsamkeit hatte, schien ihr eines vors züglichen Beifalls werth. In kurzer Zeit wurden nicht nur in London eine Menge von Theatern ers richtet; auch in den Provinzialstädten begrüßte man die Königin, wenn es sich einrichten ließ, mit dras matischen Festen. Weil aber die Gelehrsamkeit bei

der

1) Veral. Warton, T. II. p. 195; und Horatio Wal pole's Catalogue of the royal and noble authors of England (Lond. 1759, 2 Octavbånde), T. I. p. 22.,

1

der neuen Art von Schauspielen in Betracht kam, so zog sich die dramatische Poesie und selbst die Schaus spielkunst auch in die englischen Schulen und auf die beiden Universitäten zu Orford und Cam: bridge. Die Geschichte des englischen Theaters lies fert das einzige Beispiel von berühmten, oder bes rühmt gewesenen Schauspielen, die auf Universitäten entstanden, oder dort zuerst aufgeführt worden sind. Eine Entweihung der Sihe der Gelehrsamkeit schies nen diese akademischen Schauspiele um so weniger zu seyn, da schon in den alten Klosterschulen dras matische Actus, freilich geistlichen Inhalts und in lateinischer Sprache, gegeben waren. Was auf den Universitäten nicht unschicklich und dem Geschmacke der Königin angemessen gefunden wurde, mußte sich auch mit den Privatvergnügungen des englischen Adels vereinigen lassen. Lords und Edle von ange: sebenen Familien errichteten also Privattheater; und weil das Schauspiel überhaupt ein Ansehen er: hielt, wie noch nie zuvor, so trugen die vornehmsten Männer in England kein Bedenken, auf ihren Pris/ vattheatern selbst zu spielen. Andere reiche Herren unterhielten Schauspielergesellschaften auf eigene Ko: ften m). Wenn man sich nun erinnert, daß die Res gierung der Königin Elisabeth beinahe ein halbes Jahrhundert dauerte, so wird man sich nicht wun dern, daß gegen das Ende dieser Regierung, als Shakespear auftrat, die dramatische Kunst bei den Engländern schon in einem Flore stand, wie kaum bei den Spaniern und Franzosen. Als aber gar. Shakespear's Genie die ganze Nation zur Bewunde rung hinriß, da blieben selbst die Spanier bis auf

die

m) S. die Einleitung zu Dodsley's Collection of old Plays, nach der neuen Ausgave vom Jahre 1780, p. 52.

die Regierung Philipp's III. und die Franzosen bis auf ihr Zeitalter Ludwig's XIV. an öffentlichen An: stalten für die Schauspiele weit hinter den Englån: dern zurück. Man hat nachgerechnet, daß allein in London vom Jahre 1570 bis 1629 nicht weniger als siebzehn Schauspielhäuser erbauet sind ").

Aber daß das englische Schauspiel seit seiner Reform im sechzehnten Jahrhundert, wie das spanis sche, dem romantischen Charakter und den Fors men der früheren Zeiten getreu blieb, und nicht, wie das französische seit Jodelle, die Nachahmung der antiken Regelmäßigkeit zur Grundlage der dramatischen Vollkommenheit machte, muß aus dem englischen Nationalcharakter, nicht aus den Umstäns den, erklärt werden. Denn an Versuchen, die alten romantischen Formen mit ihrer Regellosigkeit und ihrer fühnen Mischung des Heterogenen vom Theas ter zu verdrången, fehlte es in England so wenig, wie in Frankreich. Aber das englische Publicum ver: schmähte eine völlige Umbildung feines remiantischen Geschmacks. Es war nicht so bereitwillig, wie das. französische, nach den Grundsäßen einer aristotelis schen Poetik, die es nicht kannte, die Poesie seiner Vorfahren aufzugeben, und einer neuen zu huldigen, die durch ihre Regelmäßigkeit nicht ersehte, was sie der Phantasie entzog. An dem Regelmäßigen, auf das seit Jodelle die Franzosen einen so hohen Werth in der dramatischen Kunst legten, war den Engländern weniger gelegen, als an dem Wahren, Kühnen und Großen. Während das französische Publicum in der Bildung seines Geschmacks sich ims

u) S. ebendaselbst, p. 50.

mer

mer nach dem Hofe richtete, und besonders im hes roischen Trauerspiele den Hofton hören wollte, folgte in England der Hof selbst dem Geschmacke der Nas tion. In Frankreich gewöhnte man sich leicht, als Das Trauerspiel nach den Regeln der Poetik des Aristoteles vervollkommnet wurde, auf dem Theater gewöhnlich eine fremde Welt zu erblicken, in wel cher Griechen, Römer, und Türken die tragischen Helden waren; aber das englische Publicum hing, wie das spanische, an seiner vaterländischen Geschichte. Es verlangte historische Schauspiele, durch welche die merkwürdige Vergangenheit mit der Gegenwart verknüpft, und das Licht der Poesie auf Begebens heiten geworfen wurde, aus denen die späteren her vorgegangen waren, unter deren Einflüssen man lebte und webre. Das englische Publicum, bedurfte also nur eines Dichters, wie Shakespear war, um sich auch künftig durch keine Kritik und durch keine Fortschritte der Cultur und des Geschmacks in den alten Forderungen irre machen zu lassen, mit denen es das Schauspielhaus besuchte. Aber ehe der Streit des Romantischen mit dem Antiken auf dem englischen Theater zu der Ausgleichung führte, bet welcher Shakespear stehen blieb, arbeiteten sich die dramatischen Dichtungsarten nach den Bedürfnissen des Publicums und den Vorstellungsarten der Dich: ter unter mancherlei seltsamen, zum Theil höchst ins teressanten, zum Theil sehr widersinnigen und ges schmacklosen Versuchen empor.

[ocr errors]

Was das englische Theater seit der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts mit dem spanischen Aehnliches hat, ist eben so wenig durch Nachahmung spanischer Schauspiele entstanden, als die englischen

Bals

"

« ZurückWeiter »