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Shakespear blieb, wie Corneille, der Gattung von Trauerspielen getreu, die auf dem Theater, für das er arbeitete, schon eingeführt war. Er veredelte, wie Corneille, die Gattung, die feinem Genie ents sprach, mit solchem Glück, daß alle früheren englis schen Trauerspiele neben den seinigen nur als rohe Borübungen erscheinen. Und so, wie Corneille Schöpfer des französischen Trauerspiels genannt wers den darf, weil er zuerst den eingeführten Formen auf dem französischen Theater den Geist der tragischen Würde einbauchte, heißt Shakespear mit demselben Recht der wahre Schöpfer der romantischen Tragók die, weil er der Erste ist, der durch eine romantis sche Composition im Ganzen eben das Ziel erreicht bat, zu welchem Sophokles und Corneille auf ans dern Wegen gelangten. Eine strengere Correctheit wåre allerdings auch schon zu Shakespear's Zeit mit dem Gattungscharakter dieser Trauerspiele vereinbar gewesen. Die Fehler, von denen dieser Dichter übers haupt nicht frei gesprochen werden kann, schaden auch dem Interesse seiner Trauerspiele. Die romantische Freiheit selbst erscheint ausschweifend in dem gar zu wilden Wechsel der Scenen, und in der muthwillis gen Mischung heterogener Partieen. Aber die höchs ste Schönheit, zu der sich die dramatische Poesie erz heben kann, ist unter den sämmtlichen Werken Sha: Fespear's vorzüglich seinen Trauerspielen eigen. Deßz wegen darf die gerechte Kritik feinen Anstand neh men, sie, mit allen ihren unbezweifelbaren Fehlern, für Meisterwerke anzuerkennen. Wenn man sie in der Ordnung übersieht, in der sie wahrscheinlich ents standen sind, so bemerkt man auch die Fortschritte des Kunstverstandes dieses Dichters in der Bearbeitung eines tragischen Stoffs. In Romeo und Ju

Hiette (Romeo and Juliet), wahrscheinlich dem ers sten eigentlichen Trauerspiele in der chronologischen Folge der Werke Shakespear's, hat die Erfindung zwar ein tragisches Interesse, aber wenig Größe; und das ganze Stück hat Vieles von der Composis tion und dem Tone einer rührenden Novelle. Man darf es ein bürgerliches Trauerspiel nennen. In dem Hamlet, der auf Romeo und Juliette folgt, ist eben so viel Feinheit, als Wahrheit, und ein pikantes Interesse der Charaktere und Situationen vereinigt mit einer sehr sinnreichen, fast zu verwiks felten Vertheilung der Partieen, die das Ganze bils den; aber dieses bewundernswürdige Ganze ist übers laden von interessanten Nebenpartieen; die Handlung schleicht, und windet sich hin und her, wie der üni entschlossene Charakter des Prinzen Hamlet; und der Zufall, der den Knoten löset, vernichtet zum Bes schlusse des Stücks den Rest von tragischer Größe, den die Composition bis dahin noch einigermaßen behauptet hat. Weit mehr tragische Haltung þas ben schon der König Johann, und noch mehr Richard III., der, mit allen seinen mißlungenen Scenen, sich nur selten von der Einheit der Hand: lung im Geiste der heroischen Tragödie entfernt, und durch erschütternde Scenen zu der bestimmten Katastrophe mit steigendem Interesse fortrückt. Im Hamlet und im Richard III. erscheinen Geister; denn_Shakespear's poetisches Gefühl machte ihn, wie die griechischen Tragiker, aufmerksam auf den bohen Reiz, den die heroische Tragödie, wie die Epopde, durch das Wunderbare erhält, wenn es zur rechten Zeit in die Handlung einwirkt. Die armseligen Zweifel über die Schicklichkeit und Nar türlichkeit der Geißtererscheinungen nach den Grund,

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fäßen einer unpoetischen Kritik waren zu Shakes Spear's Zeit noch nicht erfunden. Aber schwerlich hat er sich auch jemals den Unterschied zwischen sets nen Trauerspielen und übrigen dramatischen Werfen auseinander geseht. So wie sein kritischer Tact sich durch Uebung bildete, lernte auch sein Vers stand immer mehr, Einheit in eine große Compos sition bringen, sobald er es wollte. Darum fallen die meisten seiner eigentlichen Trauerspiele, nach der wahrscheinlichsten Berechnung, in die lehten zehn Jahre seines Lebens. In dem König Lear, vermuthlich im Jahre 1605 entstanden, hat er durch die kühne Zusammenstellung des bejammernss werthen wahnsinnigen Königs mit dem Hofnarren die altromantische Freiheit, Burleskes in das Tras gische einzumischen, zur Erhöhung des tragischen Pathos selbst benußt. Das ganze Trauerspiel bes wegt sich um das rührende und erschütternde Ges måhlde der menschlichen Natur in der Person des gutmüthigen, kindisch gewordenen Alten. Im Macs beth ist die Einheit der Composition noch leichter zu bemerken. Da greifen fast alle Scenen gehörig in einander ein, und die Verbindung der natürlis chen Folgen des ruchlosesten Ehrgeizes mit den Pros phezeihungen der Heren läßt selbst nach den Grunds säßen der kältesten Kritik nichts zu wünschen übrig. Weniger Einheit haben Antonius und Cleopas tra und der Julius Cåsar. Dafür aber hat Shakespear in diesen beiden Trauerspielen Charaktere aus der römischen Geschichte nach dem Plutarch so echts römisch gezeichnet, wie kaum Corneille, der doch vorzüglich seiner meisterhaften Darstellung römischer Gesinnungen und Gefühle den Beinahmen Der Große verdankt. Auch zeichnen sich mehrere Sces

nen

nen in diesen beiden Trauerspielen von Shakespear und in dem Coriolan, der bald darauf folgte, durch eine besondere Reife des Geschmacks aus. Aber durch Scenen aus dem gemeinen Leben und in der Sprache des gemeinen Lebens die tragische Hands lung und ihren Fortgang beld vorzubereiten, bald zu unterbrechen, diese Freiheit ließ sich Shakespear nicht nehmen, auch als er durch das Studium des überseßten Plutarch in der römischen Welt einhei misch geworden war. Den alten Griechen und Rds mern gar, wie auf dem französischen Theater, den Rang vor andern Nationen im heroischen Trauers spiele einzuräumen, oder an ihrer Stelle wenigstens Türfen und andre Morgenländer auftreten zu lassen, deren Kleidung und Betragen etwas Imposantes und Gravitätisches hat, ist nie Shakespear's Gedanke ges wesen. Er bedurfte solcher theatralischen Hülfsmits tel nicht, die tragische Größe in wesentlichen Zügen nicht zu verfehlen. Sein lehtes Trauerspiel, der Othello, beweiset, daß er noch kurz vor dem Ende feiner dramatischen Laufbahn Bürgerliches mit Hes roischem zu mischen kein Bedenken trug. Aber wer nicht mit blinder Vorliebe über Shakespear urtheilt, wird auch nicht leugnen wollen, daß eine unschicklis che Mischung des Bürgerlichen mit dem Heroischen dem Interesse aller Trauerspiele Shakespear's mehr schadet, als die Verlegung des poetischen Costume, das abenteuerliche Durcheinanderwerfen der Zeitalter, und die Vernachlässigung so vieler Regeln der Kunst. Denn sobald Shakespear das gemeine Leben darstellt, oder auch hohe Personen sich zur Abwechselung in der Manier des gemeinen Lebens ausdrücken läßt, ist ihm kein Einfall zu roh, kein Scherz zu possenhaft, keine Natürlichkeit, wenn sie nur etwas Pikantes

hat,

hat, zu gemein. Diese Fehler sind aber eine Fols ge der ungebildeten Umgangssprache, die zu Shakespear's Zeit selbst unter den Großen ių England herrschte, und sogar für die Damen bei Hofe so wenig Anstößiges hatte, daß die Königiu Elisabeth sich zuweilen erlaubt haben soll, wie ein Matrose zu fluchen '). Nach der Umgangssprache, die damals in England üblich war, sind auch die steifen und geschrobenen Höflichkeitsphrasen der vornehmen Personen in Shakespear's Trauerspielen und übris gen dramatischen Werken gebildet. Wåren die Sitten der englischen Herren und Damen im Zeits alter Shakespear's feiner gewesen, so würde dieser Dichter auch nicht in seinen Trauerspielen und his storischen Stücken seine Helden nach dem Siege mit den abgehauenen Köpfen ihrer Feinde auf dem Theas ter haben figuriren lassen dürfen. Ueberhaupt würs De er dann genöthigt gewesen seyn, die romantischen Freiheiten, die er sich nahm, in mancher Hinsicht zu beschränken.

Shakespear's Lustspiele gehören fast alle zu den Charakterstücken. Die komischen Charaktere find in ihnen mit meisterhafter Wahrheit und Bes ftimmtheit gezeichnet. Aber auch die komische Jus trigue ist nicht vernachlässigt. Die Situationen find vortrefflich gewählt, um das Interesse der Intrigue mit dem der Charaktere zu verknüpfen. An komis scher Kraft überhaupt stehen diese Lustspiele keinen

anderen

**1) Bei einer Audienz, in welcher die Königin Elisabeth ger nöthigt war, Latein zu sprechen, soll sie lachend gesagt haben: Sdeath! (ungefähr gleich dem deutschen Fluche Schweren-th!) I had almoft forgot my old rotten Latin. S. Barton, Hift. of Engl. poetry, Tom. III. im leßten Abschnitte.

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