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der Mangel an epischen Charakteren, die höllis schen Geister ausgenommen, ersetzt werden. Dié beiden einzigen Sterblichen, die in dem Gedichte erscheinen, repråsentiren nur den allgemeinen Chas rafter der unverdorbenen Menschheit.

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Die Schönheit des verlornen Paradieses in ihrem ganzen Umfange zu analysiren, wäre ein überflüssiges Geschäft. Denn diese Schönheit ist keine von den versteckten, die bestimmter hervortres ten, wenn die Kritik dem Gefühle zu Hülfe kommt. Milton ergreift das Gemüth mit Kraft, und reißt es hin, ihm auch auf Irrwegen zu folgen. Schrecken der Hölle und die Freuden des Paras Dieses theilen sich uns aus seinen Beschreibungen unwiderstehlich mit. Diese Beschreibungen vereis nigen die Wahrheit und das anziehende Colorit Spenser's mit der classischen Präcision und Würde Virgil's. In der poetischen Beredsamkeit ist Mils ton einer der größten Meister. Die Reden, die er den höllischen Geistern in den Mund legt, sind noch nicht übertroffen. Aber an Fehlern, die in das Auge fallen, ist in dem verlornen Paradiese auch kein Mangel. Das Furchtbare wird bei Mila ton zuweilen zum Ungeheuren und Grotesken, zum Beispiel in der Beschreibung des Krieges zwischen den guten und den abgefallenen Engeln, besonders da, wo die Teufel das Schießpulver erfinden, um Den Himmel zu canoniren. Zu strenge hat man an diesem Gedichte die Vermischung der chriftlichen Dichtung mit Bildern aus der griechischen Mythos logie geradelt; denn bei Milton haben, wie bet Camoens, die mythologischen Bilder und Nagmen nur den Werth einer poetischen Figur, bei der man DD 4

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an nichts weiter denken soll. Freilich aber wird das Unschickliche solcher Figuren in einem Gedichte, Das ein christlich religiöses Interesse haben soll, nicht weggeräumt durch das Vorurtheil, den Mils ton und Camoens anhingen. Ein beschwerlicherer Fehler der poetischen Manter Milton's ist der Per dantismus, der sich bald in der Anhäufung gelehrs ter Notizen aus der hebräischen Alterthumskunde, bald in unnüßen Anspielungen auf die alte griechi sche und lateinische Litteratur, und am auffallends sten in den scholastischen Subtilitäten der didaktis schen Partien zeigt. In dieser Hinsicht ist Milton nicht musterhafter, als Dante, zu dessen Zeit doch das Studium der classischen Alten noch nicht auf die neuere Poesie gewirkt hatte. Auch die Sprache Milton's, so sehr sie sich übrigens der classischen; Vortrefflichkeit nähert, ermüdet zuleßt durch den gleichförmig feierlichen Gang in langen, mehr rhes torischen, als poetischen, Perioden ").

Wenn man Milton's verlornes Paradies aus den rechten Gesichtspunkte beurtheilt, so läßt sich auch leicht erklären, warum Milton selbst einen hohen Werth auf das Gedicht legte, das er unter

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h) Da Milton's Gedichte in den Hånden eines Jeden find, wer mit der englischen Poesie bekannt ist, so würde es hier Verschwendung des Raums seyn, Stels len aus dem verlornen Paratiese als Belege des kris tischen Gutachtens einrücken zu lassen. Auch die übris gen Gedichte Milton's sind in Deutschland nicht seltes ner, als das verlorne Paradies, seitdem Lichtens berg in Göttingen, ohne sich als Herausgeber zu nennen, den Abdruck der englischen Dichter nach Johns fon's Ausgabe besorgen wollte, und wenigstens - Wils ton's poctische Werte lieferte.

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dem Titel Das wiedergewonnene Paradies (Paradife regained) auf das verlorne folgen ließ. Die Nachwelt, die das verlorne Paradies dieses Dichters bewundert, hat auf das wiedergewonnene nur wenig geachtet. Milton aber sand durch dies ses Gedichte den didaktischen Zweck des verlors nen Paradieses noch mehr nach seinem Wunsche erreicht. Altersschwäche allein war also wohl nicht die Ursache seiner Vorliebe zu dem letzten seiner poetischen Werke. Es mußte ihn freuen, durch Das wiedergewonnene Paradies "die Wege Gottes zu dem Menschen" noch anschaulicher gemacht zu haben, als durch das verlorne. Darum hatte er zum Sroffe jenes Gedichts die biblische Erzählung von der Versuchung des Heilandes in der Wüste gewählt; denn bet dieser Versuchung hatte der Heis land in Menschengestalt dargethan, daß der Vers fucher fünftig den Menschen ohne ihren Willen nicht sehr gefährlich seyn sollte. Aber eben dieser Stoff bat fast gar kein episches Interesse. Um die' ganze Dichtung hinaufzurücken bis zur Höhe des verlornen Paradieses, mußte Milton sich selbst wies derhohlen. Die Beschreibungen des Himmels und der Hölle waren ihn in dem verlornen Paradiese so gelungen, daß er sich selbst nicht mehr übertrefs fen konnte. Sein wiedergewonnenes Paradies wurde also in den Stellen, die man allenfalls episch nennen kann, nur ein matter Nachklang des vers lornen. Das Didaktische in der Composition und Ausführung blieb die Hauptsache. Auch war der Stoff der Erzählung so bald erschöpft, daß Mils ton mit seiner reichen Phantasie das Ganze doch nicht weiter, als zu vier Gesängen, ausdehnen fonnte. Gleichwohl ist dieses wiedergewonnene DDS

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Paradies fein so unbedeutendes Gedicht, wie Vielë glauben. Es hat eine gehaltene Würde der Ges danken und des Styls in einer trefflichen Sprache. Mit der Idee, von welcher es ausgegangen ist, stimmt es sehr gut überein. Aber die Größe und hinreissende Kraft des verlornen Paradieses fehlt dem wiedergewonnenen freilich im Ganzen und in allen seinen Theilen.

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Unter den übrigen Gedichten Milton's find die dramatischen mit seinen beiden Paradiesen am nächsten verwandt. Das didaktische Interesse nach christlich religiösen Begriffen ist auch in ihnen das herrschende. Milton hatte für die dramatische Poesie überhaupt kein entschiedenes Talent. Er hat sich der dramatischen Form nur einige Male bedient, um die Wahrheiten der Moral, die ihm am Herzen lag, anschaulich zu machen. Nicht ohne dramatischen Werth ist sein Komus, ein Werk feiner früheren Jahre, und eines der lehten Schaus spiele, die man Masken nannte. Milton scheint feinen besondern Fleiß darauf gewandt zu haben, da es nach seiner ersten Bestimmung nur ein Ges legenheitsstück zur Feier eines Familienfestes des Grafen von Bridgewater seyn sollte. Aber die Handlung ist interessant, die Verwickelung geistreich, und der Charakter der Gattung, zu der dieses Schauspiel gehört, ist nach Milton's Ideen erweis tert durch die Versinnlichung der Lehre von der Heiligkeit der weiblichen Tugend. Ohne die Stels len, in denen der Dichter die handelnden Personen über diese Tugend und dem erlaubten Genuß des Lebens råsonniren läßt, würde sich das ganze Stück von andern dieser Gattung wenig unters

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scheiden 1). Mit mehr Ansprüchen scheint Milton sein biblisches Trauerspiel Simson der Kå me pfer (Samfon Agonistes) gedichtet zu haben. In der Vorrede zu diesem Stücke sagt er ausdrücklich, Daß es eine Nachahmung der antiken Tragödie seyn foll. Aber auch mit dem Bestreben, sich dem Aes schylus, Sophofles und Euripides zu nähern, konnte Milton seine religiöse Moral keinen Augenblick aus dem Gesichte verlieren. Der größte Theil der Scenen dieses dramatischen Gedichts wird ausges füllt durch Betrachtungen, oder Disputationen über Die religiöse Pflicht, sich in den Willen Gottes zu ergeben, und auch über das hårteste Schicksal, das uns auferlegt ist, nicht zu murren, wenn man sich ein Vergehen, oder eine Thorheit vorzuwerfen hat, durch die man sich selbst die gerechte Strafe des Himmels zugezogen. Diese weitläuftig ausgespons nenen Reflexionen ermüden um so eher, weil ihnen alles Interesse der Neuheit fehlt. Auch der Chor der Danaiten weiß wenig Neues zu sagen. Das ganze Trauerspiel hat wenig dramatischen Werth. Die Handlung schleicht matt hinter der Betrach: tung her, und wo sie ein wenig fortschreitet, vers liert sie sich bald wieder unter Disputationen. Die Katastrophe wird, wie auf dem Theater der Alten, durch einen Boten berichtet. Aber der Charakter Simson's ist meisterhaft gezeichnet, und hat eine wahrs

i) Noch im Jahre 1450 wurde dieses Schauspiel Mils ton's in London von Garrick wieder auf das Theas ter gebracht, um durch den Ertrag der Vorstellung eine damals noch lebende Enkelin des großen Dichters zu unterstützen. Garrick selbst declamirte dazu den Prolog. den man bei Cibber (Lives of the Poets) unter dem Artikel Milton findet.

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