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lich normannischer Familie, war wohlhabend genug, ihm eine liberale Erziehung zu geben. Schon in seinem achtzehnten Jahre zeichnetë sich der junge Chaucer auf der Universität zu Cambridge durch ger lehrte Kenntnisse und poetische Talente aus. Von Cambridge ging er nach Oxford, seine Universitätss studien zu vollenden. In jeder Wissenschaft, die das mals auf den beiden englischen Universitäten gelehrt wurde, scheint er sich umgesehen zu haben. Aber die äußere Beschränktheit des Gelehrtenlebens ges nügte ihm nicht. Um die Welt kennen zu lernen, ging er auf Reisen, zuerst nach Frankreich, und von da nach den Niederlanden. Bei der Zurückkunft in sein Vaterland konnte es ihm nicht fehlen, an dem glänzenden Hofe Eduard's III. sein Glück zu machen. Chaucer, schon als Dichter, Gelehrter, und Welts mann beliebt und geschäßt, erhielt Zutritt in die vornehmsten und glänzendsten Gesellschaften, als ihm das Umt eines königlichen Pagen übertragen wurde; denn nicht bloß Knaben bekleideten damals dieses Amt. Mit seiner Würde erhielt Chaucer auch eine Pension. Durch die Verheirathung mit einer vors nehmen Niederländerin, die vom Gefolge der Könis gin Philippa war, kam er in noch engere Verbins dung mit dem königlichen Hause. Er schien ein Günsts ling des Glücks zu seyn. Unter den erwünschtesten Verhältnissen bekam er nun auch Italien zu sehen. Der König ernannte ihn zum Mitgliede einer Ges fandtschaft mit Aufträgen an die Regierung zu Ges nua. Hier hatte er Gelegenheit, die Fortschritte fennen zu lernen, die der italienische Geschmac im Zeitalter Petrarch's machte. Bei der Vermäh lung einer Prinzessin von Mailand machte Chaucer die persönliche Bekanntschaft Petrarch's und viels

letche

leicht auch Boccaz'ens, mit dessen Muse die seinige mehr harmonirte. Aber nach dem Tode des Kö: ! nigs Eduard's III. erhielt sich Chaucer nur noch kurze Zeit auf dem Gipfel seines Glücks. Er ges hörte zu der Partei des Herzogs von Lancaster, der als Vormund des neuen Königs Richard II., während dessen Minderjährigkeit die Regierung führte. Sobald die Periode dieser Minderjährigs feit zu Ende war, zog das Schicksal des gestürzten Herzogs von Lancaster auch den beneideten Dichter in den Strudel der Hofcabalen hinab. Nur durch Die Flucht entging er der gerichtlichen Verfolgung, die von seinen Feinden über ihn verhängt war. Er entkam nach Frankreich und den Niederlanden. Als er sich aber auch da nicht sicher glaubte, und nicht länger als Flüchtling umher irren mochte, wagte er, nach seinem Vaterlande zurückzukehren und sich vor seinen Verfolgern zu stellen. wurde als Gefangener in den Tower gebracht. Man seßte ihm durch Drohungen und Verspres chungen im Nahmen des Königs so lange zu, bis er sich endlich bewegen ließ, an seiner Partei zum Verräther zu werden und über die geheimen Vers bindungen der Anhänger des Herzogs von Lancaster eidlich die Geständnisse abzulegen, die man von ihm verlangte. Vor seinem Gewissen fand er sich durch die traurige Lage, in die er gerathen war, gerechtfertigt, weil er doch nur die Wahrheit vers rathen hatte. Auch erhielt er, aus besonderer Gnade des Königs, seine Freiheit wieder. Aber in der öffentlichen Achtung hatte er sehr verloren. Bei Hofe galt er nun gar nichts mehr. Seine Pension wurde ihm nicht mehr ausgezahlt. In dürftigen Umständen (denn sein eigenes Vermögen.

Er

war

war erschöpft) zog er sich auf das Land zurück, wo er sich ganz mit gelehrten Studien beschäftigte und eine mathematische Abhandlung über den Gebrauch des Ustrolabiums schrieb. Nach mehreren Jahren legte sich der Sturm, der den glücklichen Dichter zu Boden geworfen hatte. Der König Richard II. verzieh ihm, ernannte ihn zu seinem geliebten Ritter (dilectus Armiger nofter), und ließ ihm eine neue Pension aussehen, durch die er wieder in bürgerlichen Wohlstand kam. Aber Chaucer war indessen schon über sechzig Jahr alt geworden. Vom Geräusche der Welt entfernt, dichtete und studirte er noch bis an seinen Tod in Frieden. Er starb im Jahre 1400, dem zwei und siebzigsten seines Alters. Die Regierung ehrte ihn durch ein Grabmal in der Westminster: Abtei, wo schon damals die berühmten Männer des Vaterlans des neben den Königen begraben wurden ).

Der Rang, den Chaucer unter den Dichtern. behauptet, wird von den englischen Litteratoren, Die in seinem Lobe unerschöpflich sind, nicht selten verwechselt mit den besonderen Verdiensten, die er sich um die Bildung des Geschmacks und der Spras che seiner Nation erworben hat. Chaucer gehört unstreis

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f) Das Leben Chaucer's ist öfter erzählt, am besten vor der großen Ausgabe seiner sämmtlichen Werke: The works of Goffrey Chaucer by John Urry, Lond. 1721, in Follo, wo man auch die Quellen der biogra phischen Notizen, zum Theil in den Werken des Dichs ters selbst, nachgewiesen findet. Einen Theil seiner Uns glücksfälle hat Chaucer infsein Testament der Liebe (Teftament of love), einen sonderbaren, romantisch philosophischen Tractat, verwebt. Warton hat in seiner Geschichte der englischen Poesie beinahe ein Drit theil des ersten Bandes auf Chaucer verwandt.

unstreitig zu den eminentesten und geistreichsten Männern feiner Zeit. Außerhalb Italien lebte im vierzehnten Jahrhundert kein einziger Dichter, der eine solche Feinheit des Geschmacks, im Verhält niffe zu dem Zeitalter und den Umständen, mit einem so hellen Verstande,, einer so gewandten und biegsamen Phantasie, einem so treffenden Wiße und einem solchen Talent zur natürlichen Darstel lung vereinigt hätte, als Chaucer. Die französis. schen Dichter, deren Sprache doch schon viel gebil deter war, blieben in der Kunst der feinern geists reichen Darstellung und des Styls weit hinter ihm zurück. Ihm gelang es zuerst unter den engs lischen Dichtern, der rohen Sprache, die er vor: fand, die Möglichkeit einer harmonischen Versificas tion abzulauschen. Seine große Belesenheit unters drückte nicht in ihm die freie Anschauung der Nas tur und des wirklichen Lebens. Er fannte die Menschen, besonders ihre Thorheiten und Schwå: chen, aus dem Umgange mit ihnen selbst. Was er mit eigenen Augen sah, (und er beobachtete scharf) übertrug er, mit der Ausbeute seiner Lecture durchs webt, in seine Dichtungen. Er hatte philosophis schen Geist genug, das Ganze des menschlichen Le: bens auch in seinen leichten Scherzen nicht aus dem Gesichte zu verlieren. Was ihm vom scholastischen Pedantismus anhängt, þat er mit allen Dichtern seiner Zeit, den eleganten Petrarch selbst nicht. ausgenommen, gemein. Als Muster einer bis das bin in der englischen Poesie völlig unbekannten Cultur macht Chaucer bei seiner Nation Epoche. Aber zu den Dichtern, die im Gebiete der Poesie selbst neue Bahnen gebrochen haben, gehört Chaus cer nicht. Er hatte mehr bildende Phantasie, als

pros

productives Genie. In allen seinen Werken ers kennt man den französischen Geschmack seines Zeitalters. Eine Poesie, die nicht nach diesem Geschmacke war, hatte, auch wenn er sie kennen lernte, feinen Einfluß auf seine Geistesbildung. Es läßt sich nicht bezweifeln, daß er in Italien Petrarch's Gedichte. kennen gelernt hat; aber nirs gends hat er einen Zug von petrarchischer Poesie in die seinige aufgenommen. Aus Boccaz'ens Gedichten, die sich mehr zu dem alten französischen Geschmacke neigten, hat er. Mehreres nachgeahmt und übers fekt. Bom Nachahmen und Uebersetzen gingen überhaupt seine eigenen Erfindungen aus. Recht mit Liebe scheint er den französischen Roman von der Rose, der doch so arm an wahrer Poesie und wahrhaft romantischer Schönheit ist 8), in das Englische überfekt zu haben "); und fast allen seis nen munteren und komischen Erzählungen liegt ein französisches Fabliau zum Gründe. Kein englischer Dichter vor Chaucer hatte auch so viele franzör sische Wörter in seine Sprache aufgenommen. Mit Unrecht wurde er deßhalb von einigen altengs lischen Patrioten ein Sprachverderber gescholten; denn es lag nun einmal, seit der normännischen Eroberung Englands, im Geiste der englischen Sprache, sich durch Nationalisirung französischer Wörter immer mehr auszubilden. Chaucer schrieb als Dichter ein Engs lisch, wie man es zur Abwechselung mit dem Frans zösischen bei Hofe sprach; und dieses Englisch wurde bald das einzige geltende im ganzen Lande. Aber

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g) Vergl. den sten Band dieser Geschichte der Poesie,

S. 31.

h) In seinen Werken nach der Ausgabe von Urry, S. 215, Bouterwer's Gesch. d. schön. Redsk, VII, B,

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