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den Neoptolem bei seiner Verstellung erhalten haben. Philoktet, den sein Schmerz aller Verstellung unfähig macht, so höchst nöthig sie ihm auch scheinet, damit seinen künftigen Reisegefährten das Versprechen, ihn mit sich zu nehmen, nicht zu bald gereue; Philoktet, der ganz Natur ist, bringt 5 auch den Neoptolem zu seiner Natur wieder zurück. Diese Umkehr ist vortrefflich, und um so viel rührender, da sie von der blossen Menschlichkeit bewirkt wird. Bei dem Franzosen haben wiederum die schönen Augen ihren Theil daran1. Doch ich will an diese Parodie nicht mehr denken. 10 -Des nämlichen Kunstgriffs, mit dem Mitleiden, welches das Geschrei über körperliche Schmerzen hervorbringen sollte, in den Umstehenden einen andern Affect zu verbinden, hat sich Sophokles auch in den Trachinerinnen bedient. Der Schmerz des Herkules ist kein ermattender Schmerz; 15 er treibt ihn bis zur Raserei, in der er nach nichts als nach > Rache schnaubet. Schon hatte er in dieser Wuth den Lichas ergriffen; und an dem Felsen zerschmettert. Der Chor ist weiblich; um so viel natürlicher muss sich Furcht und Entsetzen seiner bemeistern. Dieses, und die Erwar- 20 tung, ob noch ein Gott dem Herkules zu Hülfe eilen, oder Herkules unter diesem Uebel erliegen werde, macht hier das eigentliche allgemeine Interesse, welches von dem Mitleiden nur eine geringe Schattirung erhält. Sobald der Ausgang durch die Zusammenhaltung der Orakel entschieden 25 ist, wird Herkules ruhig, und die Bewunderung über seinen letzten Entschluss tritt an die Stelle aller andern Empfindungen. Ueberhaupt aber muss man bei der Vergleichung des leidenden Herkules mit dem leidenden Philoktet nicht vergessen, dass jener ein Halbgott, und dieser nur ein 30 Mensch ist. Der Mensch schämt sich seiner Klagen nie;

Act. ii. sc. iii, 'De mes déguisemens que penserait Sophie?' Sagt der Sohn des Achilles.

aber der Halbgott schämt sich, dass sein sterblicher Theil über den unsterblichen so viel vermocht habe, dass er wie ein Mädchen weinen und winseln müsse1. Wir Neuern glauben keine Halbgötter, aber der geringste Held soll bei 5 uns wie ein Halbgott empfinden, und handeln.

Ob der Schauspieler das Geschrei und die Verzuckungen des Schmerzes bis zur Illusion bringen könne, will ich weder zu verneinen noch zu bejahen wagen. Wenn ich fände, dass es unsere Schauspieler nicht könnten, so müsste ich erst 10 wissen, ob es auch ein Garrik nicht vermögend wäre und wenn es auch diesem nicht gelänge, so würde ich mir noch immer die Skaevopoeie [1. Skeuopoeie] und Declamation der Alten in einer Vollkommenheit denken dürfen, von der wir heut zu Tage gar keinen Begriff haben.

V.

ARGUMENT.

It has been assumed by some critics that the sculptors of the Laokoon imitated the description of Virgil. But it is also possible that the artists and the poet drew from a common source, perhaps from the poem of Pisander. Yet the common Greek tradition, probably adopted by this poet, deviates too much from the representation of the artists to allow us to suppose that it served them for a model. And the circumstance that Virgil alone makes the serpents kill father and children argues in favour of the assumption that the artists followed his version of the event. It is this same circumstance which renders a comparison of the statue and of the poem interesting to the critic; he will examine where and why the artists followed the poet in certain points and shrunk from imitating him in others. The happy idea of binding the father and his two sons together in one indissoluble whole must be attributed to the poet and was adopted by the artists. The artists also agree with

1 Trach. ver. 1088, 1089; ver. 1071 sq. Schneidew.
ὅστις ὥστε πάρθενος

Βέβρυχα κλαίων

the poet in allowing perfect freedom to the hands of the three figures. But they differ from him in removing all the coils of the serpents from the breast and neck to the thighs and feet, leaving free the upper part of the body, in order to reveal the play of the suffering nerves and the working of the muscles; whilst the poet describes the serpents as winding themselves twice round the bodies and necks of their victims. Another difference is that, whilst Laokoon appears in Virgil arrayed in priestly robes and with the fillet encircling his brows, he is represented as naked by the artists, no doubt because they were aware that beauty reveals itself in a higher degree in the human body than in drapery, and that the forehead, the seat of expression, must not be hidden in the work of a wise artist.

These points of difference prove again that plastic art rests on other laws than poetry, that its highest aim and object is beauty.

Es giebt Kenner des Alterthums, welche die Gruppe Laokoon zwar für ein Werk griechischer Meister, aber aus der Zeit der Kaiser halten, weil sie glauben, dass der Virgilische Laokoon dabei zum Vorbilde gedienet habe. Ich will von den ältern Gelehrten, die dieser Meinung gewesen sind, nur 5 den Bartholomäus Marliani1, und von den neuern, den Montfaucon nennen. Sie fanden ohne Zweifel zwischen dem Kunstwerke und der Beschreibung des Dichters eine so besondere Uebereinstimmung, dass es ihnen unmöglich dünkte, dass beide von ohngefähr auf einerlei Umstände 10 sollten gefallen sein, die sich nichts weniger, als von selbst darbieten. Dabei setzten sie voraus, dass wenn es auf die Ehre der Erfindung und des ersten Gedankens ankomme, die Wahrscheinlichkeit für den Dichter ungleich grösser sei, als für den Künstler.

1 Topographiae Urbis Romae, lib. iv. cap. 14: 'Et quanquam hi (Agesander et Polydorus et Athenodorus Rhodii) ex Virgilii descriptione statuam hanc formavisse videntur,' etc.

* Suppl. aux Ant. Expliq. t. i. p. 242: 'Il semble qu'Agesandre, Polydore et Athenodore, qui en furent les ouvriers, ayent travaillé comme à l'envie, pour laisser un monument, qui répondait à l'incomparable déscription qu'a fait Virgile de Laocoon,' etc.

15

Nur scheinen sie vergessen zu haben, dass ein dritter Fall möglich sei. Denn vielleicht hat der Dichter eben so wenig den Künstler, als der Künstler den Dichter nachgeahmt, sondern beide haben aus einerlei älteren Quelle 5 geschöpft.

Nach dem Macrobius würde Pisander diese ältere Quelle sein können1. Denn als die Werke dieses griechischen Dichters noch vorhanden waren, war es schulkundig, pueris decantatum, dass der Römer die ganze Eroberung und Zerstörung Iliums, sein ganzes zweites Buch, 10 aus ihm nicht sowohl nachgeahmet, als treulich übersetzt habe. Wäre nun also Pisander auch in der Geschichte des Laokoon Virgils Vorgänger gewesen, so brauchten die griechischen Künstler ihre Anleitung nicht aus einem lateinischen Dichter zu holen, und die Muthmassung von ihrem Zeitalter 15 gründet sich auf nichts.

Indess, wenn ich nothwendig die Meinung des Marliani und Montfaucon behaupten müsste, so würde ich ihnen folgende Ausflucht leihen. Pisanders Gedichte sind verloren; wie die Geschichte des Laokoon von ihm erzählt worden, 20 lässt sich mit Gewissheit nicht sagen; es ist aber wahrscheinlich, dass es mit eben den Umständen geschehen sei, von welchen wir noch jetzt bei griechischen Schriftstellern Spuren

1 Saturnal. lib. v. cap. 2. § 5: Quae Virgilius traxit a Graecis' [steht nicht im Text; vielmehr ebd. § 2: non parva sunt alia, quae traxit a Graecis], dicturumne me putatis quae vulgo nota sunt? quod Theocritum sibi fecerit pastoralis operis autorem, ruralis Hesiodum? et quod in ipsis Georgicis, tempestatis serenitatisque signa de Arati Phaenomenis traxerit? vel quod eversionem Trojae, cum Sinone suo, et equo ligneo, caeterisque omnibus, quae librum secundum faciunt, a Pisandro pene ad verbum [7. ad verbum paene] transcripserit? qui inter Graecos poetas eminet opere, quod a nuptiis Jovis et Junonis incipiens universas historias, quae mediis omnibus saeculis usque ad aetatem ipsius Pisandri contigerunt, in unam seriem coactas redegerit, et unum ex diversis hiatibus temporum corpus effecerit? in quo opere inter historias caeteras interitus quoque Trojae in hunc modum relatus est. Quae fideliter Maro [7. Maro fideliter] interpretando, fabricatus est sibi Iliacae urbis ruinam. Sed et haec et talia ut pueris [7. talia pueris] decantata praetereo.'

finden. Nun kommen aber diese mit der Erzählung des Virgils im geringsten nicht überein, sondern der römische Dichter muss die griechische Tradition völlig nach seinem Gutdünken umgeschmolzen haben. Wie er das Unglück des Laokoon erzählet, so ist es seine eigene Erfindung; 5 folglich, wenn die Künstler in ihrer Vorstellung mit ihm harmoniren, so können sie nicht wohl anders als nach seiner Zeit gelebt, und nach seinem Vorbilde gearbeitet haben.

Quintus Calaber lässt zwar den Laokoon einen gleichen Verdacht, wie Virgil, wider das hölzerne Pferd bezeigen; 10 allein der Zorn der Minerva, welchen sich dieser dadurch zuziehet, äussert sich bei ihm ganz anders. Die Erde erbebt unter dem warnenden Trojaner; Schrecken und Angst überfallen ihn; ein brennender Schmerz tobt in seinen Augen; sein Gehirn leidet; er raset; er verblindet. Erst, da er blind 15 noch nicht aufhört, die Verbrennung des hölzernen Pferdes anzurathen, sendet Minerva zwei schreckliche Drachen, die aber bloss die Kinder des Laokoon ergreifen. Umsonst strecken diese die Hände nach ihrem Vater aus; der arme blinde Mann kann ihnen nicht helfen; sie werden zerfleischt, 20 und die Schlangen schlupfen in die Erde. Dem Laokoon selbst geschieht von ihnen nichts; und dass dieser Umstand dem Quintus1 nicht eigen, sondern vielmehr allgemein angenommen müsse gewesen sein, bezeiget eine Stelle des Lykophron, wo diese Schlangen2 das Beiwort der Kinder- 25 fresser führen.

War er aber, dieser Umstand, bei den Griechen allgemein angenommen, so würden sich griechische Künstler schwerlich erkühnt haben, von ihm abzuweichen, und schwerlich würde

1 Paralip. lib. xii. ver. 398-408, et ver. 439-474

"Oder vielmehr, Schlange; denn Lykophron (ver. 347) scheinet nur eine angenommen zu haben:

Καὶ παιδοβρῶτος πόρκεως νήσους διπλᾶς,

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