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Tausende von Unterschriften zusammengebracht war, in öffentlicher Sitzung zu Agen feierlichst auf das Haupt gesetzt, das nun jetzt seit einigen Monden im Schoosse der kühlen Erde

rubt.

Berlin.

André Giovanoly.

Aufgaben der Uebersetzungspoesie.

Von einer Kunst und zwar einer, nach meiner Ansicht, sehr hochstehenden habe ich zu sprechen, indem ich die Uebersetzungspoesie betrachte. Die Prosa soll hier ausgeschlossen sein, denn sie erhebt sich, in Betreff der Metaphrase, nur selten zur Kunst, bleibt wenigstens unter dem Niveau der Kunst stets da, wo es sich um Uebersetzungen handelt, deren Original die inhaltliche Seite zu Ungunsten der formellen hervortreten lässt, wie das etwa der Fall ist unter römischen Schriftstellern bei Livius, unter slawischen beim Chronisten Nestor, in der Neuzeit bei Autoren, welche, das Gebiet der Orthodoxie verlassend, die Schärfe der Vernunft in Anspruch nehmen und die Leser zwingen, den ihnen hingereichten Ariadnefaden ja recht verständig abzurollen, wenn sie nicht inmitten des speculativen Labyrinthes stecken bleiben wollen. Bei Schriften der gedachten Art, deren es aus alten und neuen Tagen Legionen giebt, hat die Uebersetzung fast nur die einzige Aufgabe, den Gehalt wiederzugeben, die Form dient demselben gewissermassen nur als das Aeusserliche, minder Bedeutsame, etwa wie die Rinde des Baumes dem Kernholz gegenüber, oder wie die Schale des Obstes gegenüber der saftigen Frucht. Hier ist die Treue der Uebersetzung die Hauptsache und die Treue ist

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Anders ist es

zwar eine Tugend, aber noch lange nicht Kunst. freilich bei Uebersetzungen, wo die Form wenn nicht den Inhalt überbietet, so ihm doch ebenbürtig zur Seite steht, wie dies Verhältniss in Schriften zu Tage tritt, welche Thucydides und Tacitus, oder Johannes Müller, oder Ranke, oder Alexander von Humboldt u. A. verfasst haben. Hier macht sich mehr oder minder das geltend, was man Manier heisst, und was nicht zu tadeln ist, wenn es auf rich tigem Hervortreten der Subjectivität beruht, was vielmehr der Schrift

erst den eigenen Zauber der Originalität und Individualität verleiht. Manierirtheit würde ich freilich für einen grossen Fehler erkennen, und die Schriften eines hohen Autors, der hier nicht näher bezeichnet zu sein braucht, leiden bekanntlich so sehr daran, dass sie in ihrer Weise fast classisch sind. Wer nun Prosaiker von Originalität überträgt, hat statt einer Aufgabe zwei, er muss uns süssen Wein bringen, aber zugleich in einem silbernen Gefässe, denn das goldne wird er immerhin wohl dem eigenen Autor überlassen müssen. Hier stehen wir übrigens ebenfalls auf dem Gebiete der Kunst, und es gilt für den Uebersetzer, nicht bloss treu zu übersetzen, sondern auch schön, d. h. er muss alle Eigenthümlichkeiten des Urtextes zu treffen und zu reproduciren suchen. Wer z. B. den Beginn der Rede Ciceros gegen den Verschwörer Catilina: „,Quousque tandem, Catilina, sese jactabit effrenata tua audacia?" oder jenen anderen: ,,Quousque tandem, abutere patientia nostra, Catilina?" übersetzen wollte, würde hier auch wohl den Ton zu erreichen suchen müssen, welchen das so musikalisch durchtönende a in der lateinischen Rede hervorbringt, und etwa sagen können: „Wie lange, Catilina, prahlst du noch mit schamloser Waghalsigkeit ?" und: Wie lange noch gemahnest du uns an Nachsicht, Catilina?"

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Immerhin wird man auch in Prosa sich bestreben müssen, mit Wichtigkeit und Eleganz zu übersetzen und schon Cicero, Plinius und Quintilian stellen Gesetze und Regeln auf in Betreff guter Uebersetzungen, sowohl was Prosa als Poesie betrifft; wobei freilich zu sagen ist, dass Cicero seine eigenen Regeln nicht immer glücklich befolgte, indem er zwar rhetorischen Schwung besass, aber den poetischen Hauch entbehrte. Der Inhalt seiner Tusculanen, gerade einer der vortrefflichsten Schriften des Alterthums, zeigt dies dennoch. Die alten Völker, eines die Bildung des andern ererbend, übten sich übrigens schon frühzeitig in der Uebersetzung; warum hätten sonst auch die oben erwähnten Römer Gesetze dafür geben brauchen? denn die Regel wird erst durch Brauch und Uebung bedingt! Und so belehrt uns ja auch die alte Geschichte der Wissenschaften, dass schon ein ägyptischer Priester Manethon eine alte Geschichte seines Landes in die griechische Sprache übertragen habe. Da er zur Zeit der beiden ersten Lagiden, des Ptolemäus Soter und Ptolemäus Philadelphus, lebte, so ist damit gesagt, dass schon um das Jahr 300 v. Chr. Geburt die Erstversuche der Uebersetzung sich geltend machten. Da wir kein

Original der Schrift haben, aus dem Manethon übersetzt, und nur hie und da die Hieroglyphik der Tempelarchive von Memphis und Heliopolis sich seinen Aiyvarıaxá gegenüberhalten lässt, so fehlt hier jeder Kritik der Boden, was die Beurtheilung der Treue oder Kunstfertigkeit der Uebertragung anlangt. Vielleicht hat Manethon auch gar keinen Text vor sich gesehen, und sogleich sein Werk in der damaligen Weltsprache verfasst. Dass unter dem zweiten Lagiden indess wirklich schon die Uebersetzungsthätigkeit im Gange gewesen, wissen wir bestimmt; so wurden die Annalen des Sanchuniathon durch Philo Byblius aus dem Phönizischen in's Griechische und gleichzeitig die 5 Bücher Mosis aus dem Hebräischen in's Griechische übertragen. Als später Griechenland politisch in Rom aufging, wobei doch die griechischen Bildungsverhältnisse massgebend verblieben, mühten sich die Römer, die griechischen Culturelemente auch sprachlich in sich aufzunehmen und zu reproduciren, daher denn zeitweise die römische Literatur als ein, wenngleich nicht mit dem Ursprungsglanze strahlendes, doch immer noch lichtes und geisthelles Reflexbild der hellenischen Literatur sich darstellt.

Wenn die römischen Comödiendichter, Elegiker, Fabulisten, Epigrammatisten u. a. m. in lateinischer Sprache dichteten, so lieh sich ihnen bewusst oder unbewusst fast immer ein griechisches Originalbild her, dessen Züge sie, mit stärkerem oder schwächerem Farbenauftrag, in der Muttersprache wiedergaben. Manches ist geradewegs übersetzt, und wie es ehedem die griechische Sprache, und zunächst die griechische Prosa war, in welcher die Erstversuche der Metaphrastik sich zur Geltung brachten, so war es nunmehr die römische Sprache, und insonderheit die römische Dichtung, in welcher wir den weiteren Entwicklungsgang der Uebersetzungspoesie verfolgen können, die nun schon wirklich sich zu einer Kunst erhob.

Da wir bei jeder Kunstfrage uns zunächst an das Alterthum, welches ja vom reinsten und ungetrübtesten classischen Hauche fiberschwebt ist, zu wenden haben, so geben uns auch die uns noch erhaltenen antiken Vorbilder die besten Fingerzeige in Betreff der Uebersetzungspoesie. Ja, wir können sagen, dass das ganze Mittelalter, was Geschmacklosigkeit der Version betrifft und was überhaupt die wahre Kunstleistung auf diesem Gebiete anlangt, dem Alterthum weit nachstand, und dass erst die Neuzeit sich wieder auf den eigentlichen Boden der Uebersetzungskunst stellte, weil sie sich die von den Alten schon

festgestellten Aufgaben der Metaphrastik vergegenwärtigte. Syste matisch geschah das in der Neuzeit bekanntlich durch d'Alembert, Batteux, Garve, Sulzer u. A. m., praktisch aber durch Voss, Jacobs, Heyne, Gries, Streckfuss, Tieck, Schlegel, West, Rückert, Daumer, Geibel, Bodenstedt und viele Andere, so dass in der Heutzeit immerhin, wem der Genuss der Originalwerke versagt ist, sich durch treffliche, ja oft meisterhafte Copien entschädigen kann.

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Und auf welche Aufgaben kommt es denn nun also an, die die Uebersetzungspoesie zu erfüllen hat, wenn wir sie als eine wirkliche Kunstleistung bezeichnen sollen? Und welcher Sprache vindiciren wir vor andern das Recht, dass sie dergleichen Kunstschöpfungen hervorbringen könne? Wir beantworten zunächst die letztaufgeworfene Frage. Das Bestreben, zugleich mit dem Wortlaut auch das eigenthümliche Colorit des Grundtextes wiederzugeben, findet in der deutschen Sprache bei ihrem Wortreichthum, ihrer Bildsamkeit und Formenelasticität eine, wie uns scheint, wesentlichere Erleichterung als in irgend einer der lebenden Sprachen. Die romanischen Sprachen leiden fast insgesammt an dem Fehler einer zu grossen Weichheit und Verschwommenheit der Formen, so dass sich das Bild der Ursprache im Spiegel ihres Uebersetzungsstereoskops nicht von Natur scharf fixiren lässt; der Uebersetzer findet daher nicht den geeigneten Boden seiner Kunst. Anforderungen, die man an romanische Uebersetzungen zu stellen hat, sind demnach andere, als die man an Uebersetzungen in's Deutsche, zumal bei dem heutigen Ausbau unserer Sprache, zu stellen berechtigt ist. Die slawischen Sprachen leiden dagegen im Allgemeinen an zu grosser Härte und Rauhheit, was den Klang betrifft, und eignen sich zur Uebertragung ächtlyrischer, durch das melodiöse Element gerade vornehmlich charakterisirter Dichtungen oft sehr schwer oder gar nicht. Die tschudischen Sprachen sind aber im Grossen und Ganzen noch zu ungelenk, grammatisch unausgebaut, durch Affixe zu sehr beengt und zu wenig rhythmisch gegliedert und tonisch bestimmt, als dass sich Gediegenes in der Uebersetzungspoesie durch dieselben leisten liesse. Daher sich denn auch fast alle Metaphrastik auf Gesangbuchverse beschränkte; wovon nur einzig die ungarische Poesie eine ehrenvolle Ausnahme macht, welche sich bereits in den Besitz Göthe's, Schiller's und fast aller antiken Dichter zu bringen gewusst hat, und wie der erste Kritiker und Literarhistoriker der Magyaren, Toldy, behauptet, in gediegener Weise.

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