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doch ihren Nuf verstehen; wir würden es fühlen und aus, rufen: Ja, Gott ist die Liebe. Wie Er auf stürmische Nächte oft die freundlichsten Tage sendet, so hat er auch nach vier Taus send Jahren langen Harrens endlich den Erlöser gesendet.

Und so geht der Mensch an sein Lagewerk zufrieden und froh; denn Gott ist mit ihm: heiß wird's ihm indessen gar oft und schwül; höher steigt die Sonne und dient ihm zur Leuchte während der Arbeit; doch auch erschweren ihm oft ihre brennenden Strahlen des Tages Lasten; schon fühlt er die Anstrengung und das Bedürfniß nach Erholung und Ruhe horch, da ertönet wieder die Betglocke; es ist Mits tag. Gott ist die Liebe, ruft sie dir zu; seinen einzigen Sohn hat Er ja für uns in die Welt gesandt. Welch' wohlthuende Töne in den Ohren des müden Arbeiters bei heißer Sonnengluth! Wie andächtig betet er den englischen Gruß und gedenkt dabei der Liebe seines Gottes! Wie zufrieden geht er nach Hause, kehrt er zurück zu den Seinigen, um mit ihnen dem Herrn für die empfangenen Gaben zu dans ken und sich zur neuen Arbeit zu stärken! In heiterer Stimmung und in beständigem Aufblicke zu Gott, widmet er sich dann wieder seinem Berufe, bis endlich die Sonne ihm nicht mehr leuchtet und hinter die Gebirge entschwindet. Schon neigt sich der Tag zu Ende, es wird Abend, und noch einmal ertönt die Betglocke und kündet den Feierabend an. Ehe die Nacht vollends hereinbricht und der Mensch, pfles gend der Ruhe, seine Sorgen in ihre dunklen Schatten vers gräbt, ruft sie ihm noch einmal zu: Gott ist die Liebe. Hat Er dich diesen Tag nicht bewahret, hat Er nicht seinen Engeln befohlen, daß sie dich auf den Hånden tragen? Ist Er diese Nacht nicht dein Schuß und Hort? Ja, Er hat sogar seinen Sohn dir gesendet, damit keine ewige Nacht dich umfange. So lege dich denn nicht zur Ruhe, ohne seiner unendlichen Liebe zu gedenken, ohne dich und die Deis nigen seinem mächtigen Schuße zu empfehlen.

Welch' eine feierliche Milde und stille Heiligkeit verbreitet die Betglocke nicht über eine ganze Gegend, wenn sie den Feierabend verkündet! Fühlt man sich doch wie angewehet von himmlischen Lüften, und hat man auch des Tages Last und Sorgen getragen und tief die Beschwerden des Lebens empfunden, so erheitert sich doch wieder das Gemüth und ein leichter Nebel lagert sich über die verflossenen Stunden, sobald die Betglocke unsern Blick nach oben richtet und uns zur Heimkehr einladet. Es ist Feierabend, ruft sie uns entgegen, die Sonne ist bereits hinter den Bergen: darum laßt ruhen Sense und Sichel, Hacke und Pflug, Hammer und Schaufel, Amboß und Zange, Nadel und Scheere, Schiffchen und Ruder, Feder und Dinte, und faltet die Hände und blicket zum Himmel, voll des Dankes gegen den Vater, der um unsretwillen seines Sohnes nicht verschonte. Und heimkehren die fröhlichen Schnitter und Winzer, voll innern Friedens, im Vorgefühle himmlischer Seligkeit. Und wenn sie dann, durch die Betglocke aufgefordert, dem Geber aller guten Gaben ihr Herz aufschließen und ausruhen von den Beschwerden des Tages, gedenken sie sogleich in Liebe derer, welchen die Sonne hienieden nicht mehr leuchtet, die schon eingegangen sind zur ewigen Ruhe. Mit dem Gedanken an diesen ewigen Feierabend in bessern Welten und an die unbegrenzte Liebe ihres Gottes schlummern sie ein, bis ein neuer Morgen sie zur neuen Arbeit rufet.

So gibt die Betglocke dem ganzen Tage und allen seiz nen Geschäften eine höhere Weihe. Darum halle denn auch fort, Stimme der Kirche. Stimme Gottes, erzähl' allen Völkern, sag' auch der kleinsten Gemeinde das große Wunder: Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnet; halle noch feierlicher und lauter, zumal in unsern Tagen wieder, von allen Thürmen christlicher Gemeinden, und sag' allen stolzen Geistern: Uns ist Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, der Abglanz und das Ebenbild seines Vaters, Gott von Gott, Licht vom Lichte.

XII.

Zur Feststellung des Begriffes

der

Disciplina arcani

und zu ihrer

Rechtfertigung.

(Schluß.)

Ich komme nun zu einem Punkt, woselbst ich meine Vorgänger verlassen darf, glaube auch eigenthümlich mit etwas ganz Neuem auftreten zu können; nämlich mit einer hier recht streng buchstäblich hergehörigen Betrachtung der sieben Sendschreiben in der Apokalypse. Es ist merkwürdig, wie wenig man bei den, diesem hochheiligen Buche gewidmeten neueren Betrachtungen und Verständigungsversuchen, von demjenigen Punkte ausgegangen ist, welcher dasjenige Licht ausstralt, vor welchem das geheimnißvolle Dunkel dies ser Schrift sammt allen wegen derselben obwaltenden Streitfragen zurückweichen und sich eine erfreuende Helligkeit über das ewige Werk verbreiten will. Dies sind nun aber die sieben Leuchter. Denn nur wegen dieser branchen wir unsere Divinationsgabe nicht anzustrengen, weil es der Ents hüller selbst ist, welcher und ihre Bedeutsamkeit auslegt. Sie gleichen daher der Are oder dem Gelenke, welches das

historisch Gegebene mit dem prophetisch Künftigen verbindet und sondert, gerade so wie bies Verbinden und Sondern die Haupteigenthümlichkeit jedes Gelenkes, Wirbels und jes der Are ist.

Hat demnach der Hermeneutifer der Apokalypse auszugehen von den sieben Leuchtern, um überhaupt in die rechte Bahn zu gelangen, und muß er festhalten dabei, daß sie sieben namhafte Kirchen bezeichnen, an welche der heil. Evangelist Briefe schreiben soll, die demselben dictirt werden; so nors mirt sich die Grundfrage dahin: ob es Christus Ernst das mit gewesen, daß Johannes jene Briefe schrieb; also, eb jcner wahrhaft damit beauftragt wurde, an sieben namhaft gemachte Kirchen sieben Briefe zu schreiben, deren jes der sich auf ein individuelles Verhältniß bezog. Hat man den Tenor dieser Frage sich klar gemacht und ist darüber zu fester Einsicht gelangt; dann hellt sich ein Moment der Apokalypse nach dem andern auf. Eben drum aber muß ich auch hier schon mich näher auf diesen Punkt einlassen; troß dem, daß eigentlich er einem besonderen Werke angehört, aus welchem ich denselben hier entlehnend übernehme.

Es handelt sich darum, ob der Auftrag, welchen Jos hannes empfing, die gedachten Briefe an die namhaft gemachten Kirchen zu schreiben, eine reine Vision und nichts weiter, ohne alle praktische Wirkung geblieben, oder ob wirklich eine Auflage darin enthalten war, welcher der Evangelist hat gegnügen sollen?

Wird das erstere angenommen, so verliert die Apoka, lypse ihren ganzen prophetischen Gehalt und Charakter. Denn schon das erste und so leicht erfüllbare, die Abfassung der sieben Briefe, wäre unerfüllt geblieben; wo denn auch alles Weitere der Erfüllung hätte entbehren können. Johannes empfing hiernach zwar immer eine Vision, aber leßtere war auch bloße Vision und nichts weiter, war bloßes subs

jectives Ereigniß, war in seinem Wesen entstanden; nicht aber eine an ihn durch Gott und Jesum gelangte geschichts liche Thatsache, begleitet mit der Kraft und Eigenschaft historischer Folgen und Wirksamkeiten. Noch mehr! Es ließe dann sich annehmen, entweder daß Johannes sich den ges sammten Inhalt der geheimen Offenbarung unwillkürlich eingebildet, oder daß er denselben als eine allegorische Dars stellung componirt habe, welche gewisse seiner Ansichten von der Zukunft enthalten sollte.

Bei der ersteren Annahme wird der Evangelist in die Klasse der Visionäre überhaupt gestellt, und es bliebe eine kaum der Entscheidung und Beantwortung fähige Frage, bis zu welchem Grade eine Uebereinstimmung der subjectiven Geschichte mit dem Wirklichen, sey es erfolgt, oder follte noch es erfolgen, sich annehmen lasse. Noch schlimmer aber käme der Evangelist dabei weg, wenn auf die zweite Möglichkeit eingegangen wird, welche den Johannes zum Allegoristen macht, welcher eine Dichtung componirt, in der sich seine kirchengeschichtlichen Ansichten spiegeln; eine Verirrung, von der sich unter Anderen auch Herr Dr. Lücke nicht frei erhalten hat, weil er ein ganz besonderes Gewicht auf den dramatischen Charakter der Composition legt.

Allen diesen Mißverständnissen abgeschnitten und der Weg zur Wahrheit eingeschlagen wird nur dann, wenn das Geheiß des Herrn, wegen der an die sieben Kirchen zu erlassenden Sendschreiben, ganz unbildlich und durchaus im Ernst und in der Wahrheit verstanden wird. Weichen wir davon ab, so fällt uns die ganze Apokalypse auseinander; Wahrheit und Dichtung kreußen sich in derselben mit Eins bildung, wir wissen nicht ferner, wo der Jünger des Herrn uns Offenbartes kund thut, noch wo er mit Bewußtseyn allegorisirt, noch wo er unwillkürliche Einbildungen vorträgt. Schon aus diesem Grunde würden wir das Gebot wegen Katholik. Jahrs XVIII. ft. III.

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