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der sieben Briefe für ein wirklich gegebenes und wirklich erledigtes betrachten müssen, selbst dann, wenn nicht Anderes dazu nöthigte. Zu diesem leßteren rechne ich das Ausdrückliche der Betheurung, daß jedes Wort des heil. Buches Wahrs heit enthalte und die ernste Anmahnung, alles und jedes auch nur so und nicht anders zu nehmen. Daraus folgt nun mit unwidersprechlicher Nothwendigkeit, daß auch Johannes den Befehl, die sieben Sendschreiben zu erlassen, als einen wirklich ihm gewordenen, betrachtete, dem er unverbrüchlich zu genügen habe. Wenn daher die unabweisliche Frage ents steht, ob die Briefe wirklich sind abgefaßt worden, so läßt sle sich nur bejahen.

Aber eben diese Bejahung führt wieder auf eine neue Frage, nämlich in welcher Form jene Abfassung geschehen ; und da läßt sich es durchaus nicht denken, daß Johannes einer jeden Kirche und Gemeinde nur diejenigen Worte werde geschrieben haben, welche wir als denselben bestimmt in der Apokalypse lesen. Denn wie hätten diese Kirchen es aufnehmen und was dazu sagen sollen, wenn plößlich und unvermittelt an deren jede solche Schreiben eingelaufen wäs ren, welche angefangen hätten gerade so wie wir es in der geheimen Offenbarung lesen; z. B. für Ephesus mit den Worten: „Haec dicit, qui habet septem stellas in dextera sua, qui ambulat in medio septem candelabrorum aureorum." Oder für Pergamus: „Haec dicit, qui habet rompheam utraque parte acutam." Hier liegt es auf der Hand, daß, weil diese Anreden nur aus einer Bekanntschaft mit dem Ganzen des Ereignisses verständlich werden konnten, Johannes auch jeder Kirche zugleich die Erzählung desselben vollständig mittheilen mußte. Wenn nun ein ganz einfaches Inductionsverfahren uns die herrlichsten Aufschlüsse über die Apokalypse zu gewähren vermag, so gewinnen mit dem ans gegebenen wir einen der bedeutsamsten. Dasjenige Werk,

welches wir unter dem Namen der Apokalypse besigen, einen Namen welchen, wie ich erweisen werde, Johannes selbst ihm beigelegt hat, war ursprünglich nichts anderes als eine Encyclica an die namhaften sieben kleinasiatischen Kirchen. Denn theils mußten die fraglichen Gemeinen das Ganze der Offenbarung empfangen, weil sonst kein Verstehen der für sie bestimmten Briefe erfolgen konnte, und das Verbot, kein Wort weder wegzunehmen noch hinzuzufügen, wäre verlegt worden; theils mußten die Briefe bis auf den kleinsten Buchstaben gleichlautend abgefaßt werden. Dies alles vorher berücksichtigt, will die ganze Frage sich darauf beschränken, ob Johannes selbst sieben Eremplare des Briefes abfaßte, und jedes Eremplar eigens absendete, oder ob er ein Rundschreiben aufseßte, welches die sieben Kirchen sich untereinander mittheilten, daß aber demnächst bei deren einer vers blieb. Wie es möglich war, dies Verhältniß zu verkennen, läßt sich kaum recht begreifen, indem die Apokalypse sich durchaus als ein Sendschreiben und zwar als eine wirkliche Encyclica gleich im Eingange charakterisirt. Man lese doch nur den V. 7 ganz unverkennbar ausgesprochenen apostolischen Gruß und die Geflissentlichkeit, womit demselben Johannes unmittelbar die Anzeige folgen läßt, welchem Vors gange gemäß er sich verpflichtet gefunden, das Rundschreiben abzufassen. Und wenn ich an seinem Orte dies alles näher auch vollkommen überzeugend ausführen werde, so bleiben nur zwei Bemerkungen übrig, die ich hier mitzutheilen nicht untassen darf, und die miteinander in Verbindung stehen.

Bekanntlich wird die johanneische Echtheit des Werkes von mehreren protestantischen Theolgen in Zweifel gezogen; wohin auch Herr Dr. Lücke neigt. Dies geschieht unter Anderm hauptsächlich aus dem Grunde, weil das Buch erst nach der apostolischen Zeit aus einem gewissen Dunkel

anfing dergestalt hervorzutreten, daß es Schwierigkeiten fand, dessen frühere Latenz zu erklären. Wiewohl nur Hugo Gro tius, späterhin aber Twelsius, sich sehr genügend über dies sen Umstand ausgesprochen, so stellen sie doch nur Wahrs scheinlichkeiten auf und gelangen nicht bis zu der wahrhaft begründenden Thatsache, die eben darin bestand, daß für die kleinasiatischen Kirchen sich eine Mehrheit von Ursachen hervorthat, aus denen sie diese Encyclica fecretiren mußten. Ich nehme dazu die Aufzählung gewisser Gebrechen einzels ner dieser Kirchen. Freilich konnte dies Motiv nur ein sol ches für die getadelten Kirchen seyn; allein es begegnete sich mit noch einem anderen, welches sich höchstwahrscheinlich den gepriesenen Kirchen darbot, denen schwerlich verborgen blieb, wie dieses Rundschreiben ein Mysterium von der äußersten Bedeutsamkeit für die Kirche und in Betreff der leßten Dinge enthalte. Hing es nun damit nicht eng zusammen, daß sie jenen Brief als Fundament und Canon für die disciplina arcani würdigten und ihn in diesem Sinne behandelten, folglich seinen Inhalt aus den nämlichen Gründen nicht vulgär machten, aus welchen auch in Beziehung auf die Katechumenen mit einer gewiffen Behutsamkeit in manchen Stücken verfahren wurde, wenn sie Unterricht empfingen?

Vermittelst dieser Betrachtung, von der ich ungern scheide, und fast mich mit Gewalt trennen muß, will ich jedoch keinesweges dasjenige beseitigen, was Herr Dr. Loks lot im Einzelnen dafür beibringt, daß die disciplina arcani durch die Geheimtradition nur mündlich von der Apostelzeit her in der Kirche sey fortgepflanzt worden, z. B. daß die kateches tischen Einrichtungen, welche man beim Cyrill von Jerusas lem kennen lernt, nicht von ihm erst nur getroffen worden, vielmehr geseßlich bestimmt gewesen seyen, weil Cyrill Nach folger des Jacobus war, und vieles Andere. Ich beabsichte nur zu dem Allem einen Zusaß zu liefern, der eine Begrün

bung der disciplina arcani auch schon in der schriftlichen Tradition nachweisend, sämmtliche Einwendungen der Protestanten dagegen, wie mit einem Schlage niederwirft; dessen Wahrheit dabei wie mit Händen zu greifen ist, und der ganz vornämlich das nihil nisi quod traditum est, auch historisch und biblisch, rechtfertigt. Dennoch giebt es der davon zeugenden Schriftstellen noch viel mehrere, als die oben angeführten sind, und namentlich laffen sich eigene Worte des Herren dafür beibringen. Ein besonderes Ge wicht möchte ich auf den Zuruf legen, welchen jedes der fieben Sendschreiben wiederholt und der unbestreitbar Christi eigene Worte enthält. "Qui habet aurem, audiat quid Spiritus dicat Ecclesiis." Wie auch er bei anderer Veranlassung gethan, so erklärt hier Jesus, daß nicht jedes Ohr fähig sey, die Sprache des Geistes zu verstehen, so weit sie eine geheime ist, daß aber die Anlage zu dieser Fähigs keit geübt werden solle. Und dies stimmt vollkommen auch mit anderen früheren Erklärungen des Herrn überein, uns ter welchen jene obenanstehet, welche Matthäus 10, 27 mits theilt, wo Christus den Gegensaß und Unterschied geltend macht von praedicare super tecta und von in aure audire. Dieser schließt sich die ganze gleichfalls von Matthäus mitgetheilte sich auf die Parusie beziehende Rede an, die nicht nur durch und durch Geheimnißvolles enthält, sondern auch sogar Winke giebt wegen der Mittel, welche der Mensch hat, um sich für das Verständniß der Mysterien durch Uebung und durch Einschlagen der wahren Richtung zu befähigen.

Merkwürdig ist aber die Stufenfolge, in welcher die Schriften des neuen Bundes übereinstimmend mit dem ges schichtlichen Hergange dieses Gegenstandes wegen sich auss sprechen. Schon die beiden angemerkten evangelischen Stellen fuccediren sich mit einer entsprechenden Consequenz. Nun folgen die inden Sendschreiben enthaltenen Documentirungen.

Zuvorderst kündigt Petrus in seinem Sendschreiben der Kirche an und empfiehlt ihr neben der jedem Christen in gleichem Maaße zugänglichen Lehre eine Wissenschaft der Geheimnisse; so heißt es in seinem zweiten Briefe 1, 9 cui enim non sunt praesto haec, coecus est; was in Verbindung steht mit den Worten V. 21. „Non enim voluntate humana allata est aliquando prophetia; sed Spiritu sancto inspirati, locuti sunt sancti Dei homines, und womit ich in Beziehung auch noch die den heil. Paulus betreffenden Worte bringen möchte: Loquens in eis de his, in quibus sunt quaedam difficilia intellectu, quae indocti et instabiles depravant. Ganz unverkennbar finde ich hierin die Ideenvers bindung, nach welcher die christlichen Wahrheiten und die Lehren des Herrn theils solche sind, oder eine solche Grenze halten, daß innerhalb derselben sie vollständig zu erkennen und zu fassen, sich von jedem Christen fordern läßt, theils aber auch solche, deren Verständniß eine Schwierigkeit hat, welche nur weicht, sobald sich der Mensch gewissen in dieser Beziehung ihn vorbereitenden und befähigenden Ucbungen hingiebt. Das Lehte und gleichsam Höchste darüber sagt zum Schlusse aber, und zugleich recht ex professo, das apokalyplische Rundschreiben.

Sollte hiergegen in Erinnerung kommen, daß eigentlich es ja Gegenstände ganz anderer Art sind, welche die Kirche als Geheimniß behandelt, und daß drum die oben erwähnten Momente keinesweges eingreifen, folglich nicht benußt wers den könnten, um das zu beweisen, was der Protestantismus bestreitet; so wäre dies ein unhaltbarer, ja unrich tiger Einwand, weil in der Kirche alles unter sich ges genseitig zusammenhängt und jedes aus dem andern folgt, oder sich ergiebt. Drum mag immerhin, wie es wirklich der Fall ist, der Inhalt der Apokalypse zum großen Theile noch als Geheimniß unter dem Schleier ruhen; sie ist mittelst dessen,

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