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als es eine selbsteigne Erfindung der Vernunft ist, oder nach den Ergebnissen der eignen Forschung umgewandelt. Dieß ist die Weise unserer Rationalisten. Ihr Irrthum haftet also in einem Mißkennen des wahren Verhältnisses zwischen Vernunft und Offenbarung, in einem Erheben ihrer irrs thumsfähigen Subjektivität über die objektive Wahrheit; die Frucht ihrer Forschungen ist, daß sie die Offenbarung ges waltthätig nach ihrem Sinne deuten, und endlich dieselbe völlig ignoriren und läugnen, eben weil sie als etwas Ueber flüssiges schon zum Voraus festgesezt ist.

2. Hat durch diese Behanglungsweise die positive Theo logie in der individuellen Philosophie recht eigentlich ihr Grab gefunden, ist sie gewissermaßen auf Null reducirt worden: so ist dadurch zugleich auch die Vernunft, zwar nicht des Vermögens, aber doch des Sinnes, des Geschmackes für die von Bott kommende Wahrheit verlustig gegangen, ist an sich selber zurückgesunken und dadurch unfähig geworden, in göttlichen Dingen ein Wort mitzureden. Anders muß es sich dagegen herausstellen, wo jenes natürliche Verhältniß zwischen Vernunft und Offenbarung anerkannt und darum auch der rechte Standpunkt nicht verrückt wird. Anstatt zu sagen: nur was die Vernunft aus sich selber erforscht und erkennt, ist Wahrheit, und hiernach muß das als Wahrheit Vorges stellte stehen oder fallen, heißt es jezt im Gegentheil: die Vernunft erfindet überhaupt keine Wahrheit, sondern sie faßt nur die Gegebene auf, das Subjektive regelt sich an dem Objektiven, die von Gott kommende Wahrheit geht in den Menschengeist ein, und von ihr durchdrungen, vermag er durch Reflerion das Göttliche völlig zu seinem Eigenthume zu machen, den Glauben zum Wissen zu erheben. Was also hier feststeht, sind eben die Dogmen, sie bilden das Substrat der Reflerion, die Philosophie hat in ihnen ihr unmittelbar Gewisses.

3. Die Anerkennung dieses Wechselverhältnisses zwischen Vernunft und Offenbarung und ein auf dem Grunde dieser Anerkennung beruhendes Reflectiren über die Offenbarungslehren ist es, was man in neuerer Zeit unter dem Namen der speculativen Theologie oder Dogmatik versteht, und was wir auch in dem Brenner'schen Werke zu finden gehofft und nicht gefunden haben. Ein solches Philosophiren ist inners halb der katholischen Kirche durchaus nichts Neues, es ist im Gegentheile das Charakteristische der scholastischen Theo logie: nur die Stürme der Reformation legten den katholis schen Gottesgelehrten die Pflicht auf, den eigentlichen Standpunkt der speculativen Theologie zu verlassen, und die historische Begründung der Dogmatik vorzugsweise ins Auge zu fassen, und auch da unterließ man es nicht, den Schrifts und Traditionsbeweisen noch Vernunftgründe beizufügen, während sich protestantischer Seits die Verlassenheit von der Historie dadurch fühlbar machte, daß die Lehre des Heils in der Folterkammer des eignen Weisheitsdünkels hingeschlachtet wurde. Uebrigens, und das darf hier nicht übers sehen werden, bringt die so eben bezeichnete rechte speculative Theologie leichtlich den Nachtheil hervor, daß sie, weil nur die Thesen auffassend, gar gerne von der historischen Konstruction der Dogmatik abstrahirt, den Sinn der Dogmen nach einem angenommenen Systeme der Philosophie deutet und verflüchtigt, wohl auch, zu sehr von sich selbst eingenommen, die eigne Autorität, für unfehlbar ausgiebt, jedenfalls die Dogmen in eine ihnen ursprünglich nicht gehörige Form einkleis det. Daher ist es immer zuträglicher und auch für die Wissenschaft förderlicher, daß

4. historische und philosophische Konstruction der Dogs matik Hand in Hand gehen, daß-beide in ihrem eigenthümlichen Werthe anerkannt, die Lehren des Christenthums zuerst aus den betreffenden Erkenntnißquellen eruirt, durch die Autorität der kirchlichen Entscheidungen certificirt und dann

erst zum Gegenstande der eigentlichen Reflexion gemacht, eine Vermittlung der Einsicht in ihr Wie, in ihre innere Nothwendigkeit versucht werde. Während nämlich auf diese Weise die Vernunft einerseits immer im Bewußtseyn des Gegebenen erhalten und zum Vernehmen desselben geneigt und fähig gemacht wird, wird sie anderseits von dem Hoch muthe der Selbstweisheit gerettet und zur rechten Würdigung ihrer eigenen Kraft angehalten.

Sey es nun, daß die philosophische Konstruction der Dogmatik von der historischen abgesondert, oder beide mit einander parallel behandelt werden; aus ihrem natürlichen Verhältnisse zu einander ergeben sich für die Erstere folgende Grundsäße:

a. Das Substrat der Speculation muß immer etwas Gegebenes seyn, weil die Vernunft überhaupt nichts erfindet, sondern nur das Vorhandene vernimmt und durch Reflexion zu dem Jhrigen macht. Daher muß auch die speculative Dogmatik oder Theologie sich durchweg auf die vorhandenen, religiösen Wahrheiten stüßen, sey es nun, daß diese Wahrheiten sich unmittelbar im Bewußtseyn als solche ankünden, sey es, daß sie der Gegenstand einer speciellen Offenbarung sind und auf das Ansehen des offenbarenden Subjekts und der mittheilenden und bewahrenden Anstalt als solche aufgenommen und geglaubt werden. Die Explication der im Bewußtseyn sich ankündigenden religiösen Wahrheis ten, nennt man gewöhnlich natürliche Theologie, die Erplication der Offenbarungslehren positive Theologie. Wie es sich weiter unten ergeben wird, beruhen beide auf dem Grunde einer göttlichen Offenbarung, darum sind auch beide etwas Gegebenes, nichs Erfundenes oder Ersonnenes. Hieraus leuchtet von selbst ein, daß jenes Speculiren, welches mit einem Sichlosreißen von allem Gegebenen beginnt und so gar das Daseyn Gottes in Frage stellen zu müssen glaubt, schon in seinem Ursprunge ein verkehrtes, in seinem Ver

laufe zur Verzweiflung führendes, jedenfalls nur durch Ins consequenz und Selbsttäuschung zur Anerkennung des Posts tíven gelangendes ist. Wer zum Leben kommen will, der darf sich nicht schon zum Voraus von allem Lebensgrunde losreißen.

b. Alles Wissen stüßt sich zunächst auf ein Glauben, und hinwiederum alles Glauben zunächst auf ein Wissen, das Wissen ist nur ein durch Reflerion explicirter Glauben, und das Glauben ein unmittelbares, nicht durch Reflerion vermitteltes, Wissen. Daß Gott sey, wissen wir, und weil wir Gott kennen, glauben wir an ihn. Und hinwiederum : daß Gott sey, wissen wir, aber dieses Wissen stüßt sich auf den Glauben an die Gewißheit, an die Wahrheit des in unserm Bewußtseyn als gewiß und wahr sich Ankündigenden. Hieraus folgt für die speculative Dogmatik, daß sie vor Allem den Irrthum ferne zu halten habe, das Erkannte sey ein von dem Geglaubten wesentlich Verschiedenes und mit dem Erkannthaben sey sofort das Glauben überflüssig geworden, dieses sey gleichsam nur das Gerüste, das nach vollendetem Baue abgebrochen und weggeworfen werden dürfe oder müsse.

c. Da, wie oben bemerkt wurde, alles Speculiren nur ein Versuch ist, die von Gott überkommene und geglaubte Wahrheit zu einem Wissen zu vermitteln, eine Einsicht in die innere Nothwendigkeit der geglaubten Wahrheit zu gewinnen: so darf die Wahrheit eines Dogma nicht von dem Ergebnisse der darüber angestellten Reflerionen abhängig ge= macht, es muß im Gegentheil anerkannt werden, jenes Ergebniß sey in so weit, und auch nur in so weit ein wahres, als es mit dem Geglaubten selber wesentlich identisch ist. Hiernach ist auch das Verfahren derjenigen Dogmatiker zu beurtheilen, welche die Wahrheit eines aus Schrift und WeberLieferung ausgemittelten und mit dem Gertificate der Kirche belegten Dogma's doch noch immer so lange dahingestellt

seyn lassen, als sich dieselbe vor der Vernunft und ihrem Urtheile als solche erwiesen hat. Die philosophischen Bes gründungen der einzelnen Dogmen sind mehr oder weniger immer etwas Subjectives, dem Einen sagen sie zu, dem Andern scheinen sie mangelhaft, wieder einem Andern ers scheinen sie durch etwas Stichhaltigeres erseßbar. Daher ist es auch immer etwas Gewagtes, die Normen eines bestimms ten philosophischen Systems in der Dogmatik durchherrschen zu lassen, weil sich bei demjenigen, welcher dem angewen deten Systeme abhold ist, gar leicht auch der Wahn erzeugt: weil es mit diesem System nicht viel auf sich habe, darum müsse es auch um die durch dasselbe vertheidigte Sache nicht am beßten stehen; nur dann, wenn ein philosophisches System seinem innersten Wesen nach ein christliches ist, läßt es sich erwarten, daß seine Ergebnisse dem Dogma konform sich herausstellen werden. Hieraus fließt denn

d. Der weitere Grundsaß, daß nur derjenige gedeihlich über das Christenthum zu speculiren vermöge, der sich völlig in dasselbe hineingelebt hat, dessen Vernunft unter dem Ges horsame des Glaubens frei geworden, dessen gesammtes Leben durch das Leben aus Gott befruchtet und auf eine höhere Potenz des irdischen Daseyns erhoben ist.

6. Vergleichen wir nun noch mit dem bisher Gesagten dasjenige, was Herr Dr. Brenner in dem vorliegenden Werke über spekulative Theologie Bemerkenswerthes darbietet. Wir haben schon oben, I. 6, die Wahrnehmung ausgesprochen, daß nicht einmal von der fortentwickelnden Thätigkeit der Vernunft bei Behandlung der Glaubenslehre die Rede ist, während doch diese Function nur den Uebergangspunkt zur eigentlich speculativen Theologie bildet. Ebenso wurde nachgewiesen, daß nach Brenner auch die historische Construction der Dogmen in das Bereich der speculativen Theologie fällt. Es scheint also, daß in seinem Werke das von uns so eben unter No. 4 gebilligte und angerathene Verfahren eingeschlagen

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