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XV.

Weber

todten und lebendigen Mittelpunkt.

Sehen wir uns allseitig in der Welt um, und betrachten die Grundverhältnisse aller Dinge; so kann uns in der That nicht entgehen, wie meist, oder fast immer die äußere Erscheinung nicht bloß getrennt und verschieden von ihrem inneren Wesen, sondern sogar diesem oft entge gengesezt ist. Eben in diesem Widerspruche zwischen dem Prinzip und seiner Besonderung, in diesem unausgeglichenen Verhältnisse Beider liegt der Grund zu ihrem Tode und Vers gehen; aber auch zugleich der Keim zu neuem Leben, indem der Schöpfer als Erlöser ja den Tod zum Leben benüßt, d. h., umgewandelt hat.

Diese Wahrnehmung drang sich auch schon den frühesten geistigen Forschern unter den Heiden auf, und gestaltete sich in ihnen je nach ihrer anderweitigen geistigen Beschaffenheit. Bei diesen erzeugte sie die Theorie des ewigen Flußses, bei jenen die des steten Insichbleibens; dort die des Truges, hier die der vollen und alleinigen Wahrheit der Erscheinung aller Dinge. Dabei fehlte es auch nicht an Versuchen zur Vermittlung dieser Gegenfäße. So finden wir schon bei Plato die (von unsern sogenannten Naturphilosophen in neuester Zeit wieder aufgegriffene) Idee einer subftantialen, oder materialen Unsterblichkeit, welche dem Ge

schlechte der lebenden Wesen innewohne, und durch die Zeugung sich erhalte; im Gegensaß zum Tode, welcher jes des Erscheinende desselben unter sich beugt. Die Wahrheit hievon ist, daß, wenn auch alle Einzelnheiten vergehen, sich doch das Prinzip derselben, und zwar zeugend und thätig erhält; wenn auch die Formen variiren, doch der Grunds typus derselben sich selber gleich bleibt. In der That, wes der in der Natur, noch in einzelnen Menschenleben, noch in der ganzen Profangeschichte der Menschheit, ist etwas aufzufinden, bei dem diese beiden Gegensäße nicht blos als uns terscheidbar, sondern vielmehr an sich trennbar und unausgeglichen vorhanden wären. Man müßte denn, wie es die Pantheisten thun, in Natur und Geschichte diesen Widerspruch eben als normal und uranfänglich erklären.

Hierin liegt auch der Grund zum sogenannten Abstraktum. Denn jener feindliche Gegensaß zwischen Prinzip und äußerer Gestaltung desselben, und die wirkliche Unters scheidbarkeit und Trennbarkeit Beider, ohne daß sie miteins ander zugleich, oder Eins derselben, zu Grunde gingen, has ben jenes Verhältniß erzeugt, daß man vom Abstraktum oft ganz anderen Begriff und Ansicht hat und haben kann, als vom zufälligen Concretum; daß sogar zwischen der Wahrheit an sich, und dem Wahren in der Erscheinung, so merks liche Unterschiede gefunden werden wollen.

Gestehen wir es uns offen: dieser Widerspruch, dem alle Dinge, geistige, organische, materielle und elementare unterliegen, und der eine Scheidung derselben in sich möge lich macht - er stammt seiner bösen Seite nach aus ders selben Wurzel wie der Tod, aus der Sünde nämlich, und kann auch aus ihr nur begriffen und genügend erklärt werden.

Damit hätten wir aber auch zugleich die Erkenntniß gewonnen, wo dieser Widerspruch nicht ist, nicht seyn kann und seyn darf; nämlich da, wo die Sünde nicht ist, wo viele mehr durch die vorhandene und innewohnende Wahrheit und

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Heiligkeit die Einführung der Welt in diese Beiden, und die Aufhebung jenes starren Abstraktums und tödtenden Gegens sages herbeigeführt werden soll. Die Erlösung also in Christo, die Kirche allein kennt auf der Erde diesen Gegensaß nicht. Die Wahrheit und sie, ihre wahre Erscheinung und ihr sichtbares Wesen sind sich immer adäquat. Nur da tritt ein Gegensatz zwischen Beiden ein, wo sie nicht selber ist, d. h., durch ihre Glieder und Organe in der Wahrheit des Lebens oder Glaubens nicht treu repräsentirt wird, dieselben ihr also schon innerlich oder äußerlich entfallen sind.

Die faktische Erhärtung dieser Wahrheit geht aus der ununterbrochenen Permanenz der Kirche hervor. Denn wäh rend alle Naturformen und Weltstaaten, weil immer schon bei ihrem Entstehen den Keim der Auflösung in sich selber tragend, zerfallen, die Gesellschaft sich bis in den tiefsten Grund nach Sitte, Sprache, Gesetz und allgemeinen Ansichten umgestaltet; bleibt sie immer dieselbe. Sie erscheint als das Ewige in der Zeit. Während außer ihr Reiche erlöschen, Regentenstämme fallen, die Verfassungen gänzlich umgewälzt, ja ganze Völker vertilgt werden; bleibt sie immer sich selbst gleich, sie stirbt nicht, sie ist bei aller Neuheit die alte.

Darum aber hat sie auch einen immerwährend lebendigen und unveränderlichen Mittelpunkt der Einheit, um den viele andere sekundäre Gentra sich bewegen, die alle bis in die äußerste Peripherie hin mit ihrer Thätigkeit sich erstrecken: so daß wirklich kein Glied derselben vorhanden ist, in welchem der Mittelpunkt nicht wirke, lebendig und gegenwärtig sey. Darum hat aber auch jedes wahre Glied die Kraft des Centrums, d. h., es ist in Vereinigung mit der Einheit unbes siegbar und unfehlbar. So ist aus der Kirche alle Abstraktion getilgt. Der Gegensaß des Wesens und der Erscheinung ist aus ihr gewichen; indem sie da zu erscheinen aufhört, wo ihr Wesen verläugnet wird; und dort ihr Wesen zurückzieht, wo ihm die Erscheinung nicht entspricht. Wissen

schaft, Schrift und Tradition sind in ihr so wenig auseins andergefallen, oder sich feindlich entgegenstehend, daß jener, welcher sie in ihr nicht zugleich finden, oder in ihr scheiden, oder z. B. die Wissenschaft von beiden andern frei und losmachen wollte, damit eben schon aufgehört hat, der Kirche selber lebendig anzugehören. Dieses innige, alldurchdringende Verhältniß wird nicht einmal gehoben durch die persönliche Verderbtheit der Organe und Centra. Denn auch der unmoralische Papst, der gottlose Bischof repräsentiren und halten das Wesen der Kirche als Papst, als Bischof so lange fest, wie sie die Wahrheit, den Glauben bewahren; ob auch ihr Subjekt in sich selbst zum Gegensaß, und damit zum Lode herabgesunken seyn mag. Damit ist auch verbunden, daß die geistliche Weihe und Gewalt eben so unverlierbar an sich, und vom Subjekte untrennbar erscheint (wie auch sie für die Ausübung gebunden ist, oder werden möchte), wie das Wesen derselben von der Kirche nicht geschieden werden kann 1). Der character indelebilis der drei Safras mente hängt ihnen in höchstem Grade an; weil und wie ihn die Kirche für sich in ihrem ganzen Wesen, Wirken, Walten und Erscheinen hat. Will man sich davon lossagen, so muß man in konsequenter Analogie und analoger Konsequenz mit der Läugnung der Unfehlbarkeit und Unantast barkeit der sichtbaren Kirche, auch die Erlöschbarkeit der Laufe, und Nothwendigkeit der äußeren Wiederholung ders selben bei jeder neuen Sünde behaupten.

Die weltliche Regierungsgewalt, die ohne diese gött liche Derivation auftritt, wird in dem jeßigen abwärts

1) Analog dem entwickelt sich die kirchenrechtliche Bestimmung, daß Niemand ohne kanonischen Grund von seinem geistlichen Amte durch irgend eine Gewalt der Erde, auch selbst wider Willen des Amtsinhabers, durch die geistliche Macht entfernt werden kann. Die Unverlierbarkeit der Weihe korrespondirt der Unabsezbarkeit der Geweihten.

gehenden Zeitlauf täglich mehr auch inner des Christenthums zu einem Abstraktum, welches vielfach hier der Macht des Stärkeren, dort einem Kontrakt, bald der Konvenienz, bald den Intriguen, hier diesem, dort jenem, nur nicht dem Rechten entstammt. Darum sehen wir aber auch ihre Erscheinung so oft ändern und schwinden, weil sie eben vom Centrum der Religion sich losgesagt hat. Wenn das ger manisch-christlich-römische Reich tausend Jahre hielt, weil es auf den Grund der Kirche gebaut war, so wurde es nur mit Auflockerung und Untergrabung dieses Fundamentes wans kend, und ging mit der faktischen und theoretischen Aufges bung seines katholischen Staatsgrundgeseßzes durch den Kais ser selbst, in der Person Josephs II. dem völligen Sturze entgegen. Damit aber in Verhältniß bestanden alle übrigen Reiche kürzere Zeit und werden auch ferner noch bestehen 1). Man kann daher ohne gerade großer Prophet zu seyn, sicher voraussagen, daß jene Staaten, welche einen fingirten Grund und nicht die Religion zu ihrer Basis haben, bei denen ferner ihre Erscheinung mit ihrem realen Bestand nicht in Gleichgewicht, und dann vor Allem mit der Kirche in Widerspruch steht, eben von Tag zu Tag abzehren müssen.

1) Blut und Gewalt unterbricht jede Stabilität; darum beginnt mit den Thronumwälzungen immer ein neuer Staat. So kann die Continuität des Türkenstaates kaum von einer Thronbesig= nahme zur andern gerechnet werden – weil ohne Blut kein Sultan regiert. So lange aber der Mohamedismus als zeitliche Gewalt auf die Religion basirt war, konnte er sich schon etwas friedsamer und ruhmvoller in seiner eigenen Staatsöconomie halten und unter Harun al Raschied hatte er als weltlicher Staat den höchsten Glanzpunkt erschwungen. Er schritt dagegen seiner Auflösung immer näher, je mehr seine geistige Centralität verschwand. So unläugbar ist es, daß selbst der Irrthum die Wahrs heit nachäffen, der Engel der Finsterniß in einen Engel des Lichtes sich umkleiden muß, um seine Zwecke zu erreichen.

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