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IX.

Der

Antispinocismus des Christenthums.

In heutigen Tagen, wie einft in früheren Jahrhunders ten, werden gar mancherlei Glaubensbekenntnisse für das ächte, evangelische Christenthum ausgeboten. Nicht weniger sind mancherlei philosophische Meinungen, die auf spinocistischen Grundelementen beruhen, heute zum geistigen Verkehr in Umlauf geseßt. Es ist daher zu gegewärtigem Zwecke gez mäß, uns darüber bestimmt auszusprechen, was wir unter den zwei Begriffen in der Ueberschrift dieser Reflerionen verstehen. Unter Christenthum (schlechthin und ohne Beibegriff), verstehen wir die Glaubenslehre, die in dem ältesten, alls gemein verbreiteten Bekenntnisse, dem apostolischen Symbolum flar, kurz und in einfacher Ordnungsfolge nieders gelegt ist. Die Fassung dieses Bekenntnisses ist musterhaft, klar, und sein Verständniß ist ganz in natürlichem Wortsinne. Sie ist kurz, und jedes Wort eines jeden Sages drückt eine besondere Glaubenslehre aus. Sie ist in einfacher Ordnungsfolge. Das Symbolum beginnt mit der Schöpfung der Welt, seßt das Verhältniß der Welt und das des Menschen zu dem dreieinigen Gott fest, giebt die Grundzüge des Lebens und Leidens des Gottmenschen, lehrt den geistigen Verkehr zweier Welten, und schließt mit dem Weltgerichte und ewigen Leben.

Katholik. Jahrg. XVIII. Sft. VI.

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Die Summa dieses Bekenntnisses aus antispinocistischem Standpunkte, ist die Schöpfung der Welt durch ein freithäs tiges, lebendiges und selbstständiges Wesen, das mit der Welt nichts gemein hat; ferner: die absolute Abhängigkeit der Welt in ihrer Entstehung, und Forterhaltung; endlich die Freiheit des menschlichen Geistes, die Verdienstlichkeit guter Handlungen bis zur geistigen Wechselwirkung in der universalen Gemeins schaft aller Heiligen.

Die Summa des Spinocísmus aus antichristlichem Standpunkte ist die Ewigkeit der Welt; ist ihre Unabhängigkeit von jedem außerweltlichen Princip; daher Immanenz ihres göttlichen Grundprincipes und dessen leblose Unpersönlichkeit; daher Nothwendigkeit in allem Walten und Wirken dieses blinden Principes; daher auch keine Freiheit des Menschen und keine Absicht und Zwecke in dem Weltlaufe. Der sichts bare Gott der Welt ist nach dieser Lehre das ewige, unaufs haltbare Getriebe eines mechanischen Automates.

Indem sich das Christenthum zu einem scharf abgeschlos• senen Dualismus der Weltansicht bekennt, spricht sich der Spinocismus für die absolute Identität des leßten allge, meinen Grundes der Natur mit ihren einzelnen sinnlichen und fließenden Erscheinungen aus. Aller absolute Anfang beginnt nur mit einem Akte der Freiheit; mit ihr behauptet das Christenthum eben so consequent einen Weltanfang, alsder Spinocismus diesen mit der Freiheit läugnet. Das Christenthum glaubt an die Willensfreiheit, die durch den Süns denfall geschwächt aber nicht vertilgt wurde, und mit dieser Freiheit die Zurechnung der That. Es glaubt an eine freie Weltregierung; es glaubt an den wunderthätigen Einfluß des Gebetes auf den mechanischen Weltlauf, einen freien Verkehr der Heiligen beider Welten, und den Primat der Finalcausalität über den physischen Weltmechanism. Nach christlicher Lehre vereinigen sich ungebornes Leben und uns

beschränkte Weisheit und Güte in dem allerrealsten und allerpersönlichsten Urgrunde der Welt.

Jm Spinocismus wird von allem diesem das Widerspiel behauptet. Gott ist für ihn nicht ein absolutes Subjekt oder eine absolute abgeschlossene Realität. Er ist ein mentales Produkt der Abstraktion. Der Weltgeist, auch ein Abstraktum, ist blind und gebunden. Er waltet und regt sich an allen einzelnen vorüberfliehenden Erscheinungen und nirgend von ihnen abgesondert. Wie nicht im Ganzen, wie nicht im Urprincipe, so ist auch in jeder einzelnen sinnlichen Erscheinung dieses Princips keine Freiheit. Der Causale verband ist nur einseitig von Ursache, die Wirkung war, zur Wirkung, die wieder Ursache wird.

Da in der Welt nur eine strenge Nothwendigkeit herrscht, so giebt es auch für sie keinen absoluten Anfang. Eine Schöpfung aus Nichts, heißt die Fülle des Universums aus dem absoluten Vacuum hervorquellen lassen; und ist ein Ungedanken. Weil der Verstand endlich müde wird bei dem ewigen Einerlei in dem Wechsel zwischen bewirkten Ursachen und verursachten Wirkungen, so dichtet er sich zum Ausrus hen einen ersten Anfang der Welt, und knüpft diesen an die stehende Ewigkeit eines müßigen oder in und mit sich allein beschäftigten Gottes.

Gestehen wir, daß der theistische Verstand gegen den atheistischen Verstand einen harten Kampf hat. Sie haben beide einerlei Boden, worauf sie stehen, und einerlei Waffen; aber der Dualist hat gegen den Spinocisten den Nachtheil, daß dieser seinen Boden nicht verläßt, den jener immerfort zu überspringen sucht, um mit seiner Schlußkette an den Thron des Jupiters zu reichen. Darum hat der Spinocismus, so sehr sich das gläubige Herz dagegen sträubt, überall so viel Anklang bei der spekulativen Vernunft gefuns den. Ueberall, von den ältesten Zeiten her, hat die vergötterte Natur ihre Altäre und Tempel erhalten; und wenn

ihr heute weniger sichtbare Altäre und Tempel errichtet werden, so hat sich dagegen die Zahl ihrer geheimen Anbeter vermehrt. Sogar Diener christlicher Altäre wurden von einer Lehre angesteckt, deren Gift so einschmeichlerich ist. Wir erklären daher unumwunden aus eigner Selbsterfahrung, daß wir kein Heil gegen diese heute in allen Ständen sich verbreitende Seuche finden und wissen, als in dem treuen und einfältigen Glauben an das, was in dem apostolischen Bekenntniß zu glauben dem Christen aufgegeben ist. So wie das Materielle beider conträr entgegengesetzten Lehrbegriffen, so stehen sie sich auch in dem Formellen in dem Grunde und der Art des Fürwahrhaltens, nach dem Schulausdruck, in der Modalität der Ueberzeugung einander schroff entgegen. Der Spinocismus maßt sich ein Wissen an, eine mathematische Dignität seiner Ueberzeugung, eine logische Pflicht der Beistimmung. Gleich der Geometrie fußet er auf ein anschauliches Fundament, auf die innere Weltan schauung; und dem, was er darnach in Form der Construks tion synthetisch zusammenstellt, legt er eine strenge Bündigfeit bei. So projicirt er ein freies, inneres Denken außer sich. Wie in einem Spiegelreflere bildet er ein SubjektObjekt, und realisirt mittelst einer Vernunfttäuschung eine ideale Abstraktion. Wenn uns der Spinocist nicht den Beweis schuldig bliebe, daß, wie Spinoza wörtlich behaup tet, Alles sich so außer uns befindet, was wir nach streng logischen Formen in uns vorstellen, oder daß eine bloße Idealität das reine Weltbild sey, oder die unserm Geiste anges borne Copie eines nur der Vernunft zugänglichen Originales; so müßten wir freilich der logischen Consequenz ab, oder seiner Fahne zuschwören. Aber diese große Schuld hat er nicht befriedigt, er hat nur durch einen unbegründeten Machtspruch dem Verstande ein konstitutives, und legislatis ves Vermögen im Gebiete des außer seinem Bereich liegenden Ueberfinnlichen zugetheilt. Er hat der menschlichen Vers

nunft göttliche Eigenschaften angedichtet, um den Gottesglauben damit zu bekämpfen. Er hat, um scheinbare Widersprüche wegzubringen, reelle Widersprüche aus geistigem Uebermuthe eingeschoben. Er hat so Licht aus Nacht, Leben aus Tod, und Ordnung aus Unordnung lieber entstehen lassen, als dem außerweltlichen Gott allein die Ehre zu geben. Wir treten mit jedem Bewußtseyn von etwas Aeußerem außer uns selbst. Soll es ein Vergehen gegen die Vernunft seyn, mittelst des religiösen Bewußtseyns, des Gewissens, uns über die Welt zu Gott zu erheben? Die Falschheit des spinocistischen Lehrbegriffes liegt in seinem precåren Postulate und Ariome. Mag auch ein Traum, ein Phantastegebilde in seis nen innern Theilen noch so enge zusammen hången, bodenlos, wie es ist, ist es immer nur imaginår.

Dagegen mit diesem anmaßlichen Wissen in Opposition stehen der christliche Glaube an Gott, und die überirdischen Güter des Heiles. Ich „glaube“, so beginnt das christliche Bekenntniß. Inneres religiöses Gefühl, die durch äußerliche Zeichen erhärtete Offenbarung Gottes, die laute Verkündis gung der Natur, kurz, faktische Zeugnisse gelten nur für eine faktische Realität, die Realität Gottes.

Wir wissen nur Attribute, Eigenschaften der Dinge und ihre logische Verbindung. Aber an unser selbstständiges "Ich" mitten durch die wie Schatten an der Wand dahin gleitenden Vorstellungen und Gefühle, an ein unseren äußes ren Gesichten und Anschauungen entsprechendes äußeres Substrat, was fast, aus dem Stande der Wissenschaft vernommen, wie ein Widerspruch klingt, und noch mehr an ein außer unserem „Ich", und außer dem Substrat äußerer Anschauungen waltendes übersinnliches und höchstes Wesen, kann nur geglaubt werden. Was die intensive Kraft beis der Arten von Fürwahrhalten betrifft, bemerken wir: daß überall die Macht der Consequenz unwiderstehlich ist. Sie

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