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Eine Parabel.

quæ facilem ori paret bolum.

Etymologista vetus

Nebst einer kleinen Bitte und einem eventualen

Absagungsschreiben

an den Herrn Pastor Goeze in Hamburg. (1)

1778.

Ehrwürdiger Mann!

Ich würde ehrwürdiger Freund sagen, wenn ich der Mensch märe, der durch öffentliche Berufung auf seine Freundschaften ein günstiges Vorurtheil für sich zu erschleichen gedächte. Ich bin aber vielmehr der, der durchaus auf keinen seiner Nächsten dadurch ein nachtheiliges Licht möchte fallen lassen, daß er der Welt erzählt, er stehe, oder habe mit ihm in einer von den genaueren Verbindungen gestanden, welche die Welt Freundschaft zu nennen gewohnt ist.

Denn berechtigt wäre ich es allerdings, einen Mann Freund zu nennen, der mir mit Verbindlichkeit zuvorgekommen ist; den ich auf einer Seite habe kennen lernen, von welcher ihn viele nicht kennen wollen; dem ich noch Verbindlichkeit habe, wenn es auch nur die wäre, daß seine Wächterstimme noch meines Namens schonen wollen.

Doch, wie gesagt, ich suche bloß durch meine Freunde eben so wenig zu gewinnen, als ich möchte, daß sie durch mich verlieren sollten.

Also nur, ehrwürdiger Mann! Ich ersuche Sie, die Güte zu haben, nachstehende Kleinigkeit in einige Ueberlegung zu ziehen. Besonders aber dringe ich darauf, sich über die beigefügte Bitte nicht bloß als Polemiker, sondern als rechtschaffener Mann und Christ auf das baldigste zu erklären 2c.

Die Parabel.

Ein weiser thätiger König eines großen großen Reiches hatte in seiner Hauptstadt einen Palast von ganz unermeßlichem Umfange, von ganz besonderer Architektur.

Unermeßlich war der Umfang, weil er in selbem alle um sich ver. sammelt hatte, die er als Gehülfen oder Werkzeuge seiner Regierung brauchte.

Sonderbar war die Architektur: denn sie stritt so ziemlich mit allen angenommenen Regeln; aber sie gefiel doch und entsprach doch.

Sie gefiel: vornehmlich durch die Bewunderung, welche Einfalt und Größe erregen, wenn sie Reichthum und Schmuck mehr zu verachten als zu entbehren scheinen.

Sie entsprach: durch Dauer und Bequemlichkeit. Der ganze Palast stand nach vielen vielen Jahren noch in eben der Reinlichkeit und Vollständigkeit da, mit welcher die Baumeister die leßte Hand ange legt hatten, von außen ein wenig unverständlich, von innen überall Licht und Zusammenhang.

Was Kenner von Architektur seyn wollte, ward besonders durch die Außenseiten beleidigt, welche mit wenig hin und her zerstreuten, großen und kleinen, runden und viereckten Fenstern unterbrochen waren, dafür aber desto mehr Thüren und Thore von mancherlei Form und Größe hatten.

Man begriff nicht, wie durch so wenige Fenster in so viele Ges mächer genugsames Licht kommen könne. Denn daß die vornehmsten derselben ihr Licht von oben empfingen, wollte den Wenigsten zu

Sinne.

Man begriff nicht, wozu so viele und vielerlei Eingänge nöthig wären, da ein großes Portal auf jeder Seite ja wohl schicklicher wäre und eben die Dienste thun würde. Denn daß durch die mehreren

kleinen Eingänge ein jeder, der in den Palast gerufen würde, auf dem kürzesten und unfehlbarsten Wege gerade dahin gelangen solle, wo man seiner bedürfe, wollte den Wenigsten zu Sinne.

Und so entstand unter den vermeinten Kennern mancherlei Streit, den gemeiniglich diejenigen am hißigsten führten, die von dem Innern des Palastes viel zu sehen die wenigste Gelegenheit gehabt hatten.

Auch war da Etwas, wovon man bei dem ersten Anblicke geglaubt hätte, daß es den Streit nothwendig sehr leicht und kurz machen müsse, was ihn aber gerade am meisten verwickelte, was ihm gerade zur hartnäckigsten Fortseßung die reichste Nahrung verschaffte. Man glaubte nämlich verschiedene alte Grundrisse zu haben, die sich von den ersten Baumeistern des Palastes herschreiben sollten; und diese Grundrisse fanden sich mit Worten und Zeiche bemerkt, deren Sprache und Charakteristik so gut als verloren wai

Ein jeder erklärte sich daher diese Worte und Zeichen nach eige, nem Gefallen. Ein jeder sezte sich daher aus diesen alten Grundrissen einen beliebigen neuen zusammen, für welchen neuen nicht selten dieser und jener sich so hinreißen ließ, daß er nicht allein selbst darauf schwor, sondern auch andere darauf zu schwören bald beredete, bald zwang.

Nur wenige sagten: „was gehen uns eure Grundrisse an? Dieser oder ein anderer: sie sind uns alle gleich. Genug, daß wir jeden Augenblick erfahren, daß die gütigste Weisheit den ganzen Palast erfüllt, und daß sich aus ihm nichts, als Schönheit und Ordnung und Wohlstand auf das ganze Land verbreitet.“

Sie kamen oft schlecht an, diese Wenigen! Denn wenn sie lachenden Muths manchmal einen von den besonderen Grundrissen ein wenig näher beleuchteten, so wurden sie von denen, welche auf diesen Grundriß geschworen hatten, für Mordbrenner des Palastes selbst ausgeschrien.

Aber sie kehrten sich daran nicht, und wurden gerade dadurch am geschicktesten, denjenigen zugesellt zu werden, die innerhalb des Palastes arbeiteten, und weder Zeit noch Lust hatten, sich in Streitigkeiten zu mengen, die für sie keine waren.

Einsmals, als der Streit über die Grundrisse nicht sowohl beis

gelegt, als eingeschlummert war, einsmals um Mitternacht erscholl plöglich die Stimme der Wächter: Feuer! Feuer in dem Palaste!

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Und was geschah? Da fuhr jeder von seinem Lager auf, und jeder, als wäre das Feuer nicht in dem Palaste, sondern in seinem eigenen Hause, lief nach dem Kostbarsten, was er zu haben glaubte, nach seinem Grundrisse. „Laßt uns den nur retten! dachte jeder. Der Palast kann dort nicht eigentlicher verbrennen, als er hier steht!“ Und so lief ein jeder mit seinem Grundrisse auf die Straße, wo, anstatt dem Palaste zu Hülfe zu eilen, einer dem andern es vorher zeigen wollte, wo der Palast vermuthlich brenne. „Sieh, Nachbar! hier brennt er! Hier ist dem Feuer am besten beizukommen. Oder hier vielmehr, Nachbar, hier! Wo denkt ihr beide hin? „Er brennt hier! Was hätt' es für Noth, wenn er da brennte? „Aber er brennt gewiß hier! Lösch' ihn hier, wer da will. Ich lösch' ihn hier nicht. Und ich hier nicht! Und ich hier „nicht!"

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Ueber diese geschäftigen Zänker hätte er denn auch wirklich abbrennen können, der Palast, wenn er gebrannt hätte. Aber die erschrockenen Wächter hatten ein Nordlicht für eine Feuersbrunst gehalten.

Die Bitte.

Ein anderes ist ein Pastor, ein anderes ein Bibliothekar. So verschieden klingen ihre Benennungen nicht, als verschieden ihre Pflichten und Obliegenheiten sind.

Ueberhaupt denke ich, der Pastor und Bibliothekar verhalten sich gegen einander, wie der Schäfer und der Kräuterkenner.

Der Kräuterkenner durchirrt Berg und Thal, durchspäht Wald und Wiese, um ein Kräutchen aufzufinden, dem Linneus noch keinen Namen gegeben hat. Wie herzlich freut er sich, wenn er eines findet! Wie unbekümmert ist er, ob dieses neue Kräutchen giftig ist oder nicht! Er denkt, wenn Gifte auch nicht nüßlich sind — (und wer sagt es denn, daß sie nicht nüßlich wären?) — so ist es doch nüßlich, daß die Gifte bekannt sind.

Aber der Schäfer kennt nur die Kräuter seiner Flur, und schäßt

und pflegt nur diejenigen Kräuter, die seinen Schafen die angenehm. sten und zuträglichsten sind.

So auch wir, ehrwürdiger Mann! Ich bin Aufseher von Bücherschäßen, und möchte nicht gern der Hund seyn, der das Heu bewacht, ob ich schon freilich auch nicht der Stallknecht seyn mag, der jedem hungrigen Pferde das Heu in die Raufe trägt. Wenn ich nun unter den mir anvertrauten Schäßen etwas finde, von dem ich glaube, daß es nicht bekannt ist, so zeige ich es an. Fürs erste in unsern Catalogen, und dann nach und nach, so wie ich lerne, daß es diese oder jene Lücke füllen, dieses oder jenes berichtigen hilft, auch öffentlich, und bin ganz gleichgültig dabei, ob es dieser für wichtig, oder jener für unwichtig erklärt, ob es dem einen frommt, oder dem andern schadet. Nüglich und verderblich sind eben so relative Begriffe, als groß und klein.

Sie hingegen, ehrwürdiger Mann, würdigen alle literarische Schäße nur nach dem Einflusse, den sie auf Ihre Gemeinde haben können, und wollen lieber zu besorglich als zu fahrlässig seyn. Was geht es Sie an, ob etwas bekannt, oder nicht bekannt ist? wenn es nur Einen auch von den Kleinsten ärgern könnte, die Ihrer geistlichen Aufsicht anvertraut sind.

Recht gut! Ich lobe Sie darum, ehrwürdiger Mann. Aber weil ich Sie lobe, daß Sie Ihre Pflicht thun, so schelten Sie mich nicht, daß ich die meinige thue, oder, welches einerlei ist, zu thun glaube.

Sie würden vor Ihrer Todesstunde zittern, wenn Sie an der Bes fanntmachung der bewußten Fragmente den geringsten Antheil hätten. — Ich werde vielleicht in meiner Todesstunde zittern, aber vor meiner Todesstunde werde ich nie zittern. Am allerwenigsten deßwegen, daß ich gethan habe, was verständige Christen jezt wünschen, daß es die alten Bibliothekare zu Alexandria, zu Cäsarea, zu Constantinopel mit den Schriften des Celsus, des Fronto, des Porphyrius, wenn sie es hätten thun können, möchten gethan haben. Um die Schriften des letteren, sagt ein Mann, der sich auf solche Dinge versteht, gäbe jezt mancher Freund der Religion gern einen frommen Kirchenvater hin.

Und ich hoffe ja nicht, ehrwürdiger Mann, daß Sie sagen werden: Jene alten Feinde der Religion hätten es allerdings verdient,

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