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Ankündigung.

Hamburgische Dramaturgie.

1767-69.

Erster Ban d.

Es wird sich leicht errathen lassen, daß die neue Verwaltung des hiesigen Theaters die Veranlassung des gegen: wärtigen Blattes ist.

Der Endzweck desselben soll den guten Absichten entsprechen, welche man den Männern, die sich dieser Verwaltung unterziehen wollen, nicht anders als beimessen kann. Sie haben sich selbst hinlänglich darüber erklärt, und ihre Aeußerungen sind, sowohl hier, als auswärts, von dem feineren Theile des Publicums mit dem Beifalle aufgenommen worden, den jede freiwillige Beförderung des allgemeinen Besten verdient, und zu unsern Zeiten sich versprechen darf.

Freilich gibt es immer und überall Leute, die, weil fie sich selbst am besten kennen, bei jedem guten Unternehmen nichts als Nebenabsichten erblicken. Man könnte ihnen diese Beruhigung ihrer selbst gern gönnen; aber, wenn die vermeinten Nebenabsichten sie wider die Sache selbst aufbringen; wenn ihr hämischer Neid, um jene zu vereiteln, auch diese scheitern zu lassen, bemüht ist: so müssen sie wissen, daß sie die verachtungswürdigsten Glieder der menschlichen Gesellschaft sind.

Glücklich der Ort, wo diese Elenden den Ton nicht angeben; wo die größere Anzahl wohlgesinnter Bürger sie in den Schranken der Ehrerbietung hält, und nicht verstattet, daß das Bessere des Ganzen ein Raub ihrer Kabalen, und patriotische Absichten ein Vorwurf ihres spöttischen Aberwiges werden!

So glücklich sey Hamburg in allem, woran seinem Wohlstande und seiner Freiheit gelegen: denn es verdient, so glücklich zu seyn!

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war dieses der erste und vornehmste, „daß man den Schau„spielern selbst die Sorge nicht überlassen müsse, für ihren „Verlust und Gewinnst zu arbeiten."1 Die Principalschaft unter ihnen hat eine freie Kunst zu einem Handwerke herabgesezt, welches der Meister mehrentheils desto nachlässiger und eigennüßiger treiben läßt, je gewissere Kunden, je mehrere Abnehmer ihm Nothdurft oder Lurus versprechen.

Wenn hier also bis jezt auch weiter noch nichts ge= schehen wäre, als daß eine Gesellschaft von Freunden der Bühne Hand an das Werk gelegt, und nach einem gemeinnüßigen Plane arbeiten zu lassen, sich verbunden hätte: so wäre dennoch, bloß dadurch, schon viel gewonnen. Denn aus dieser ersten Veränderung können, auch bei einer nur mäßigen Begünstigung des Publicums, leicht und ge= schwind alle andere Verbesserungen erwachsen, deren unser Theater bedarf.

An Fleiß und Kosten wird sicherlich nichts gespart werden: ob es an Geschmack und Einsicht fehlen dürfte, muß die Zeit lehren. Und hat es nicht das Publicum in seiner Gewalt, was es hierin mangelhaft finden sollte, abstellen und verbessern zu lassen? Es komme nur und sehe und höre, und prüfe und richte. Seine Stimme soll nie geringschäßig verhört, sein Urtheil soll nie ohne Unterwerfung

vernommen werden!

Nur daß sich nicht jeder kleine Kritikaster für das Bu blicum halte, und derjenige, dessen Erwartungen getäuscht werden, auch ein wenig mit sich selbst zu Rathe gebe, von welcher Art seine Erwartungen gewesen. Nicht jeder Liebhaber ist Kenner: nicht jeder, der die Schönheiten Eines Stücks, das richtige Spiel Eines Acteurs empfindet, kann darum auch den Werth aller andern schäßen. Man hat keinen Geschmack, wenn man nur einen einseitigen Geschmack hat; aber oft ist man desto parteiischer. Der wahre Geschmack ist der allgemeine, der sich über Schönheiten von jeder Art verbreitet, aber von keiner mehr Vergnügen und Entzücken erwartet, als sie nach ihrer Art gewähren kann.

1 Werke, dritter Theil, S. 252.

Der Stufen sind viel, die eine werdende Bühne bis zum Gipfel der Vollkommenheit zu durchsteigen hat; aber eine verderbte Bühne ist von dieser Höhe, natürlicher Weise, noch weiter entfernt: und ich fürchte sehr, daß die deutsche | mehr dieses als jenes ist.

Alles kann folglich nicht auf einmal geschehen. Doch was man nicht wachsen sieht, findet man nach einiger Zeit gewachsen. Der Langsamste, der sein Ziel nur nicht aus den Augen verliert, geht noch immer geschwinder, als der ohne Ziel herum irrt.

Diese Dramaturgie soll ein kritisches Register von allen aufzuführenden Stücken halten, und jeden Schritt begleiten, den die Kunst, sowohl des Dichters, als des Schauspielers, hier thun wird. Die Wahl der Stücke ist keine Kleinigkeit: aber Wahl sezt Menge voraus; und wenn nicht immer Meisterstücke aufgeführt werden sollten, so sieht man wohl, woran die Schuld liegt. Indeß ist es gut, wenn das Mittelmäßige für nichts mehr ausgegeben wird, als es ist; und der unbefriedigte Zuschauer wenigstens daran urtheilen lernt. Einem Menschen von gesundem Verstande, wenn man ihm Geschmack beibringen will, braucht man es nur aus einander zu sehen, warum ihm etwas nicht gefallen bat. Gewisse mittelmäßige Stücke müssen auch schon darum beibehalten werden, weil sie gewisse vorzügliche Rollen haben, in welchen der oder jener Acteur seine ganze Stärke zeigen kann. So verwirft man nicht gleich eine musicalische Composition, weil der Text dazu elend ist.

Die größte Feinheit eines dramatischen Richters zeigt sich darin, wenn er in jedem Falle des Vergnügens und Mißvergnügens unfehlbar zu unterscheiden weiß, was und wie viel davon auf die Rechnung des Dichters, oder des Schauspielers zu seßen sey. Den einen um etwas tadeln, was der andere versehen hat, heißt beide verderben. Jenem wird der Muth benommen, und dieser wird sicher gemacht.

Besonders darf es der Schauspieler verlangen, daß man hierin die größte Strenge und Unparteilichkeit beobachte. Die Rechtfertigung des Dichters kann jederzeit angetreten werden; sein Werk bleibt da, und kann uns immer wieder vor die Augen gelegt werden. Aber die Kunst des Schauspielers ist in ihren Werken transitorisch. Sein Gutes und Schlimmes rauscht gleich schnell vorbei; und nicht selten ist die heutige Laune des Zuschauers mehr Ursache, als er selbst, warum das eine oder das andere einen lebhaftern Eindruck auf jenen gemacht hat.

Eine schöne Figur, eine bezaubernde Miene, ein spre: chendes Auge, ein reizender Tritt, ein lieblicher Ton, eine melodische Stimme sind Dinge, die sich nicht wohl mit Worten ausdrücken lassen. Doch sind es auch weder die einzigen noch größten Vollkommenheiten des Schauspielers. Schäzbare Gaben der Natur zu seinem Berufe sehr nöthig, aber noch lange nicht seinen Beruf erfüllend! Er muß überall mit dem Dichter denken; er muß da, wo dem Dichter etwas Menschliches widerfahren ist, für ihn denken.

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Das Theater ist den 22sten vorigen Monats mit dem Trauerspiele: Olint und Sophronia, glücklich eröffnet worden.

Ohne Zweifel wollte man gern mit einem deutschen Originale anfangen, welches hier noch den Reiz der Neuheit habe. Der innere Werth dieses Stückes konnte auf eine solche Ehre keinen Anspruch machen. Die Wahl wäre zu tadeln, wenn sich zeigen ließe, daß man eine viel bessere hätte treffen können.

Olint und Sophronia ist das Werk eines jungen Dichters, und sein unvollendet hinterlassenes Werk. Cronegt starb allerdings für unsere Bühne zu früh; aber eigentlich gründet sich sein Ruhm mehr auf das, was er, nach dem Urtheile seiner Freunde, für dieselbe noch hätte leisten können, als was er wirklich geleistet hat. Und welcher dramatische Dichter, aus allen Zeiten und Nationen, hätte in seinem sechsundzwanzigsten Jahre sterben können, ohne die Kritik über seine wahren Talente nicht eben so zweifelhaft zu lassen?

Der Stoff ist die bekannte Episode beim Tasso. Eine kleine rührende Erzählung in ein rührendes Drama umzuschaffen, ist so leicht nicht. Zwar kostet es wenig Mühe, neue Verwidelungen zu erdenken, und einzelne Empfin dungen in Scenen auszudehnen. Aber zu verhüten wissen, daß diese neue Verwickelungen weder das Interesse schwächen, noch der Wahrscheinlichkeit Eintrag thun; sich aus dem Gesichtspuncte des Erzählers in den wahren Standort einer jeden Person verseßen können; die Leidenschaften nicht bes schreiben, sondern vor den Augen des Zuschauers entstehen, und ohne Sprung, in einer so illusorischen Stetigkeit wach sen zu lassen, daß dieser sympathisiren muß, er mag wollen oder nicht: das ist es, was dazu nöthig ist; was das Genie, ohne es zu wissen, ohne es sich langweilig zu erklären, thut, und was der bloß wißige Kopf nachzumachen, vergebens sich martert.

Tasso scheint, in seinem Olint und Sophronia, den Virgil, in seinem Nisus und Euryalus, vor Augen gehabt

zu haben. So wie Virgil in diesen die Stärke der Freundschaft geschildert hatte, wollte Tasso in jenen die Stärke der Liebe schildern. Dort war es heldenmüthiger Dienst eifer, der die Probe der Freundschaft veranlaßte: hier ist es die Religion, welche der Liebe Gelegenheit giebt, sich in aller ihrer Kraft zu zeigen. Aber die Religion, welche bei dem Tasso nur das Mittel ist, wodurch er die Liebe so wirksam zeigt, ist in Cronegts Bearbeitung das Hauptwerk geworden. Er wollte den Triumph dieser in den Triumph jener veredeln. Gewiß, eine fromme Verbesserung weiter aber auch nichts, als fromm! Denn sie hat ihn verleitet, was bei dem Tasso so simpel und natürlich, so wahr und menschlich ist, so verwickelt und romanenhaft, so wunderbar und himmlisch zu machen, daß nichts darüber!

Beim Tasso ist es ein Zauberer, ein Kerl, der weder Christ noch Mahomedaner ist, sondern sich aus beiden Religionen einen eigenen Aberglauben zusammengesponnen hat, welcher dem Aladin den Rath giebt, das wunderthätige Marienbild aus dem Tempel in die Moschee zu bringen. Warum machte Cronegk aus diesem Zauberer einen mahomedanischen Priester? Wenn dieser Priester in seiner Religion nicht eben so unwissend war, als es der Dichter zu seyn scheint, so konnte er einen solchen Rath unmöglich geben. Sie duldet durchaus keine Bilder in ihren Moscheen. Cronegt verräth sich in mehreren Stücken, daß ihm eine sehr unrichtige Vorstellung von dem mahome: danischen Glauben beigewohnt. Der gröbste Fehler aber ist, daß er eine Religion überall des Polytheismus schuldig macht, die fast mehr als jede andere auf die Einheit Gottes dringt. Die Moschee heißt ihm „ein Siß der falschen Götter," und den Priester selbst läßt er ausrufen:

,,So wollt ihr euch noch nicht mit Rach und Strafe rüsten, „Ihr Götter? Blißt, vertilgt das freche Volk der Christen!

Der sorgsame Schauspieler hat in seiner Tracht das Costume, vom Scheitel bis zur Zehe, genau zu beobachten gesucht; und er muß solche Ungereimtheiten sagen!

Beim Tasso kömmt das Marienbild aus der Moschee weg, ohne daß man eigentlich weiß, ob es von Menschenhänden entwendet worden, oder ob eine höhere Macht dabei im Spiele gewesen. Cronegk macht den Olint zum Thäter. Zwar verwandelt er das Marienbild in „ein Bild des Herrn am Kreuz;" aber Bild ist Bild, und dieser armselige Aberglaube giebt dem Olint eine sehr verächtliche Seite. Man kann ihm unmöglich wieder gut werden, daß er es wagen können, durch eine so kleine That sein Volk an den Rand des Verderbens zu stellen. Wenn er sich her nach freiwillig dazu bekennt: so ist es nichts mehr als Schuldigkeit und keine Großmuth. Beim Tasso läßt ihn bloß die Liebe diesen Schritt thun; er will Sophronien retten, oder mit ihr sterben; mit ihr sterben, bloß um mit ihr zu sterben; kann er mit ihr nicht Ein Bette besteigen,

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so sey es Ein Scheiterhaufen; an ihrer Seite, an den nämlichen Pfahl gebunden, bestimmt, von dem nämlichen Feuer verzehrt zu werden, empfindet er bloß das Glück einer so süßen Nachbarschaft, denkt an nichts, was er jenseit dem Grabe zu hoffen habe, und wünscht nichts, als daß diese Nachbarschaft noch enger und vertrauter seyn möge, daß er Brust gegen Brust drücken, und auf ihren Lippen seinen Geist verhauchen dürfe.

Dieser vortreffliche Contrast zwischen einer lieben, ruhigen, ganz geistigen Schwärmerin, und einem hißigen, begierigen Jünglinge, ist beim Cronegt völlig verloren. Sie sind beide von der kältesten Einförmigkeit; beide haben nichts als das Märterthum im Kopfe; und nicht genug, daß Er, daß Sie für die Religion sterben wollen; auch Evander wollte, auch Serena hätte nicht übel Lust dazu.

Ich will hier eine doppelte Anmerkung machen, welche, wohl behalten, einen angehenden tragischen Dichter vor großen Fehltritten bewahren kann. Die eine betrifft das Trauerspiel überhaupt. Wenn heldenmüthige Gesinnungen Bewunderung erregen sollen: so muß der Dichter nicht zu verschwenderisch damit umgehen; denn was man öfters, was man an mehrern sieht, hört man auf zu bewundern. Hierwider hatte sich Cronegt schon in seinem Codrus sehr versündigt. Die Liebe des Vaterlandes, bis zum freiwilligen Tode für dasselbe, hätte den Codrus allein auszeichnen sollen: er hätte als ein einzelnes Wesen einer ganz besondern Art dastehen müssen, um den Eindruck zu machen, welchen der Dichter mit ihm im Sinne hatte. Aber Elefinde und Philaide, und Medon, und wer nicht? sind alle gleich bereit, ihr Leben dem Vaterlande aufzuopfern; unsere Bewunderung wird getheilt, und Codrus verliert sich unter der Menge. So auch hier. Was in Olint und Sophronia Christ ist, das alles hält gemartert werden und sterben für ein Glas Wasser trinken. Wir hören diese frommen Bravaden so oft, aus so verschiedenem Munde, daß sie alle Wirkung verlieren.

Die zweite Anmerkung trifft das christliche Trauerspiel insbesondere. Die Helden desselben sind mehrentheils Märtyrer. Nun leben wir zu einer Zeit, in welcher die Stimme der gesunden Vernunft zu laut erschallt, als daß jeder Rasender, der sich muthwillig, ohne alle Noth, mit Verachtung aller seiner bürgerlichen Obliegenheiten, in den Tod stürzt, den Titel eines Märtyrers sich anmaßen dürfte. Wir wissen jezt zu wohl die falschen Märtyrer von den wahren zu unterscheiden; wir verachten jene eben so sehr, als wir diese verehren, und höchstens können sie uns eine melancholische Thräne über die Blindheit und den Unsinn auspressen, deren wir die Menschheit überhaupt in ihnen fähig erblicken. Doch diese Thräne ist keine von den angenehmen, die das Trauerspiel erregen will. Wenn daher der Dichter einen Märtyrer zu seinem Helden wählt: daß er ihm ja die lautersten und triftigsten Bewegungsgründe gebe! daß er ihn ja in die unumgängliche Nothwendigkeit

seße, den Schritt zu thun, durch den er sich der Gefahr | ihrer leßten Stunde; aber erst, nachdem sie kurz zuvor bloß stellt! daß er ihn ja den Tod nicht freventlich suchen, erfahren, daß ihre Eltern diesem Glauben zugethan gewesen: nicht höhnisch ertroßen lasse! Sonst wird uns sein frommer feine, erhebliche Umstände, durch welche die Wirkung einer Held zum Abscheu, und die Religion selbst, die er ehren höhern Macht in die Reibe natürlicher Begebenheiten gleich: wollte, kann darunter leiden. Ich habe schon berührt, daß sam mit eingeflochten wird. Niemand hat es besser veres nur ein eben so nichtswürdiger Aberglaube seyn konnte, standen, wie weit man in diesem Stücke auf dem Theater als wir in dem Zauberer Jsmen verachten, welcher den gehen dürfe, als Voltaire. Nachdem die empfindliche, edle Dlint antrieb, das Bild aus der Moschee wieder zu ent- Seele des Zamor, durch Beispiel und Bitten, durch Großwenden. Es entschuldigt den Dichter nicht, daß es Zeitenmuth und Ermahnungen bestürmt, und bis in das Innerste gegeben, wo ein solcher Aberglaube allgemein war, und erschüttert worden, läßt er ihn doch die Wahrheit der Re: bei vielen guten Eigenschaften bestehen konnte; daß es noch│ligion, an deren Bekennern er so viel Großes sieht, mehr Länder giebt, wo er der frommen Einfalt nichts befrem dendes haben würde. Denn er schrieb sein Trauerspiel eben so wenig für jene Zeiten, als er es bestimmte, in Böhmen oder Spanien gespielt zu werden. Der gute Schrift: steller, er sey von welcher Gattung er wolle, wenn er nicht bloß schreibt, seinen Wiß, seine Gelehrsamkeit zu zeigen, hat immer die Erleuchtetsten und Besten seiner Zeit und seines Landes in Augen, und nur was diesen gefallen, was diese rühren kann, würdigt er zu schreiben. Selbst der dramatische, wenn er sich zu dem Pöbel herabläßt, läßt sich nur darum zu ihm herab, um ihn zu erleuchten und zu bessern; nicht aber ihn in seinen Vorurtheilen, ihn in seiner unedeln Denkungsart zu bestärken.

Bweites Stück.

Den 5. Mai 1767.

Noch eine Anmerkung, gleichfalls das christliche Trauerspiel betreffend, würde über die Bekehrung der Clorinde zu machen seyn. So überzeugt wir auch immer von den unmittelbaren Wirkungen der Gnade seyn mögen, so wenig können sie uns doch auf den Theater gefallen, wo alles, was zu dem Charakter der Personen gehört, aus den natürlichsten Ursachen entspringen muß. Wunder dulden wir da nur in der physikalischen Welt; in der moralischen muß alles seinen ordentlichen Lauf behalten, weil das Theater die Schule der moralischen Welt seyn soll. Die Bewegungsgründe zu jedem Entschlusse, zu jeder Aenderung der ges ringsten Gedanken und Meinungen, müssen, nach Maaß gebung des einmal angenommenen Charakters, genau gegen einander abgewogen seyn, und jene müssen nie mehr | hervorbringen, als sie nach der strengsten Wahrheit hervorbringen können. Der Dichter kann die Kunst besigen, uns, durch Schönheiten des Detail, über Mißverhältnisse dieser Art zu täuschen; aber er täuscht uns nur einmal, und sobald wir wieder kalt werden, nehmen wir den Beifall, den er uns abgelauscht hat, zurück. Dieses auf die vierte Scene des dritten Actes angewendet, wird man finden, daß die Reden und das Betragen der Sophronia die Clorinde zwar zum Mitleiden hätten bewegen können, aber viel zu unvermögend sind, Bekehrung an einer Person zu wirken, die gar keine Anlage zum Enthusiasmus hat. Beim Tasso nimmt Clorinde auch das Christenthum an; aber in

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vermuthen als glauben. Und vielleicht würde Voltaire auch diese Vermuthung unterdrückt haben, wenn nicht zur Beruhigung des Zuschauers etwas hätte geschehen müssen.

Selbst der Polyeukt des Corneille ist, in Absicht auf beide Anmerkungen, tadelhaft; und wenn es seine Nachahmungen immer mehr geworden sind, so dürfte die erste Tragödie, die den Namen einer christlichen verdient, ohne Zweifel noch zu erwarten seyn. Ich meine ein Stück, in welchem einzig der Christ als Christ uns interessirt. — Ist ein solches Stück aber auch wohl möglich? Jst der Charakter des wahren Christen nicht etwa ganz untheatralisch? Streiten nicht etwa die stille Gelassenheit, die unveränderliche Sanftmuth, die seine wesentlichsten Züge sind, mit dem ganzen Geschäfte der Tragödie, welches Leidenschaften durch Leidenschaften zu reinigen sucht? Widerspricht nicht etwa seine Erwartung einer belohnenden Glückseligkeit nach diesem Leben, der Uneigennüßigkeit, mit welcher wir alle große und gute Handlungen auf der Bühne unternommen und vollzogen zu sehen wünschen?

Bis ein Werk des Genies, von dem man nur aus der Erfahrung lernen kann, wie viel Schwierigkeiten es zu übersteigen vermag, diese Bedenklichkeiten unwidersprech-. lich widerlegt, wäre also mein Rath: man ließe alle bisherige christliche Trauerspiele unaufgeführt. Dieser Rath, welcher aus den Bedürfnissen der Kunst hergenommen ist, welcher uns um weiter nichts, als sehr mittelmäßige Stücke bringen kann, ist darum nichts schlechter, weil er den schwächern Gemüthern zu Statten kömmt, die, ich weiß nicht welchen Schauder empfinden, wenn sie Gesinnungen, auf die sie sich nur an einer heiligern Stätte gefaßt machen, im Theater zu hören bekommen. Das Theater soll niemanden, wer es auch sey, Anstoß geben; und ich wünschte, daß es auch allem genommenen Anstoße vorbeugen könnte und wollte.

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beide davon; denn Clorinde nimmt sich mit der uneigen- | Ich ward betroffen, in dem Parterre eine allgemeine Benüßigsten Großmuth ihrer an. Cronegt aber hatte Clorin den verliebt gemacht, und da war es freilich schwer zu errathen, wie er zwei Nebenbuhlerinnen auseinander seßen wollen, ohne den Tod zu Hülfe zu rufen. In einem andern noch schlechtern Trauerspiele, wo eine von den Hauptper: fonen ganz aus heiler Haut starb, fragte ein Zuschauer seinen Nachbar: Aber woran stirbt sie denn? Woran? am fünften Acte; antwortete dieser. In Wahrheit; der fünfte Act ist eine garstige böse Staupe, die manchen hin: reißt, dem die ersten vier Acte ein weit längeres Leben versprachen.

Doch ich will mich in die Kritik des Stückes nicht tiefer einlassen. So mittelmäßig es ist, so ausnehmend ist es vorgestellt worden. Ich schweige von der äußern Pracht; denn diese Verbesserung unsers Theaters erfordert nichts als Geld. Die Künste, deren Hülfe dazu nöthig ist, sind bei uns in eben der Vollkommenheit, als in jedem andern Lande; nur die Künstler wollen eben so bezahlt seyn, wie in jedem andern Lande.

Man muß mit der Vorstellung eines Stückes zufrieden seyn, wenn unter vier, fünf Personen einige vortrefflich, und die andern gut gespielt haben. Wen in den Neben: rollen, ein Anfänger oder sonst ein Nothnagel, so sehr beleidigt, daß er über das Ganze die Nase rümpft, der reise nach Utopien, und besuche da die vollkommenen Theater, wo auch der Lichtpußer ein Garrick ist.

Herr Edhof war Evander; Evander ist zwar der Vater des Olints, aber im Grunde doch nicht viel mehr als ein Vertrauter. Indeß mag dieser Mann eine Rolle machen, welche er will; man erkennt ihn in der kleinsten noch immer für den ersten Acteur, und bedauert, auch nicht zugleich alle übrige Rollen von ihm sehen zu können. Ein ihm ganz eigenes Talent ist dieses, daß er Sittensprüche und allgemeine Betrachtungen, diese langweiligen Ausbeugungen eines verlegenen Dichters, mit einem Anstande, mit einer Innigkeit zu sagen weiß, daß das Trivialste von dieser Art in seinem Munde Neuheit und Würde, das Frostigste Feuer und Leben erhält.

Die eingestreuten Moralen sind Cronegts beste Seite. Er hat, in seinem Codrus und hier, so manche in einer so schönen nachdrücklichen Kürze ausgedrückt, daß viele von seinen Versen als Sentenzen behalten, und von dem Volke unter die im gemeinen Leben gangbare Weisheit aufge: nommen zu werden verdienen. Leider sucht er uns nur auch öfters gefärbtes Glas für Edelsteine, und wißige Antithesen für gesunden Verstand einzuschwaßen. Zwei der gleichen Zeilen, in dem ersten Acte, hatten eine besondere Wirkung auf mich. Die eine,

„Der Himmel kann verzeihn, allein ein Priester nicht.“ Die andere,

„Wer schlimm von andern denkt, ist selbst ein Bösewicht.“

wegung, und dasjenige Gemurmel zu bemerken, durch welches sich der Beifall ausdrückt, wenn ihn die Aufmerksamkeit nicht gänzlich ausbrechen läßt. Theils dachte ich: Vortrefflich! man liebt hier die Moral; dieses Parterre findet Geschmack an Maximen; auf dieser Bühne könnte sich ein Euripides Ruhm erwerben, und ein Sofrates würde sie gern besuchen. Theils fiel es mir zugleich mit auf, wie schielend, wie falsch, wie anstößig diese vermeinten Marimen wären, und ich wünschte sehr, daß die Mißbilligung an jenem Gemurmel den meisten Antheil möge gehabt haben. Es ist nur Ein Athen gewesen, es wird nur Ein Athen bleiben, wo auch bei dem Pöbel das sittliche Gefühl so fein, so zärtlich war, daß einer unlautern Moral wegen Schauspieler und Dichter Gefahr liefen, von dem Theater herabgestürmt zu werden! Ich weiß wohl, die Ge: sinnungen müssen in dem Drama dem angenommenen Charakter der Person, welche sie äußert, entsprechen; sie können also das Siegel der absoluten Wahrheit nicht haben; genug, wenn sie poetisch wahr sind, wenn wir gestehen müssen, daß dieser Charakter, in dieser Situation, bei dieser Leidenschaft, nicht anders als so habe urtheilen können. Aber auch diese poetische Wahrheit muß sich, auf einer andern Seite, der absoluten wiederum nähern, und der Dichter muß nie so unphilosophisch denken, daß er annimmt, ein Mensch könne das Böse, um des Bösen wegen, wollen, er könne nach lasterhaften Grundsäßen handeln, das Lasterhafte derselben erkennen, und doch gegen sich und andere 'damit prahlen. Ein solcher Mensch ist ein Unding, so gräßlich als ununterrichtend, und nichts als die armselige Zuflucht eines schalen Kopfes, der schimmernde Tiraden für die höchste Schönheit des Trauerspiels hält. Wenn Jsmenor ein grausamer Priester ist, sind darum alle Priester Ismenors? Man wende nicht ein, daß von Priestern einer falschen Religion die Rede sey. So falsch war noch keine in der Welt, daß ihre Lehrer nothwendig Unmenschen seyn müssen. Priester haben in den falschen Religionen, so wie in der wahren, Unheil gestiftet, aber nicht weil sie Priester, sondern weil sie Bösewichter waren, die, zum Behuf ihrer schlimmen Neigungen, die Vorrechte auch eines jeden andern Standes gemißbraucht hätten.

Wenn die Bühne so unbesonnene Urtheile über die Priester überhaupt ertönen läßt, was Wunder, wenn sich auch unter diesen Unbesonnene finden, die sie als die gerade Heerstraße zur Hölle ausschreien?

Aber ich verfalle wiederum in die Kritik des Stückes, und ich wollte von dem Schauspieler sprechen.

Drittes Stück.

Den 8. Mai 1767.

Und wodurch bewirkt dieser Schauspieler (Hr. Echof), daß wir auch die gemeinste Moral so gern von ihm hören?

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