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nur immer bemüht seyn müssen, Fehler zu bemänteln, und das Mittelmäßige geltend zu machen: so kann auch der Beste nicht anders, als in einem sehr zweideutigen Lichte erscheinen. Wenn wir ihn auch den Verdruß, den uns der Dichter verursacht, nicht mit entgelten lassen, so sind wir doch nicht aufgeräumt genug, ihm alle die Gerechtigkeit zu erweisen, die er verdient.

Den Beschluß des ersten Abends machte der Triumph der vergangenen Zeit, ein Lustspiel in einem Aufzuge, nach dem Französischen des le Grand. Es ist eines von den drei kleinen Stücken, welche le Grand unter dem allgemei nen Titel, der Triumph der Zeit, im Jahr 1724 auf die französische Bühne brachte, nachdem er den Stoff desselben, bereits einige Jahre vorher, unter der Aufschrift: die lächerlichen Verliebten, behandelt, aber wenig Beifall damit erhalten hatte. Der Einfall, der dabei zum Grunde liegt, ist drollig genug, und einige Situationen sind sehr lächerlich. Nur ist das Lächerliche von der Art, wie es sich mehr für eine satyrische Erzählung, als auf die Bühne schickt. Der Sieg der Zeit über die Schönheit und Jugend macht eine traurige Idee; die Einbildung eines sechzigjährigen Geds und einer eben so alten Närrin, daß die Zeit nur über ihre Reize keine Gewalt sollte gehabt haben, ist zwar lächerlich; aber diesen Geck und diese Närrin selbst zu sehen, ist eckelhafter als lächerlich.

Sechstes Stück.

Den 19. Mai 1767.

Noch habe ich der Anreden an die Zuschauer, vor und nach dem großen Stücke des ersten Abends, nicht gedacht. Sie schreiben sich von einem Dichter her, der es mehr als irgend ein anderer versteht, tiefsinnigen Verstand mit Wit aufzuheitern, und nachdenklichem Ernste die gefällige Miene des Scherzes zu geben. Womit könnte ich diese Blätter besser auszieren, als wenn ich sie meinen Lesern ganz mittheile? Hier sind sie. Sie bedürfen keines Commentars. Ich wünsche nur, daß manches darin nicht in den Wind gesagt sey!

Sie wurden beide ungemein wohl, die erstere mit alle dem Anstande und der Würde, und die andere mit alle der Wärme und Feinheit und einschmeichelnden Verbindlichkeit gesprochen, die der besondere Inhalt einer jeden erforderte.

Prolog.

(Gesprochen von Madame Löwen.)

Ihr Freunde, denen hier das mannichfache Spiel Des Menschen in der Kunst der Nachahmung gefiel: Ihr, die ihr gerne weint, ihr weichen, bessern Seelen, Wie schön, wie edel ist die Lust, sich so zu quälen; Wenn bald die süße Thrän', indem das Herz erweicht, In Zärtlichkeit zerschmilzt, still von den Wangen schleicht, Bald die bestürmte Seel', in jeder Nerv' erschüttert, Im Leiden Wollust fühlt, und mit Vergnügen zittert!

O sagt, ist diese Kunst, die so Eu'r Herz zerschmelzt,
Der Leidenschaften Strom so durch Eu'r Innres wälzt,
Vergnügend, wenn sie rührt, entzückend, wenn sie schrecket,
Zu Mitleid, Menschenlieb', und Edelmuth erwecket,
Die Sittenbilderin, die jede Tugend lehrt,
Ist die nicht Eurer Gunst und Eurer Pflege werth?
Die Fürsicht sendet sie mitleidig auf die Erde,
Zum Besten des Barbars, damit er menschlich werde;
Weiht sie, die Lehrerin der Könige zu seyn,
Mit Würde, mit Genie, mit Feu'r vom Himmel ein;
Heißt sie, mit ihrer Macht, durch Thränen zu ergößen,
Das stumpfeste Gefühl der Menschenliebe weßen;
Durch süße Herzensangst und angenehmes Graun
Die Bosheit bändigen, und an den Seelen baun;
Wohlthätig für den Staat, den Wüthenden, den Wilden,
Zum Menschen, Bürger, Freund, und Patrioten bilden.
Geseze stärken zwar der Staaten Sicherheit,
Als Ketten an der Hand der Ungerechtigkeit;
Doch deckt noch immer List den Bösen vor dem Richter,
Und Macht wird oft der Schuß erhakner Bösewichter.
Wer rächt die Unschuld dann? Weh dem gedrückten Staat,
Der, statt der Tugend, nichts, als ein Geseßbuch hat!
Gesche, nur ein Zaum der offenen Verbrechen,
Geseße, die man lehrt des Hasses Urtheil sprechen,
Wenn ihnen Eigennut, Stolz und Parteil chkeit
Für eines Solons Geist, den Geist der Drückung leiht!
Da lernt Bestechung bald, um Strafen zu entgehen,
Das Schwert der Majestät aus ihren Händen drehen:
Da pflanzet Herrschbegier, sich freuend des Verfalls
Der Redlichkeit, den Fuß der Freiheit auf den Hals.
Läßt den, der sie vertritt, in Schimpf und Banden
schmachten,

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Und das blutschuld'ge Beil der Themis Unschuld schlachten!
Wenn der, den kein Geseß straft oder strafen kann,
Der schlaue Bösewicht, der blutige Tyrann,
Wenn der die Unschuld drückt, wer wagt es, sie zu decken?
Den sichert tiefe List, und diesen waffnet Schrecken.
Wer ist ihr Genius, der sich entgegen legt?
Wer? Sie, die jezt den Dolch, und jezt die Geißel trät,
Die unerschrockne Kunst, die allen Mißgestalten
Strafloser Thorheit wagt den Spiegel vorzuhalten;
Die das Geweb' enthüllt, worin sich List verspinnt,
Und den Tyrannen sagt, daß sie Tyrannen sind;
Die, ohne Menschenfurcht, vor Thronen nicht erblödet,
Und mit des Donners Stimm' ans Herz der Fürsten redet;
Gekrönte Mörder schreckt, den Ehrgeiz nüchtern macht;
Den Heuchler züchtiget und Thoren klüger lacht;
Sie, die zum Unterricht die Todten läßt erscheinen,
Die große Kunst, mit der wir lachen, oder weinen.
Sie fand in Griechenland Schuß, Lieb' und Lehrbegier
In Rom, in Gallien, in Albion, und — hier.
Ihr, Freunde, habt hier oft, wenn ihre Thränen flossen,
Mit edler Weichlichkeit die Euren mit vergossen;
Habt redlich Euren Schmerz mit ihrem Schmerz vereint,
Und ihr aus voller Brust den Beifall zugeweint:
Wie sie gehaßt, geliebt, gehoffet, und gescheuet,
Und Eurer Menschlichkeit im Leiden Euch erfreuet.
Lang hat sie sich umsonst nach Bühnen umgesehn:

In Hamburg fand sie Schuß: hier sch denn ihr Athen!
hier, in dem Schooß der Ruh, im Schuße weiser Gönner,
Gemuthiget durch Lob, vollendet durch den Kenner;
Hier reifet — ja ich wünsch', ich hoff', ich weissag' es,
Ein zweiter Roscius, ein zweiter Sophokles,
Der Gräciens Kothurn Germanien erneure:
Und ein Theil dieses Ruhms, ihr Gönner, wird der Eure.
Dschd desselben werth! Bleibt Eurer Güte gleich,
Und denkt, o denkt daran, ganz Deutschland sieht auf Euch!
Epilog.

(Gesprochen von Madame Hensel.)

Seht hier! so standhaft stirbt der überzeugte Christ!
So lieblos hasset der, dem Irrthum nüßlich ist,
Der Barbarei bedarf, damit er seine Sache,
Sein Ansehn, seinen Traum zu Lehren Gottes mache.
Der Geist des Irrthums war Verfolgung und Gewalt,
Wo Blindheit für Verdienst, und Furcht für Andacht galt.
So konnt er sein Gespinnst von Lügen, mit den Blißen
Der Majestät, mit Gift, mit Meuchelmord beschüßen.
Wo Ueberzeugung fehlt, macht Furcht den Mangel gut:
Die Wahrheit überführt, der Irrthum fordert Blut.
Verfolgen muß man die und mit dem Schwert bekehren,
Die anders Glaubens find, als die Jsmenors lehren.
Und mancher Aladin sieht staatsklug oder schwach
Dem schwarzen Blutgericht der heilgen Mörder nach,
Und muß mit seinem Schwert den, welchen Träumer hassen,
Den Freund, den Märtyrer der Wahrheit würgen lassen.
Abscheulichs Meisterstück der Herrschsucht und der List,
Wofür kein Name hart, kein Schimpfwort lieblos ist!
Lehre, die erlaubt, die Gottheit selbst mißbrauchen,
In ein unschuldig Herz des Haffes Dolch zu tauchen,
Dich, die ihr Blutpanier oft über Leichen trug,
Dich, Gräuel, zu verschmähn, wer leiht mir einen Fluch!
Ihr Freund', in deren Bruft der Menschheit edle Stimme
Laut für die Heldin sprach, als sie dem Priestergrimme
Ein schuldlos Opfer ward, und für die Wahrheit sank:
Habt Dank für dieß Gefühl, für jede Thräne Dank!
Wer irrt, verdient nicht Zucht des Hasses oder Spottes:
Was Menschen hassen lehrt, ist keine Lehre Gottes!
Ach! liebt die Jrrenden, die ohne Bosheit blind,

Zwar Schwächere vielleicht, doch immer Menschen sind.
Belehret, duldet sie; und zwingt nicht die zu Thränen,
Die sonst kein Vorwurf trifft, als daß sie anders wähnen.
Rechtschaffen ist der Mann, den, seinem Glauben treu,
Nichts zur Verstellung zwingt, zu böser Heuchelei;
Der für die Wahrheit glüht, und, nie durch Furcht gezügelt,
Sie freudig, wie Olint, mit seinem Blut versiegelt.
Solch Beispiel, edle Freund', ist Eures Beifalls werth:
wohl uns! hätten wir, was Cronegk schön gelehrt,
Gedanken, die ihn selbst so sehr veredelt haben,
Durch unsre Vorstellung tief in Eu'r Herz gegraben!
Des Dichters Leben war schön, wie sein Nachruhm ist;
Er war, und o verzeiht die Thrän! und starb ein
Christ.

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Denn seiner Asche nicht, was ihr mit Recht gebührt,
Den Seufzer, daß er starb, den Dank für seine Lehre,
Und ach! den traurigen Tribut von einer Zähre.
Uns aber, edle Freund', ermuntre Gütigkeit;
Und hätten wir gefehlt, so tadelt; doch verzeiht.
Verzeihung muthiget zu edelerm Erkühnen,
Und seiner Tadel lehrt, das höchste Lob verdienen.
Bedenkt, daß unter uns die Kunst nur kaum beginnt,
In welcher tausend Quins für einen Garrick find;
Erwartet nicht zu viel, damit wir immer steigen,
Und doch nur Euch gebührt zu richten, uns zu schweigen.
Siebentes Stück.

Den 22. Mai 1767.

Der Prolog zeigt das Schauspiel in seiner höchsten Würde, indem er es als das Supplement der Gefeße betrachten läßt. Es giebt Dinge in dem sittlichen Betragen des Menschen, welche, in Ansehung ihres unmittelbaren Einflusses auf das Wohl der Gesellschaft, zu unbeträchtlich, und in sich selbst zu veränderlich sind, als daß sie werth oder fähig wären, unter der eigentlichen Aufsicht des Gesezes zu stehen. Es giebt wiederum andere, gegen die alle Kraft der Legislation zu kurz fällt; die in ihren Triebfedern so unbegreiflich, in sich selbst so ungeheuer, in ihren Folgen so unermeßlich sind, daß sie entweder der Ahndung der Geseze ganz entgehen, oder doch unmöglich nach Verdienst geahndet werden können. Ich will es nicht unternehmen, auf die erstern, als auf Gattungen des Lächerlichen, die Komödie; und auf die andern, als auf außerordentliche Erscheinungen in dem Reiche der Sitten, welche die Vernunft in Erstaunen, und das Herz in Tumult seßen, die Tragödie einzuschränken. Das Genie lacht über alle dic Gränzscheidungen der Kritik. Aber so viel ist doch unstreitig, daß das Schauspiel überhaupt seinen Vorwurf entweder diesseits oder jenseits der Gränzen des Gescßes wählet, und die eigentlichen Gegenstände desselben nur in so fern be handelt, als sie sich entweder in das Lächerliche verlieren, oder bis in das Abscheuliche verbreiten.

Der Epilog verweilt bei einer von den Hauptlehren, auf welche ein Theil der Fabel und Charaktere des Trauer: spiels mit abzwecken. Es war zwar von dem Herrn von Cronegt ein wenig unüberlegt, in einem Stücke, dessen Stoff aus den unglüdlichen Zeiten der Kreuzzüge genommen ist, die Toleranz predigen, und die Abscheulichkeiten des Geistes der Verfolgung an den Bekennern der mahomedanischen Religion zeigen zu wollen. Denn diese Kreuzzüge selbst, die in ihrer Anlage ein politischer Kunstgriff der Päpste waren, wurden in ihrer Ausführung die unmensch)lichsten Verfolgungen, deren sich der christliche Aberglaube jemals schuldig gemacht hat; die meisten und blutgierigsten Ismenors hatte damals die wahre Religion; und einzelne Personen, die eine Moschee beraubt haben, zur Strafe ziehen, kömmt das wohl gegen die unselige Raserei, welche das rechtgläubige Europa entvölkerte, um das ungläubige

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Asien zu verwüsten? Doch was der Tragicus in seinem Werke sehr unschicklich angebracht hat, das konnte der Dichter des Epilogs gar wohl auffassen. Menschlichkeit und Sanft: muth verdienen bei jeder Gelegenheit empfohlen zu werden, und kein Anlaß dazu kann so entfernt seyn, den wenigstens unser Herz nicht sehr natürlich und dringend finden sollte. Uebrigens stimme ich mit Vergnügen dem rührenden Lobe bei, welches der Dichter dem seligen Cronegt ertheilt. Aber ich werde mich schwerlich bereden lassen, daß er mit mir, über den poetischen Werth des kritisirten Stückes, nicht ebenfalls einig seyn sollte. Ich bin sehr betroffen gewesen, als man mich versichert, daß ich verschiedene von meinen Lesern durch mein unverhohlenes Urtheil unwillig gemacht hatte. Wenn ihnen bescheidene Freiheit, bei der sich durchaus keine Nebenabsichten denken lassen, mißfällt, so laufe ich Gefahr, fie noch oft unwillig zu machen. Ich habe gar nicht die Absicht gehabt, ihnen die Lesung eines Dichters zu verleiden, den ungekünstelter Wig, viel feine Empfindung und die lauterste Moral empfehlen. Diese Eigenschaften werden ihn jederzeit schäzbar machen, ob man ihm schon andere absprechen muß, zu denen er entweder gar keine Anlage hatte, oder die zu ihrer Reise gewisse Jahre erfor dern, weit unter welchen er starb. Sein Codrus ward von den Verfassern der Bibliothek der schönen Wissenschaften gekrönt, aber wahrlich nicht als ein gutes Stück, sondern als das beste von denen, die damals um den Preis stritten. Mein Urtheil nimmt ihm also keine Ehre, die ihm die Kritik damals ertheilet. Wenn Hinkende um die Wette laufen, so bleibt der, welcher von ihnen zuerst an das Ziel kömmt, doch noch ein hinkender.

Eine Stelle in dem Epilog ist einer Mißdeutung aus: gesezt gewesen, von der sie gerettet zu werden verdient. Der Dichter sagt:

,,Bedenkt, daß unter uns die Kunst nur kaum beginnt, „In welcher tausend Quins für einen Garrick find.“

Quin, habe ich dawider erinnern hören, ist kein schlechter Schauspieler gewesen. Nein, gewiß nicht; er war Thom sons besonderer Freund, und die Freundschaft, in der ein Schauspieler mit einem Dichter, wie Thomson, gestanden, wird bei der Nachwelt immer ein gutes Vorurtheil für seine Kunst erwecken. Auch hat Quin noch mehr, als dieses Vorurtheil für sich: man weiß, daß er in der Tragödie mit vieler Würde gespielt; daß er besonders der erhabenen Sprache des Milton Genüge zu leisten gewußt; daß er, im Komischen, die Rolle des Fallstaff zu ihrer größten Vollkommenheit ge= bracht. Doch alles dieses macht ihn zu keinem Garrick; und das Mißverständniß liegt bloß darin, daß man annimmt, der Dichter habe diesem allgemeinen und außerordentlichen Schauspieler einen schlechten, und für schlecht durchgängig erkannten, entgegenseßen wollen. Quin soll hier einen von. der gewöhnlichen Sorte bedeuten, wie man sie alle Tage fiebt; einen Mann, der überhaupt seine Sache so gut weg

macht, daß man mit ihm zufrieden ist; der auch diesen und jenen Charakter ganz vortrefflich spielt, so wie ihm seine Figur, seine Stimme, sein Temperament dabei zu Hülfe kommen. So ein Mann ist sehr brauchbar, und kann mit allem Rechte ein guter Schauspieler heißen; aber wie viel fehlt ihm noch, um der Proteus in seiner Kunst zu seyn, für den das einstimmige Gerücht schon längst den Garrid erklärt hat. Ein solcher Quin machte, ohne Zweifel, den König im Hamlet, als Thomas Jones und Rebhuhn in der Komödie waren; und der Rebhuhne giebt es mehrerc, die nicht einen Augenblick anstehen, ihn einem Garrick weit vorzuziehen. „Was? sagen sie, Garrick der größte Acteur? Er schien ja nicht über das Gespenst erschrocken, sondern er war es. Was ist das für eine Kunst, über ein Gespenst zu erschrecken? Gewiß und wahrhaftig, wenn wir den Geist gesehen hätten, so würden wir eben so ausgesehen, und eben das gethan haben, was er that. Der andere hingegen, der König, schien wohl auch etwas gerührt zu seyn, aber als ein guter Acteur gab er sich doch alle mögliche Mühe, es zu verbergen. Zudem sprach er alle Worte so deutlich aus, und redete noch einmal so laut, als jener kleine unansehnliche Mann, aus dem ihr so ein Aufhebens macht!“

Bei den Engländern hat jedes neue Stück seinen Prolog und Epilog, den entweder der Verfasser selbst, oder ein Freund desselben, abfaßt. Wozu die Alten den Prolog brauchten, den Zuhörer von verschiedenen Dingen zu unter: richten, die zu einem geschwindern Verständnisse der zum Grunde liegenden Geschichte des Stückes dienen, dazu brauchen sie ihn zwar nicht. Aber er ist darum doch nicht ohne Nußen. Sie wissen hunderterlei darin zu sagen, was das Auditorium für den Dichter, oder für den von ihm bearbeiteten Stoff einnehmen, und unbilligen Kritiken, sowohl über ihn als über die Schauspieler, vorbauen kann. Noch weniger bedienen sie sich des Epilogs, so wie sich wohl Plautus dessen manchmal bedienet, um die völlige Auflösung des Stücks, die in dem fünften Acte nicht Raum hatte, darin erzählen zu lassen. Sondern sie machen ihn zu einer Art von Nuzanwendung, voll guter Lehren, voll feiner Bemerkungen über die geschilderten Sitten, und über die Kunst, mit der sie geschildert worden; und das alles in dem schnurrigsten, launigsten Tone. Diesen Ton ändern sie auch nicht einmal gern bei dem Trauerspiele; und es ist gar nichts ungewöhnliches, daß nach dem blutigsten und rührendsten die Satyre ein so lautes Gelächter aufschlägt, und der Wit so muthwillig wird, daß es scheint, es sey die ausdrückliche Absicht, mit allen Eindrücken des Guten ein Gespötte zu treiben. Es ist bekannt, wie sehr Thomson wider diese Narrenschelle, mit der man der Melpomene nachklingelt, geeifert hat. Wenn ich daher wünschte, daß auch bei uns neue Originalstücke, nicht ganz ohne Einführung und Empfehlung, vor das Publicum gebracht würden, so versteht es sich von selbst, daß bei dem Trauerspiele der Ton des Epilogs unserm deutschen Ernste angemessener

seyn müßte. Nach dem Lustspiele könnte er immer so bur lesk seyn, als er wollte. Dryden ist es, der bei den Engländern Meisterstücke von dieser Art gemacht hat, die noch jezt mit dem größten Vergnügen gelesen werden, nachdem die Spiele selbst, zu welchen er sie verfertigt, zum Theil längst vergessen sind. Hamburg hätte einen deutschen Dryden in der Nähe; und ich brauche ihn nicht noch einmal zu bezeichnen, wer von unsern Dichtern Moral und Kritik mit attischem Salze zu würzen, so gut als der Engländer verstehen würde.

Achtes Stück.

Den 26. Mai 1767.

Die Vorstellungen des ersten Abends wurden den zweiten wiederholt.

Den dritten Abend (Freitags, den 24. v. M.) ward Melanide aufgeführt. Dieses Stück des Nivelle de la Chauffee ist bekannt. Es ist von der rührenden Gattung, der man den spöttischen Beinamen, der Weinerlichen, gegeben. Wenn weinerlich heißt, was uns die Thränen nahe bringt, wobei wir nicht übel Lust hätten zu weinen, so sind verschiedene Stücke von dieser Gattung etwas mehr, als weinerlich; sie kosten einer empfindlichen Seele Ströme von Thränen; und der gemeine Praß französischer Trauerspiele verdient, in Vergleichung ihrer, allein weinerlich genannt zu werden. Denn eben bringen sie es ungefähr so weit, daß uns wird, als ob wir hätten weinen können, wenn der Dichter seine Kunst besser verstanden hätte.

Melanide ist kein Meisterstück von dieser Gattung; aber man sieht es doch immer mit Vergnügen. Es hat sich, selbst auf dem französischen Theater, erhalten, auf welchem es im Jahre 1741 zuerst gespielt ward. Der Stoff, sagt man, sey aus einem Roman, Mademoiselle de Bontems betitelt, entlehnt. Ich kenne diesen Roman nicht; aber wenn auch die Situation der zweiten Scene des dritten Acts aus ihm genommen ist, so muß ich einen Unbekann ten, anstatt des de la Chaussee, um das beneiden, weß wegen ich wohl, eine Melanide gemacht zu haben, wünschte.

Die Uebersehung war nicht schlecht; sie ist unendlich besser, als eine italienische, die in dem zweiten Bande der theatralischen Bibliothek des Diodati steht. Ich muß es zum Troste des größten Haufens unserer Ueberseßer an führen, daß ihre italienischen Mitbrüder meistentheils noch weit elender sind, als sie. Gute Verse indeß in gute Prosa überseßen, erfordert etwas mehr, als Genauigkeit; oder ich möchte wohl sagen, etwas anders. Allzu pünktliche Treue macht jede Uebersehung steif, weil unmöglich alles, was in der einen Sprache natürlich ist, es auch in der andern seyn kann. Aber eine Ueberseßung aus Versen macht sie zugleich wässrig und schielend. Denn wo ist der glückliche Versificateur, den nie das Sylbenmaaß, nie der Reim, hier etwas mehr oder weniger, dort etwas stärker

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oder schwächer, früher oder später, sagen ließe, als er es, frei von diesem Zwange, würde gesagt haben? Wenn nun der Ueberseßer dieses nicht zu unterscheiden weiß; wenn er nicht Geschmack, nicht Muth genug hat, hier einen Nebenbegriffs wegzulassen, da statt der Metapher den eigentlichen Ausdruck zu seßen, dort eine Ellipsis zu ergänzen oder anzubringen: so wird er uns alle Nachlässigkeiten seines Originals überliefert, und ihnen nichts als die Entschuldigung benommen haben, welche die Schwierigkeiten der Symmetrie und des Wohlklanges in der Grundsprache für sie machen.

Die Rolle der Melanide ward von einer Actrice gespielt, die, nach einer neunjährigen Entfernung vom Theater, aufs neue in allen den Vollkommenheiten wieder erschien, die Kenner und Nichtkenner, mit und ohne Einsicht, ehedem an ihr empfunden und bewundert hatten. Madame Löwen verbindet mit dem silbernen Tone der sonorsten lieblichsten Stimme, mit dem offensten, ruhigsten und gleichwohl ausdrudfähigsten Gesichte von der Welt das feinste, schnellste Gefühl, die sicherste, wärmste Empfindung, die sich, zwar nicht immer so lebhaft, als es viele wünschen, doch allezeit mit Anstand und Würde äußert. In ihrer Declamation accentuirt sie richtig, aber nicht merklich. Der gänzliche Mangel intensiver Accente verursacht Monotonie; aber ohne ihr diese vorwerfen zu können, weiß sie dem sparsamern Gebrauche derselben durch eine andere Feinheit zu Hülfe zu kommen, von der, leider! sehr viele Acteurs ganz und gar nichts wissen. Ich will mich erklären. Man weiß, was in der Musik das Mouvement heißt; nicht der Takt, sondern der Grad der Langsamkeit oder Schnelligkeit, mit welchen der Takt gespielt wird. Dieses Mouvement ist durch das ganze Stück einförmig; in dem nämlichen Maaße der Geschwindigkeit, in welchem die ersten Talte gespielt worden, müssen sie alle, bis zu den leßten, gespielt wer den. Diese Einförmigkeit ist in der Musil nothwendig, weil Ein Stück nur einerlei ausdrücken kann, und ohne dieselbe gar keine Verbindung verschiedener Instrumente und Stimmen möglich seyn würde. Mit der Declamation hingegen ist es ganz anders. Wenn wir einen Perioden von mehreren Gliedern als ein besonderes musikalisches Stück annehmen, und die Glieder als die Takte desselben betrachten, so müssen diese Glieder, auch alsdann, wenn sie vollkommen gleicher Länge wären, und aus der nämlichen Anzahl von Sylben des nämlichen Zeitmaaßes bes stünden, dennoch nie mit einerlei Geschwindigkeit gesprochen werden. Denn da sie, weder in Absicht auf die Deutlichkeit und den Nachdruck, noch in Rücksicht auf den in dem ganzen Perioden herrschenden Affect, von einerlei Werth und Belang seyn können: so ist es der Natur gemäß, daß die Stimme die geringfügigern schnell herausstößt, flüchtig und nachlässig darüber hinschlüpft; auf den beträchtlichern aber verweilt, sie dehnt und schleift, und jedes Wort, und in jedem Worte jeden Buchstaben uns zuzählt. Die Grade dieser Verschiedenheit sind unendlich; und ob sie sich schon

durch keine künstliche Zeittheilchen bestimmen und gegen einander abmessen lassen, so werden sie doch auch von dem ungelehrtesten Dhre unterschieden, so wie von der unge lehrtesten Zunge beobachtet, wenn die Rede aus einem durchdrungenen Herzen, und nicht bloß aus einem fertigen. Gedächtnisse fließt. Die Wirkung ist unglaublich, die dieses beständig abwechselnde Mouvement der Stimme hat; und werden vollends alle Abänderungen des Tones, nicht bloß in Ansehung der Höhe und Tiefe, der Stärke und Schwäche, sondern auch des Rauhen und Sanften, des Schneidenden und Runden, sogar des Holprichten und Geschmeidigen, an den rechten Stellen, damit verbunden: so entsteht jene. natürliche Musik, gegen die sich unfehlbar unser Herz eröffnet, weil es empfindet, daß sie aus dem Herzen entspringt, und die Kunst nur in so fern daran Antheil hat, als auch die Kunst zur Natur werden kann. Und in dieser Musik, sage ich, ist die Actrice, von welcher ich spreche, ganz vortrefflich, und ihr niemand zu vergleichen, als Herr Echof, der aber, indem er die intensives Accente auf ein zelne Worte, worauf sie sich weniger befleißigt, noch hinzufügt, bloß dadurch seiner Declamation eine höhere Vollkommenheit zu geben im Stande ist. Doch vielleicht hat sie auch diese in ihrer Gewalt; und ich urtheile bloß so von ihr, weil ich sie noch in keinen Rollen gesehen, in welchen sich das Rührende zum Pathetischen erhebt. Ich erwarte sie in dem Trauerspiele, und fahre indeß in der Geschichte unsers Theaters fort.

Den vierten Abend (Montags, den 27. v. M.) ward ein neues deutsches Original, betitelt Julie, oder Wettstreit der Pflicht und Liebe, aufgeführt. Es hat den Hrn. Heufeld in Wien zum Verfasser, der uns sagt, daß bereits zwei andere Stücke von ihm den Beifall des dor: tigen Publicums erhalten hätten. Ich kenne sie nicht; aber nach dem gegenwärtigen zu urtheilen, müssen sie nicht ganz schlecht seyn.

Die Hauptzüge der Fabel und der größte Theil der Situationen sind aus der Neuen Heloise des Rousseau entlehnt. Ich wünschte, daß Hr. Heufeld, ehe er zu Werke geschritten, die Beurtheilung dieses Romans in den Briefen, die neueste Literatur betreffend, 1 gelesen und studirt hätte. Er würde mit einer sicherern Einsicht in die Schönheiten sei-❘ nes Originals gearbeitet haben, und vielleicht in vielen Stücken glücklicher gewesen seyn.

Der Werth der Neuen Heloise ist, von der Seite der Erfindung, sehr gering, und das Beste darin ganz und gar keiner dramatischen Bearbeitung fähig. Die Situationen sind alltäglich oder unnatürlich, und die wenig guten so weit von einander entfernt, daß sie sich, ohne Gewaltsamkeit, in den engen Raum eines Schauspiels von drei Aufzügen nicht zwingen lassen. Die Geschichte konnte sich auf der Bühne unmöglich so schließen, wie sie sich in dem Romane nicht sowohl schließt, als verliert. Der Licbhaber 1 Theil X. S. 255 u. f. (Von M. Mendelssohn.)

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der Julie mußte hier glücklich werden, und Hr. Heufeld läßt ihn glücklich werden. Er bekommt seine Schülerin. Aber hat Hr. Heufeld auch überlegt, daß seine Julie nun gar nicht mehr die Julie des Rousseau ist? Doch Julie des Rousseau, oder nicht: wem liegt daran? Wenn sie nur sonst eine Person ist, die interessirt. Aber eben das ist sie nicht; sie ist nichts, als eine kleine verliebte Närrin, die manchmal artig genug schwaßt, wenn sich Hr. Heufeld auf eine schöne Stelle im Rousseau besinnt. „Julie, sagt der Kunstrichter, dessen Urtheils ich erwähnt habe, spielt in der Geschichte eine zweifache Rolle. Sie ist Anfangs ein schwaches und sogar etwas verführerisches Mädchen, -und wird zulegt ein Frauenzimmer, das, als ein Muster der Tugend, alle, die man jemals erdichtet hat, weit übertrifft." Dieses lettere wird sie durch ihren Gehorsam, durch die Aufopferung ihrer Liebe, durch die Gewalt, die sie über ihr Herz gewinnt. Wenn nun aber von allen diesen in dem Stücke nichts zu hören und zu sehen ist: was bleibt von ihr übrig, als, wie gesagt, das schwache verführerische Mädchen, das Tugend und Weisheit auf der Zunge, und Thorheit im Herzen hat?

Den St. Preux des Rousseau hat Hr. Heufeld in einen Siegmund umgetauft. Der Name Siegmund schmeckt bei uns ziemlich nach dem Domestiquen. Ich wünschte, daß unsere dramatischen Dichter auch in solchen Kleinigkeiten ein wenig gesuchter, und auf den Ton der großen Welt aufmerksamer seyn wollten. St. Preux spielt schon bei dem Rousseau eine sehr abgeschmackte Figur. „Sie nennen ihn alle, sagt der angeführte Kunstrichter, den Philosophen. Den Philosophen! Ich möchte wissen, was der junge Mensch in der ganzen Geschichte spricht oder thut, dadurch er diesen Namen verdient? In meinen Augen ist er der albernste Mensch von der Welt, der in allgemeinen Ausrufungen Vernunft und Weisheit bis in den Himmel erhebt, und nicht den geringsten Funken davon besißt. In seiner Liebe ist er abenteuerlich, schwülstig, ausgelassen, und in seinem übrigen Thun und Lassen findet sich nicht die geringste Spur von Ueberlegung. Er seßt das stolzeste Zutrauen in seine Vernunft, und ist dennoch nicht ent= schlossen genug, den kleinsten Schritt zu thun, ohne von seiner Schülerin, oder von seinem Freunde an der Hand geführt zu werden.“ Aber wie tief ist der deutsche Siegmund noch unter diesem St. Preux!

Neuntes Stück.

Den 29. Mai 1767.

In dem Romane hat St. Preux doch noch dann und wann Gelegenheit, seinen aufgeklärten Verstand zu zeigen, und die thätige Rolle des rechtschaffenen Mannes zu spielen. Aber Siegmund in der Komödie ist weiter nichts, als ein fleiner eingebildeter Pedant, der aus seiner Schwachheit eine Tugend macht, und sich sehr beleidigt findet, daß man

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