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Ευριπίδης δε οίοι είσι. 1 Der Ginn biervon ift biefer : „Sophokles hatte durch seinen ausgebreitetern Umgang mit Menschen die eingeschränkte enge Vorstellung, welche aus ,,der Betrachtung einzelner Charaktere entsteht, in einen vollständigen Begriff des Geschlechts erweitert; der ,,philosophische Euripides hingegen, der seine meiste Zeit „in der Akademie zugebracht hatte und von da aus das Leben übersehen wollte, hielt seinen Blick zu sehr auf das

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senkte das Geschlecht in das Individuum und malte folg„lich, den vorhabenden Gegenständen nach, seine Charak,,tere zwar natürlich und wahr, aber auch dann und wann ,,ohne die höhere allgemeine Aehnlichkeit, die zur Vollen,,dung der poetischen Wahrheit erfordert wird. 2

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„Ein Einwurf stößt gleichwohl hier auf, den wir nicht ,,unangezeigt lassen müssen. Man könnte sagen, daß philosophische Speculationen die Begriffe eines Menschen ,, eher abstract und allgemein machen, als sie auf das Individuelle einschränken müßten. Das letztere „sey ein Mangel, welcher aus der kleinen Anzahl von ,,Gegenständen entspringe, die den Menschen zu betrachten. ,,vorkommen, und diesem Mangel sey nicht allein dadurch

abzuhelfen, daß man sich mit mehrern Individuen bes „kannt mache, als worin die Kenntniß der Welt bestehe; ,,sondern auch dadurch, daß man über die allgemeine „Natur der Menschen nachdenke, so wie sie in guten

„der eigenen und besondern Wahrheit entfernt, desto ge= „treuer die allgemeine Wahrheit nachahmt. Und hieraus „ergiebt sich die Antwort auf jenen spizfindigen Einwurf,,,Einzelne, auf wirklich existirende Personen geheftet, vers „den Plato gegen die Poesie ausgegrübelt hatte und nicht „ohne Selbstzufriedenheit vorzutragen schien. Nämlich, „daß die poetische Nachahmung uns die Wahrheit nur sehr von weitem zeigen könne. Denn der poetische Aus„druck, sagt der Philosoph, ist das Abbild von des Dichters eigenen Begriffen; die Begriffe des „Dichters sind das Abbild der Dinge, und die Dinge das Abbild des Urbildes, welches in dem göttlichen Verstande existirt. Folglich ist „der Ausdruck des Dichters nur das Bild von „dem Bilde eines Bildes, und liefert uns ur„sprüngliche Wahrheit nur gleichsam aus der dritten Hand. 2 Aber alle diese Vernünftelei fällt „weg, sobald man die nur gedachte Regel des Dichters ge: hörig faßt und fleißig in Ausübung bringt. Denn in„dem der Dichter von dem Wesen alles absondert, was allein das Individuum angeht und unterscheidet, über„springt sein Begriff gleichsam alle die zwischen inne liegen,moralischen Büchern gelehrt werde. Denn die Verfasser „den besondern Gegenstände und erhebt sich so viel möglich „zu dem göttlichen Urbilde, um so das unmittelbare Nach | „bild der Wahrheit zu werden. Hieraus lernt man denn „auch einsehen, was und wie viel jenes ungewöhnliche Lob, welches der große Kunstrichter der Dichtkunst ertheilt, sagen wolle: daß sie, gegen die Geschichte ges „nommen, das ernstere und philosophischere „Studium sey: podporo na rovdarov μποιησις ίςοριας έξιν. Die urface, welde gleid barauf folgt, ist nun gleichfalls sehr begreiflich: ev yap ηποιησις μαλλον τα καθολου, ἡ δ' ίξορια τα καθ' έκαςον „Aɛyet. 3 Ferner wird hieraus ein wesentlicher Unterschied „deutlich, der sich, wie man sagt, zwischen den zwei großen Nebenbuhlern der griechischen Bühne soll befunden haben. „Wenn man dem Sophokles vorwarf, daß es seinen Cha„rakteren an Wahrheit fehle, so pflegte er sich damit zu „verantworten, daß er die Menschen so schildere, wie sie seyn sollten, Euripides aber so, wie sie mmären. Σοφοκλης έφη, αύτος μεν οίους δει ποιειν,

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1 Nach Maaßgebung der Antiken. Nec enim Phidias, cum faceret Jovis formam aut Minervae, contemplabatur aliquem e quo similitudinem duceret; sed ipsius in mente insidebat species pulchritudinis eximia quaedam, quam intuens in eaque defixus ad illius similitudinem artem et manum dirigebat (Cic. Or. 2.).

2 Plato de Repl. L. X.

3 Dichtkunst, Nap. 9.

solcher Bücher hätten ihren allgemeinen Begriff von der „menschlichen Natur nicht anders als aus einer ausgebrei ,,teten Erfahrung (es sey nun ihrer eigenen, oder fremden) „haben können, ohne welche ihre Bücher sonst von keinem ,,Werthe seyn würden." Die Antwort hierauf, dünkt mich, „ist diese. Durch Erwägung der allgemeinen Natur des Menschen lernt der Philosoph, wie die Handlung beschaffen seyn muß, die aus dem Ueberge„wichte gewisser Neigungen und Eigenschaften entspringt; „das ist, er lernt das Betragen überhaupt, welches der

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1 Dichtkunst, Kap. 25.

2 Diese Erklärung ist der, welche Dacier von der Stelle des Aris stoteles giebt, weit vorzuziehen. Nach den Worten der Uebersehung scheint Dacier zwar eben das zu sagen, was Hurd fagt: que Sophocle faisoit ses Héros, comme ils devoient être et qu'Euripide les faisoit comme ils étoient. Aber er verbindet im Grunde einen ganz andern Begriff damit. Hurd versteht unter dem Wie sie seyn sollten die allgemeine abstracte Jdee des Geschlechts, nach welcher der Dichter seine Personen mehr als nach ihren individuellen Vers schiedenheiten schildern müsse. Dacier aber denkt sich dabei eine höhere moralische Vollkommenheit, wie sie der Mensch zu erreichen fähig sey, ob er sie gleich nur selten erreiche; und diese, sagt er, habe Sophokles seinen Personen gewöhnlicher Weise beigelegt: Sophocle tâchoit de rendre ses imitations parfaites, en suivant toujours bien plus ce qu'une belle Nature étoit capable de faire, que ce qu'elle faisoit. Allein diese höhere moralische Vollkommenheit gehört gerade zu jenem allgemeinen Begriffe nicht; sie steht dem Individuo zu, aber nicht dem Geschlechte; und der Dichter, der sie seinen Personen beis legt, schildert gerade umgekehrt mehr in der Manier des Euripides als des Sophokles. Die weitere Ausführung hiervon verdient mehr als eine Note.

,,beigelegte Charakter erfordert. Aber deutlich und zuver,,lässig zu wissen, wie weit und in welchem Grade von. „Stärke sich dieser oder jener Charakter, bei besondern Ge,,legenheiten, wahrscheinlicher Weise äußern würde, das ist „einzig und allein eine Frucht von unserer Kenntniß der

,,getrieben worden, als es der Dichter hier vorgestellt. ,,Welches sind denn nun also die eigentlichen Gränzen der„selben, und wodurch sind sie zu bestimmen? Einzig und „allein durch Bemerkung so vieler einzelnen Fälle als mög,,lich; einzig und allein vermittelst der ausgebreitetsten

„chen Charaktere unter dergleichen Umständen im wirklichen ,,Leben gewöhnlicher Weise vermag. So verschieden „diese Kenntniß in Ansehung ihres Umfanges ist, so ver„schieden wird denn auch die Art der Vorstellung seyn. Und nun wollen wir sehen, wie der vorhabende Charakter „von dem Euripides wirklich behandelt worden.

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„Welt. Daß Beispiele von dem Mangel dieser Kenntniß,,Kenntniß, wie viel eine solche Erbitterung über derglei,,bei einem Dichter, wie Euripides war, sehr häufig soll,,ten gewesen seyn, läßt sich nicht wohl annehmen; auch ,,werden, wo sich dergleichen in seinen übrig gebliebenen ,,Stücken etwa finden sollten, sie schwerlich so offenbar seyn, „daß sie auch einem gemeinen Leser in die Augen fallen „müßten. Es können nur Feinheiten seyn, die allein der ,,wahre Kunstrichter zu unterscheiden vermögend ist; und In der schönen Scene, welche zwischen der Elektra und „auch diesem kann, in einer solchen Entfernung von Zeit, dem Orestes vorfällt, von dem sie aber noch nicht weiß, „aus Unwissenheit der griechischen Sitten, wohl etwas als „daß er ihr Bruder ist, kommt die Unterredung ganz natūr „ein Fehler vorkommen, was im Grunde eine Schönheitlich auf die Unglücksfälle der Elektra und auf den Urheber „ist. Es würde also ein sehr gefährliches Unternehmen „seyn, die Stellen im Euripides anzeigen zu wollen, welche „Aristoteles diesem Tadel unterworfen zu seyn geglaubt hatte. Aber gleichwohl will ich es wagen, eine anzufüh-hierauf weiter geht, ist dieses: „ren, die, wenn ich sie auch schon nicht nach aller Gerech „tigkeit kritisiren sollte, wenigstens meine Meinung zu „erläutern dienen kann.

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Fünfundneunzigstes Stück.

Den 29. März 1768.

„Die Geschichte seiner Elektra ist ganz bekannt. Der Dichter hatte in dem Charakter dieser Prinzessin ein ,,tugendhaftes, aber mit Stolz und Groll erfülltes Frauenzimmer zu schildern, welches durch die Härte, mit der „man sich gegen sie selbst betrug, erbittert war, und durch „noch weit stärkere Bewegungsgründe angetrieben ward, „den Tod eines Vaters zu rächen. Eine solche heftige Ge,,müthsverfassung kann der Philosoph in seinem Winkel ,,wohl schließen, muß immer sehr bereit seyn, sich zu ,,äußern. Elektra, kann er wohl einsehen, muß bei der geringsten schicklichen Gelegenheit ihren Groll an den Tag ,,legen, und die Ausführung ihres Vorhabens beschleunigen „zu können wünschen. Aber zu welcher Höhe dieser Groll „steigen darf? d. i. wie stark Elektra ihre Rachsucht aus„drücken darf, ohne daß ein Mann, der mit dem mensch„lichen Geschlechte und mit den Wirkungen der Leiden,,schaften im Ganzen bekannt ist, dabei ausrufen kann: das ist unwahrscheinlich! Dieses auszumachen wird ,,die abstracte Theorie von wenig Nußen seyn. Sogar eine ,,nur mäßige Bekanntschaft mit dem wirklichen Leben ist hier nicht hinlänglich, uns zu leiten. Man kann eine ,,Menge Individuen bemerkt haben, welche den Poeten, „der den Ausdruck eines solchen Grolles bis auf das ,,Aeußerste getrieben hätte, zu rechtfertigen scheinen. Selbst „die Geschichte dürfte vielleicht Erempel an die Hand geben, „wo eine tugendhafte Erbitterung auch wohl noch weiter

,,derselben, die Klytemnestra, so wie auch auf die Hoff: ,,nung, welche Elektra hat, von ihren Drangsalen durch „den Orestes befreit zu werden. Das Gespräch, wie es

"Orestes. Und Orestes? Gesezt, er käme nach Argos

„zurück

,,Elektra. Wozu diese Frage, da er allem Ansehen „nach niemals zurückkommen wird?

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Θανοιμι, μήτρος αἱμ' ἐπισφαξασ' έμης.

"Ich will gern des Todes seyn, sobald ich ,,meine Mutter umgebracht habe!

,,Nun kann man nicht behaupten, daß diese leßte Rede „schlechterdings unnatürlich sey. Ohne Zweifel haben sich Beispiele genug ereignet, wo unter ähnlichen Umständen ,,die Rache sich eben so heftig ausgedrückt hat. Gleichwohl, „denke ich, kann uns die Härte dieses Ausdrucks nicht „anders als ein wenig beleidigen. Zum mindesten hielt „Sophokles nicht für gut, ihn so weit zu treiben. Bei ihm „sagt Elektra unter gleichen Umständen nur das: Jeşt sey dir die Ausführung überlassen! Wäre ich „aber allein geblieben, so glaube mir nur, bei: des hätte mir gewiß nicht mißlingen sollen; entweder mit Ehren mich zu befreien, oder mit Ehren zu sterben!

„Ob nun diese Vorstellung des Sophokles der Wahr„beit, in so fern sie aus einer ausgebreitetern Erfahrung, „d. i. aus der Kenntniß der menschlichen Natur überhaupt „gesammelt worden, nicht weit gemäßer ist, als die Vor: „stellung des Euripides, will ich denen zu beurtheilen über„lassen, die es zu beurtheilen fähig sind. Ist sie es, so „kann die Ursache keine andere seyn, als die ich angenom „men, daß nämlich Sophokles seine Charaktere so geschildert, als er, unzähligen von ihm beobachteten Beispielen der nämlichen Gattung zufolge, glaubte, daß sie seyn sollten; Euri: „pides aber so, als er in der engeren Sphäre seiner Beobachtungen erkannt hatte, daß sie wirklich wären.“

Vortrefflich! Auch unangesehen der Absicht, in welcher ich diese langen Stellen des Hurd angeführt habe, ent balten sie unstreitig so viel feine Bemerkungen, daß es mir der Leser wohl erlassen wird, mich wegen Einschaltung der selben zu entschuldigen. Ich besorge nur, daß er meine Absicht selbst darüber aus den Augen verloren. Sie war aber diese: zu zeigen, daß auch Hurd, so wie Diderot, der Tragödie besondere und nur der Komödie allgemeine Charaktere zutheile, und dem ungeachtet dem Aristoteles nicht widersprechen wolle, welcher das Allgemeine von allen poetischen Charakteren und folglich auch von den tragischen verlangt. Hurd erklärt sich nämlich so: der tragische Charakter müsse zwar particular oder weniger allgemein seyn, als der komische, d. i. er müsse die Art, zu welcher er gehöre, weniger vorstellig machen; gleichwohl aber müsse das Wenige, was man von ihm zu zeigen für gut finde, nach dem Allgemeinen entworfen seyn, welches Aristoteles fordere. 1

Und nun wäre die Frage, ob Diderot sich auch so verstanden wissen wolle ? Warum nicht, wenn ihm daran gelegen wäre, sich nirgends in Widerspruch mit dem Aristoteles finden zu lassen? Mir wenigstens, dem daran ge legen ist, daß zwei denkende Köpfe von der nämlichen Sache nicht Ja und Nein sagen, könnte es erlaubt seyn, ihm diese Auslegung unterzuschieben, ihm diese Ausflucht zu leihen.

Aber lieber von dieser Ausflucht selbst ein Wort! Mich dünkt, es ist eine Ausflucht und ist auch keine. Denn das Wort Allgemein wird offenbar darin in einer dop pelten und ganz verschiedenen Bedeutung genommen. Die eine, in welcher es Hurd und Diderot von dem tragischen Charakter verneinen, ist nicht die nämliche, in welcher es Hurd von ihm bejaht. Freilich beruht eben hierauf die Ausflucht: aber wie, wenn die eine die andere schlechter dings ausschlöße?

In der ersten Bedeutung heißt ein allgemeiner

In calling the tragic character particular, I suppose it only less representative of the kind than the comic; not that the draught of so much character as it is concerned to represent should not be general.

Charakter ein solcher, in welchem man das, was man an mehreren oder allen Individuen bemerkt hat, zusammen nimmt; es heißt mit einem Worte ein überladener Charakter: es ist mehr die personifirte Idee eines Charakters, als eine charakterisirte Person. In der andern Bedeutung aber heißt ein allgemeiner Charakter ein solcher, in welchem man von dem, was an mehreren oder allen Individuen bemerkt worden, einen gewissen Durchschnitt, eine mittlere Proportion angenommen; es heißt mit einem Wort ein gewöhnlicher Charakter, nicht zwar in so fern der Cha rakter selbst, sondern nur in so fern der Grad, das Maaß desselben gewöhnlich ist.

Hurd hat vollkommen recht, das zadolov des Aristoteles von der Allgemeinheit in der zweiten Bedeutung zu erklären. Aber wenn denn nun Aristoteles diese Allgemeinheit eben so wohl von den komischen als tragischen Charakteren erfordert: wie ist es möglich, daß der nämliche Charakter zugleich auch jene Allgemeinheit haben kann? Wie ist es möglich, daß er zugleich überladen und gewöhnlich seyn kann? und gesezt auch, er wäre so überladen noch lange nicht, als es die Charaktere in dem getadelten Stücke des Johnson sind; geseßt, er ließe sich noch gar wohl in einem Individuum gedenken, und man habe Beispiele, daß er sich wirklich in mehreren Menschen eben so stark, eben so ununterbrochen geäußert habe: würde er dem ungeachtet nicht auch noch viel ungewöhnlicher seyn, als jene Allgemeinheit des Aristoteles zu seyn erlaubt?

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Den zweiundfunfzigsten Abend (Dienstags, den 28. Juli) wurden des Herrn Romanus Brüder wiederholt.

Oder sollte ich nicht vielmehr sagen: die Brüder des Herrn Romanus? Nach einer Anmerkung nämlich, welche Donatus bei Gelegenheit der Brüder des Lerenz macht: Hanc dicunt fabulam secundo loco actam, etiam tum rudi nomine poëtae; itaque sic pronunciatam, Adelphoi Terenti, non Terenti Adelphoi, quod adhuc magis de fabulae nomine poëta, quam de poëtae nomine fabula commendabatur. Herr Romanus hat seine Komödien zwar ohne seinen Namen herausgegeben, aber doch ist sein Name durch sie bekannt geworden. Noch jezt sind diejenigen Stücke, die sich auf unserer Bühne von ihm erhalten haben, eine Empfehlung seines Namens,

der in Provinzen Deutschlands genannt wird, wo er ohne sie wohl nie wäre gehört worden. Aber welches widrige Schicksal hat auch diesen Mann abgehalten, mit seinen Arbeiten für das Theater so lange fortzufahren, bis die❘ Stücke aufgehört hätten, seinen Namen zu empfehlen, und sein Name dafür die Stücke empfohlen hätte?

Das meiste, was wir Deutsche noch in der schönen Literatur haben, sind Versuche junger Leute. Ja das Vorurtheil ist bei uns fast allgemein, daß es nur jungen Leuten zukomme, in diesem Felde zu arbeiten. Männer, sagt man, haben ernsthaftere Studien oder wichtigere Geschäfte, zu welchen sie die Kirche oder der Staat auffordert. Verse und Komödien heißen Spielwerke; allenfalls nicht unnüßliche | Vorübungen, mit welchen man sich höchstens bis in sein | fünfundzwanzigstes Jahr beschäftigen darf. Sobald wir uns dem männlichen Alter nähern, sollen wir sein alle unsere Kräfte einem nüßlichen Amte widmen; und läßt uns dieses Amt einige Zeit, etwas zu schreiben, so soll man ja nichts anders schreiben, als was mit der Gravität und dem bürgerlichen Range desselben bestehen kann; ein hübsches Compendium aus den höhern Facultäten, eine gute Chronik von der lieben Vaterstadt, eine erbauliche Predigt und dergleichen.

Daher kommt es denn auch, daß unsere schöne Litera tur, ich will nicht bloß sagen gegen die schöne Literatur der Alten, sondern sogar fast gegen aller neuern polirten Völker ihre, ein so jugendliches, ja kindisches Ansehen hat, und noch lange, lange haben wird. An Blut und Leben, an Farbe und Feuer fehlt es ihr endlich nicht: aber Kräfte und Nerven, Mark und Knochen mangeln ihr noch sehr. Sie hat noch so wenig Werke, die ein Mann, der im Denken geübt ist, gern zur Hand nimmt, wenn er, zu seiner Erholung und Stärkung, einmak außer dem einförs migen edeln Zirkel seiner alltäglichen Beschäftigungen denken will! Welche Nahrung kann so ein Mann wohl z. E. in unsern höchst trivialen Komödien finden? Wortspiele, Sprichwörter, Späßchen, wie man sie alle Tage auf den Gassen hört: solches Zeug macht zwar das Parterre zu lachen, das sich vergnügt so gut es kann; wer aber von ihm mehr als den Bauch erschüttern will, wer zugleich mit seinem Verstande lachen will, der ist einmal da gewesen und kommt nicht wieder.

Wer nichts hat, der kann nichts geben. Ein junger Mensch, der erst selbst in die Welt tritt, kann unmöglich die Welt kennen und sie schildern. Das größte komische Genie zeigt sich in seinen jugendlichen Werken hohl und leer; selbst von den ersten Stücken des Menanders sagt Plutarch, 1 daß sie mit seinen spätern und leßtern Stücken gar nicht zu vergleichen gewesen. Aus diesen aber, seßt er hinzu, könne man schließen, was er noch würde geleistet haben, wenn er länger gelebt hätte. Und wie jung meint

1 Επιτ. της συγκρίσεως Αρις, και Πεναν. p. 1588. Ed. Henr. Stephani.

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man wohl, daß Menander starb? Wie viel Komödien meint man wohl, daß er erst geschrieben hatte? Nicht weniger als hundertundfünfe; und nicht jünger als zweiundfunfzig.

Keiner von allen unsern verstorbenen komischen Dichtern, von denen es sich noch der Mühe verlohnte zu reden, ist so alt geworden: keiner von den jeptlebenden ist es noch zur Zeit; keiner von beiden hat das vierte Theil so viel Stücke gemacht. Und die Kritik sollte von ihnen nicht eben das zu sagen haben, was sie von dem Menander zu sagen fand? Sie wage es aber nur und spreche!

Und nicht die Verfasser allein sind es, die sie mit Unwillen hören. Wir haben, dem Himmel sey Dank, jezt ein Geschlecht selbst von Kritikern, deren beste Kritik darin besteht, alle Kritik verdächtig zu machen. „Genie! Genie!" schreien sie. Das Genie sezt sich über alle Re: geln hinweg! Was das Genie macht, ist Regel!" So schmeicheln sie dem Genie; ich glaube, damit wir sie auch für Genies halten sollte. für Genies halten sollte. Doch sie verrathen zu sehr, daß

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wenn sie in

die Regeln

sie nicht einen Funken davon in sich spüren, einem und eben demselben Athem hinzuseßen: unterdrücken das Genie!" - Als ob sich Genie durch etwas in der Welt unterdrücken ließe! Und noch dazu durch etwas, das, wie sie selbst gestehen, aus ihm hergeleitet ist. Nicht jeder Kunstrichter ist Genie; aber jedes Genie ist ein gebor: ner Kunstrichter. Es hat die Probe aller Regeln in sich. Es begreift und behält und befolgt nur die, die ihm seine Empfindung in Worten ausdrücken. Und diese seine in Worten ausgedrüdte Empfindung sollte seine Thätigkeit verringern können? Vernünftelt darüber mit ihm, so viel ihr wollt; es versteht euch nur, in so fern es eure allge: meinen Säße den Augenblick in einem einzelnen Falle an: schauend erkennet; und nur von diesem einzelnen Falle bleibt Erinnerung in ihm zurück, die während der Arbeit auf seine Kräfte nicht mehr und nicht weniger wirken kann, als die Erinnerung eines glücklichen Beispiels, die Erin: nerung einer eigenen glücklichen Erfahrung auf sie zu wir ten im Stande ist. Behaupten also, daß Regeln und Kritit das Genie unterdrücken können: heißt mit andern Worten behaupten, daß Beispiele und Uebung eben dieses vermögen; heißt, das Genie nicht allein auf sich selbst, heißt es sogar, lediglich auf seinen ersten Versuch einschränken.

Eben so wenig wissen diese weise Herren, was sie wollen, wenn sie über die nachtheiligen Eindrücke, welche die Kritik auf das genießende Publicum mache, so lustig wim: mern! Sie möchten uns lieber bereden, daß kein Mensch einen Schmetterling mehr bunt und schön findet, seitdem das böse Vergrößerungsglas erkennen lassen, daß die Far ben desselben nur Staub sind.

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,,darzuthun, wie weit wir noch von diesem Ideale entfernt

find. Die Bühne muß durch Beispiele, nicht durch Re„geln reformirt werden. Raisonniren ist leichter, als

„selbst erfinden.“

Heißt das, Gedanken in Worte kleiden, oder heißt es nicht vielmehr, Gedanken zu Worten suchen, und keine erhaschen? Und wer sind sie denn, die so viel von Beispielen und vom selbst Erfinden reden? Was für Beispiele haben sie denn gegeben? Was haben sie denn selbst erfunden? - Schlaue Köpfe! Wenn ihnen Beispiele zu beurtheilen vorkommen, so wünschen sie lieber Regeln; und wenn fie Regeln beurtheilen sollen, so möchten sie lieber Beispiele haben. Anstatt von einer Kritik zu beweisen, daß sie falsch | ist, beweisen sie, daß sie zu streng ist, und glauben verthan zu haben! Anstatt ein Raisonnement zu widerlegen, mer fen sie an, daß Erfinden schwerer ist als Raisonniren, und glauben widerlegt zu haben!

Wer richtig raisonnirt, erfindet auch, und wer erfinden will, muß raisonniren können. Nur die glauben, daß sich das eine von dem andern trennen lasse, die zu keinem von beiden aufgelegt sind.

Doch was halte ich mich mit diesen Schwäßern auf? Ich will meinen Gang gehen und mich unbekümmert lassen, was die Grillen am Wege schwirren. Auch ein Schritt aus dem Wege, um sie zu zertreten, ist schon zu viel. Ihr Sommer ist so leicht abgewartet!

Also, ohne weitere Einleitung, zu den Anmerkungen, die ich bei Gelegenheit der ersten Vorstellung der Brüder des Herrn Romanus annoch über dieses Stück versprach! - Die vornehmsten derselben werden die Veränderungen betreffen, die er in der Fabel des Terenz machen zu müssen geglaubt, um sie unsern Sitten näher zu bringen.

Was soll man überhaupt von der Nothwendigkeit dieser Veränderungen sagen? Wenn wir so wenig Anstoß finden, römische oder griechische Sitten in der Tragödie geschildert zu sehen: warum nicht auch in der Komödie? Woher die Regel, wenn es anders eine Regel ist, die Scene der erstern in ein entferntes Land, unter ein fremdes Volk; die Scene der andern aber, in unsere Heimath zu legen? Woher die Verbindlichkeit, die wir dem Dichter aufbürden, in jener die Sitten desjenigen Volkes, unter dem er seine Handlung | vorgehen läßt, so genau als möglich zu schildern; da wir in dieser nur unsere eigene Sitten von ihm geschildert zu sehen verlangen? Dieses," sagt Pope an einem Orte, „scheint dem ersten Ansehen nach bloßer Eigensinn, bloße „Grille zu seyn: es hat aber doch seinen guten Grund in „der Natur. Das Hauptsächlichste, was wir in der Komödie suchen, ist ein getreues Bild des gemeinen Lebens, „von dessen Treue wir aber nicht so leicht versichert scyn „können, wenn wir es in fremde Moden und Gebräuche verkleidet finden. In der Tragödie hingegen ist es die „Handlung, was unsere Aufmerksamkeit am meisten an sich „zicht. Einen einheimischen Vorfall aber für die Bühne

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Diese Auflösung, genau betrachtet, dürfte wohl nicht in allen Stücken befriedigend seyn. Denn zugegeben, daß fremde Sitten der Absicht der Komödie nicht so gut entsprechen, als einheimische: so bleibt noch immer die Frage, ob die einheimischen Sitten nicht auch zur Absicht der Tragödie ein besseres Verhältniß haben als fremde? Diese Frage ist wenigstens durch die Schwierigkeit, einen einheimischen Vorfall ohne allzumerkliche und anstößige Verän derungen für die Bühne bequem zu machen, nicht beantwortet. Freilich erfordern einheimische Sitten auch einhcimische Vorfälle; wenn denn aber nur mit jenen die Tragödie am leichtesten und gewissesten ihren Zweck erreichte, so müßte es ja doch wohl besser seyn, sich über alle Schwierigkeiten, welche sich bei Behandlung dieser finden, wegzusezen, als in Absicht des Wesentlichsten zu kurz zu fallen, welches unstreitig der Zweck ift. Auch werden nicht alle einheimische Vorfälle so merklicher und anstößiger Veränderungen bedürfen; und die deren bedürfen, ist man ja nicht verbunden zu bearbeiten. Aristoteles hat schon angemerkt, daß es gar wohl Begebenheiten geben kann und giebt, die sich vollkommen so ereignet haben, als sie der Dichter braucht. Da dergleichen aber nur selten sind, so hat er auch schon entschieden, daß sich der Dichter um den wenigern Theil seiner Zuschauer, der von den wahren Um| ständen vielleicht unterrichtet ist, lieber nicht bekümmern, als seiner Pflicht minder Genüge leisten müsse.

Der Vortheil, den die einheimischen Sitten in der Komödie haben, beruht auf der innigen Bekanntschaft, in der wir mit ihnen stehen. Der Dichter braucht sie uns nicht erst bekannt zu machen; er ist aller hierzu nöthigen Beschreibungen und Winke überhoben; er kann seine Personen | sogleich nach ihren Sitten handeln lassen, ohne uns diese Sitten selbst erst langweilig zu schildern. Einheimische Sitten also erleichtern ihm die Arbeit und befördern bei dem Zuschauer die Illusion.

Warum sollte nun der tragische Dichter sich dieses wich tigen doppelten Vortheils begeben? Auch er hat Ursache, sich die Arbeit so viel als möglich zu erleichtern, seine Kräfte nicht an Nebenzwecke zu verschwenden, sondern sie ganz für den Hauptzweck zu sparen. Auch ihm kommt auf die Illusion des Zuschauers alles an. Man wird viel: leicht hierauf antworten, daß die Tragödie der Sitten nicht groß bedürfe, daß sie ihrer ganz und gar entübrigt seyn könne. Aber sonach braucht sie auch keine fremde Sitten, und von dem Wenigen, was sie von Sitten haben und zeigen will, wird es doch immer besser seyn, wenn es von einheimischen Sitten hergenommen ist, als von fremden.

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