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von der Welt geschlossen. Bald zwingen sie die Poesie in die engern Schranken der Malerei; bald lassen sie die Malerei die ganze weite Sphäre der Poesie füllen. Alles, was der einen Recht ist, soll auch der andern vergönnt seyn; alles, was in der einen gefällt oder mißfällt, soll nothwendig auch in der andern gefallen oder mißfallen; und voll von dieser Idee, sprechen sie in dem zuversichtlichsten Tone die seichtes sten Urtheile, wenn sie, in den Werken des Dichters und Malers über einerlei Vorwurf, die darin bemerkten Abweichungen von einander zu Fehlern machen, die sie dem einen oder dem andern, nachdem sie entweder mehr Ge schmack an der Dichtkunst oder an der Malerei haben, zur Last legen.

I.

Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke in der Malerei und Bildhauerkunst seßt Herr Winkelmann in eine edle Einfalt und stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdruck. „So wie die Tiefe des ,,Meeres, sagt er, allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche ,,mag auch noch so wüthen, eben so zeigt der Ausdruck in „den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine ,,große und gesezte Seele."

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1

„Diese Seele schildert sich in dem Gesichte des Lao: ‚koons, und nicht in dem Gesichte allein, bei dem heftig„sten Leiden. Der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln „und Sehnen des Körpers entdeckt, und den man ganz Ja dieje Afterkritik hat zum Theil die Virtuosen selbst „allein, ohne das Gesicht und andere Theile zu betrachten, verführt. Sie hat in der Poesie die Schilderungssucht, und ,,an dem schmerzlich eingezogenen Unterleibe beinahe selbst in der Malerei die Allegoristerei erzeugt, indem man jene zu empfinden glaubt; dieser Schmerz, sage ich, äußert zu einem redenden Gemälde machen wollen, ohne eigentlich sich dennoch mit keiner Wuth in dem Gesichte und in der zu wissen, was sie malen tönne und solle, und diese zu einem stummen Gedichte, ohne überlegt zu haben, in wel chem Maaße sie allgemeine Begriffe ausdrücken könne, ohne sich von ihrer Bestimmung zu entfernen, und zu einer will türlichen Schriftart zu werden.

Diesem falschen Geschmade, und jenen ungegründeten Urtheilen entgegen zu arbeiten, ist die vornehmste Absicht folgender Aufsäße.

Sie sind zufälliger Weise entstanden, und mehr nach der Folge meiner Lectüre, als durch die methodische Ents widelung allgemeiner Grundsäße angewachsen. Es sind also mehr unordentliche Collectaneen zu einem Buche, ein Buch.

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Doch schmeichle ich mir, daß sie auch als solche nicht ganz zu verachten seyn werden. An systematischen Büchern haben wir Deutschen überhaupt keinen Mangel. Aus ein paar angenommenen Worterklärungen in der schönsten Ordnung alles, was wir nur wollen, herzuleiten, darauf verstehen wir uns, trop einer Nation in der Welt.

Baumgarten bekannte, einen großen Theil der Beispiele in seiner Aesthetik Gesners Wörterbuche schuldig zu seyn. Wenn mein Raisonnement nicht so bündig ist als das Baumgartensche, so werden doch meine Beispiele mehr nach der Quelle schmecken.

Da ich von dem Laokoon gleichsam ausseßte, und mehrmals auf ihn zurückkomme, so habe ich ihm auch einen Antheil an der Aufschrift lassen wollen. Andere kleine Ausschweifungen über verschiedene Puncte der alten Kunstgeschichte tragen weniger zu meiner Absicht bei, und sie stehen nur da, weil ich ihnen niemals einen bessern Plaß zu geben boffen tann.

Noch erinnere ich, daß ich unter dem Namen der Malerei die bildenden Künste überhaupt begreife; so wie ich nicht dafür stehe, daß ich nicht unter dem Namen der Boesie auch auf die übrigen Künste, deren Nachahmung fortschreitend ist, einige Rücksicht nehmen dürfte.

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ganzen Stellung. Er erhebt kein schredliches Geschrei, ,,wie Virgil von seinem Laotoon singt; die Oeffnung des Mundes gestattet es nicht: es ist vielmehr ein ängstliches ,, und beklemmtes Seufzen, wie es Sadolet beschreibt. Der „Schmerz des Körpers und die Größe der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Stärke ausgetheilt , und gleichsam abgewogen. Laokoon leidet, aber er leidet ,,wie des Sophokles Philoktet: sein Elend geht uns bis an „die Seele; aber wir wünschten, wie dieser große Mann, ,,das Elend ertragen zu können.“

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Der Ausdruck einer so großen Seele geht weit über ,,die Bildung der schönen Natur. Der Künstler mußte die „Stärke des Geistes in sich selbst fühlen, welche er seinem „Marmor einprägte. Griechenland hatte Künstler und „Weltweise in einer Person, und mehr als einen Metro„dor. Die Weisheit reichte der Kunst die Hand, und „blies den Figuren derselben mehr als gemeine Seelen „ein, u. s. w.“

Die Bemerkung, welche hier zum Grunde liegt, daß der Schmerz sich in dem Gesichte des Laokoon mit der: jenigen Wuth nicht zeige, welche man bei der Heftigkeit desselben vermuthen sollte, ist vollkommen richtig. Auch das ist unstreitig, daß eben hierin, wo ein Halbtenner den Künstler unter der Natur geblieben zu seyn, das wahre Pathetische des Schmerzes nicht erreicht zu haben, urtheilen dürfte; daß, sage ich, eben hierin die Weisheit desselben ganz besonders hervorleuchtet.

Nur in dem Grunde, welchen Herr Winkelmann dieser Weisheit giebt, in der Allgemeinheit der Regel, die er aus diesem Grunde herleitet, wage ich es, anderer Meinung zu seyn.

Ich bekenne, daß der mißbilligende Seitenblick, welchen er auf den Virgil wirft, mich zuerst stußig gemacht hat; und nächst dem die Vergleichung mit dem Philoktet. Von

1 Von der Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst. S. 21. 22.

hier will ich ausgehen und meine Gedanken in eben der Ordnung niederschreiben, in welcher sie sich bei mir ent wickelt.

,,Laoloon leidet, wie des Sophokles Philoktet." Wie leidet dieser? Es ist sonderbar, daß sein Leiden so verschiedene Eindrücke bei uns zurückgelassen. Die Klagen, das Geschrei, die wilden Verwünschungen, mit welchen sein Echmerz das Lager erfüllte, und alle Opfer, alle heilige. Handlungen störte, erschollen nicht minder schrecklich durch das öde Eiland; und sie waren es, die ihn dahin verbannten. Welche Töne des Unmuths, des Jammers, der Verzweiflung, von welchen auch der Dichter in der Nachahmung das Theater durchhallen ließ. Man hat den dritten Aufzug dieses Stückes ungleich fürzer, als die übri gen gefunden. Hieraus sieht man, sagen die Kunstrichter, 1 daß es den Alten um die gleiche Länge der Aufzüge wenig zu thun gewesen. Das glaube ich auch; aber ich wollte. mich deßfalls lieber auf ein ander Exempel gründen, als auf dieses. Die jammervollen Ausrufungen, das Winseln, Die abgebrodenen a, &, φεν, άτατται, ώ μοι, μοι! bie ganzen Zeilen voller nana, nana, aus welchen dieser Aufzug besteht, und die mit ganz andern Dehnungen und Absehungen declamirt werden mußten, als bei einer zusammenhängenden Rede nöthig sind, haben in der Vorstellung diesen Aufzug ohne Zweifel ziemlich eben so lange dauern lassen, als die andern. Er scheint dem Leser weit fürzer auf dem Papiere, als er den Zuhörern wird vorgekom men seyn.

Schreien ist der natürliche Ausdruck des körperlichen Schmerzes. Homers verwundete Krieger fallen nicht selten mit Geschrei zu Boden. Die gerißte Venus schreit laut; 2 nicht um sie durch dieses Geschrei als die weichliche Göttin der Wollust zu schildern, vielmehr um der leidenden Natur ihr Recht zu geben. Denn selbst der eherne Mars, als er die Lanze des Diomedes fühlt, schreit so gräßlich, als schrieen zehntausend wüthende Krieger zugleich, daß beide Heere sich entsetzen. 3

So weit auch Homer sonst seine Helden über die menschliche Natur erhebt, so treu bleiben sie ihr doch stets, wenn es auf das Gefühl der Schmerzen und Beleidigungen, wenn es auf die Aeußerung dieses Gefühls durch Schreien, oder durch Thränen, oder durch Scheltworte ankommt. Nach ihren Thaten sind es Geschöpfe höherer Art; nach ihren Empfindungen wahre Menschen.

Ich weiß es, wir feinern Europäer einer klügern Nachwelt wissen über unsern Mund und über unsere Augen besser zu herrschen. Höflichkeit und Anstand verbieten Ge jchrei und Thränen. Die thätige Tapferkeit des ersten rauben Weltalters hat sich bei uns in eine leidende verwandelt. Doch selbst unsere Urältern waren in dieser

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größer, als in jener. Aber unsere Urältern waren Bar: baren. Alle Schmerzen verbeißen, dem Streiche des Todes mit unverwandtem Auge entgegen sehen, unter den Bissen der Nattern lachend sterben, weder seine Sünde noch den Verlust seines liebsten Freundes beweinen, sind Züge des alten nordischen Heldenmuthes. 1 Palnatoko gab seinen Jomsburgern das Geseß, nichts zu fürchten, und das Wort Furcht auch nicht einmal zu nennen.

Nicht so der Grieche! Er fühlte und fürchtete sich; er äußerte seine Schmerzen und seinen Kummer; er schämte sich keiner der menschlichen Schwachheiten; keine mußte ihn aber auf dem Wege nach Ehre, und von Erfüllung seiner Pflicht zurückhalten. Was bei dem Barbaren aus Wildheit ' und Verhärtung entsprang, das wirkten bei ihm Grundfäße. Bei ihm war der Heroismus wie die verborgenen Funken im Kiesel, die ruhig schlafen so lange keine äußere Gewalt sie weckt, und dem Steine weder seine Klarheit noch seine Kälte nehmen. Bei dem Barbaren war der Heroismus eine belle fressende Flamme, die immer tobte, und jede andere gute Eigenschaft in ihm verzehrte, wenigstens schwärzte. Wenn Homer die Trojaner mit wildem Ges schrei, die Griechen hingegen in entschlossener Stille zur Schlacht führt, so merken die Ausleger sehr wohl an, daß der Dichter hierdurch jene als Barbaren, diese als gesittete Völker schildern wollen. Mich wundert, daß sie an einer andern Stelle eine ähnliche charakteristische Entgegenseßung nicht bemerkt haben.2 Die feindlichen Heere haben einen Waffenstillstand getroffen; sie sind mit Verbrennung ihrer Todten beschäftigt, welches auf beiden Theilen nicht ohne heiße

bränen abgebt; δάκρυα θερμά χεοντες. 2lber βriamus verbietet feinen Trojanern au meinen; οὐδ' εἰα κλαιειν Пpianos neɣas. Er verbietet ihnen zu weinen, sagt die Dacier, weil er besorgt, sie möchten sich zu sehr erweichen, und morgen mit weniger Muth an den Streit gehen. Wohl; doch frage ich: warum muß nur Priamus dieses besorgen? Warum ertheilt nicht auch Agamemnon seinen Griechen das nämliche Verbot? Der Sinn des Dichters geht tiefer. Er will uns lehren, daß nur der gesittete Grieche zugleich weinen und tapfer seyn könne, indem der ungesittete Trojaner, um es zu seyn, alle Menschlichkeit vorber erftiden müffe. Νεμεσσομαι γε μεν οὐδεν κλαιειν, läßt er an einem andern Ort 3 den verständigen Sohn des weisen Nestors sagen.

Es ist merkwürdig, daß unter den wenigen Trauerspielen, die aus dem Alterthume auf uns gekommen sind, sich zwei Stücke finden, in welchen der körperliche Schmerz nicht der kleinste Theil des Unglücks ist, das den leidenden Helden trifft. Außer dem Philoktet, der sterbende Herku les. Und auch diesen läßt Sophokles klagen, winseln,

1 Th. Bartholinus de causis contemptae a Danis adhuc gentilibus mortis, cap. I.

2 .ad. H. v. 421.

3 Odyss. A. 195.

weinen und schreien. Dank sey unsern artigen Nachbarn, | diesen Meistern des Anständigen, daß nunmehr ein win selnder Philoktet, ein schreiender Herkules, die lächerlichsten unerträglichsten Personen auf der Bühne seyn würden. Zwar hat sich einer ihrer neuesten Dichter 1 an den Phi: loktet gewagt. Aber durfte er es wagen, ihnen den wahren Philottet zu zeigen?

Selbst ein Laokoon findet sich unter den verlorenen Stücken des Sophokles. Wenn uns das Schicksal doch auch diesen Laokoon gegönnt hätte! Aus den leichten Erwäh nungen, die seiner einige alte Grammatiker thun, läßt sich nicht schließen, wie der Dichter diesen Stoff behandelt habe. So viel bin ich versichert, daß er den Laokoon nicht stoi scher, als den Philoktet und Herkules, wird geschildert haben. Alles Stoische ist untheatralisch; und unser Mitleiden ist allezeit dem Leiden gleichmäßig, welches der interessirende Gegenstand äußert. Sieht man ihn sein Elend mit großer Seele ertragen, so wird diese große Seele zwar unsere Be wunderung erwecken, aber die Bewunderung ist ein falter Affect, dessen unthätiges Staunen jede andere wärmere Leidenschaft, sowie jede andere deutliche Vorstellung ausschließt.

Und nunmehr komme ich zu meiner Folgerung. Wenn es wahr ist, daß das Schreien bei Empfindung körperlichen Schmerzes, besonders nach der alten griechischen Denkungsart, gar wohl mit einer großen Seele bestehen kann: so kann der Ausdruck einer solchen Seele die Ursache nicht seyn, warum dem ungeachtet der Künstler in seinem Mar: mor dieses Schreien nicht nachahmen wollen, sondern es muß einen andern Grund haben, warum er hier von seinem Nebenbuhler, dem Dichter, abgeht, der dieses Geschrei mit bestem Vorsaße ausdrückt.

II.

Es sey Fabel oder Geschichte, daß die Liebe den ersten Versuch in den bildenden Künsten gemacht habe: so viel ist gewiß, daß sie den großen alten Meistern die Hand zu führen nicht müde geworden. Denn wird jezt die Malcrei überhaupt als die Kunst, welche Körper auf Flächen nachahmt, in ihrem ganzen Umfange betrieben: so hatte der weise Grieche ihr weit engere Gränzen gesezt und sie bloß auf die Nachahmung schöner Körper eingeschränkt. Sein Künstler schilderte nichts als das Schöne; selbst das gemeine Schöne, das Schöne niederer Gattungen, war nur sein zufälliger Vorwurf, seine Uebung, seine Erholung. Die Vollkommenheit des Gegenstandes selbst mußte in seinem Werke entzücken; er war zu groß, von seinen Betrachtern zu vei: langen, daß sie sich mit dem bloßen kalten Vergnügen, welches aus der getroffenen Aehnlichkeit, aus der Erwägung seiner Geschicklichkeit entspringt, begnügen sollten; an seiner Kunst war ihm nichts lieber, dünkte ihm nichts edler, als der Endzweck der Kunst.

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Freilich ist der Hang zu dieser üppigen Prahlerei mit leidigen Geschicklichkeiten, die durch den Werth ihrer Gegen: stände nicht geadelt werden, zu natürlich, als daß nicht auch die Griechen ihren Pauson, ihren Pyreicus sollten gehabt haben. Sie hatten sie; aber sie ließen ihnen strenge Gerechtigkeit widerfahren. Pauson, der sich noch unter dem Schönen der gemeinen Natur hielt, dessen niedriger Geschmack das Fehlerhafte und Häßliche an der menschlichen Bildung am liebsten ausdrückte, 2 lebte in der verächtlichsten Armuth. 3 Und Pyreicus, der Barbierstuben, schmußige Werkstätte, Esel und Küchenkräuter mit allem dem Fleiße eines niederländischen Künstlers malte, als ob dergleichen. Dinge in der Natur so viel Reiz hätten und so selten zu erblicken wären, bekam den Zunamen des Rhyparographen, 4 des Rothmalers; obgleich der wollüftige Reiche seine Werke mit Gold aufwog, um ihrer Nichtigkeit auch durch diesen. eingebildeten Werth zu Hülfe zu kommen.

Die Obrigkeit selbst hielt es ihrer Aufmerksamkeit nicht. für unwürdig, den Künstler mit Gewalt in seiner wahren Sphäre zu erhalten. Das Geseß der Thebaner, welches ihm die Nachahmung ins Schönere befahl und die Nachahmung ins Häßlichere bei Strafe verbot, ist bekannt. Es war kein Gesez wider den Stümper, wofür es gemeiniglich, und selbst vom Junius, 5 gehalten wird. Es verdammte

1 Antiochus. (Antholog. libr. II. cap. 4.) Harduin über den Plinius (lib. 35. sect. 36. p. m. 698.) legt dieses Epigramm einem Piso bei. Es findet sich aber unter allen griechischen Epigrammatisten teiner dieses Namens.

2 Jungen Leuten, befiehlt daher Ariftoteles, muß man seine Gemälde nicht zeigen, um ihre Einbildungskraft, so viel wie möglich, von allen Bildern des Häßlichen rein zu halten. (Polit. libr. VIII. cap. 5. p. 526. Edit. Conring) Herr Boden will zwar in dieser Stelle anstatt Pauson, Pausanias gelesen wissen, weil von diesem bekannt sey, daß er unzüchtige Figuren gemalt habe (de Umbra poetica, comment I. p. XIII.). Als ob man es erst von einem philosophischen Geseggeber lernen müßte, die Jugend von dergleichen Reizungen der Wolluft zu entfernen. Er hätte die bekannte Stelle in der Dichtkunst (cap. II.) nur in Vergleichung ziehen dürfen, um seine Vermuthung zurüď zu behalten. Es giebt Ausleger (3. E. Kühn, über den Aelian Var. Hist. lib. IV. cap. 3.), welche den Unterschied, den Aristoteles daselbst zwischen dem Polygnotus, Dionyfius und Pauson angiebt, darin sehen, daß Polygnotus Götter und Helden, Dionyfius Menschen und Pauson Thiere gemalt habe. Sie malten allesammt menschliche Figuren, und daß Pauson einmal ein Pferd malte, beweist noch nicht, daß er ein Thiermaler gewesen, wofür ihn Herr Boden hält. Ihren Rang bestimmten die Grade des Schönen, die sie ihren menschlichen Figuren gaben, und Dionyfius konnte nur deßwegen nichts als Menschen malen, und hieß nur darum vor allen andern der Anthropograph, weil er der Natur zu sflavisch folgte, und sich nicht bis zum Ideal erheben konnte, unter welchem Götter und Helden zu malen, ein Religionsverbrechen gewesen wäre.

3 Aristophanes Plut. v. 602. et Acharnens. v. 854.

4 Plinius lib. XXX. sect. 37. Edit. Hard.

5 De Pictura vet. lib. II. cap. IV. §. 1.

die griechischen Ghezzi; den unwürdigen Kunstgriff, die Aehnlichkeit durch Uebertreibung der häßlichern Theile des Urbildes zu erreichen; mit einem Worte, die Carricatur.

Aus eben dem Geiste des Schönen war auch das Gesez der Hellanodiken geflossen. Jeder Olympische Sieger erhielt eine Statue; aber nur dem dreimaligen Sieger ward eine Ztonische gesezt. Der mittelmäßigen Portraits sollten unter den Kunstwerken nicht zu viel werden. Denn ob: schon auch das Portrait ein Jdeal zuläßt, so muß doch die Aehnlichkeit darüber herrschen; es ist das Ideal eines gewissen Menschen, nicht das Ideal eines Menschen überbaupt.

Wir lachen, wenn wir hören, daß bei den Alten auch die Künste bürgerlichen Geseßen unterworfen gewesen. Aber wir haben nicht immer Recht, wenn wir lachen. Unstreitig müssen sich die Geseße über die Wissenschaften keine Gewalt anmaßen, denn der Endzweck der Wissenschaften ist Wahr: heit. Wahrheit ist der Seele nothwendig; und es wird Tyrannei, ihr in Befriedigung dieses wesentlichen Bedürf: nisses den geringsten Zwang anzuthun. Der Endzweck der Künste hingegen ist Vergnügen, und das Vergnügen ist entbehrlich. Also darf es allerdings von dem Gesetzgeber abhängen, welche Art von Vergnügen, und in welchem Maaße er jede Art desselben verstatten will.

Die bildenden Künste insbesondere, außer dem unfehl baren Einflusse, den sie auf den Charakter der Nation haben, sind einer Wirkung fähig, welche die nähere Aufsicht des Gesetzes heischt. Erzeugten schöne Menschen schöne Bildsäulen, so wirkten diese hinwiederum auf jene zurück, und der Staat hatte schönen Bildsäulen schöne Menschen mit zu verdanken. Bei uns scheint sich die zarte Einbildungskraft der Mütter nur in Ungeheuern zu äußern.

Aus diesem Gesichtspunkte glaube ich in gewissen alten Erzählungen, die man geradezu als Lügen verwirft, etwas wahres zu erblicken. Den Müttern des Aristomenes, des Aristodamas, Alexanders des Großen, des Scipio, des Augustus, des Galerius, träumte in ihrer Schwangerschaft allen, als ob sie mit einer Schlange zu thun hätten. Die Schlange war ein Zeichen der Gottheit; 2 und die schönen Bildsäulen und Gemälde eines Bacchus, eines Apollo, eines Merkurius, eines Herkules, waren selten ohne eine Schlange. Die ehrlichen Weiber hatten des Tages ihre Augen an dem Gotte geweidet, und der verwirrende Traum erweckte das Bild des Thieres. So rette ich den Traum und gebe die Auslegung Preis, welche der Stolz ihrer Söhne und die Unverschämtheit des Schmeichlers davon machten. Denn

1 Plinius lib. XXXIV. sect. 9.

? Man irrt sich, wenn man die Schlange nur für das Kennzeichen einer medicinischen Gottheit hält. Justinus Martyr (Apolog. II. pag. 55. Edit. Sylburg.) sagt ausdrüdlich: naga navri tov voμicoμενων παρ' ὑμῖν θεων, ὄφις συμβολον μέγα και μυςήριον arappagɛtai; und es wäre leicht eine Reihe von Monumenten anzuführen, wo die Schlange Gottheiten begleitet, welche nicht die ge= ringste Beziehung auf die Gesundheit haben.

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eine Ursache mußte es wohl haben, warum die ehebrecherische Phantasie nur immer eine Schlange war.

Doch ich gerathe aus meinem Wege. Ich wollte bloß festseßen, daß bei den Alten die Schönheit das höchste Gesetz der bildenden Künste gewesen sey.

Und dieses festgeseßt, folgt nothwendig, daß alles andere, worauf sich die bildenden Künste zugleich mit erstrecken können, wenn es sich mit der Schönheit nicht verträgt, ihr gänzlich weichen, und wenn es sich mit ihr verträgt, ihr wenigstens untergeordnet seyn müssen.

Ich will bei dem Ausdrucke stehen bleiben. Es giebt Leidenschaften und Grade von Leidenschaften, die sich in dem Gesichte durch die häßlichsten Verzerrungen äußern, und den ganzen Körper in so gewaltsame Stellungen seßen, daß alle die schönen Linien, die ihn in einem ruhigern Stande umschreiben, verloren gehen. Dieser enthielten sich also die alten Künstler entweder ganz und gar, oder septen sie auf geringere Grade herunter, in welchen sie eines Maaßes von Schönheit fähig sind.

Wuth und Verzweiflung schändete keines von ihren Werken. Ich darf behaupten, daß sie nie eine Furie gebildet haben. 1

1 Man gehe alle die Kunstwerke durch, deren Plinius und Pausanias und andere gedenken, man übersehe die noch jezt vorhandenen alten Statuen, Basreliefs, Gemälde, und man wird nirgends eine Furie finden. Ich nehme diejenigen Figuren aus, die mehr zur Bildersprache, als zur Kunst gehören, dergleichen die auf den Münzen vornehmlich sind. Indeß hätte Spence, da er Furien haben mußte, fie doch lieber von den Münzen erborgen sollen, (Seguini Numis pag. 178. Spanhem. de Praest. Numism. Dissert XIII. p. 639. Les Césars de Julien, par Spanheim p. 48.) als daß er sie durch einen wißigen Einfall in ein Werk bringen will, in welchem sie ganz gewiß nicht sind. Er sagt in seinem Pylymetis (Dial. XVI. p. 272.). „Oh, „schon die Furien in den Werken der alten Künstler etwas sehr seltenes „find, so findet sich doch eine Geschichte, in der sie durchgängig von „ihnen angebracht werden. Ich meine den Tod des Meleager, als in „dessen Vorstellung auf Basreliefs sie öfters die Althäa aufmuntern „und antreiben, den unglücklichen Brand, von welchem das Leben „ihres einzigen Sohnes abhing, dem Feuer zu übergeben. Denn auch „ein Weib würde in ihrer Rache so weit nicht gegangen seyn, hätte „der Teufel nicht ein wenig zugeschürt. In einem von diesen Bas„reliefs, bei dem Bellori (in den Admirandis) sieht man zwei Weiber, „die mit der Althäa am Altare stehen, und allem Ansehen nach Fu„rien seyn sollen. Denn wer sonst als Furien hätte einer solchen „Handlung beiwohnen wollen? Daß sie für diesen Gharakter nicht „schredlich genug sind, liegt ohne Zweifel an der Abzeichnung. Das „Merkwürdigste aber auf diesem Werke ist die runde Scheibe, unten "gegen die Mitte, auf welcher sich offenbar der Kopf einer Furic zeigt. „Vielleicht war es die Furie, an die Althäa, so oft fie eine üble That „vornahm, ihr Gebet richtete, und vornehmlich jezt zu richten, alle „Ursache hatte 2c." - Durch solche Wendungen kann man aus allem alles machen. Wer sonst, fragt Spence, als Furien, hätte einer solchen Handlung beiwohnen wollen? Ich antworte: die Mägre der Althäa, welche das Feuer anzünden und unterhalten mußten. Ovid sagt: Metamorph. VIII. v. 460. 464.

Protulit hunc (stipitem) genitrix, taedasque in fragmina poni Imperat, et positis inimicos admovet ignes. Dergleichen taedas, lange Stüde von Kien, welche die Alten zu Fackeln brauchten, haben auch wirklich beide Personen in den Händen, und die eine hat eben ein solches Stüd zerbrochen, wie ihre Stellung anzeigt. Auf der Scheibe, gegen die Mitte des Werks, erkenne ich die Furie eben so wenig. Es ist ein Gesicht, welches einen hcftigen Schmerz ausdrückt. Ohne Zweifel soll es der Kopf des Meleagers selbst seyn (Metamorph. I. c. v. 515.).

Zorn seßten sie auf Ernst herab. Bei dem Dichter war es der zornige Jupiter, welcher den Bliß schleuderte; bei dem Künstler nur der ernste.

Jammer ward in Betrübniß gemildert. Und wo diese Milderung nicht Statt finden konnte, wo der Jammer eben so verkleinernd als entstellend gewesen wäre, was that da Timanthes? Sein Gemälde von der Opferung der Iphigenia, in welchem er allen Umstehenden den ibnen eigenthümlich zukommenden Grad der Traurigkeit ertheilte, das Gesicht des Vaters aber, welches den allerhöchsten hätte zeigen sollen, verhüllte, ist bekannt, und es sind viele artige Dinge darüber gesagt worden. Er hatte sich, sagte dieser, ' in den traurigen Physiognomien so erschöpft, daß er dem Vater eine noch traurigere geben zu können verzweifelte. Er bekannte dadurch, sagt jener, 2 daß der Schmerz eines Vaters bei dergleichen Vorfällen über allen Ausdruck sey. Ich für mein Theil sehe hier weder die Unvermögenheit des Künstlers, noch die Unvermögenheit der Kunst. Mit dem Grade des Affects verstärken sich auch die ihm entsprechen= den Züge des Gesichts; der höchste Grad hat die allerentschiedensten Züge, und nichts ist der Kunst leichter, als diese auszudrücken. Aber Timanthes kannte die Gränzen, welche die Grazien seiner Kunst seßen. Er wußte, daß sich der Jammer, welcher dem Agamemnon als Vater zufam, durch Verzerrungen äußert, die allezeit häßlich sind. So weit sich Schönheit und Würde mit dem Ausdrucke verbinden ließ, so weit trieb er ihn. Das Häßliche wäre er gern übergangen, hätte er gern gelindert; aber da ihm seine Composition beides nicht erlaubte, was blieb ihm anders übrig, als es zu verhüllen? Was er nicht malen durfte, ließ er errathen. Kurz, diese Verhüllung ist ein Opfer, das der Künstler der Schönheit brachte. Sie ist ein Beispiel, nicht wie man den Ausdruck über die Schranken der Kunst treiben, sondern wie man ihn dem ersten Geseze der Kunst, dem Geseze der Schönheit, unterwerfen soll.

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Inscius atque absens flamma Meleagros in illa Uritur: et caecis torreri viscera sentit Ignibus: et magnos superat virtute dolores. Der Künstler brauchte ihn gleichsam zum Uebergange in den folgenden Zeitpunct der nämlichen Geschichte, welcher den sterbenden Meleager gleich darneben zeigt. Was Spence zu Furien macht, hält Montfaucon für Parzen (Antiqu. expl. T. 1. p. 162.) den Kopf auf der Scheibe ausgenommen, den er gleichfalls für eine Furie ausgiebt. Bellori felbft (Admirand. Tab. 77.) läßt es unentschieden, ob es Parzen oder Furien find. Ein Oder, welches genugsam zeigt, daß sie weder das eine noch das andere find. Auch Montfaucons übrige Auslegung sollte genauer seyn. Die Weibsperson, welche neben dem Bette sich auf den Ellbogen stüßt, hätte er Caffandra und nicht Atalanta nennen sollen. Atalanta ist die, welche, mit dem Rücken gegen das Bette gekehrt, in einer traurigen Stellung fist. Der Künstler hat sie mit vielem Berstande von Ler Familie abgewendet, weil sie nur die Geliebte, nicht die Gemahlin des Meleagers war, und ihre Betrübniß über ein Unglück, das sie selbst unschuldiger Weise veranlaßt hatte, die Anverwandten erbittern mußte.

1 Plinius lib. XXXV. sect. 35. Cum moestos pinxisset omnes, praecipue patruum, et tristitiae omnem imaginem consumpsisset, patris ipsius vultum velavit, quem digne non poterat ostendere. 2 Summi moeroris acerbitatem arte exprimi non posse confessus est. Valerius Maximus lib. VIII. cap. 11.

Und dieses nun auf den Laokoon angewendet, so ist die Ursache klar, die ich suche. Der Meister arbeitete auf die höchste Schönheit, unter den angenommenen Umständen des körperlichen Schmerzes. Dieser, in aller seiner entstellenden Heftigkeit, war mit jener nicht zu verbinden. Er mußte ihn also herabseßen; er mußte Schreien in Ecufzen mildern; nicht weil das Schreien eine unedle Seele verräth, sondern weil es das Gesicht auf eine ekelhafte Weise ver stellt. Denn man reiße dem Laokoon in Gedanken nur den Mund auf, und urtheile. Man lasse ihn schreien, und sehe. Es war eine Bildung, die Mitleid einflößte, weil sie Schönheit und Schmerz zugleich zeigte; nun ist es eine häßliche, eine abscheuliche Bildung geworden, von der man gern sein Gesicht verwendet, weil der Anblick des Schmerzes Unlust erregt, ohne daß die Schönheit des leidenden Gegenstan des diese Unlust in das füße Gefühl des Mitleids verwandeln kann.

Die bloße weite Oeffnung des Mundes, bei Scite gesezt, wie gewaltsam und ekel auch die übrigen Theile des Gesichts dadurch verzerrt und verschoben werden,

ift in der Malerei ein Fleck und in der Bildhauerei eine Verticfung, welche die widrigste Wirkung von der Welt thut. Montfaucon bewies wenig Geschmack, als er einen alten bärtigen Kopf, mit aufgerissenem Munde, für einen Orakel ertheilenden Jupiter ausgab. 1 Muß ein Gott schreien, wenn er die Zukunft eröffnet? Würde ein gefälliger Um riß des Mundes seine Rede verdächtig machen? Auch glaube ich es dem Valerius nicht, daß Ajar in dem nur gedachten Gemälde des Timanthes sollte geschrieen haben. 2 Weit schlechtere Meister aus den Zeiten der schon verfallenen Kunst lassen auch nicht einmal die wildesten Barbaren, wenn sie unter dem Schwerte des Siegers Schrecken und Todes: angst ergreift, den Mund bis zum Schreien öffnen. 3

Es ist gewiß, daß diese Herabseßung des äußersten körperlichen Schmerzes auf einen niedrigern Grad von Gefühl an mehrern alten Kunstwerken sichtbar gewesen. Der leidende Herkules in dem vergifteten Gewande von der Hand eines alten unbekannten Meisters war nicht der Sophefleische, der so gräßlich schrie, daß die Lokrischen Felsen und die Euböischen Vorgebirge davon ertönten. Er war mehr finster, als wild. Der Philoktet des Pythagoras Leontinus schien dem Betrachter seinen Schmerz mitzutheilen, welche Wirkung der geringste gräßliche Zug verhindert hätte. Man dürfte fragen, woher ich wisse, daß dieser Meister eine Bildsäule des Philoktet gemacht habe? Aus

Antiquit. expl. T. 1. p. 50.

2 Er giebt nämlich die von dem Timanthes wirklich ausgedrückten Grade der Traurigkeit so an: Calchantem tristem, moestum Ulyssem, clamantem Ajacem, lamentantem Menelaum. Der Schreier Ajax müßte eine häßliche Figur gewesen seyn, und da weder Cicero noch Quintilian in ihren Beschreibungen dieses Gemäldes seiner ge= denken, so werde ich ihn um so viel cher für einen Zusah halten dürfen, mit dem es Valerius aus seinem Kopfe bereichern wollen. 3 Bellorii Admiranda. Tab. 11. 12.

4 Plinius libr. XXXIV. sect. 19.

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