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Moment der Zeit, noch an einen gewissen Punct des Raumes zu beftende, auch in dem nämlichen Augenblicke, an der nämlichen Stelle zwei oder mehreren verschiedenen Per: sonen verschiedentlich vorkommende Erscheinung scheinen mir die Worte zu deuten, welche Matthäus zwar nur von dem Einen herabfahrenden Engel braucht: rv de ǹ idea avrov ságpaan; „die Idee, das Bild desselben war wie Bliß.“ Denn idea ist hier wohl noch etwas anders, als #90Ổ C):70V, und wenn damit, wie Grotius will, auf eine Stelle des Daniels nach der Ueberseßung der Siebziger gesehen würde, so wäre ja wohl auch das in dieser Stelle befindliche aо60.70v gebraucht worden. 'Idea heißt auch sonst nirgends das bloße Angesicht, wohl aber der totale Eindruck, den irgend etwas sichtbares Zusammengesettes macht. Also: die Sichtbarwerdung des herabfahrenden Engels wirkte wie Bliß, und wer auf diese Wirkung jemals Acht gegeben hat, wird wissen, daß in dem erschütterten Auge der nämliche Eindruck zurückbleibt, welchen ein starrer Blick auf gefrore nen Schnee im Sonnenglanze zu verursachen pflegt, welches in_ben folgenben Sorten: καὶ το ἐνδυμα αὐτου λευκον ώσει χιών, η und seine Hülle weiß wie der Schnee,“ sehr

malerisch ausgedrückt wird.

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„Beim Lucas berichten Maria Magdalena und die ,,übrigen Weiber dem Simon Petrus und Johannes und „übrigen Jüngern, die wirklich geschehene Auferstehung „Christi, die sie von den Engeln vernommen; bei dem Jo: „hannes aber meldet Maria Magdalena nur allein dem „Petrus und Johannes nur allein, nur allein, daß sie das Grab geöffnet gefunden, und der Leichnam des Herrn ,daraus entwendet worden."

Diesen Widerspruch hat man vorlängst damit zu heben gesucht, daß man angenommen, Maria Magdalena sey zweimal zum Petrus gekommen, habe ihm zweimal Nachrichten gebracht (die erste, welche Johannes meldet, und die zweite, deren Lucas gedenkt;) und Petrus sey, zufolge ihrer zweimaligen Nachricht, zweimal zu dem Grabe ge= gangen. Mein Ungenannter aber sagt, daß der doppelte Gang des Petrus zum Grabe nicht zu erweisen stehe, indem der Hingang, von welchem Lucas (XXIV, 12) rede, ganz ungezweifelt eben derselbe sey, dessen Johannes (XX, 2) gedenke, welches sich durch die fast identischen Ausdrüde zu Tage lege, welche beide Evangelisten davon brauchen. Was sagt nun mein Nachbar hierzu? Er sagt Anfangs, 1

1 Fünfte Unterredung, S. 136.

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daß dieser vermeinte Widerspruch aus dem Irrthum her: rühre, daß Magdalena mit unter den Weibern gewesen, „welche die erste Erscheinung der Engel hatten.“ Und war sie denn das nicht? Ist denn das so ein ausgemachter Irrthum? Weiß denn mein Nachbar nicht einmal, daß die Väter der Kirche es als eine Maxime angenommen haben, daß Maria Magdalena bei allen und jeden Erscheinungen, deren von den vier Evangeliften gedacht wird, gegenwärtig gewesen, um sogleich mit Irrthümern um sich zu werfen? Wenigstens dächte ich doch, wäre es augenscheinlich, daß der, welcher diesen angeblichen Jrr thum begt, den Worten des Matthäus mehr Gerechtigkeit widerfahren lasse, als der den Matthäus, wie ich gezeigt habe, so unbesonnen zwei verschiedene Begebenheiten in Eine kneten läßt. Doch die Autorität des Matthäus weil er ihr so halsbrechend doch einmal ausweichen zu müssen geglaubt, und eine Calumnie leichter gemacht als widerrufen ist auch bei Seite gesezt: sagen es denn nicht auch Marcus und Lucas mit ausdrücklichen Worten, daß Maria Magdalena bei der ersten Erscheinung der Engel gegenwärtig gewesen? Freilich nennt Lucas sie nicht namentlich bei dem Hingange: aber er nennt sie doch namentlich bei der Rückkunft. (XXIV, 10) Oder ist das bei dem Lucas eben angezogenen Orts, nicht die erste Erscheinung der Engel, auf welche unmittelbar folgt? Es war aber Maria Magdalena und Johanna und Maria Jakobi, und andere mit ihnen, die solches den Aposteln sagten.“

Daß mein Nachbar aber ja nicht glaube, daß ich nicht gelesen, was er an einer andern Stelle 1 über die namentliche Benennung der Maria Magdalena beim Marcus und Lucas fagt! Ich habe es gewiß gelesen, ich habe es zehnmal gelesen, ich habe es mit aller Aufmerksamkeit gelesen, deren ich fähig bin, aber Gott ist mein Zeuge, ich verstehe ihn nicht. Das ist das gelindeste, was ich hier sagen kann; und doch will ich mich den Eckel nicht abhalten lassen, seine Worte getreulich abzuschreiben. Vielleicht, daß sie mir in dem Abschreiben deutlicher werden. Ich habe mir schon öfter etwas in das Gedächtniß und in den Verstand ge schrieben. Gelingt mir das auch jezt, und ich bekenne es nicht, so möge dieses Hülfsmittel nie bei mir wieder an: schlagen!

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Alles, was ich noch bis jezt in den Worten meines Nachbars begreife, ist dieses: „daß, wie es mit dem Mar‚cus seyn soll, so sey es auch mit dem Lucas.“ 2 Und wie ist es denn mit dem Marcus? Hier fängt mein Unverstand an. An Worten zwar, sich zu erklären, läßt es der Nachbar nicht fehlen. Schade nur, daß man manch: mal, selbst vor Menge der Worte, den Sinn nicht sehen. kann. Unter den Weibern, sagt er, die zum Grabe Jesu, „ihn zu salben, gingen, nennt Marcus v. 1. die Maria „Magdalena zuerst, ohne Zweifel, weil sie die Sache am

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1 Dritte Unterredung, S. 90 2 Dritte Unterredung, S. 92.

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„meisten betrieben." Kann wohl seyn. Wer wird wider diese gründliche Vermuthung etwas haben, der schon weiß, wie gern die Marien den Herrn salbten! ,,Darauf er„zählt er v. 5—8 die Erscheinung des Engels, mit Vorbei „lassung des Umstandes, den wir aus dem Johannes ,,wissen, daß sich nämlich Magdalena von den übrigen ents ,,fernt, und die erste Erscheinung nicht mit gehabt habe."

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Zugegeben! ob ich gleich nicht recht weiß, was ich zu gebe. Ob Marcus diesen Umstand weggelassen, weil er ihn nicht wußte, oder weil er ihn der Kürze wegen, als eben nicht wichtig, übergangen. Wenn er nun v. 9. 10. ,,meldet, daß die bei dem Grabe vorgefallene Erscheinung ,,den Jüngern treulich berichtet sey "Was? wie? in diesen angezogenen Versikeln soll die Erscheinung, welche die Weiber ohne die Maria gehabt, berichtet seyn? und getreulich berichtet seyn? Habe ich den rechten Marcus nicht vor mir? oder hatte ihn mein Nachbar nicht vor sich? In diesen Versikeln wird ja eine ganz andere Erscheinung, die Maria Magdalena ganz allein gehabt, von der Maria Magdalena ganz allein, den Jüngern berichtet. Und es ist so wenig wahr, daß unter der Erzählung dieser Erschei= nung, welches eine Erscheinung Christi in eigener Person war, jene erste Erscheinung, welche beim Marcus und Lucas nur eine Erscheinung von Engeln ist, mit begriffen gewesen, daß sie schlechterdings nicht mit darunter begriffen gewesen seyn kann, indem Marcus in dem vorhergehenden Sten Versikel ausdrücklich sagt, daß die Weiber von ihrer Erscheinung der Engel keinem Menschen ein Bort gefagt, οὐδενι οὐδὲν εἶπον. 2lber bören wit ben Nachbar nur erst ganz aus. „Wenn Marcus nun v. 9. „10. meldet, daß die bei dem Grabe vorgefallene Erschei„nung den Jüngern treulich berichtet sey, so nennt er unter ,,den Erzählern die allein, welche er v. 1. zuerst nannte, „und erwartet billig von seinen Lesern, daß sie sich wieder „in der schon berührten Gesellschaft denken sollen." Aber was hilft es denn, daß der Leser so billig ist, als ihn nicht Marcus, sondern der Nachbar verlangt? Was hilft es denn? Gut, Maria ist nun wieder in der Gesellschaft der übrigen Weiber; diese übrigen Weiber sagen ja teis nem Menschen ein Wort, ovden ovder, von ihrer bei dem Grabe gehabten Erscheinung. Woher wußte denn Maria etwas davon? Wie kann sie den Jüngern etwas treulich berichten, wovon sie ganz und gar nichts weiß? Oder meinen Sie wohl, lieber Nachbar, daß das ovdevi oidev, teinem Menschen ein Wort, hier nicht so genau zu nehmen, weil es doch nur von Weiberchen gesagt werde, weil es ganz unglaublich, weil es moralisch unmög lich sey, daß Weiberchen von einer Erscheinung odav order, keinem Menschen ein Wort sollten gesagt haben, weil Weiberchen doch immer einen guten Freund oder eine gute Freundin haben, die sie als ein zweites Selbst be trachten, dem sie alles vertrauen können, ohne es jemand in der Welt vertraut zu haben. Meinen Sie so? Nachbar,

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Nachbar, Sie sind ein loser Schalt! Wenn das im Grunde auch so wäre, so muß man es aus Höflichkeit gegen das Geschlecht doch nicht sagen; am wenigsten muß man es in einer evangelischen Harmonie sagen. Freilich wird durch einen solchen erzsatyrischen Zug, durch eine solche spaßhafte Wendung, auch eine evangelische Harmonie lustis ger zu lesen; aber doch auch nichts weiter als lustiger, gründlicher nicht um ein Haar. Gott! Gott! ist es möglich, daß ein vernünftiger Mensch mit einem Texte, welchen er von dir eingegeben zu seyn glaubt, so umgehen kann! - Doch wir haben den Nachbar noch nicht ganz ausgehört. Hat Marcus gut gefunden, kurz zu seyn, wie er denn sichtbar der allerkürzeste ist, und daher den mehr erwähnten Umstand von der Entfernung der Magdalena „vorbei zu lassen, so konnte er nicht anders sprechen, als:

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Jesus erschien ihr in Gesellschaft der übrigen, ohne welche ,,er sie nicht aufführt, zuerst.“ Höre ich einen Menschen im Schlafe sprechen, oder was höre ich? Weil Marcus sichtbar der kürzeste ist, denn er hat sichtbar die wenigsten Kapitel: so darf er Dinge für wahr ausgeben, die nur alsdann wahr wären, wenn das, was er der Kürze wegen übergeht, auch ganz und gar nicht geschehen wäre? Erwachen Sie doch, Nachbar, und lassen Sie uns unsere fünf Sinne nur ein wenig zusammen nehmen! Ich schüttle Sie, und frage: Wußte Marcus den Umstand, den er überging, und den wir aus dem Johannes wissen, oder wußte er ihn nicht? Ich nehme den leßten Fall zuerst. Wußte er ihn nicht; glaubte er vielmehr das Gegentheil; glaubte er, daß Maria Magdalena sich nie von den übrigen Weibern ent: fernt habe: nun freilich, so konnte er ungefähr so schreiben, als Sie ihn schreiben lassen. Ich sage, ungefähr so, nicht ganz so. Denn er konnte nur sagen, daß Magdalena mit unter den Ersten gewesen, denen Christus nach seiner Auferstehung erschienen: nicht aber, daß Maria Magdalena schlechtweg die erste gewesen, die Christus dieses Vorzugs gewürdigt. (Daß er sie schlechtweg, vor zugsweise sie allein, die erste nennet, das muß also in einer ganz andern Rücksicht geschehen, wie ich weiterhin erklären will.) Allein, worüber streiten wir denn sodann, lieber Nachbar? Schlafen Sie mir nicht wieder ein, weil Sie hören, daß wir um nichts streiten! - Worüber streiten wir dann? Wenn Marcus einen Umstand der Auferstehungsgeschichte nicht wußte, den Johannes wußte; wenn er diesem seinen Nichtwissen gemäß schrieb und schreiben durfte, war es denn möglich, daß er nicht in Widerspruch mit dem fiel, der den nämlichen Umstand wußte, und diesem seinen Wissen gemäß schrieb und schreiben durfte? Jeder baute ja weiter auf das, was er wußte, oder nicht wußte; und was der Eine nicht wußte; nahm er ja als nicht geschehen an. Sie geben die Quelle aller Widersprüche zu, Nachbar, und wollen nur, daß sie nicht fließen soll. Sie halten, wie ein spielendes Kind, den Ausbruch des Strahls mit der Hand zurüd, als ob Sie ihn immer

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mit Ihrem Händchen zurückhalten könnten, als ob der Strahl das Händchen endlich doch nicht wegpressen, und das Kindchen noch oben d'rein besprißen würde! Ha! Sie machen große Augen? Hat Sie das tändelnde Gleich: niß so munter gemacht? Da es also nur lächerlich seyn würde, wenn sie, unter der Vorausseßung, daß die Evangelisten nicht alle die nämliche vollständige Nachricht von dem gehabt, was bei der Auferstehung Christi vorgefallen; unter dem Eingeständniß, daß der heil. Geist einen jeden nach dem Maaße seiner eingezogenen Kundschaft, auf bestes Wissen und Gewissen, schreiben lassen da es, sage ich, nur lächerlich seyn würde, wenn Sie, unter dieser Voraussegung, unter diesem Einverständniß, sich anmaßen wollten, alle nunmehr natürlicher und nothwendiger Weise unter den Evangelisten eintretende Widersprüche zu heben aber wie wird Ihnen auf einmal, Nachbar? Warum so zornig? Mit stummem Grimme weisen Sie auf Ihre eigene Worte, daß Marcus für gut gefunden, den mehr erwähnten Umstand von der Entfernung der Magdalena vorbei zu lassen;" und weisen nochmals auf das, hat er gut gefunden. Ich verstehe! Sie wollen sagen, daß es Ihnen nicht eingekommen, den ersten Fall meines überflüssigen Dilemma hier anzunehmen. Marcus müsse ja wohl gewußt haben, was er für gut befunden, vorbei zu lassen. Warum ich mich also bei etwas so lange aufhalte, woran Sie nie gedacht hätten? - Nun, nun, lieber Nach bar, werden Sie nur nicht ungehalten, daß ich erst das annehmen wollen, was noch das leidlichste wäre, was mir Ihre Behauptung etwas weniger abscheulich machte. Ich wollte nicht so zufahren, und es Ihnen gleich auf den Kopf|❘ zusagen, daß Sie denn also dem Marcus nichts geringers als eine vorsäßliche Lüge Schuld geben. Denn hören Sie doch nur! Aber daß Sie mir nicht wieder einschlafen! -Wenn Marcus, nach dem zweiten Falle des Dilemma, den Sie annehmen, den Umstand wußte, daß sich Maria Magdalena von ihren Gespielinnen abgesondert und wieder nach der Stadt gelaufen, sobald sie das Grab eröffnet ge= sehen; wenn er wußte, daß Maria Magdalena bei der Erscheinung also gar nicht zugegen gewesen, die indeß ihren Gespielinnen geschah; wenn er diese Erscheinung die erste Erscheinung des auferstandenen Christus nennet: wie tann er denn gesagt und geschrieben haben, daß Maria Magdas lena diese erste Erscheinung in derjenigen Erscheinung ge habt habe, bei welcher er wußte, daß sie gar nicht zugegen gewesen war? Wie kann er denn das gesagt und geschrieben haben, ohne vorseßlich eine Unwahrheit sagen und schreiben zu wollen? Heißt denn nicht vorseßlich lügen, vorseßlich etwas für Wahrheit ausgeben, wovon wir gar wohl wissen, daß es nicht Wahrheit ist? Wird eine vorsezliche Lüge denn darum weniger vorseßliche Lüge, weil ich sie machen muß, wenn ich dem, was ich zuvor gesagt, gleichförmig bleiben will? Oder wird sie eben dadurch noch um so viel vorsezlicher? Wer hieß dich denn von vorn

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herein die Sache so mangelhaft einleiten, die Umstände so verstümmeln, daß du nothwendig eine Lüge sagen mußt, wenn man deine Verstümmlung, deine mangelhafte Einleitung nicht merken soll? O Zeter! Der Mann ist schon wieder eingeschlafen. Nun so schlaf denn – und daß dich nie die Schande wecke, ein so alberner Calumniant eines Evangelisten gewesen zu seyn! - Und doch müssen wir nur bis ans Ende hören, was der Mann in der Töserei seiner Schlafsucht alles schrieb und drucken ließ. ,,Marcus, träumt er weiter, meint also offenbar mit diesen Worten die erste Erscheinung, welche den Weibern sämmt „lich wiederfuhr, und die nennt er mit Recht die erste, ob fie gleich, nach dem Johannes, die Magdalena nicht mit, sondern nachher eine allein hatte." Was einem im Traume nicht alles offenbar dünkt! Mit den Worten: „Jesus aber, da er auferstanden war, früh am ersten Tage der Sabbather, erschien er am ersten der Maria Magdas lena, von welcher er sieben Teufel ausgetrieben hatte;" mit diesen Worten soll Marcus offenbar nicht die Erscheinung meinen, deren Johannes (XX, 14) gedenkt, sondern die Erscheinung, von der Matthäus und Lucas sagen, von der Marcus selbst kurz vorher gesagt, daß sie die frommen Weiber zugleich gehabt? Offenbar! Wenn ich doch erfahren könnte, wem diese schöne offenbare Fraße zuerst offenbar geworden! Mit den Harmonien des Clericus und Lamy, welche beide in dem nämlichen Jahr 1699 herauskamen, schließt sich meine Belesenheit in dieser Art Schriften, und bis dahin finde ich nicht die geringfte Spur davon. Verzeiht mir also, ihr neuern Hars monisten, die ich nur den Namen nach kenne, wenn ich vielleicht gegen euch ungerecht bin, indem ich glaube, daß ein so seltener Pfifferling ganz allein auf meines Nachbars Miste gewachsen ist. Ich wüßte nicht, wo er sonst hätte wachsen können; es wäre denn, daß auch ihr, leßte Erben des harmonischen Geistes, Miste hättet, die eben so treffliche Schwämme hervortrieben.

Doch alle diese Höhnerei prallt auf mich selbst zurück, wenn ich nicht zeige, wie und in welchem Betracht Marcus denn sonst eine andere Erscheinung die erste nennen können, wenn ihm nicht die, welche den sämmtlichen Weibern geschahe, die erste seyn solle. Wie? und in welchem Betracht? das wußte der Nachbar wirklich nicht? wirklich nicht? O so hat er nie das Kapitel des Marcus im Zusammenhange gelesen: und er ist ein Laie, er ist ein Laie, und kein Theolog. Nicht als ob die Laien nicht auch müßten die Kapitel im Zusammenhange lesen, aus welchen sie einen Versikel erklären wollen: es ist nur eher von einem treuherzigen Laien, der, mit Luthern zu reden, aber eben so irrherzig als treuherzig ist, zu besorgen, daß er es unterläßt, als von einem Theologen.

Mehr nämlich braucht es schlechterdings nicht, als das Kapitel des Marcus im Zusammenhange zu lesen, um den garstigen Pilz auf des Nachbars Miste zu zertreten, an dem

sich auch ein Schwein vergiften könnte. Denn wem fällt es denn nicht sogleich in die Augen, und wem ist es denn noch nicht in die Augen gefallen, daß Marcus in seinem 16ten Rapitel eine zweifache Kundmachung der Auferstehung Christi erzählt, eine minder authentische und eine ganz authentische? Die minder authentische ist die Kundmachung derselben durch Engel, und geht bis auf den neunten Versikel. Die ganz authentische fängt mit dem neunten Versikel an, und besteht in den persönlichen Er scheinungen Christi, deren er vornehmlich drei gedenket, unter welchen und andern ihres gleichen, Marcus so ausdrüdlich sagt, daß die der Maria Magdalena ganz allein geschehene die allererste gewesen. Ich schäme mich vor mir selbst, daß ich scheinen muß, eine solche Catechismusmilch meinem Leser noch vorkauen zu wollen. Aber muß man nicht, jenen verzauberten Kehlen zu gefallen, die oft an einem Tropfen reiner Milch ersticken wollen, und ffündige Kieselsteine ohne Würgen herabschlucken? So mächtig kämpft ihre unglückliche Jdiosynkrasie mit allem, was lauter ist, und Nahrung gewährt!

,,Ja! wird mein Nachbar antworten, wer die bibli,,schen Schriftsteller nur so lesen dürfte, daß er bloß Acht ,,hätte, was jeder selbst sagt! Wenn man nicht immer bei „jedem auch ein Auge auf alle übrige haben müßte! Ei ,,freilich, so kann jeder Bauer den Marcus erklären. Aber ,,wir, wir Theologen (wenn er anders diese fallende

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Larve wieder unter den Hut zu stecken wagt) wir Theo„logen dürfen den Marcus durchaus nicht ohne den Matz „thäus erklären. Denn was hülfe es denn nun, daß wir ,,den Marcus so verstünden, wie ihn jedes Kind verstehen „kann, wenn Matthäus dadurch in die Enge käme? Denn | „erzählt Matthäus nicht ausdrücklich, daß den vom Grabe „zurückkommenden Weibern, wo sie nichts als die Botschaft ,,der Engel vernommen, unter Weges nach der Stadt zu, „auch Christus in eigener Person erschienen sey? Diese ,,Erscheinung muß ja doch wohl früher gewesen seyn, als „die, welche der Maria Magdalena allein (nach Johannis ,,XX, 14) geschah, da sie den Herrn für den Gärtner an „sah. Wenn nun Marcus in seinem neunten Versikel eben ,, diese Erscheinung meint, so war sie ja nicht die erste, und „er konnte nur in so fern sagen, daß Maria Magdalena ,,die erste persönliche Erscheinung Christi gehabt, als er zu verstehen gab (aber selbst nicht glaubte), daß Maria Mag „dalena immer bei den gesammten Weibern geblieben, und „mit diesen zugleich auf dem Rückwege nach der Stadt ,,den auferstandenen Christus zuerst ganz allein ge„sehen hätte?"

Dieß ist doch nach des Nachbars Meinung? Nicht? Er schläft; aber antwortet ihr, die ihr seine Reden im Schlafe für Orakel gehalten! — Nicht?

Und nun muß ich doch erst noch einen Augenblick auf seine Seite treten, und anmerken, daß dem ungeachtet noch Rath für seine liebe Harmonie gewesen wäre, ohne den

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Nämlich denn darin sind wir ohne Zweifel doch einig? daß, wenn ein einzelner weltlicher Geschichtschreiber vollkommen mit sich selbst übereinstimmt, so daß das, was er selbst sagt, zusammenhängt und natürlich auseinander fließt, man die Widersprüche, in die er durch die natür lichste Erklärung seiner Nachrichten mit andern Geschicht schreibern geräth, lieber auf seiner Rechnung stehen lassen, als durch eine minder natürliche Erklärung seiner Worte ihn mit andern vergleichen, und ihn dadurch in Widerspruch mit sich selbst bringen muß. Ich dächte nicht, daß jemand in der Welt dieses in Abrede seyn könnte. Denn woher weiß man, ob der Geschichtschreiber, den ich so auf seine Kosten mit andern übereinstimmig machen, mit diesen andern hat übereinstimmig seyn wollen? Ob er nicht vielmehr eben da, wo er mit andern nicht übereinkömmt, diese andere stillschweigend hat widerlegen wollen? — Und nun meine Frage! Wenn dem so ist, sollte man nicht die nämliche Gerechtigkeit, die wir jedem weltlichen Geschichtschreiber erweisen, vor allen Dingen den Evanges listen, die doch auch Geschichtschreiber seyn sollen, und sind, wiederfahren lassen, ehe und bevor wir sie zu Werkzeugen des heil. Geistes machen, der sich ihrer auf so verschiedene Art bedienen konnte?

Sollten wir das, wäre es nicht mehr als billig: wo bliebe eure Harmonie, Wortklauber, Sinnverdreher? Eure! Ich meine nicht jene bessere, die sich begnügt, ein einstimmiges Resultat zu erhalten, und fleine Nebenum stände, die in diesem nichts verändern, so verschieden, so widersprechend seyn läßt, als sie wollen. Ich meine nicht eine Harmonie, mit der sich die Christen zu Tatianus Zeiten begnügten. Ich meine eine Osiandrische, oder wie die gemilderten Osiandrischen Namen haben (denn sie sind doch alle mehr oder weniger Osiandrisch), — kurz eine Harmonie, wie sie nur in dem Lutherthume entstanden ist, wie sie nur in dem falschverstandenen Lutherthume ent stehen können. Diese, diese Harmonie wächserner Nasen, die einen jeden Evangelisten in jeder Sylbe retten 1 Messias, vierzehnter Gesang.

will, um aus ihnen allen ein Ding zusammen zu seßen, das kein einziger Evangelist für das Seine erkennen würde; diese Harmonie, gegen welche allein die Einwürfe meines Ungenannten gerichtet sind, die allein diese Einwürfe hervorgebracht hat, wo bleibt sie? wer braucht fie? wer mag sie? wenn wir die Evangelisten vor allererst als gesunde natürliche Menschen schreiben lassen.

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nur nicht an den Kopf werfen wollen, ist in der That
lächerlicher, als die obige Spöttelei zu Hülfe zu rufen.
Was Marcus den gesammten Jüngern (v. 10. 11.) mel
den läßt, ist augenscheinlich bloß und allein der Bericht der
Maria Magdalena von der ihr besonders geschehenen Er-
scheinung. Denn Maria kömmt da ganz allein, erzählt
ihnen ganz allein, daß der Herr lebe, xai idean va
avens nicht in avrov. Und da dieses alles so ist,
αὐτης ὑπ' αὐτων.
(man höre doch; denn so was treffliches kann man nicht oft
genug hören!) so meint Marcus die Erscheinung,

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Ja, denkt der Orthodoxist, die Evangelisten sind aber auch nicht gesunde natürliche Menschen, sie sind weit mehr. Run dann, so scheue ich mich nicht zu sagen, daß ihnen dieses Mehr sehr theuer zu stehen kommt. Man hat jeden, welche die vereinigten Weiber hatten, und das war ganz von ihnen einzeln zum elendesten Geschichtschmierer herab „recht die erste." (Aber wenn diese Erscheinung, die nur gewürdigt, um sie zusammen in corpore über alle mensch Matthäus allein hat, die weder Marcus noch Lucas haben, liche Geschichtschreiber zu erheben. worauf Marcus also auch keine Rücksicht nehmen wollen, noch nehmen können, so ganz recht die erste war; wie kann denn Marcus sagen, daß sie der Maria Magdalena, und der Maria Magdalena allein geschehen? Er wußte ja, daß sie ihr nicht einmal mit geschehen war. Und wäre sie ihr auch mit geschehen gewesen, hätte er aus diesem Grunde nicht eben so wohl sagen können, daß der Herr der Maria Jacobi, oder der Johanna, oder der Salome zuerst erschienen wäre? Was hätte denn Maria Magdalena für ein Vorrecht gehabt, daß er nur von ihr sagt, der Auferstandene sey ihr zuerst erschienen?)-,,Jeder Leser," wie derholt sich mein Nachbar weiter, als ob er sich bewußt wäre, ganz etwas außerordentlich Kluges und Sinnreiches gesagt zu haben, „jeder Leser, der nichts vom Johannes ,,weiß, muß ihn so verstehen," (widerlegt, oder es ist nie etwas in der Welt widerlegt worden!) — und wer „den Johannes gelesen, sieht leicht, warum Marcus Magdalenens Erscheinung die erste heißt, weil er nämlich die ‚damit meint, welche den Weibern, unter denen er sie zu„erst namhaft macht, gegeben war.“ Welch ein Grund! Weil Marcus die Maria Magdalena bei einer Gelegenheit zuerst namhaft macht, wo er sie gar nicht hätte namhaft machen sollen, so muß das, was er klar und deutlich und mit Bestande der Wahrheit bei einer andern Gelegenheit von ihr sagt, nicht von dieser, sondern von jener Gelegens heit zu verstehen seyn!

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Aber dieses Allgemeine bringt mich zu weit von dem einzelnen Falle, der mich hier beschäftigen soll. Zurück zu ihm. Was ich überflüssiges gesagt, habe ich auf Veranlassung der ohne allem gleichen seyenden und ewig bleiben den Mißhandlung des Marcus gesagt, deren sich mein Nachbar unterfangen. Und wohl mir, dem man leicht eine Uebertreibung Schuld geben könnte, daß der vorsichtige Nachbar seine Meinung nochmals mit andern Worten wiederholt. Denn auf eine Zwischenrede, deren sich sein Herr A. unterfängt, um ihm zu überlegen zu geben, ob man nicht gar sagen könne, Marcus habe es nicht einmal ge „wußt, daß Magdalena eine eigene Erscheinung allein ge„babt,“ auf diese Zwischenrede antwortet er sehr bedächtig, wie folgt: „Das wollte ich wohl nicht gern sagen“ daß nämlich Marcus nichts von der besondern Erscheinung gewußt, welche Maria ganz allein gehabt. Wie klug! ja nichts gegen den Marcus behaupten zu wollen, worüber wenigstens ein ganzer Versikel desselben (XVI, 9) für untergeschoben und eingeflickt hätte erklärt werden müssen! - „Sondern, fährt er fort, dafür will ich lieber, was ich "gesagt, wiederholen." Nun gut, ich will es mit ihm wiederholen, um ganz sicher zu gehen. Denn das Herz schlägt mir noch immer von Mitleid, einen ehrlichen Mann, der unstreitig die beste Absicht gehabt, so etwas wüstes und wildes sagen zu lassen. Er wiederholt also:,,Da Marcus nicht erwähnt, daß Magdalena von den übrigen gelaufen" - (ob er es schon wußte) —,,sondern sie in deren Gesell„schaft nach dem Grabe gehen läßt" (welches er schlech: ,,terdings nicht hätte thun müssen, da er jenes wußte) „die Erscheinung des Engels und seinen Auftrag an sie „meldet, und der Ausrichtung desselben erwähnt:" (Der Magdalena hatte der Engel nichts aufgetragen, denn sie war nicht dabei gewesen, und von Ausrichtung des Auftrags des Engels an die übrigen Weiber sagt Marcus nicht ein Wort. Er sagt vielmehr ausdrücklich, daß sie diesen Auftrag nicht ausgerichtet, ovdevi ovdev sitov, denn ovdeve durch nemini obvio zu überseßen, und so das all: gemeine Niemand auf die ersten die besten, die ihnen begegnet, einzuschränken, denen sie ihre gehabte Erscheinung

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Und nun wäre ich glücklich wieder da, wo ich oben meinen ersten Absprung nahm, bei den Worten des Nachbars, wie es mit dem Marcus ist, so ist es auch mit dem Lucas" Also nur noch dieses Einzige von jenem. Es waren auch einmal Leute, die sich in verschiedenes nicht finden konnten, was Marcus von dem auferstandenen Christus erzählt, und denen besonders der neunte Versikel, Αναζας πρῶτον ἐφανη Μαρία τη Μαγδαληνη, an meldem sich der Nachbar ein so herrliches Denkmal gestiftet, ein ges waltiger Anstoß war, weil er, wie Hieronymus sagt, 1 diversa atque contraria Evangelistis ceteris narrare videatur: und was thaten diese Leute? Weil sie so fein nicht waren, als der Nachbar, weil sie so viel Exegetit 1 Man sehe die Anmerkung des Millius.

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