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Antwort des ersten des besten Gegners schwerlich begnügen können. Denn wenn sie auch wirklich die beste wäre, so ist das Beste doch nicht immer gut, und ich kenne für tausend Zweifel die besten Antworten sehr wohl, ohne eine einzige gute darunter zu finden.

Daß man mir aber nur nicht eine so schwer zu befrie digende Nachforschung als einen Beweis dessen vorwerfe, was ich so eifrig abzulehnen suche! Ich erzeige mich auch dadurch so wenig als den Advocaten des Ungenannten, daß ich mich vielmehr (weil es doch einmal Advocat heißen soll) als den Advocaten der Religion damit erweise, die der Ungenannte angreift. Denn was hat er zu thun, der rechtschaffene Advocat, ehe er eine Sache übernimmt? Nachdem er seinen Clienten lange genug angehört, sich ein Langes und Breites von ihm vorsagen lassen, in die Länge und in die Quere ihn ausgefragt, 1 in aliam rursus ei personam transeundum est, agendusque adversarius, proponendum, quidquid omnino excogitari contra potest, quicquid recipit in ejusmodi disceptatione natura. Gerade so auch ich! Aber wer den Vertheidigern der Religion sodann am schärfsten widersprechen wird, wird es darum mit der Religion nicht am schlimmsten meinen. Denn ich werde nur darum die Vertheidiger der Religion interrogare quam infestissime, ac premere, weil auch hier, dum omnia quaerimus, aliquando ad verum, ubi minime expectavimus, pervenimus; weil auch hier optimus est in dicendopatronus incredulus.

Nun habe ich freilich dieser Pflicht gegen mich selbst zur Zeit noch wenig Genüge leisten können. Aber ich hoffe, in Zukunft es besser zu thun, und es mit aller der Kälte, mit alle dem Glimpse gegen die Personen zu thun, die mit jener Strenge und Wärme für die Sache bestehen können, welche allein Quinctilian bei seinem infestissime tann gedacht haben.

„Ei nun ja!“ höre ich den Herrn Hauptpastor rufen und bin bei dem zweiten Gliede dieser Rüge. „Ei nun „ja! Da verlasse sich einer darauf, und binde mit ihm an! Wir haben die Erfahrung davon, ich und sein Nachbar. Wie höhnend, wie verachtend, wie wegwerfend hat er „wider uns geschrieben!“

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Fühlen Sie das, Herr Hauptpastor? Desto besser. So habe ich meinen Zweck mit Ihnen erreicht, aber noch lange nicht gethan, was Sie verdienen. Denn einmal gehören Sie zu den Gegnern meines Ungenannten noch gar nicht. Sie haben bis diese Stunde ihn noch in nichts widerlegt, Sie haben bloß auf ihn geschimpft. Sie sind bis diese Sie sind bis diese Stunde nur noch als mein Gegner anzusehen; nur noch als der Gegner eines Gegners des Ungenannten. Und nächst dem haben Sie wider diesen Gegner des Ungenann ten sich Dinge erlaubt, die Sie zum Theil kaum gegen den Ungenannten sich hätten erlauben müssen. Sie haben mich feindseliger Angriffe auf die christliche Religion beschuldigt,

1 Quinctilianus L. XII

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Sie haben mich förmlicher Gotteslästerungen beschuldigt. Sagen Sie selbst: wissen Sie infamirendere Beschuldigungen als diese? Wissen Sie Beschuldigungen, die unmittelbarer Haß und Verfolgung nach sich ziehen? Mit diesem Dolche kommen Sie auf mich angerannt, und ich soll mich nicht anders, als den Hut in der Hand, gegen Sie vertheidigen können? soll ganz ruhig und bedächtig stehen bleiben, daz mit ja nicht Ihr schwarzer Rock bestaubt werde? soll jeden Athemzug so mäßigen, daß ja Jhre Perrücke den Puder nicht verliere? Sie schreien über den Hund „er ist toll!“ wohl wissend, was die Jungen auf der Gasse daraus folgern: und der arme Hund soll gegen Sie auch nicht einmal blaffen? blaffend Sie nicht Lügen strafen? Ihnen nicht die Zähne weisen? Das wäre doch sonderbar. Hieronymus sagt, daß die Beschuldigung der Keßerei (wie viel mehr der Irreligion?) der Art sey, in qua tolerantem esse, impietas sit, non virtus. Und doch, doch hätte ich mich lieber dieser Gottlosigkeit schuldig machen, als eine Tugend nicht aus den Augen sehen sollen, die keine ist? Ansständig: feit, guter Ton, Lebensart: elende Tugenden unseres wei bischen Zeitalters! Firniß seyd ihr, und nichts weiter. Aber eben so oft Firniß des Lasters, als Firniß der Tugend. Was frage ich darnach, ob meine Darstellungen diesen Firniß haben, oder nicht? Er kann ihre Wirkung nicht vermehren, und ich will nicht, daß man für meine Gemälde das wahre Licht erst lange suchen soll. — Sagen Sie an, Herr Hauptpastor, was habe ich gegen Sie geschrieben, warum Sie nicht nach wie vor Hauptpastor in Hamburg seyn und bleiben könnten? Ich hingegen könnte das nicht seyn, könnte das nicht bleiben, was ich bin, wenn Ihre Lüge Wahrheit wäre. Sie wollen mir die Nase abschneiden, und ich soll Ihrer nicht mit ein wenig assa foetida räuchern?

Dieses ist nun freilich der Fall meines Nachbars nicht ganz. Aber ihn habe ich auch nirgends so behandelt, als den Herrn Hauptpastor. Bloß sein wiederholter Vorwuri, daß der Ungenannte die Wahrheit, die er gar wohl einsebe, nur nicht einsehen wolle, bloß dieser Vorwurf, welcher einen Menschen so ganz in einen Teufel verwandelt, bloß dieser Vorwurf, von dessen Gifte, wie ich bewiesen habe, ein großer Theil auf mich zurück sprigt, hat mich im Fort gange des Wortwechsels bitterer gegen ihn gemacht, als ich zu seyn mir vorgenommen hatte. Und wie bitter bin ich denn gegen ihn gewesen? Das bitterste ist doch wohl, daß ich von ihm gesagt habe, „er schreibe im Schlafe?“ Mehr nicht? Und daraus will der Herr Hauptpastor schließen, daß das Testament Johannis, in welchem die allgemeine brüderliche Liebe so sehr empfohlen wird, von mir unmöglich seyn könne? Nun wohl, so hat Hieronymus, aus welchem ich das Testament Johannis genommen, eben so wenig von dieser Liebe gehabt als ich, und ich bin lange zufrieden, daß ich deren doch eben so viel habe, als Hie: ronymus, wenn schon nicht ganz so viel, als der Herr

Hauptpastor Goeze, der seine Herren Collegen aus brüder: licher Liebe eher ewig schlafen macht, als ihnen das Echlafen vorwirft. Denn gerade sagt Hieronymus einem seiner Gegner nicht mehr und nicht weniger, als ich meinem Nachbar gesagt habe. Dem Vigilantius nämlich schreibt er mit dürren Worten: Ego reor, et nomen tibi zar' avtippadi impositum. Nam tota mente dormitas et profundissimo non tam somno stertis, quam lethargo. Auch wiederholt der heilige Mann das böse Wortspiel überall, wo er von dem Vigilantius spricht; und wenn ich recht gezählt habe, mag er ihn wohl eben so oft ausdrücklich Dormitantius nennen, als ich meinen Nachbar in seinem Schlafe zu stören mir die Freiheit genommen habe. Ich fürchte auch im geringsten nicht, daß der Nachbar selbst diesen kleinen Spaß so hoch aufgenommen haben sollte, daß er sich mit mir nicht weiter abzugeben beschlossen hätte. Darunter würde ich allerdings zu viel verlieren, und lieber will ich gleich hier, mit folgenden Worten des Augustinus | ihn um Verzeihung bitten: Obsecro te per mansuetudinem Christi, ut si te laesi, dimittas mihi, nec, me vicissim laedendo, malum pro malo reddas. Laedes enim, si mihi tacueris errorem meum, quem forte inveneris in scriptis meis.

Nun eben wollte ich noch die Frage thun: welchem Gegner meines Ungenannten sonst ich auf eine unanständige abschreckeude Art begegnet bin? als mit eins ein Ritter das Visir weder auf noch nieder geschoben, in den Kampfplay gesprengt kömmt, und gleich von weitem in dem wahren Ton eines homerischen Helden mir zuruft: 1 „Ich sollte -? Woher wissen Sie ? Warum thaten Sie -? Nicht wahr — ?" Und hierauf ein Geschrei über Verleumdung, und ein Hochzeitbitterbeweis, daß ein Sub-| rector in einer Reichsstadt eben so viel sey, als ein Bibliothekar, der Hofrath heiße! — Ei, meinetwegen noch zehnmal mehr! Aber gilt das mir? Ich kenne Sie nicht, edler Ritter. Mit Erlaubniß, wer sind Sie? Sie sind doch wohl nicht gar Herr M. Friedrich Daniel Behn, des lübeckischen Gymnasii Subrector? Wahrlich? O wie be daure ich, daß ich den Herrn Subrector durch meinen vierten Anti-Goeze wider all mein Wollen so in den Har: nisch geschrieben habe! Aber bedenken Sie doch nur! Ich habe Sie nirgends genannt, ich habe Ihre Schrift nirgends angezogen, ich habe Ihre Worte nirgends gebraucht. Sie sagen selbst, daß die Meinung, die ich lächerlich mache, Ihre Meinung nicht sey. Und leicht möglich, daß sie es wirklich nicht ist, obgleich der Herr Hauptpastor Goeze sie um ein großes so vorstellt, indem er uns sagt, wie sehr Sie in Ihrem zweiten Abschnitte den Unfug beklagen, daß man die christliche Religion in deutscher Sprache bestreite. Wie, wenn ich es also nur mit diesem Manne zu thun hätte, der alles für Unfug erklärt, was nicht in seinen Kram taugt? Wie? wenn ich es nur mit denen zu thun

1 Anti-Leffing.

hätte, die mir diese nämliche Meinung hundertmal mündlich geäußert haben? Woher erhellet denn, daß ich der Welt zu verstehen geben wollen, als ob auch Sie dieser nämlichen Meinung wären? Daher, weil ich sie einem Subconrector in den Mund gelegt habe? Aber Sie sind ja nicht Subconrector, sondern Subrector. Warum muß ich denn diesen lieber in jenen herabgewürdigt, als unter jenem diesen gar nicht gemeint haben? Darf ich denn einen Pedanten nicht Subconrector nennen, weil Herr Behn Subrector ist? Oder wollen Sie den Unterschied zwischen objectiver und subjectiver Religion schlechterdings zuerst erfunden, zuerst gebraucht haben, so daß ich Sie nothwendig dadurch kenntlich gemacht hätte, daß ich ihn nachgebraucht? Ich merke, mein lieber Herr Subrector, Sie sind ein wenig sehr stolz, aber doch noch hiziger als stolz, und mich jammert Ihrer Classe. So oft ein Knabe lacht, muß er über den Herrn Subrector gelacht haben, lacht haben, et vapulat.

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Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger. Noch ein Fragment des Wolfenbüttel'schen Ungenannten. Herausgegeben von Gotthold Ephraim Lessing. 1778.

Vorrede des Herausgebers.

Gegenwärtiges Fragment sollte, meinen ersten Gedan ken nach, durch mich entweder gar nicht, oder doch nur irgend einmal zu seiner Zeit in eben dem abgelegenen so wenig besuchten Winkel bibliothekarischen Auskehrichts ers scheinen, in welchem seine Vorgänger erschienen sind. Ich lasse mir es ungern früher aus den Händen winden; aber wer kann für Gewalt?

Gleich Anfangs muß ich sagen, daß dieses Fragment zu dem Fragmente über die Auferstehungsgeschichte gehört, welches bereits so viele Federn beschäftigt hat, und wahrscheinlich noch lange immer neune gegen eine beschäftigen wird, die ihr Heil gegen die übrigen Fragmente versuchen möchte.

Die Ursache dieser Erscheinung, daß eben das Frag ment über die Auferstehungsgeschichte so viel Athleten wedt, ist klar. Die Sache, worüber gestritten wird, ist so wichtig, und der Streit scheint so leicht zu seyn! Jeder Homilet, der sich getraut eine Osterpredigt zu halten, getraut sich auch mit meinem Ungenannten hier anzubinden. Krüppel will überall vorantanzen, und er läßt mehreres drucken, was nur eben verdiente gesagt zu werden, und auch das kaum ver

diente.

Doch es sey fern von mir, daß ich alle die würdigen Männer, welche gegen besagtes Fragment bisher geschrieben haben, in diesem ärmlichen Lichte erblicken sollte. In einigen derselben erkenne ich wirklich Gelehrte, deren Schuld es

nicht ist, wenn ihr Gegner nicht zu Boden liegt. Die Streiche, die sie führen, sind nicht übel, aber sie haben auf die Strahlenbrechung nicht gerechnet, der Gegner steht nicht da, wo er ihnen in seiner Wolke zu stehen scheint, und die Streiche fallen vorbei oder streifen ihn höchstens.

Gewissermaßen kann ich selbst nicht in Abrede seyn, daß ich, der Herausgeber, daran mit Schuld habe. Man konnte es dem Bruchstücke nicht ansehen, welche Stelle es in dem Gebäude behauptet, oder behaupten sollen. Ich gab deßfalls keinen Wink, und es ist ganz begreiflich, wenn sonach die Schnauze einer Renne für einen Kragstein, das Gesimse einer Feuermauer für ein Stück des Architrabs genommen und als solches behandelt worden.

Freilich könnte ich zu meiner Entschuldigung anführen, gleichwohl vor der Klippe gewarnt zu haben, an der man gescheitert, indem ich Fragmente für nichts als Fragmente ausgegeben. Freilich könnte ich meinen sehr verzeihlichen Wahn vorschüßen, daß ich geglaubt, des Celsus Incivile est, nisi tota lege perspecta, una aliqua particula ejus proposita, judicare vel respondere habe Justinian eben so wohl für den Gottesgelehrten, als für den Rechtsgelehrten aufbewahren lassen.

Doch da es indeß auch seinen Nußen hat, daß unsere Gottesgelehrten so vorsichtig und bedächtig nicht sind, als unsere Rechtsgelehrten, und manche derselben nicht ohne Grund für nöthig erachten, lieber bald und nicht gut, als spät und besser zu antworten, indem es vielen ihrer Leser doch einerlei ist, wie sie antworten, wenn sie nur ant worten: so will ich darüber weiter nichts sagen, und nur so bald als möglich den Fehler von meiner Seite wieder gut zu machen suchen.

Aus dem nämlich, was ich nun noch aus den Papieren des Ungenannten mitzutheilen im Stande bin, wird man, wo nicht günstiger, doch richtiger von dem Fragmente der Auferstehungsgeschichte urtheilen lernen. Man wird wenig stens aufhören, seinen Verfasser als einen Wahnsinnigen zu verschreien, der die Sonne mit einem Schneeballe auslöschen will, indem man nun wohl sieht, daß die Zweifel, welche er wider die Auferstehungsgeschichte macht, das nicht find, noch seyn sollen, womit er die ganze Religion um zustoßen vermeint. Er schließt ganz so lächerlich nicht, als man ihn bisher schließen lassen: die Geschichte der ,,Auferstehung ist verdächtig, folglich ist die ganze Religion falsch, die man auf die Auferstehung gegründet zu seyn vorgiebt;" sondern er schließt vielmehr so:,,die ganze ,,Religion ist falsch, die man auf die Auferstehung gründen ,,will, folglich kann es auch mit der Auferstehung seine ,,Richtigkeit nicht haben, und die Geschichte derselben wird Spuren ihrer Erdichtung tragen, deren sie auch wirklich „trägt.“

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Aber schäme ich mich nicht, daß ich das kleinere Merger niß durch ein weit größeres heben zu wollen vorgebe? Warum lasse ich es bei jenem nicht bewenden, wenn ich

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nicht selbst Freude an dem Aergernisse habe? — Darum nicht, weil ich überzeugt bin, daß dies Aergerniß überhaupt nichts als ein Popanz ist, mit dem gewisse Leute gern allen und jeden Geist der Prüfung verscheuchen möchten. Darum nicht, weil es schlechterdings zu nichts hilft, den Krebs nur halb schneiden zu wollen. Darum nicht, weil dem Feuer muß Luft gemacht werden, wenn es gelöscht werden soll.

Man erlaube mir, daß ich besonders auf dem Leztern einen Augenblick bestehe. Ich habe bereits an einem andern Orte gesagt, daß das Buch ganz und völlig ausgearbeitet existirt, und bereits in mehreren Abschriften, an mehreren Orten existirt, wovon ich nur den kleinern Theil in Fragmenten des ersten Entwurfs in Händen habe. Ich seze jezt hinzu, daß dieses Buch geschrieben aus einer Hand in die andere geht, aus einer Provinz in die andere vertragen wird, und so im Verborgenen gewiß mehr Proselyten macht, als es im Angesichte einer widersprechenden Welt machen würde. Denn man liest nichts begieriger, als was man nur nächst Wenigen lesen zu können glaubt. Ein Manuscript ist ein Wort ins Ohr, ein gedrucktes Buch ist eine Jedermannssage, und es ist in der Natur, daß das Wort ins Ohr mehr Aufmerksamkeit macht, als die Jeder mannssage.

Bei diesem Gleichniß zu bleiben, was habe ich nun Unrechtes gethan, was thue ich noch Unrechtes, daß ich das Wort ins Ohr, welches die Wohlfahrt eines ehrlichen Mannes untergräbt, je eher je lieber zu einer lauten Sage mache, damit es auch dem, den es betrifft, zu Ohren komme, und er Gelegenheit habe, sich darüber zu verant worten? Ja, wenn dieses Wort ins Ohr in meinem Ohre erstürbe! wenn ich selbst der Urheber dieses Wortes wäre! Aber ist dieses hier der Fall? Und doch sollte ich mich schämen?

Die mögen sich vielmehr schämen, welche die Verheißung ihres göttlichen Lehrers haben, daß seine Kirche auch von den Pforten der Hölle nicht überwältigt werden soll, und einfältig genug glauben, daß dieses nicht anders geschehen könne, als wenn sie die Pforten der Hölle überwältigen!Und wie denken sie einen solchen Sieg zu erlangen? Da durch, daß sie gar in keinen Streit sich einlassen? Dadurch, daß sie das Ding so zu karten suchen, daß die Pforten der Hölle auch nicht einmal einen Anfall wagen dürfen? Von diesem negociirten Siege aus ihrer politischen Studier stube kenne ich keine Verheißung.

Aber warum sage ich denn: „die mögen sich schämen?“ Die muß der heißen. Der mag sich schämen, der noch der einzige seiner Art ist! Denn noch ist der Hr. Hauptpastor Goeze der einzige Theolog, der zugleich so stolz und so klein von der christlichen Religion denkt. Noch ist er der einzige, der es mir verübelt, daß ich die Fluth lieber nach und nach durch den Damm zu leiten suche, als den Damm auf einmal will übersteigen lassen. Noch ist er der einzige, der mich darum auf eine Art verlästert, die wenigstens dem

Racha gleich kömmt. Nur freilich, daß der große Rath, | pastor in Hamburg dem Bibliothekar in Wolfenbüttel zu nicht dieses sein Racha, sondern mich auf dieses sein Racha

bestrafen soll. Sehr christlich!

Darauf wage ich es denn nun aber auch hin. Genug, daß für mich selbst der Nußen immer unendlich größer ausfallen muß, als der Schade seyn kann, dem mich meine Dreistigkeit in Zuversicht auf die gerechte Sache ausseßt. Denn da, wie mir der Hr. Hauptpastor bereits selbst attestirt haben, ich schlechterdings kein hebräisch verstehe, so kann es nicht fehlen, daß ich, auf Veranlassung dicses neuen Fragments, bei welchem es lediglich auf eine tiefe Kenntniß der hebräischen Sprache und Alterthümer ankömmt, nicht über manche Dinge belehrt werden sollte, über die ich fremde Belehrung nothwendig brauche. Der Hr. Hauptpastor selbst, nach ihrer bekannten großen orienta: lischen Gelehrsamkeit, werden hoffentlich ein Vieles dazu beitragen, wofür ich ihm gern alle das Uebel vergeben will, das sein heiliger Eifer mir etwa sonst möchte zugezo gen haben. Ein frommer Schüler kann über die Züchtigung seines treuen Lehrers weinen, aber` nicht zürnen. hiermit küsse ich seine Ruthe, oder seine Scorpionen, schon im Voraus!

Gotth. Ephr. Lessings

Und

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,,ob die christliche Religion bestehen könne, wenn auch „die Bibel völlig verloren ginge, wenn sie schon längst ,, verloren gegangen wäre, wenn sie niemals gewesen ,,wäre?"

sich so fort weiter gehörig einlassen wolle, sobald ich eine bestimmte Erklärung würde von mir gegeben haben, was für eine Religion ich unter der christlichen Religion verstehe.

Wenn ich mich weniger rein wüßte, wer könnte es mir verdenken, wenn ich mich dieser Anforderung, die eine wahre Calumnie enthält, aus eben dem Grunde weigerte, aus welchem Er sich, einer weit weniger verfänglichen Anforderung von mir, zu entziehen für gut findet. Er sagt nämlich: 2 der Bibliothekar in Wolfenbüttel habe dem Hauptpaftor in Hamburg nichts zu befehlen. Sehr wahr! Aber was hat denn der Haupt

1 Leffings Schwächen. Zweites Stüd. S. 66.

2 S. 64.

befehlen, daß er ihn öffentlich vorladen darf, auf eine Frage zu antworten, die vorausseßt, daß er befriedigend nicht darauf antworten könne?

Doch der Bibliothekar will es so genau nicht nehmen. Denn der Bibliothekar, wie gesagt, weiß sich rein, und muß herzlich lachen, wenn der Hauptpastor versichert zu seyn vorgiebt, 1 „daß ich, wenn ich voraus hätte sehen „können, daß die Controvers diesen Lauf nehmen werde, ,,mich wohl gehütet haben würde, mich so frühzeitig zu „verrathen, und die wahren Gedanken meines Herzens zu ,,offenbaren."

Ich habe nichts mehr gewünscht, als das, und es soll sich gleich zeigen, wer von uns beiden, ob der Hauptpastor oder der Bibliothekar, mit der längern Nase nun abziehen wird.

Denn furz, ich antworte auf die vorgelegte Frage so bestimmt, als nur ein Mensch von mir verlangen kann, daß ich unter der christlichen Religion alle diejenigen Glau benslehren verstehe, welche in den Symbolen der ersten vier Jahrhunderte der christlichen Kirche enthalten sind.

Damit sich der Hr. Hauptpastor auch keine Whiston'sche Fälle träumen lasse, seße ich hinzu, daß ich sogar das so genannte Symbolum der Apostel, und das so genannte Symbolum des Athanasius mit darunter begreifen will, ob es schon ausgemacht ist, daß diese zu jenen gar nicht ge= hören.

Bei dieser Erklärung könnte ich es bewenden lassen, und dürfte ruhig abwarten, wie der Hr. Hauptpastor seinen Feldzug nunmehr weiter anzustellen belieben werde. Denn nunmehr ist es an ihm, zu beweisen:

1) warum nothwendig die in jenen Glaubensbekennt-
nissen enthaltenen Lehren sich verlieren müßten,
wenn die Bibel sich verlöre;

2) warum diese Lehren längst verloren gegangen seyn
müßten, wenn die Bibel verloren gegangen wäre;
3) warum wir diese Lehren gar nicht wissen könnten,
wenn die Bibel niemals gewesen wäre?

Doch ich will an unnöthiger Verlängerung unserer Streitigkeit nicht Schuld haben, und füge daher folgende kurze Säße hinzu, bei welchen mich der Hr. Hauptpastor jederzeit festhalten kann. Nur muß er mich bei keinem derselben eher festhalten wollen, als bis er seinen Beweis geführt hat. Denn sonst würde offenbar eine gelehrte Streitigkeit, zu einem Inquisitionsverhör werden. Genug, daß er ungefähr daraus sieht, was ich in recessu habe, und worauf er sich gefaßt halten muß.

§. 1.

Der Inbegriff jener Glaubensbekenntnisse heißt bei den ältesten Vätern Regula fidei.

§. 2.

Diese Regula fidei ist nicht aus den Schriften des neuen Testaments gezogen.

1 S. 69.

§. 3.

Diese Regula fidei war, che noch ein einziges Buch des neuen Testaments existirte. §. 4.

Diese Regula fidei ist sogar älter als die Kirche. Denn die Absicht, zu welcher, die Anordnung, unter welcher eine Gemeinde zusammengebracht wird, ist ja wohl früher als die Gemeinde.

§. 5.

Mit dieser Regula fidei haben sich nicht allein die ersten Christen, bei Lebzeiten der Apostel, begnügt; sondern auch die nachfolgenden Christen der ganzen ersten vier Jahrhunderte haben sie für vollkommen hinlänglich zum Christenthum gehalten.

§. 6.

Diese Regula fidei also ist der Fels, auf welchen die Kirche Christi erbaut worden, und nicht die Schrift. §. 7.

Diese Regula fidei ist der Fels, auf welchem die Kirche Christi erbaut worden, nicht Petrus und dessen Nachfolger.

§. 8.

Die Schriften des neuen Testaments, so wie sie unser jeßiger Kanon enthält, find den ersten Christen unbekannt gewesen; und die einzelnen Stücke, welche sie ungefähr daraus kannten, haben bei ihnen nie in dem Ansehen gestanden, in welchem sie bei einigen von uns nach Luthers Beiten stehen.

§. 9.

Die Laien der ersten Kirche durften diese einzelnen Stücke gar nicht einmal lesen, wenigstens nicht ohne Erlaubniß des Presbyters lesen, der sie in Verwahrung hatte. §. 10.

Es ward sogar den Laien der ersten Kirche zu keinem geringen Verbrechen gerechnet, wenn sie dem geschriebenen Worte eines Apostels mehr glauben wollten, als dem lebendigen Worte ihres Bischofs.

§. 11.

Nach der Regula fidei find selbst die Schriften der Apostel beurtheilt worden. Nach ihrer mehreren Uebereinstimmung mit der Regula fidei ist die Auswahl unter diesen Schriften gemacht worden; und nach ihrer wenigern Uebereinstimmung mit derselben sind Schriften verworfen worden, ob sie schon Apostel zu Verfassern hatten, oder zu haben vorgegeben wurden.

§. 12.

Die chriftliche Religion ist in den ersten vier Jahr hunderten aus den Schriften des neuen Testaments nie erwiesen, sondern höchstens nur beiläufig erläutert und bestätigt worden.

§. 13.

Der Beweis, daß die Apostel und Evangelisten ihre Schriften in der Absicht geschrieben, daß die christliche

Religion ganz und vollständig daraus gezogen und erwiesen werden könne, ist nicht zu führen.

S. 14.

Der Beweis, daß der heil. Geist durch seine Leitung es dennoch, selbst ohne die Absicht der Schriftsteller, so geordnet und veranstaltet, ist noch weniger zu führen. §. 15.

Die Authentie der Regula fidei ist viel leichter und richtiger zu erweisen, als die Authentie der neutestamentlichen Schriften.

§. 16.

Auf die unstreitig erwiesene Authentie der Regula fidei ist auch weit sicherer die Göttlichkeit derselben zu gründen, als man jezt auf die Authentie der neutestamentlichen Schriften derselben Inspiration gründen zu können vers meint, welches eben, um es beiläufig zu sagen, der neu gewagte Schritt ist, welcher den Bibliothekar mit allen neumodischen Erweisen der Wahrheit der christlichen Religion so unzufrieden macht.

§. 17.

Auch nicht einmal als authentischer Commentar der gesammten Regula fidei find die Schriften der Apostel in den ersten Jahrhunderten betrachtet worden.

§. 18.

Und das war eben der Grund, warum die älteste Kirche nie erlauben wollte, daß sich die Kezer auf die Schrift beriefen. Das war eben der Grund, warum sie durchaus mit keinem Keper aus der Schrift streiten wollte. §. 19.

Der ganze wahre Werth der apostolischen Schriften, in Absicht der Glaubenslehren, ist kein anderer, als daß fie unter den Schriften der christlichen Lehrer obenan stehen, und so fern sie mit der Regula fidei übereinstimmen, die ältesten Belege derselben, aber nicht die Quellen der selben sind.

§. 20.

Das Mehrere, was sie über die Regula fidei ent halten, ist, nach dem Geiste der ersten vier Jahrhunderte, zur Seligkeit nicht nothwendig, kann wahr oder falsch seyn, kann so oder so verstanden werden.

Diese Säge habe ich aus eigener sorgfältigen, mehrmaligen Lesung der Kirchenväter der ersten vier Jahrhunderte gesammelt, und ich bin im Stande mich mit dem gelehrtesten Patristiker darüber in die schärfste Prüfung einzulassen. Der Belesenste hatte in dieser Sache nicht mehr Quellen, als ich. Der Belesenste kann also auch nicht mehr wissen, als ich; und es ist gar nicht wahr, daß so tiefe und ausgebreitete Kenntnisse erfordert werden, um in allen diesen Stücken auf den Grund zu kommen, als fich manche wohl einbilden, und manche die Welt gern bereden möchten.

Ich sollte vielleicht noch etwas über die Unschädlichleit dieses meines Systems beifügen, und zugleich den besondern

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