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aber kann ihr dieses die vornehmste Stelle in einem Trauer: spiele verdienen? Das Trauerspiel, (sagt Aristoteles, Hauptstück 14) soll uns nicht jede Art des Vergnügens ohne Unterschied gewähren, sondern nur allein das Vergnügen, welches ihm eigenthümlich zukömmt.

Warum wollen wir die Arten der Gedichte ohne Noth verwirren, und die Gränzen der einen in die andern laufen lassen? So wie in dem Heldengedichte die Bewunderung das Hauptwerk ist, alle andere Affekten, das Mitleiden besonders, ihr untergeordnet sind: so sey auch in dem Trauerspiele das Mitleiden das Hauptwerk, und jeder andere Affekt, die Bewunderung besonders, sey ihm nur unters geordnet, das ist, diene zu nichts, als das Mitleiden erregen zu helfen. Der Heldendichter läßt seinen Helden unglücklich seyn, um seine Vollkommenheiten ins Licht, um uns sein Unglück desto schmerzlicher zu machen.

Ein großes Mitleiden kann nicht ohne große Vollkom menheiten in dem Gegenstande des Mitleids seyn, und große Vollkommenheiten, sinnlich ausgedrückt, nicht ohne Bewunderung. Aber diese großen Vollkommenheiten sollen in dem Trauerspiele nie ohne große Unglücksfälle seyn, sollen mit diesen allezeit genau verbunden seyn, und sollen also nicht Bewunderung allein, sondern Bewunderung und Schmerz, das ist, Mitleiden erwecken. Und das ist meine Meinung. Die Bewunderung findet also in dem Trauer: spiele nicht als ein besonderer Affekt Statt, sondern blos als die eine Hälfte des Mitleids. Und in dieser Betrach: tung habe ich auch Recht gehabt, sie nicht als einen beson dern Affekt, sondern nur nach ihrem Verhältnisse gegen das Mitleiden zu erklären.

Und in diesem Verhältnisse, sage ich noch, soll sie der Ruhepunkt des Mitleidens seyn, nehmlich da, wo sie für sich allein wirken soll. Da Sie aber zum zweytenmahl auf dem Exempel des Mithridats bestehen, so muß ich glauben, Sie haben meine Worte so verstanden, als wollte ich mit diesem Ruhepunkte sagen, sie soll das Mitleiden stillen helfen. Aber das will ich damit gar nicht sagen, sondern gleich das Gegentheil. Hören Sie nur!

Wir können nicht lange in einem starken Affekte bleiben; also können wir auch ein starkes Mitleiden nicht lange aushalten; es schwächt sich selbst ab. Auch mittelmäßige Dichter haben dieses gemerkt, und das starke Mitleiden bis zulegt verspart. Aber ich hasse die französischen Trauerspiele, welche mir nicht eher, als am Ende des fünften Aufzugs, einige Thränen auspressen. Der wahre Dichter vertheilt das Mitleiden durch sein ganzes Trauerspiel; er bringt überall Stellen an, wo er die Vollkommenheiten und Un glücksfälle seines Helden in einer rührenden Verbindung zeigt, das ist, Thränen erweckt. Weil aber das ganze Stück kein beständiger Zusammenhang solcher Stellen seyn kann, so untermischt er sie mit Stellen, die von den Vollkommen: heiten seines Helden allein handeln, und in diesen Stellen hat die Bewunderung, als Bewunderung, Statt. Was

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find aber diese Stellen anders, als gleichsam Ruhepunkte, wo sich der Zuschauer zu neuem Mitleiden erholen foll? Gestillt soll das vorige Mitleiden nicht dadurch werden, das ist mir niemahls in die Gedanken gekommen, und würde meinem System schnurstracks zuwider seyn.

Da nun aber diese Stellen (ich will sie die leeren Scenen nennen, ob sie gleich nicht immer ganze Scenen seyn dürfen, weil die Bewunderung, oder die Ausmahlung der außerordentlichen Vollkommenheiten des Helden, der einzige Kunstgrif ist, die leeren Scenen, wo die Aktion stille steht, erträglich zu machen) da, sage ich, diese leeren Scenen nichts als Vorbereitungen zum fünftigen Mits leiden seyn sollen, so müssen sie keine solchen Vollkommenheiten betreffen, die das Mitleiden zernichten. Ich will ein Erempel geben, dessen Lächerliches Sie mir aber verzeihen müssen. Gefeßt, ich sagte zu jemand: heute ist der Tag, da Titus seinen alten Vater, auf einem Seile, welches von der höchsten Spiße des Thurms bis über den Fluß ausgespannt ist, in einem Schubkarren von oben herab führen soll. Wenn ich nun,' dieser gefährlichen Handlung wegen, Mitleiden für den Titus erwecken wollte, was muß ich thun? Ich müßte die guten Eigenschaften des Titus und seines Vaters aus einander sezen, und sie beide zu Personen machen, die es um so viel weniger verdienen, daß sie sich einer solchen Gefahr unterziehen müssen, je würdiger sie sind. Aber nicht wahr, dem Mitleiden ist der Weg zu dem Herzen meines Zuhörers auf einmahl abge: schnitten, so bald ich ihm sage, Titus ist ein Seiltänzer, der diesen Versuch schon mehr als einmahl gemacht hat? Und gleichwohl habe ich doch weiter nichts als eine Volls kommenheit des Titus den Zuhörern bekannt gemacht. Ja, aber es war eine Vollkommenheit, welche die Gefahr un: endlich verringerte, und dem Mitleiden also die Nahrung nahm. Der Seiltänzer wird nunmehr bewundert, nicht betauert.

aber

Was macht aber derjenige Dichter aus seinem Helden anders, als einen Seiltänzer, der, wenn er ihn will sterben lassen, das ist, wenn er uns am meisten durch seine Unfälle rühren will, ihn eine Menge der schönsten Gasconaden, von seiner Verachtung des Todes, von seiner Gleichgültig teit gegen das Leben herschwaßen läßt? In eben dem Vers hältnisse, in welchem die Bewunderung auf der einen Seite zunimmt, nimmt das Mitleiden auf der andern ab. Aus diesem Grunde halte ich den Polyeukt des Corneille für tadelhaft; ob er gleich wegen ganz anderer Schönheiten niemahls aufhören wird zu gefallen. Polyeukt strebt ein Märtyrer zu werden; er sehnet sich nach Tod und Martern; er betrachtet sie als den ersten Schritt in ein überschwenglich seliges Leben; ich bewundere den frommen Enthusiasten, aber ich müßte befürchten, seinen Geist in dem Schooße der ewigen Glückseligkeit zu erzürnen, wenn ich Mitleid mit ihm haben wollte.

Genug hiervon, Sie können mich hinlänglich verstehen;

um mich zu widerlegen, wenn ich es verdiene. Aber die verdiene. Aber die Feder läuft einmahl, und ich will mich nunmehr über die Verschiedenheit zwischen den Wirkungen der Bewunderung| und den Wirkungen des Mitleids erklären. Aus der Bewunderung entspringt der Vorsaß der Nacheiferung; aber, wie Sie selbst sagen, dieser Vorsaß ist nur augenblick lich. Wenn er zur Wirklichkeit kommen soll, muß ihn entweder die darauf folgende deutliche Erkenntniß dazu bringen, oder der Affekt der Bewunderung muß so stark sortdauern, daß der Vorsatz zur Thätigkeit kömmt, ehe die Vernunft das Steuer wieder ergreifen kann. Das ist doch Ihre Meinung? - Nun sage ich: in dem ersten Falle ist die Wirkung nicht der Bewunderung, sondern der deutlichen Er kenntniß zuzuschreiben; und zu dem andern Falle werden nichts geringeres als Fantasten erfordert. Denn Fantasten sind doch wohl nichts anders, als Leute, bei welchen die untern Seelenkräfte über die obern triumphiren? Daran liegt nichts, werden Sie vielleicht sagen, dieser Fantasten sind sehr viele in der Welt, und es ist gut, wenn auch Fantasten tugendhafte Thaten thun. Wohl; so muß es denn eine von den ersten Pflichten des Dichters seyn, daß er nur für wirklich tugendhafte Handlungen Bewunderung erwedt. Denn wäre es ihm erlaubt, auch untugendhaften Handlungen den Firnis der Bewunderung zu geben, so hätte Plato Recht, daß er sie aus seiner Republik verbannt❘ wissen wollen. Herr Nicolai hätte also nicht schließen sollen: weil der Wein nicht selten blutige Gezänke erzeugt, so ist es falsch, daß er des Menschen Herz erfreuen soll; oder weil die Poesie oft schlechte Handlungen als nachahmungs: würdig anpreiset, so kann ihr Endzweck nicht seyn, die Sitten zu bessern.

die er meine Einsicht verführt, um mein Herz zu gewinnen. Daran ist nichts gelegen, wenn nur mein Mitleiden rege ́ wird, und sich gleichsam gewöhnt, immer leichter und leichter rege zu werden. Ich lasse mich zum Mitleiden im Trauer: spiele bewegen, um eine Fertigkeit im Mitleiden zu bekommen; findet aber das bei der Bewunderung Statt? Kann man sagen: ich will gern in der Tragödie bewundern, um eine Fertigkeit im Bewundern zu bekommen? Ich glaube, der ist der größte Ged, der die größte Fertigkeit im Bewundern hat; so wie ohne Zweifel derjenige der beste Mensch ist, der die größte Fertigkeit im Mitleiden hat.

Doch bin ich nicht etwa wieder auf meine alten Sprünge gekommen? Schreye ich die Bewunderung durch das, was ich bisher gesagt habe, nicht für ganz und gar unnüß aus, ob ich ihr gleich das ganze Heldengedicht zu ihrem Tummel: plage einräume? Fast sollte es so scheinen; ich will es also immer wagen, Ihnen einen Einfall zu vertrauen, der zwar ziemlich seltsam klingt, weil er aber niemand Geringers als mich und den Homer rettet, Ihrer Untersuchung vielleicht nicht unwürdig ist.

Es giebt gewisse körperliche Fähigkeiten, gewisse Grade der körperlichen Kräfte, die wir nicht in unsrer willkührlichen Gewalt haben, ob sie gleich wirklich in dem Körper vorhanden sind. Ein Rasender, zum Erempel, ist ungleich stärker, als er bei gesundem Verstande war; auch die Furcht, der Zorn, die Verzweiflung und andre Affekten mehr, erwecken in uns einen größern Grad der Stärke, der uns nicht eher zu Gebote steht, als bis wir uns in diesen oder jenen Affekt gesezt haben.

Meine zweyte vorläufige Anmerkung ist diese. Alle körperliche Geschicklichkeiten werden durch Hülfe der BeIch gehe noch weiter, und gebe Ihnen zu überlegen, wunderung gelernt; wenigstens das Feine von allen körob die tugendhafte That, die ein Mensch aus bloßer Nach perlichen Geschicklichkeiten. Nehmen Sie einen Luftspringer. eiferung, ohne deutliche Erkenntniß, thut, wirklich eine Von den wenigsten Sprüngen kann er seinen Schülern den tugendhafte That ist, und ihm als eine solche zugerechnet | eigentlichen Mechanismus zeigen; er kann oft weiter nichts werden kann? Ferner dringe ich darauf: die Bewunderung | sagen, als: sieh nur, sieh nur, wie ich es mache! das ist,

einer schönen Handlung kann nur zur Nacheiferung eben derselben Handlung, unter eben denselben Umständen, und nicht zu allen schönen Handlungen antreiben; sie bessert, wenn sie ja bessert, nur durch besondere Fälle, und also auch nur in besondern Fällen. Man bewundert z. E. den Gusmann, der seinem Mörder vergiebt. Kann mich diese Bewunderung, ohne Zuziehung der deutlichen Erkenntniß, antreiben, allen meinen Widersachern zu vergeben? Oder treibt sie mich nur, demjenigen Todfeinde zu vergeben, den ich mir selbst durch meine Mißhandlungen dazu gemacht habe? Ich glaube, nur das Leßtere.

Wie unendlich besser und sicherer sind die Wirkungen meines Mitleidens! Das Trauerspiel soll das Mitleiden nur überhaupt üben, und nicht uns in diesem oder jenem Falle zum Mitleiden bestimmen. Gesezt auch, daß mich der Dichter gegen einen unwürdigen Gegenstand mitleidig macht, nehmlich vermittelst falscher Vollkommenheiten, durch

bewundere mich nur recht, und versuch es alsdann, so wird es von selbst gehen; und je vollkommener der Meister den Sprung vormacht, je mehr er die Bewunderung seines Schülers durch diese Vollkommenheit reizt, desto leichter wird diesem die Nachahmung werden.

Heraus also mit meinem Einfalle! Wie, wenn Homer mit Bedacht nur körperliche Vollkommenheiten bewundernswürdig geschildert hätte? Er kann leicht ein eben so guter Philosoph gewesen seyn, als ich. Er kann leicht, wie ich, geglaubt haben, daß die Bewunderung unsre Körper wohl tapfer und gewandt, aber nicht unsre Seelen tugendhaft machen könne. Achilles, sagen Sie, ist bei dem Homer nichts als ein tapfrer Schläger; es mag seyn. Er ist aber doch ein bewundernswürdiger Schläger, der bei einem an dern den Vorsatz der Nacheiferung erzeugen kann. Und so oft sich dieser andere in ähnlichen Umständen mit dem Achilles befindet, wird ihm auch das Erempel dieses Helden

wieder beifallen, wird sich auch seine gehabte Bewunderung | diese dulapria, wie sie Aristoteles nennt? Etwa, weil er erneuern, und diese Bewunderung wird ihn stärker und geschickter machen, als er ohne sie gewesen wäre. Gesezt aber, Homer hätte den Achilles zu einem bewundernswür❘ digen Muster der Großmuth gemacht. So oft sich nun ein Mensch von feuriger Einbildungskraft in ähnlichen Um- | ständen mit ihm sähe, könnte er sich zwar gleichfalls seiner gehabten Bewunderung erinnern, und zu Folge dieser Bewunderung gleich großmüthig handeln; aber würde er deßwegen großmüthig seyn? Die Großmuth muß eine be ständige Eigenschaft der Seele seyn, und ihr nicht bloß ruckweise entfahren.

Ich bin es überzeugt, daß meine Worte oft meinem Sinne Schaden thun, daß ich mich nicht selten zu unbe: stimmt oder zu nachlässig ausdrücke. Versuchen Sie es also, liebster Freund, sich durch Ihr eigen Nachdenken in den Geist meines Systems zu verseßen. Und vielleicht fin: den Sie es weit besser, als ich es vorstellen kann.

In Vergleichung meiner, sollen Sie doch noch immer ein Wortsparer bleiben; denn ich habe mir fest vorge: nommen, auch diesen zweyten Bogen noch voll zu schmieren. Ich wollte Anfangs aus dem Folgenden einen besondern Brief an Hrn. Nicolai machen; aber ich will seine Schul- | den mit Fleiß nicht häufen.

Lesen Sie doch das 15te Hauptstück der Aristotelischen Dichtkunst. Der Philosoph sagt daselbst: der Held eines Trauerspiels müsse ein Mittelcharakter seyn; er müsse nicht allzu lasterhaft und auch nicht allzu tugendhaft seyn; wäre er allzu lasterhaft, und verdiente sein Unglück durch seine Verbrechen, so könnten wir kein Mitleiden mit ihm haben; wäre er aber allzu tugendhaft, und er würde dennoch unglücklich, so verwandle sich das Mitleiden in Entseßen und Abscheu.

Ich möchte wissen, wie Herr Nicolai diese Regel mit den bewundernswürdigen Eigenschaften seines Helden zusammen reimen könne Doch das ist es nicht, was ich jezt schreiben will.

Ich bin hier selbst wider Aristoteles, welcher mir überall eine falsche Erklärung des Mitleids zum Grunde gelegt zu haben scheint. Und wenn ich die Wahrheit weniger ver fehle, so habe ich es allein Ihrem bessern Begriffe vom Mitleiden zu danken. Ist es wahr, daß das Unglück eines allzu tugendhaften Menschen Entseßen und Abscheu erweckt? Wenn es wahr ist, so müssen Entseßen und Abscheu der höchste Grad des Mitleids seyn, welches sie doch nicht sind. Das Mitleiden, das in eben dem Verhältnisse wächst, in welchem Vollkommenheit und Unglück wachsen, hört auf, mir angenehm zu seyn, und wird desto unangenehmer, je größer auf der einen Seite die Vollkommenheit, und auf der andern das Unglück ist.

ohne sie vollkommen seyn würde, und das Unglück eines vollkommenen Menschen Abscheu erweckt? Gewiß nicht. Ich glaube, die einzige richtige Ursache gefunden zu haben; sie ist diese: weil ohne den Fehler, der das Unglück über ihn zieht, sein Charakter und sein Unglüd kein Ganzes ausmachen würden, weil das eine nicht in dem andern gegründet wäre, und wir jedes von diesen zwey Stücken besonders denken würden. Ein Exempel wird mich verständlicher machen. Canut sey ein Muster der vollkommensten Güte. Soll er nur Mitleid erregen, so muß ich durch den Fehler, daß er seine Güte nicht durch die Klugheit regieren läßt, und den Ulfo, dem er nur verzeihen sollte, mit gefährlichen Wohlthaten überhäuft, ein großes Unglück über ihn ziehn; Ulfo muß ihn gefangen nehmen und ermorden. Mitleiden im höchsten Grade! Aber gesezt, ich ließe den Canut nicht durch seine gemißbrauchte Güte umkommen; ich ließ ihn plötzlich durch den Donner erschlagen, oder durch den ein: stürzenden Pallast zerschmettert werden? Entseßen und Abscheu ohne Mitleid! Warum? Weil nicht der geringste Zusammenhang zwischen seiner Güte und dem Donner, oder dem einstürzenden Pallast, zwischen seiner Vollkom menheit und seinem Unglücke ist. Es sind beides zwey verschiedene Dinge, die nicht eine einzige gemeinschaftliche Wirkung, dergleichen das Mitleid ist, hervorbringen kön: nen, sondern deren jedes für sich selbst wirkt. — Ein ander Exempel! Gedenken Sie an den alten Vetter, im Kauf mann von London; wenn ihn Barnwell ersticht, entseßen sich die Zuschauer, ohne mitleidig zu seyn, weil der gute Charakter des Alten gar nichts enthält, was den Grund zu diesem Unglück abgeben könnte. Sobald man ihn aber für seinen Mörder und Vetter noch zu Gott beten hört, verwandelt sich das Entsezen in ein recht entzückendes Mitleiden, und zwar ganz natürlich, weil diese großmüthige That aus seinem Unglücke fließet und ihren Grund in dem selben hat.

Und nun bin ich es endlich müde, mehr zu schreiben, nachdem Sie es ohne Zweifel schon längst müde gewesen sind, mehr zu lesen. Ihre Abhandlung von der Wahrschein lichkeit habe ich mit recht großem Vergnügen gelesen; wenn ich sie noch ein paarmahl werde gelesen haben, hoffe ich, Sie so weit zu verstehen, daß ich Sie um einige Erläuterungen fragen kann. Wenn es sich von solchen Dingen so gut schwaßen ließe, wie von der Tragödie! Jhre Gedanken von dem Streite der untern und obern Seelenkräfte lassen Sie ja mit das erste seyn, was Sie mir schreiben. Ich empfehle Ihnen dazu meine Weitläuftigkeit, die sich wirklich eben so gut zum Vortrage wahrer, als zur Auskramung vielleicht falscher Säße schickt.

Bitten Sie doch den Hrn. Nicolai in meinem Nahmen, Unterdessen ist es doch auch wahr, daß an dem Helden mir mit ehestem denjenigen Theil von Tibbers Lebensbeeine gewisse duapria, ein gewisser Fehler seyn muß, durchschreibung der englischen Dichter zu schicken, in welchem welchen er sein Unglück über sich gebracht hat. Aber warum Drydens Leben steht. Ich brauche ihn.

Leben Sie wohl, liebster Freund, und werden Sie

viel Luft, als ich, sich tiefer hinein zu wagen, und dieses nicht müde, mich zu bessern, so werden Sie auch nicht | unbekannte Land zu entdecken, wenn wir uns auch hundertmüde werden, mich zu lieben. mahl vorher verirren sollten? Doch warum zweifle ich daran? Wenn Sie es auch nicht aus Neigung thäten, so würden Sie es aus Gefälligkeit für mich thun.

Lessing.

N. S. Damit dieser Brief ja alle Eigenschaften eines unausstehlichen Briefs habe, so will ich ihn auch noch mit einem P. S. versehen.

Sie haben sich schon zweymal auf die griechischen Bildhauer berufen, von welchen Sie glauben, daß sie ihre Kunst besser verstanden hätten, als die griechischen Dichter. Lesen Sie den Schluß des 16ten Hauptstücks der Aristotelischen Dichtkunst, und sagen Sie mir alsdenn, ob den Alten die Regel von der Verschönerung der Leidenschaften unbekannt gewesen sey.

Der Held ist in der Epopee unglücklich, und ist auch in der Tragödie unglüdlich. Aber auf die Art, wie er es in der einen ist, darf er es nie in der andern seyn. Ich kann mich nicht erinnern, daß ich die Verschiedenheit dieser Arten irgendwo gehörig bestimmt gefunden hätte. Das Unglück des Helden in der Epopee muß keine Folge aus dem Charakter desselben seyn, weil es sonst, nach meiner obigen Anmerkung, Mitleiden erregen würde; sondern es muß ein Unglück des Verhängnisses und Zufalls seyn, an welchem seine guten oder bösen Eigenschaften keinen Theil haben. Fato profugus, sagt Virgil von seinem Aeneas. Bei der Tragödie ist es das Gegentheil, und aus dem Dedip j. E. wird nimmermehr ein Heldengedicht werden, und wer eins daraus machen wollte, würde am Ende weiter nichts als ein Trauerspiel in Büchern gemacht haben. Denn es wäre elend, wenn diese beide Dichtungsarten teinen. wesentlichern Unterschied, als den beständigen oder durch die Erzählung des Dichters unterbrochenen Dialog, oder als Aufzüge und Bücher haben sollten.

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Jhre Gedanken von der Herrschaft über die Neigungen, von der Gewohnheit, von der anschauenden Erkenntniß sind vortrefflich, Sie haben mich so überzeugt, daß ich mir auch nicht einmahl einen logischen Fechterstreich dawider übrig gelassen finde. Warum kann ich von Ihren Gedanken über die Illusion nicht eben das sagen! Hören Sie meine Zweifel dagegen; aber machen Sie sich gefaßt, eine Menge gemeiner Dinge vorher zu lesen, ehe ich darauf kommen kann. Ueber das Wort werde ich Ihnen keine Schwierigkeiten machen.

Darinn sind wir doch wohl einig, liebster Freund, daß alle Leidenschaften entweder heftige Begierden oder heftige Verabscheuungen sind? Auch darinn: daß wir uns bei jeder heftigen Begierde oder Verabscheuung, eines größern Grads unsrer Realität bewußt sind, und daß dieses Bewußtseyn nicht anders als angenehm seyn kann? Folglich sind alle Leidenschaften, auch die allerunangenehmsten, als Leidenschaften angenehm. Ihnen darf ich es aber nicht erst sagen: daß die Lust, die mit der stärkern Bestimmung unsrer Kraft verbunden ist, von der Unluft, die wir über die Gegenstände haben, worauf die Bestimmung unsrer Kraft geht, so unendlich kann überwogen werden, daß wir uns ihrer gar nicht mehr bewußt sind.

Alles, was ich hieraus folgere, wird aus der Anwen= dung auf das aristotelische Exempel von der gemahlten Schlange am deutlichsten erhellen. Wenn wir eine gemahlte Schlange plößlich erblicken, so gefällt sie uns desto besser, je heftiger wir darüber erschroden sind.

Wenn Sie Ihre Gedanken von der Illusion mit dem Hrn. Nicolai aufs Reine bringen werden, so vergessen Sie Dieses erkläre ich so: Ich erschrecke über die so wohlja nicht, daß die ganze Lehre von der Illusion eigentlich getroffne Schlange, weil ich sie für eine wirkliche halte. den dramatischen Dichter nichts angeht, und die Vorstellung Der Grad dieses Schreckens, als eine unangenehme Leidenseines Stücks das Werk einer andern Kunst, als der Dicht-schaft, oder vielmehr der Grad der Unlust, die ich über kunst, ist. Das Trauerspiel muß auch ohne Vorstellung | diesen schrecklichen Gegenstand empfinde, sey 10; so kann und Akteurs seine völlige Stärke behalten; und diese bei dem Leser zu äußern, braucht sie nicht mehr Illusion als jede andre Geschichte. Sehen Sie deswegen den Aristoteles noch gegen das Ende des 6ten und den Anfang des 14ten Hauptstücks nach.

Nun bin ich ganz fertig. Leben Sie wohl!

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ich den Grad der Lust, die mit der Empfindung der Leidenschaft verbunden ist, 1 nennen, oder 10, wenn jener zu 100 wüchse. Indem ich also 10 empfinde, kann ich nicht 1 empfinden, das ist, so lange als ich die Schlange für eine wirkliche halte, kann ich keine Luft darüber empfinden. Nun werde ich aber auf einmahl gewahr, daß es keine wirkliche Schlange, daß es ein bloßes Bild ist: was geschieht? Die Unlust über den schrecklichen Gegenstand=10 fällt weg, und es bleibt nichts übrig, als die Lust, die mit der Leidenschaft, als einer bloßen stärkern Bestimmung unsrer Kraft, verbunden ist; 1 bleibt übrig, daß ich nunmehr empfinde, und in dem Grade 8 oder 10 empfinden kann, wenn jener Grad, anstatt 10, 80 oder 100 ge:

Ich glaube es eben so wenig, als Sie, daß wir bis jezt in unsrem Streite viel weiter, als über die ersten Gränzen gekommen sind. Haben Sie aber auch wirklich so | wesen ist.

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das Mitleiden. Denn diesen Affekt empfinden nicht die spielenden Personen, und wir empfinden ihn nicht blos, weil sie ihn empfinden, sondern er entsteht in uns ursprünglich aus der Wirkung der Gegenstände auf uns; es ist kein zweyter mitgetheilter Affekt zc.

Ich hatte mir vorgenommen, diesem Brief eine unge wöhnliche Länge zu geben, allein ich bin seit einigen Tagen so unpaß, daß es mir unmöglich fällt, meine Gedanken beysammen zu behalten. Ich muß also hier abbrechen, und erst von Ihnen erfahren, ob Sie ungefähr sehen, wo ich hinaus will; oder ob ich nichts als verwirrtes Zeug in diesen Brief geschrieben habe, welches bei meiner außerordentlichen Betlemmung der Brust (so muß ich meine Krankheit unterdessen nennen, weil ich noch keinen Arzt um den griechischen Namen gefragt habe) gar leicht möglich gewesen ist.

Wozu brauchen wir nun hier die Illusion? Lassen Sie | Tragödie eigentlich keinen Affekt bei uns rege mache, als mich meine Erklärung auch an einem entgegengeseßten Exempel versuchen, um ihre Richtigkeit desto ungezweifelter darzulegen. Dort in der Entfernung werde ich das schönste, holdseligste Frauenzimmer gewahr, das mir mit der Hand auf eine geheimnißvolle Art zu winken scheint. Ich gerathe in Affekt, Verlangen, Liebe, Bewunderung, wie Sie ihn nennen wollen. Hier kömmt also die Lust über den Gegenstand 10 mit der angenehmen Empfindung des Affekts 1 zusammen, und die Wirkung von beiden ist 11. Nun gehe ich darauf los. Himmel! Es ist nichts als ein Gemälde, eine Bildsäule! Nach Ihrer Erklärung, liebster Freund, sollte nunmehr das Vergnügen desto grösser seyn, weil mich der Affekt von der Vollkommenheit der Nachahmung intuitiv überzeugt hat. Aber das ist wider alle Erfahrung; ich werde vielmehr verdrießlich; und warum werde ich verdrießlich? Die Lust über den vollkommnen Gegenstand fällt weg, und die angenehme Empfin dung des Affekts bleibt allein übrig. Ich komme auf Jhre 2te Folge b). Daher gefallen uns alle un angenehmen Affekte in der Nachahmung. Der Musikus kann uns zornig 2. Hierwider sage ich: die unangenehmen Affekten in der Nachahmung gefallen deswegen, weil sie in uns ähnliche Affekten erwecken, die auf keinen gewissen Gegenstand gehen. Der Musikus macht mich betrübt; und diese Betrübniß ist mir angenehm, weil ich diese Betrübniß blos als Affekt empfinde, und jeder Affekt angenehm ist. Denn sehen Sie den Fall, daß ich während dieser musikalischen Betrübniß wirklich an etwas Betrübtes denke, so fällt das Angenehme gewiß weg.

Ein Exempel aus der Körperwelt! Es ist bekannt, daß, wenn man zwey Saiten eine gleiche Spannung giebt, und die eine durch die Berührung ertönen läßt, die andere mit ertönt, ohne berührt zu seyn. Lassen Sie uns den Saiten Empfindung geben, so können wir annehmen, daß ihnen zwar eine jede Bebung, aber nicht eine jede Berüh rung angenehm seyn mag, sondern nur diejenige Berührung, die eine gewisse Bebung in ihnen hervorbringt. Die erste Saite also, die durch die Berührung erbebt, kann eine schmerzliche Empfindung haben; da die andre, der ähnlichen Erbebung ungeachtet, eine angenehme Empfindung hat, weil sie nicht (wenigstens nicht so unmittelbar) berührt worden. Also auch in dem Trauerspiele. Die spielende Person geräth in einen unangenehmen Affekt, und ich mit ihr. Aber warum ist dieser Affekt bei mir angenehm? Weil ich nicht die spielende Person selbst bin, auf welche die unangenehme Idee unmittelbar wirkt, weil ich den Affekt nur als Affekt empfinde, ohne einen gewissen unangenehmen Gegenstand dabey zu denken.

Dergleichen zweite Affekten aber, die bei Erblickung solcher Affekten an andern, in mir entstehen, verdienen kaum den Namen der Affekten; daher ich denn in einem von meinen ersten Briefen schon gesagt habe, daß die

Ich schreibe nur noch ein Paar Worte von der Bibliothek. Es ist mir wegen des Verlegers ein unvermutheter verdrießlicher Streich damit begegnet. Erschreden Sie aber nur nicht, mein lieber Nicolai, ich habe dem Unglück schon wieder abgeholfen. Lankischens drucken sie nicht; beruhigen Sie aber nur Jhre Neugierde bis auf den nächsten Posttag, da sie den Contrakt des neuen Verlegers zur Unterschrift bekommen, und gewiß damit zufrieden seyn sollen.

Leben Sie beide wohl; sobald ich besser bin, werde ich Herrn Nicolai einen langen Brief über verschiedene Punkte in seiner Abhandlung schreiben, die mir, ohne auf meine eigenthümlichen Grillen zu sehen, außerordentlich gefallen hat.

Ihren Auffaz von der Herrschaft über die Neigungen erhalten Sie hier nach Verlangen zurück. Ich habe ihn abschreiben lassen.

Leben Sie nochmals wohl; ich bin Zeitlebens

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