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Ich darf nicht besorgen, daß Sie mich fragen: was geben mich die Leute an? denn, wie gesagt, es sind recht sehr gute Leute, und alle gute Leute gehen einander an. Und nicht wahr, aus der nehmlichen Ursache sind Sie, und der Schwedische Gesandtschaftsprediger auch um meinen ehrlichen Gößen so sehr besorgt? Mich wundert nur, daß man Jhnen aus Hamburg nichts davon geschrieben. Der leztvergangene Bußtag in Hamburg ist es gewesen, an welchem die Mine gesprungen. Göße fragte bey dem Magistrate an, wie es mit dem streitigen Gebete gehalten werden sollte, und bekam zur Antwort, daß es bey Seite gelegt, und ein anders dafür gewählt werden sollte. Voller Verdruß hierüber, bat er um Erlassung von seinem Seniorate, und erhielt sie sogleich. Man erzählt, seine Frau sey darüber vor Schrecken in Ohnmacht gefallen, und will daraus schließen, daß ihm selbst die gesuchte Erlassung über alles Vermuthen gekommen. Aber nicht wahr, das ist daraus nicht zu schließen? Sondern alles was daraus zu schließen ist, ist dieses, daß sich natürlicher Weise eine Frau über den Verlust eines Titels nicht so leicht trösten kann, als der Mann. Wenn die Frau Seniorinn auf einmal wieder Frau Pastorinn werden soll, das ist keine Narrensposse! Meinen Sie nicht? Jeßt sollen die abscheulichsten Basquille wider diejenigen in Hamburg herum gehen, die Gößen zu diesem Schritte gezwungen: und wenn diese nichts helfen, so betauert er es am Ende doch wohl selbst, daß er das Heft aus den Händen gegeben.

Von andern Neuigkeiten aus Hamburg weiß ich, so zu reden, gar nichts. Denn ich muß es zu meiner Schande bekennen, daß ich in zwey Monaten an keinen Menschen dahin geschrieben. Meine verzweifelte Arbeit hat mich daran verhindert. Aber Gott sey Dank, nun bin ich damit zu Stande; und in dem nächsten Wiener Verzeichnisse von verbotenen Büchern, werden Sie den Titel wohl angezeigt finden. Sie glauben nicht, in was für einen lieb lichen Geruch von Rechtgläubigkeit ich mich dagegen bey unsern lutherischen Theologen gesezt habe. Machen Sie sich nur gefaßt, mich für nichts geringeres, als für eine Stüße unserer Kirche ausgeschrieen zu hören. Ob mich das aber so recht kleiden möchte, und ob ich das gute Lob nicht bald wieder verlieren dürfte, das wird die Zeit lehren.

Das Wenige, was Sie mir von dem Wiener Theater melden, würde meine Neugierde eben nicht sehr reizen, wenn ich nicht kürzlich in verschiedenen Zeitungen gelesen hätte, daß nun bald das deutsche Theater in Wien allen Theatern in der Welt troßen würde, nachdem der Herr von Sonnenfels die Aufsicht darüber erhalten. Besuchen Sie es doch also ja fleißig, und verschweigen Sie mir keines von den Wundern, die darauf erscheinen. Es soll mich sehr freuen, wenn S. in Wien mehr Gutes stiftet, als mir in Hamburg zu stiften gelingen wollen. Aber ich sorge, ich sorge, es wird dort auch zu nichts kommen. Schon des Herrn von S. allzustrenger Eifer gegen das Burleske, ist

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gar nicht der rechte Weg, das Publikum zu gewinnen. Wenn er indeß Ihnen, meine liebe Freundin, nur recht viel Freundschaft in Wien erweiset: so will ich ihm von Herzen gern alle Fehler vergeben, die er in seiner TheaterVerwaltung machen dürfte.

Von den Theologen kam ich auf das Theater; nunmehr von dem Theater auf die Lotterie, und wir sind mit allem fertig, was in diesem und jenem Leben frommen und ver gnügen kann. Die Hamburger Lotterie soll in den beyden leßten mahlen sehr glücklich gewesen seyn. Sie glauben nicht, wie ansehnliche Einsäße sie auch von hier erhält. Demohngeachtet zaudert und zaudert man, die hiesige zu Stande zu bringen. Ich kann nicht begreifen, woran es liegt. Aber es giebt ja auch in Wien eine solche Lotterie ? Haben Sie da noch nicht eingesezt? Wollen wir wohl auf folgende fünf Nummern zusammen einseßen?

9. 13. 21. 57. 88.

Aber nicht höher als einen Louisd'or, welchen Sie nach Ihrem Belieben vertheilen mögen. Wenn wir in Wien darauf nichts gewinnen: so will ich es sodann in Hamburg damit versuchen. Oder bestimmen Sie fünf Nummern, auf die wir in Berlin zusammen einseßen wollen.

Und nun ist ja wohl mein Brief lang genug. Sagen Sie mir aufrichtig, wie vielmal Sie ihn weggeworfen haben, ehe Sie bis hierher gekommen? Aber rächen Sie sich auch zugleich, indem Sie mir eben so weitläuftig antworten. Leben Sie recht wohl, meine Beste. Ich bin

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Es ist nicht mehr als billig, daß Du auch die Vertheidigung des P** gegen den Abt Bernetti überseßest. Aber willst Du mir es nicht übel nehmen, wenn ich Dich erinnere, etwas mehr Achtsamkeit und Genauigkeit sowohl auf Deinen Styl als auf den Sinn Deines Verfassers zu wenden? Besonders sind Dir in Ansehung des leztern in den zwey Theilen einige wunderbare Fehler entwischt, die ich Dir wohl ein andermal mittheilen will. Ich bin es nicht, der sie bemerkt hat, sondern der hiesige Hofprediger Mittelstädt hat Deine Ueberseßung mit dem Originale verglichen, und mir einige derselben angezeigt; ob er schon die Ueberseßung überhaupt sonst nicht für schlecht erkennt.

Hiernächst aber rathe ich Dir sehr, weniger zu schreiben, das ist, weniger drucken zu lassen, und desto mehr für Dich zu studieren. Ich versichere Dich, daß ich diesen Rath für mein Theil selbst weit mehr befolgen würde, wenn mich meine Umstände weniger nöthigten, zu schreiben. Da ich mit meinem ordentlichen Gehalte nur eben auskommen kann; so habe ich schlechterdings kein andres Mittel, mich nach und nach aus meinen Schulden zu seßen, als zu schreiben. Ich habe es, Gott weiß, nie nöthiger gehabt, um Geld zu schreiben, als jest: und diese Nothwendigkeit hat, natür: licher Weise, sogar Einfluß auf die Materie, wovon ich schreibe. Was eine besondere Heiterkeit des Geistes, was eine besondere Anstrengung erfordert; was ich mehr aus mir selbst ziehen muß, als aus Büchern: damit kann ich mich jezt nicht abgeben. Ich sage Dir dieses, damit Du Dich nicht wunderst, wenn ich Deines Mißfallens ungeachtet, etwa gar noch einen zweyten Theil zum Berengarius | schriebe. Ich muß das Brett bohren, wo es am dünnsten ist: wenn ich mich von außen weniger geplagt fühle, will ich das dicke Ende wieder vornehmen. Ich fühle es, daß mir schon die Umarbeitung meiner alten Schriften mehr Zeit kosten wird, als der ganze Bettel werth ist. Indeß habe ich es Herrn Voß einmal zu thun versprochen, und ich will mein Möglichstes anwenden, wenn er auch nur jede Messe einen Band bekömmt.

Wahrlich, ich möchte Dir gern noch manches schreiben — besonders was Theophilus und unsere Mutter betrifft; aber der Kopf ist mir über meine schurkischen Umstände vollends noch so wüste geworden, daß ich kaum mehr weiß, was ich schreibe. Lebe wohl. Jch bin

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Wolfenbüttel, den 16. Decemb. 1770.

Liebster Freund, Tausend Dank für Ihre beiden vortrefflichen Oden! Daß Sie aber diesen Dank nicht eher bekommen, daran ist Ihr Milchbruder Schuld, 1 der die Oden mit sammt dem Briefe länger als vierzehn Tage bey sich gehabt, und sie mir erst heute wieder geschickt hat. So wie ich ihm Jhren Brief ganz geschickt habe, so will ich Ihnen auch nun seinen schicken: so erhalten Sie hübsch auf Einen Brief zwey Antworten, welches ich mir indeß gut zu schreiben bitte.

Die Ode an die Könige will ich mir dreymal laut vorsagen, so oft ich werde Lust haben, an meiner antityrannischen Tragödie zu arbeiten. Ich hoffe mit Hülfe derselben aus dem Spartacus einen Helden zu machen, der aus andern Augen sieht, als der beste römische. Aber wenn! wenn!

1 So nannte Ramler den Hofrath Ebert, von dem sehr viele, und unter andern auch der regierende Herzog von Braunschweig gesagt hatten, daß er ihm außerordentlich ähnlich wäre. Nicolai.

Diesen Winter gewiß nicht. Denn diesen werde ich wohl so ziemlich gerade an dem andern Ufer des Flusses, wo ich, auch unter dem Schnee, bunte Steinchen und Mu: scheln aufsuche, verschleudern, und verschleudern müssen. Sie werden mich wohl verstehen, wenn Sie von Herrn Voß oder meinem Bruder gehört haben, daß ich mich endlich bereden lassen, meine kleinen Schriften wieder herauszugeben, und mit den Sinngedichten den Anfang machen will; weil ich zum Glück oder zum Unglück, von diesen Dingen unter meinen alten Papieren noch eine ziemliche Anzahl gefunden habe, die nicht gedruckt sind, und mit welchen ich ungefähr die erseßen kann, die von den ge druckten nothwendig wegbleiben müssen.

Aber glaubten Sie wohl, wie sehr ich dabei auf Sie gerechnet habe? In allem Ernste, liebster Freund, was ich Sie nun bitten will, müssen Sie mir schlechterdings nicht abschlagen.

Mit heutiger Post schicke ich bereits die ersten vier Bos gen von diesen erneuerten und vermehrten Sinngedichten, und sie sollen schlechterdings nicht eher in die Druderey, als bis sie Ihre Censur passiret sind. Streichen Sie aus, was gar zu mittelmäßig ist (ich sage, gar zu mittelmäßig, denn leider müssen es nicht allein Sinngedichte, sondern Bogen voll Sinngedichte werden); und wo eins durch eine geschwinde Verbesserung sich noch ein wenig mehr aufstußen läßt, so haben Sie doch ja die Freundschaft, ihm diese Verbesserung zu geben. 1 Ihnen kann so etwas nicht viel Mühe kosten; denn Sie haben noch alle poetische Farben auf der Palette, und ich weiß kaum mehr, was poetische Farben sind. Desgleichen wünsche ich, daß die Sinngedichte mit allen den orthographischen Richtigkeiten gedruckt würden, über die wir eins geworden, die mir aber zum Theil wieder entfallen sind.

Ich verlasse mich darauf, liebster Freund, daß Sie sich dieser Anforderung auf keine Weise entziehen. Die Zeit, die Sie darüber verlieren, will ich Ihnen auf eine andere Art wieder einbringen: z. E. durch Beyträge zu dem zweyten Theil Ihrer gesammten Sinngedichte, die gewiß nicht schlecht sind, und sich zum Theil von Dichtern herschreiben, die ist völlig unbekannt sind.

Erfreuen Sie mich indeß bald wieder mit einem Briefe, und leben Sie recht wohl.

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ich da auch nicht eine Feder anzuseßen im Stande bin, sonst würde ich Ihnen gewiß schon eher geantwortet haben.

Ich sahe, zufolge Jhres ersten Briefes, alle Stunden nach dem Ferguson aus, und war ärgerlich, daß Berlin und 6. mit seinem J. einander so lange gefielen. Denn daß sie abgereist seyn sollten, ohne weiter an das Buch und an Sie zu denken, das hätte ich mir doch kaum träumen laffen: so ähnlich es schon diesen Leuten im Grunde sieht. Ich habe angemerkt, daß ein alter wißiger Kopf und eine alte Jungfer die zwey wunderlichsten Geschöpfe in der Welt sind: und wenn ich nicht bedächte, an wen ich schreibe, so hätte ich eben Lust, diese Gleichheit in einem schönen Epi: gramm auszuführen; unbekümmert, auch selbst darüber für einen alten wißigen Kopf gehalten zu werden.

Mit dem Ferguson will ich mir nun ein eigentliches Studium machen. Ich sehe schon aus dem vorgefeßten Inhalte, daß es ein Buch ist, wie mir hier gefehlt hat, wo ich größtentheils nur solche Bücher habe, die über lang oder kurz den Verstand, so wie die Zeit, tödten. Wenn man lange nicht denkt, so kann man am Ende nicht mehr denken. Ist es aber auch wohl gut, Wahrheiten zu denken, sich ernstlich mit Wahrheiten zu beschäftigen, in deren be ständigem Widerspruche wir nun schon einmal leben, und zu unsrer Ruhe beständig fortleben müssen? Und von der gleichen Wahrheiten sehe ich in dem Engländer schon manche

von weitem.

Wie auch solche, die ich längst für keine Wahrheiten mehr gehalten. Doch ich besorge es nicht erst seit gestern, daß, indem ich gewisse Vorurtheile weggeworfen, ich ein wenig zu viel mit weggeworfen habe, was ich werde wieder holen müssen. Daß ich es zum Theil nicht schon gethan, daran hat mich nur die Furcht verhindert, nach und nach den ganzen Unrath wieder in das Haus zu schleppen. Es ist unendlich schwer, zu wissen, wenn und wo man bleiben soll, und Tausenden für einen ist das Ziel ihres Nachdenkens die Stelle, wo sie des Nachdenkens müde geworden.

Ob dieses nicht auch manchmal der Fall unsers Ungenannten gewesen, will ich nicht so geradezu leugnen. Nur Unbilligkeit möchte ich nicht gern auf ihn kommen lassen. Zwar ist Ihre Anmerkung sehr gegründet, daß man bey Beurtheilung gewisser Charaktere und Handlungen das Maaß der Einsicht und des moralischen Gefühls mit in Betrachtung ziehen müsse, welches den Zeiten zukomme, in die sie fallen. Allein doch wohl nur bey solchen Charakteren und Handlungen, die weiter nichts seyn sollen, als Charaktere und Handlungen bloßer Menschen? Und sollen das die seyn, von welchen bei dem Ungenannten die Rede ist? Ich bin versichert, er würde die ähnlichen Charaktere und Handlungen, wenn er sie im Herodotus gefunden hätte, ganz anders beurtheilet, und gewiß nicht vergessen haben, sich in ihre Zeiten und auf die Staffel ihrer Einsichten zurück zu stellen. Aber sind Patriarchen und Propheten Leute, zu

denen wir uns herablassen sollen? Sie sollen vielmehr die erhabensten Muster der Tugend seyn, und die geringste ihrer Handlungen soll in Absicht auf eine gewisse göttliche D Dekonomie für uns aufgezeichnet seyn. Wenn also an Dingen, die sich nur faum entschuldigen lassen, der Böbel mit Gewalt etwas Göttliches finden soll und will: so thut, denke ich, der Weise Unrecht, wenn er diese Dinge blos entschuldigt. Er muß vielmehr mit aller Verachtung von ihnen sprechen, die sie in unsern bessern Zeiten verdienen würden, mit aller der Verachtung, die sie in noch bessern, noch aufDie Ur geklärtern Zeiten nur immer verdienen können. sache, warum Jhnen ein solches Verfahren bei unserm Ungenannten aufgefallen ist, muß blos darin liegen, daß Sie von jeher weniger gehalten gewesen, die getadelten Handlungen in dem Lichte der Göttlichkeit zu betrachten, in wel: chem wir sie schlechterdings betrachten sollen.

Die Neugierde der bewußten Person nach dem Manuscript hat sich halten lassen. Er hat nicht eher wieder daran gedacht, als bis er mich vor einigen Tagen wieder zu sehen bekam. Ich fürchte, daß sein Verlangen, die Sache selbst besser einzusehen, ebenfalls nicht weit her ist: daher habe ich ihm auch nur blos die Vorrede mitgetheilt, unter dem Vorwande, daß Sie das übrige Manuscript bei sich hätten. Er muß nicht von mir denken, als ob ich ihm dergleichen Dinge aufdringen wolle.

Aber was ist das für ein neuer Angriff, der in den Jenaischen Zeitungen von Lavatern auf Sie geschehen? Ich lese diese Zeitung nicht, und habe sie auch in ganz Braunschweig nicht auftreiben können. Haben Sie doch ja die Güte, mir das Blatt mit der ersten Post zu senden. Noch mehr aber bitte ich Sie, wenn Sie darauf antworten, es mit aller möglichen Freyheit, mit allem nur ersinnlichen Nachdrucke zu thun. Sie allein dürfen und können in dieser Sache so sprechen und schreiben, und sind daher unendlich glücklicher, als andre ehrliche Leute, die den Umsturz des abscheulichsten Gebäudes von Unsinn nicht anders, als unter dem Vorwande, es neu zu unterbauen, befördern können.

Ich sende Ihnen hierbey auch Ihre Briefe von Bonnet zurück. Der Name ist mir so edel geworden, daß ich auch nicht einmal die Wahrheit von ihm lernen möchte. Ich habe mich nicht enthalten können, dem Abt Jerusalem den Umstand von der Antebatirung der Vorrede zu der neuesten Ausgabe seines Buches zu erzählen. Der Abt sagte zu ver schiedenen malen: das ist nicht artig. Und ich antwortete dem Abt jedesmahl: es ist mehr als nicht artig, es ist niederträchtig. Sie sind wahrlich verbunden, wenn Sie nicht gegen das andre Extremum des kleinen Schleichers ausschweifen wollen, den Umstand bekannt zu machen.

Dero

ergebenster Freund Lessing.

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Ich bleibe Ihnen meinen Dank für das angenehme Ge schenk Jhrer Elise etwas lange schuldig. Aber Sie kennen meine Nachlässigkeit im Schreiben seit langer Zeit, und haben nie etwas Nachtheiliges daraus geschlossen. Sollten Sie nun erst anfangen, an meiner Freundschaft und Hochachtung darum zu zweifeln? Das thun Sie gewiß nicht.

Elise hat mir sehr wohl gefallen, und würde mir ohne Zweifel noch mehr gefallen haben, wenn meine Empfin dungen ist nicht so selten mit dem Tone solcher Gedichte gleich gestimmt wären. Der Bücherstaub fällt immer mehr und mehr auf meine Nerven, und bald werden sie gewisser feiner Schwingungen ganz und gar nicht mehr fähig seyn. Aber was ich nicht mehr fühle, werde ich, ehemals gefühlt zu haben, doch nie vergessen. Ich werde, weil ich stumpf geworden, nie gegen diejenigen ungerecht werden, die es noch nicht sind; ich werde keinen Sinn verachten, weil ich ihn unglücklicher Weise verloren habe.

Daß ich aber hiermit nichts mehr von mir sage, als was die Wahrheit ist, davon wird Sie mein Scultetus sehr deutlich überführen. Ich vergebe es allen, die mich damit auslachen werden. Ich habe es mehr als einmal gesagt, daß es wenig Geschmack verräth, die Reime eines solchen Schulfuchses ist wieder drucken zu lassen. Ich könnte mich zwar mit dem Orte entschuldigen, für den er eigentlich bestimmt war: für Zacharias Sammlung. Aber ich will doch lieber gestehen, daß ich nun einmal leider so weit heruntergekommen bin, daß ich an Dingen Lust und Nahrung finde, die ein gesunder Magen für sehr saftlos und unverdaulich erklärt.

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Ich würde Ihnen gewiß mit dem Hrn. von Carlowig geschrieben haben, wenn ich bey seiner Abreise im Stande gewesen wäre, Ihnen mein Versprechen zu halten. Aber dieses thun zu können, habe ich erst meine zu Johannis ge fällige Besoldung heben müssen, womit es sich diesesmal länger als gewöhnlich verzogen hat. Sie werden mir es also vergeben, daß die zugesagten 50 Rthlr. erst nunmehr hierbey erfolgen; womit ich nichts als die Bitte verknüpfe, gewiß von mir zu glauben, daß ich die Summe gern vermehret hätte, wenn es mir möglich gewesen wäre. Ich hoffe indeß, und will mein bestes dazu thun, daß ich Ihnen in einigen Monaten wiederum eine kleine Remesse machen kann. Daß Sie es mit der Schwester nöthig haben werden, kann ich mir sehr leicht vorstellen: und Gott ist mein Zeuge, wie gern ich Sie aus aller Verlegenheit auf einmal sezen

wollte, wenn ich mich nur selbst noch zur Zeit in beßern Umständen befände. Haben Sie also mit meinem Unvers mögen Geduld, und seyn Sie versichert, daß ich dieses Un vermögen nicht blos vorwende.

Es ist allerdings unsere Schuldigkeit, daß die Schulden, in welche ein so guter Vater durch seine Kinder gerathen ist, auch von seinen Kindern bezahlt werden. Ich habe mich auch schon mehr als einmal erbothen, sie sämmts lich über mich zu nehmen: das ist, sie schriftlich über mich zu nehmen, und eine Obligation oder Wechsel dagegen auszustellen. Wem von unsern Schuldnern dieses gefällig ist, der kann zu der Zeit, die ich ihm festseßen will, sich gewiße Bezahlung versprechen. Wer aber aus Grobheit oder Ei gensinn sogleich baar bezahlt seyn will, — dem helfe Gott! Ich kann ihm nicht helfen, und zu Unmöglichkeiten ist kein Mensch verbunden. Es bekümmert mich auch wenig, was die Leute indeß sagen. Ich bin bey mir überzeugt, daß ich es mit dem Andenken meines Vaters rechtschaffen meine, und kein Mensch soll mit der Zeit einen Heller durch ihn verloren haben. Aber Zeit muß man mir laßen: oder man sage mir, wie ich es sonst anfangen soll.

Was das zu druckende Andenken anbelangt, so will ich mit nächsten an Theophilus weitläuftig darüber schreiben. So wie es Theophilus aufgesezt hat, ist es recht gut: aber ich sehe wahrlich nicht ein, warum es, den dummen und boshaften Camzern zu gefallen, gedruckt werden muß. Eben so vollständige Nachrichten von unsers Vaters Leben sind schon an mehr als einem Orte gedruckt, und es ist immer noch Zeit, der Welt zu seinem Lobe etwas zu sagen. Nur muß das eben nicht in einem gedruckten Lebenslaufe seyn, wie er nach der Leichenpredigt abgelesen wird. Ich habe mir es fest vorgenommen, etwas aufzuseßen: aber es soll etwas seyn, was man weiter als in Camenz, und länger als ein Halbjahr nach dem Begräbniße lieset. Dazu aber brauche ich Zeit und Gesundheit, woran es mir leider igt fehlet.

Beruhigen Sie sich also immer, meine liebste Mutter, über diesen Punkt! Die beste Ehre, die wir unserm verstor: benen Vater erzeigen können, ist, daß wir Sie um jo viel mehr lieben, und so sehr als möglich ist unterstüßen. Beides dieses gelobe ich Ihnen hiermit aus ganzem Herzen; und ich bin es auch von meinen übrigen Brüdern überzeugt, daß sie sich um die Wette darum bemühen werden. Leben Sie indeß mit der Schwester, die ich vielmals grüße, recht wohl, und versichern Sie mich bald, daß Sie allezeit in gutem an mich denken.

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An Karl G. Leffing.

An Karl G. Leffing.

Wolfenbüttel, den 14. Nov. 1771.

Mein lieber Bruder,

Da ich heute an Herrn Voß den Anfang zum zweiten. Theile der vermischten Schriften sende: so will ich auch zugleich auf Deinen leßten Brief, und besonders den vornehmsten Punkt desselben, antworten.

Ich sage Dir also kurz und gut Ob ich schon mit meiner gegenwärtigen Situation eigentlich nicht Ursache babe, unzufrieden zu seyn, auch wirklich nicht bin; so sehe ich doch voraus, daß meine Beruhigung dabey in die Länge nicht dauern kann. Besonders würde ich die Einsamkeit, in der ich zu Wolfenbüttel nothwendig leben muß, den gänz lichen Mangel des Umgangs, wie ich ihn an andern Orten gewohnt gewesen, auf mehrere Jahre schwerlich ertragen fönnen. Ich werde, mir gänzlich selbst überlassen, an Geist und Körper krank: und nur immer unter Büchern vergraben seyn, dünkt mich wenig besser, als im eigent lichen Verstande begraben zu seyn. Folglich, wenn ich vorausseße, daß eine Veränderung mit mir endlich doch noth wendig seyn würde: so wäre es freylich eben so gut, wenn ich je eher je lieber dazu thäte; besonders, wenn diese Veränderung wirkliche Verbesserung meiner äußerlichen Umstände seyn könnte, die nach dem, was mir alles auf dem

Wolfenbüttel, den 31. Decbr. 1771.

Mein lieber Bruder,

Ich habe zur Zeit noch nichts in der bewußten Angelegenheit aus Wien vernommen, und ich muß Tir sagen, wenn man daselbst verlangt, daß ich erst zum Besuche hinkommen soll, so kann aus der ganzen Sache nichts werden. Denn denke nur selbst, wie unanständig und unsicher es seyn würde, zu einer solchen Reise den Herzog um Urlaub zu bitten? Sollte ich ihm die Wahrheit sagen? oder sollte ich sie ihm nicht sagen? Sagte ich sie nicht: was könnte ich für einen Vorwand brauchen? und welcher Vorwand würde wahrscheinlich genug seyn, daß man nicht sogleich hindurch sehen könnte? Sagte ich ihm aber die Wahrheit, nehmlich, daß ich mich in Wien besehen wollte, ob es mir zu einem. beständigen Aufenthalt da gefiele: was könnte ich mir für eine Antwort gewärtigen?

Ich sehe nun überhaupt wohl, was es mit dem ganzen Dinge ist. Es steht in öffentlichen Blättern ja nun schon genug davon; und in den Erfurter Gelehrten Zeitungen lese ich, daß Prof. Riedel mit einer sehr ansehnlichen Besoldung nach Wien zu der Stelle eines K. K. Raths berufen, und ihm dabey die freye Uebung der protestantischen

"

Halse liegt, viel zu kümmerlich sind. — Aber ein Vorschlag Religion gestattet worden. Er werde im Anfang künftigen

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nach Wien? Was kann das für einer seyn? Wenn er das Theater betrifft: so mag ich gar nichts davon wissen. Das Theater überhaupt wird mir von Tage zu Tage gleichgültiger, und mit dem Wiener Theater, welches unter einem eigennützigen Impressario steht, möchte ich vollends nichts zu thun haben. Die schönsten Versprechungen, die bündig sten Verabredungen, die ich dort fodern und erwarten könnte, würden doch nur Versprechungen und Verabredun= gen von und mit einem Particulier seyn, und man müßte mir es hier sehr verdenken, wenn ich eine gewisse dauerhafte Versorgung ungewissen Aussichten aufopfern wollte. -Doch vielleicht betrifft der Vorschlag das Theater nicht, wenigstens nicht unmittelbar; und in diesem Falle, gestehe ich Dir, würde ich mich nicht sehr bedenken, Wolfenbüttel mit Wien zu vertauschen. Ich seße voraus, daß ich bei diesem Tausch in allem Betracht gewönne.

Eo viel kannst Du dem Herrn Professor Sulzer in meinem Namen versichern, mit dem verbindlichsten Danke für seine gütige Verwendung bey dieser Sache. Ich erwarte sodann seine weitere Aeußerung, und zwar je eher je lieber, weil ich sonst hier gewisse Dinge allzulange verzögern müßte, die mich hernach mehr binden würden, als ich im Grunde ist gebunden bin. Ueberreiche zugleich Herrn Sulzer ein Exemplar vom ersten Theile der vermischten Schriften. Dein

treuer Bruder, Gotthold.

Jahres seine Stelle antreten und in solchen Geschäften ge braucht werden, die für die Litteratur unsres Vaterlandes von größter Wichtigkeit seyn würden.“

Aber, lieber Gott! wenn die guten Wiener mit Riedeln den Anfang machen: was kann man sich viel davon versprechen? Und wenn sie Riedeln auf seine famam, und

auf Treu und Glauben Anderer, sofort berufen können: warum wollen sie mich denn erst sehen? warum muthen sie mir denn erst eine Reise auf Besichtigung zu? Du wirst sagen, die Besichtigung sey für mich. Aber es kömmt mir ganz so vor, als ob sie eben sowohl für die Wiener seyn solle, wie für mich. Kurz, wie gesagt: ohne völlige Ges wißheit zu haben, thue ich keinen Schritt. Und zieht Riedel seinen ganzen Anhang nach sich, wie er ohne Zweifel zu thun suchen wird, so soll es mir eben so lieb seyn, wenn man mich läßt, wo ich bin. — Die Zeit wird es lehren.

Also von andern Dingen. Es thut mir leid, daß ich Dir in Deinem Vorhaben, etwas aus dem Englischen zu überseßen, weder rathen noch helfen kann. In die Bibliothek kömmt von neuen englischen Sachen gar nichts, und Ebert hat auch seit langer Zeit nichts bekommen. Von denen, die Du in Vorschlag bringst, würde ich am meisten für Dowe's Nachricht von Hindostan seyn, aus Gründen, die Du selbst berührt hast. Doch ich bin nicht vermögend, Dir die neue Ausgabe zu schaffen. An den Buncle wollte ich nicht, daß Du Dich machtest. Zum Ueberseßen ist er schlechterdings nicht; und etwas Aehnliches aus ihm für deutsche Leser zu machen, das würde keine Meßarbeit seyn.

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