Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Doch ich enthalte mich, dergleichen Kleinigkeiten auf einen Haufen zu tragen. Tadelsucht könnte es zwar nicht

der Ungenannte in seinem Verzeichnisse der Olympiaden. Aphepsion hingegen nennen ihn die Arundel'schen Marmor, Apollodorus, und der diesen anführt, Diogenes Laertius. Plutarchus aber nennt ihn auf beide Weise; im Leben des Theseus Phädon, und in dem Leben des Cimons Aphepfion. Es ist also wahrscheinlich, wie Palmerius vermuthet, Aphepsionem et Phaedonem Archontas fuisse eponymos; scilicet uno in magistratu mortuo, suffectus fuit alter. (Exercit. p. 452.) Vom Sophokles, erinnere ich noch gelegentlich, hatte Herr Winkelmann auch schon in seiner ersten Schrift von der Nachahmung der griechischen Kunstwerke (S. 8.) eine Unrichtigkeit einfließen lassen. „Die schönsten jungen Leute tanzten unbekleidet auf

scheinen; aber wer meine Hochachtung für den Herrn Winkelmann tennt, dürfte es für Krotylegmus halten.

„dem Theater, und Sophokles, der große Sophokles, war der erste, „der in seiner Jugend dieses Schauspiel seinen Bürgern gab." Auf dem Theater hat Sophokles nie nackend getanzt; sondern um die Tropäen nach dem salaminischen Siege, und auch nur nach einigen nackend, nach andern aber bekleidet (Athen. lib. 1. p. m. 20). Sophokles war nämlich unter den Knaben, die man nach Salamis in Sicherheit gebracht hatte; und hier auf dieser Insel war es, wo es damals der tragischen Muse, alle ihre drei Lieblinge in einer vorbildenden Gradation zu versammeln beliebte. Der kühne Aeschylus half siegen; der blühende Sophokles tanzte um die Tropäen, und Euripides ward an eben dem Tage des Sieges, auf eben der glücklichen Insel geboren.

Berstreute Anmerkungen

über

das Epigramm und einige der vornehmsten Epigrammatisten.

I.

Ueber das Epigramm.

(1.)

1771.

Man hat das Wort Epigramm verschiedentlich überießt: durch Ueberschrift, Aufschrift, Inschrift, Sinnschrift, Sinngedicht u. s. w. Ueberschrift und Sinngedicht sind dieses durch den Gebrauch des Logau, und jenes durch den Gebrauch des Wernicke das gewöhnlichste geworden; aber vermuthlich wird Sinngedicht auch endlich das Ueberschrift verdrängen.

Aufschrift und Inschrift müssen sich begnügen, das zu bedeuten, was das Epigramm in seinem Ursprunge war; das, woraus die sogenannte Dichtungsart nach und nach entstanden ist.

Wenn Theseus in der Landenge von Korinth eine Säule errichten, und auf die eine Seite derselben schreiben ließ: Hier ist nicht Peloponnesus, sondern At tika; so wie auf die entgegenstehende: Hier ist Beloponnesus, und nicht Attika: so waren diese Worte das Epigramm, die Aufschrift der Säule. Aber wie weit scheint ein solches Epigramm von dem entfernt zu seyn, was wir bei dem Martial also nennen! Wie wenig scheint eine solche Aufschrift mit einem Sinngedichte gemein zu baben!

Hat es nun 'ganz und gar keine Ursache, warum die Benennung einer bloßen einfältigen Anzeige endlich dem wizigsten Spielwerke, der sinnreichsten Kleinigkeit anheimgefallen? Oder lohnt es nicht der Mühe, sich um diese Ursache zu bekümmern ?

Für das eine, wie für das andere, erklärte sich Vavassor. 1 Es däuchte ihm sehr unnüß, den Unterricht über das Epigramm mit dem anzufangen, was das Wort seiner

1 De epigrammate cap. 3. Frustra videntur scriptores hujus artis fuisse, qui nos illud primum admonitos esse voluerunt, epigramma atque inscriptionem unum sonare. Facile intelligimus, mansisse vocem, mutata significatione et potestate vocis. Lessing, Werke. II.

Ableitung nach bedeute, und ehedem nur bedeutet habe. Genug, daß ein jeder von selbst sehe, daß es jeßt dieses nicht mehr bedeute. Das Wort sey geblieben, aber die Bedeutung des Wortes habe sich verändert.

Gleichwohl ist gewiß, daß der Sprachgebrauch nur selten ganz ohne Grund ist. Das Ding, dem er einen gewissen Namen zu geben fortfährt, fährt unstreitig auch fort, mit demjenigen Dinge etwas gemein zu behalten, für welches dieser Name eigentlich erfunden war.

Und was ist dieses hier? Was hat das wißigste Sinn: gedicht eines Martial mit der trockensten Aufschrift eines alten Denkmals gemein, so daß beide bei einem Volke, dessen Sprache wohl am wenigsten unter allen Eprachen dem Zufalle überlassen war, einerlei Namen führen konnten?

Diese Frage ist nicht die nämliche, welche Skaliger, zu Anfange seines Hauptstücks über das Epigramm, aufwirft. 1 Staliger fragt: „warum werden nur die kleinen Gedichte ,,Epigrammen genannt?" Das heißt annehmen, daß alle kleine Gedichte ohne Unterschied diesen Namen führen können, und daß er nicht bloß einer besondern Gattung kleiner Gedichte zukommt.

Daher können mich auch nicht die Antworten des Staligers befriedigen, die er, aber auch nur fragweise, darauf ertheilt. Etwa, sagt er, eben darum, weil sie klein, weil sie kaum mehr als die bloße Aufschrift sind? Oder etwa darum, weil wirklich die ersten kleinen Gedichte auf Denkmäler gesezt wurden, und also im eigentlichen Verstande Aufschriften waren?

Jenes, wie gesagt, sezt etwas falsches voraus, und macht allen Unterricht über das Epigramm überflüssig. Denn wenn es wahr ist, daß bloß die Kürze das Epigramm macht, daß jedes Paar einzelne Verse ein Epigramm sind:

[ocr errors][merged small][merged small]
[ocr errors]

"

"

so gilt der caustische Einfall jenes Spaniers von dem Epigramme vornehmlich: „wer ist so dumm, daß er nicht ein Epigramm machen könnte; aber wer ist so ein Narr, daß er sich die Mühe nehmen sollte, deren zwei zu machen?“. Dieses aber sagt im Grunde nichts mehr, als was ich bei meiner Frage als bekannt annehme. Ich nehme an, daß die ersten kleinen Gedichte, welche auf Denkmäler gesezt wurden, Epigrammen hießen; aber darin liegt noch kein Grund, warum jezt auch solche kleine Gedichte Epigrammen heißen, die auf Denkmäler gesezt zu werden weder bestimmt noch geschickt sind. Oder höchstens würde wiederum aller Grund auf die beiden gemeinschaftliche Kürze hinaus laufen.

Ich finde nicht, daß die neuern Lehrer der Dichtkunst, bei ihren Erklärungen des Epigramms, auf meine Frage mehr Rücksicht genommen hätten. Wenigstens nicht Boi: leau, von dem freilich ohnedem keine schulgerechte Definition an dem Orte 1 zu verlangen war, wo er sagt, daß das Epigramm oft weiter nichts sey, als ein guter Einfall mit ein paar Reimen verziert. Aber auch Batteur nicht, der das Epigramm als einen interessanten Gedanken beschreibt, der glücklich und in wenig Worten vorgetragen wird. Denn weder hier noch dort sehe ich die geringste Ursache, warum denn nun aber ein guter gereimter Einfall, ein kurz und glücklich vorgetragener interessanter Gedanke, eben eine

· Aufschrift, ein Epigramm heißt. Oder ich werde mich auch bei ihnen beiden damit begnügen müssen, daß wenige Reime, Ein kurzer Gedanke, wenig und kurz genug sind, um auf einem Denkmale Plaß zu finden, wenn sie sonst anders Plaz darauf finden können.

Gewiß ist es, daß es nicht die Materie seyn kann, welche das Sinngedicht noch jezt berechtigt, den Namen Epigramm zu führen. Es hat längst aufgehört, in die engen Gränzen einer Nachricht von dem Ursprunge und der Bestimmung irgend eines Denkmals eingeschränkt zu seyn, und es fehlt nicht viel, so erstreckt es sich nun über alles, was ein Gegenstand der menschlichen Wißbegierde werden kann.

Folglich aber muß es die Form seyn, in welcher die Beantwortung meiner Frage zu suchen. Es muß in den Theilen, in der Zahl, in der Anordnung dieser Theile, in dem unveränderlichen Eindrucke, welchen solche und so geordnete Theile unfehlbar ein jedesmal machen; - in diesen muß es liegen, warum ein Sinngedicht noch immer eine Ueberschrift oder Aufschrift heißen kann, ob sie schon eigent lich nur selten dafür zu brauchen steht.

[ocr errors]

Die eigentliche Aufschrift ist ohne das, worauf sie steht, øder stehen könnte, nicht zu denken. Beides also zusammen

macht das Ganze, von welchem der Eindruck entsteht, den wir, der gewöhnlichen Art zu reden nach, der Aufschrift allein zuschreiben. Erst irgend ein sinnlicher Gegenstand,

1 L'Art poétiq. Chant. II. v. 103. L'Epigramme

N'est souvent qu'un bon mot de deux rimes orn é.

welcher unsere Neugierde reizt; und dann die Nachricht auf diesem Gegenstande selbst, welche unsere Neugierde be friedigt.

Wem nun aber, der auch einen noch so kleinen, oder noch so großen Vorrath von Sinngedichten in seinen Ge danken überlaufen kann, fällt es nicht sogleich ein, daß ähnliche zwei Theile sich fast in jedem derselben, und ge rade in denjenigen am deutlichsten unterscheiden lassen, die ihm einem vollkommenen Sinngedichte am nächsten zu kommen scheinen werden? Diese zerlegen sich alle von selbst in zwei Stücke, in deren einem unsere Aufmerksam keit auf irgend einen besondern Vorwurf rege gemacht, unsere Neugierde nach irgend einem einzelnen Gegenstande gereizt wird, und in deren anderm unsere Aufmerksamkeit ihr Ziel, unsere Neugierde einen Aufschluß findet.

Auf diesen einzigen Umstand will ich es denn auch wagen, die ganze Erklärung des Sinngedichts zu gründen, und die Folge mag es zeigen, ob sich nach meiner Ertlärung sowohl das Sinngedicht von allen möglichen andern kleinen Gedichten unterscheiden, als auch aus ihr jede der Eigenschaften herleiten läßt, welche Geschmack und Kritik an ihm fordern.

Ich sage nämlich: das Sinngedicht ist ein Gedicht, in welchem, nach Art der eigentlichen Aufschrift, unsere Aufmerksamkeit und Neugierde auf irgend einen einzelnen | Gegenstand erregt, und mehr oder weniger hingehalten werden, um sie mit eins zu befriedigen.

Wenn ich sage:,,nach Art der eigentlichen Aufschrift," so will ich, wie schon berührt, das Denkmal zugleich mit verstanden wissen, welches die Aufschrift führt, und welches dem ersten Theile des Sinngedichts entspricht. Ich halte es aber für nöthig, diese Erinnerung ausdrücklich zu wieder holen, ehe ich zu der weitern Anwendung und Entwicklung meiner Erklärung fortgehe.

(2.)

Unbemerkt sind die zwei Stücke, die ich zu dem Wesen des Sinngedichts verlange, nicht von allen Lehrern der Dichtkunst geblieben. Aber alle haben sie, von ihrem Ursprunge gehörig abzuleiten, vernachlässigt, und auch weiter keinen Gebrauch davon gemacht.

Staliger ließ sich bloß durch sie verführen, eine dep: pelte Gattung des Epigramms anzunehmen. 1 Da er sie nämlich in der eigentlichen Aufschrift nicht erkannte, in welcher er nichts als die bloße einfache Anzeige einer Person oder Handlung sahe: so hielt er dasjenige Epigramm, geleitet wird, und in welchem also die Vorausschidungen, in welchem aus gewissen Vorausschickungen etwas her:

und das was daraus hergeleitet wird, als zwei merklich verschiedene Theile sich nicht leicht verkennen lassen, für

1 Epigramma igitur est poema breve cum simplici cujuspiam rei, vel personae, vel facti indicatione: aut ex propositis aliquid deducens. Quae definitio simul complectitur etiam divisionem: ne quis damnet prolixitatem. L. c.

völlig von jenem unterschieden. Die Subtilität fiel ihm nicht bei, daß bei jenem, bei der eigentlichen Aufschrift zu der Wirkung desselben das beschriebene Werk selbst das Seine mit beitrage, und folglich bei dem andern, dem eigentlichen Sinngedichte, das, was er die Vorausschickun: | gen nennt, dem beschriebenen Werke, so wie das, was aus diesen Vorausschickungen hergeleitet wird, der Auf- | schrift selbst entspreche.

Der wortreiche Vavassor hat ein langes Capitel von den Theilen des Epigramms, deren er gleichfalls nur zwei, unter dem Namen der Verständigung und des Schluf ses, annimmt, und über deren Bearbeitung er wirklich mancherlei gute Anmerkungen macht. 1 Aber auch er ist weit entfernt, diese Theile für nothwendig zu halten, ins dem er gleichfalls eine einfachere Gattung erkennt, welche sie nicht habe, und überhaupt aus ihnen weder für die Eigenschaften, noch für die individuelle Verschiedenheit des Epigramms das geringste zu folgern verstanden hat.

"

Batteur sagt ausdrücklich: „Das Epigramm hat nothDas Epigramm hat noth❘ wendigerweise zwei Theile: der erste ist der Vortrag des "Subjects, der Sache, die den Gedanken hervorgebracht „oder veranlaßt hat, und der andere der Gedanke selbst, ,,welchen man die Spiße nennt, oder dasjenige, was den „Leser reizt, was ihn interessirt.“ Gleichwohl läßt er unter seinen Erempel auch solche mit unterlaufen, die diese zwei Theile schlechterdings nicht haben, deren Erwähnung ohne dem in seinem ganzen übrigen Unterrichte völlig unfrucht bar bleibt. Folgende vier Zeilen des Pelisson z. E.:

Grandeur, savoir, renommée,

Amitié, plaisir et bien,

Tout n'est que vent, que fumée:
Pour mieux dire, tout n'est rien.

[ocr errors]

mögen ihm immerhin einen noch so interessanten Gedanken enthalten. Aber wo ist die Veranlassung dieses Gedankens? Wo ist der einzelne besondere Fall, denn ein solcher muß die Veranlassung seyn bei welchem der Dichter darauf gekommen ist, und seine Leser darauf führt? Hier ist nichts als der bloße interessante Gedanke, bloß der Eine Theil; und wenn, nach ihm selbst, das Epigramm nothwendiger Weise zwei Theile haben muß, so können diese, so wie alle ihnen ähnliche Zeilen, unmöglich ein Epigramm heißen. Zum Unglück ist es nicht bloß ein übel gewähl tes Erempel, woraus ich dem Batteur hier einen Vorwurf mache. Sondern das Schlimmste ist, daß aus diesem Erempel zugleich das Fehlerhafte seiner Erklärung des Epigramms erhellt,,,nach welcher es ein interessanter Ge danke seyn soll, der glücklich und in wenig Worten vor"getragen worden." Denn wenn sich ein interessanter Gedanke auch ohne seine individuelle Veranlassung vortragen

[ocr errors]
[ocr errors]
[blocks in formation]

| läßt, wie sich aus dem Beispiele, wenn es schon kein Epigramm ist, dennoch ergiebt: so wird wenigstens die Anzahl der Theile des Epigramms, welche Batteur selbst für nothwendig erklärt, weder in seiner Erklärung liegen, noch auf irgend eine Weise daraus herzuleiten seyn.

-

Wenn uns unvermuthet ein beträchtliches Denkmal aufstößt, so vermengt sich mit der angenehmen Ueberraschung, in welche wir durch die Größe oder Schönheit des Denkmals gerathen, sogleich eine Art von Verlegenheit über die noch unbewußte Bestimmung desselben, welche so lange anhält, bis wir uns dem Denkmale genugsam genähert haben, und durch seine Aufschrift aus unserer Ungewißheit gesezt worden; worauf das Vergnügen der befriedigten Wißbegierde sich mit dem schmeichelhaften Eindrucke des schönen finnlichen Gegenstandes verbindet, und beide zusammen in ein drittes angenehmes Gefühl zusammenschmelzen. Diese Reihe von Empfindungen, sage ich, ist das Sinngedicht bestimmt nachzuahmen, und nur dieser Nachahmung wegen hat es in der Sprache seiner Erfinder, den Namen seines Urbildes, des eigentlichen Epigramms behalten. Wie aber kann sie es anders nachahmen, als wenn es nicht allein eben dieselben Empfin dungen, sondern auch eben dieselben Empfindungen nach eben derselben Ordnung in seinen Theilen erweckt? Es muß über irgend einen einzelnen ungewöhnlichen Gegenstand, den es zu einer so viel als möglich sinnlichen Klarheit zu erheben sucht, in Erwartung sezen, und durch einen unvorhergesehenen Aufschluß diese Erwartung mit eins befriedigen.

Am schicklichsten werden sich also auch die Theile des Epigramms, Erwartung und Aufschluß nennen lassen, und unter diesen Benennungen will ich sie nun in verschiedenen Arten kleiner Gedichte aufsuchen, die fast immer unter den Sinngedichten mit durchlaufen, um zu sehen, mit welchem Rechte man dieses geschehen läßt, und welche Classification unter ihnen eigentlich einzuführen seyn dürfte.

Natürlicher Weise aber kann es nur zweierlei Aftergattungen des Sinngedichts geben: die eine, welche Erwartung erregt, ohne uns einen Aufschluß darüber zu ge: währen; die andere, welche uns Aufschlüsse giebt, ohne unsere Erwartung darnach erweckt zu haben.

1. Ich fange von der leztern an, zu welcher vornehmlich alle diejenigen kleinen Gedichte gehören, welche nichts als allgemeine moralische Lehren oder Bemerkungen ent halten. Eine solche Lehre oder Bemerkung, wenn sie aus einem einzelnen Falle, der unsere Neugierde erregt hat, hergeleitet oder auf ihn angewendet wird, kann den zweiten Theil eines Sinngedichts sehr wohl abgeben; aber an und für sich selbst, sie sey auch noch so wizig vorgetragen, sie sey in ihrem Schlusse auch noch so spizig zugearbeitet, ist sie kein Sinngedicht, sondern nichts als eine Maxime, die, wenn sie auch schon Bewunderung erregte, dennoch nicht

diejenige Folge von Empfindungen erregen kann, welche dem Sinngedichte eigen ist.

Wenn Martial folgendes an den Decianus richtet:

Quod magni Thraseae, consummatique Catonis.
Dogmata sic sequeris, salvus ut esse velis;
Pectore nec nudo strictos incurris in enses,

Quod fecisse velim te, Deciane facis.

Nolo virum, facili redimit qui sanguine famam:
Hunc volo, laudari qui sine morte potest.

was fehlt den beiden lezten Zeilen, um nicht ein sehr interessanter Gedanke zu heißen? und wie hätte er kürzer und glücklicher ausgedrückt werden können? Würde er aber allein eben den Werth haben, den er in der Verbindung mit den vorhergehenden Zeilen hat? würde er, als eine bloße für sich bestehende allgemeine Marime, eben den Reiz, eben das Feuer haben, eben des Eindrucks fähig seyn, dessen er hier ist, wo wir ihn auf einen einzelnen Fall angewendet finden, welcher ihm eben so viel Ueberzeugung mittheilt, als er von ihm Glanz entlehnt?

Oder wenn unser Wernike, zur Empfehlung einer milden Sparsamkeit, geschrieben hätte:

Lieb' immer Geld und Gut; nur so, daß dein Erbarmen Der Arme fühl': und flich die Armuth, nicht die Armen; wäre es nicht ebenfalls ein sehr interessanter, so kurz als glücklich ausgedrückter Gedanke? aber wäre es wohl eben das, was er wirklich an den sparsamen Celidor schrieb? 2 Du liebst zwar Geld und Gut; doch so, daß dein Erbarmen Der Arme fühlt. Du fliehst die Armuth, nicht die Armen. Der Unterschied ist klein; und doch ist jenes, bei vollkom men eben derselben Wendung, doch nichts als eine kalte allgemeine Lehre, und dieses ein Bild voller Leben und Seele; jenes ein gereimter Sittenspruch, und dieses ein wahres Sinngedicht.

Gleichwohl ist eben dieser Wernike, so wie auch der ältere Logau, nur allzu reich an sogenannten Ueberschriften, die nichts als allgemeine Lehrfäße enthalten; und ob sie schon beide, besonders aber Wernike, an Vortheilen unerschöpflich sind, eine bloße kahle Moral aufzustußen, die einzelnen Begriffe derselben so vortheilhaft gegen einander abzusehen, daß oftmals ein ziemlich verführerisches Blendwerk von den wesentlichen Theilen des Sinngedichts daraus entsteht: so werden sie doch nur selten ein feines Gefühl betrügen, daß es nicht den großen Abstand von einem wahren Sinngedichte bis zu einer solchen zum Sinngedichte ausgefeilten Maxime bemerken sollte. Vielmehr ist einem Menschen von solchem Gefühle, wenn er ein oder mehrere Bücher von ihnen hinter einander liest, oft nicht anders zu Muthe, als einem, der sich mit einem feinen Weltmanne und einem steisen Pedanten zugleich in Gesellschaft findet; wenn jener Erfahrungen spricht, die auf allgemeine

1 Lib. I. ep. 9.

2 Erstes Buch S. 14 der Schweizerischen Ausgabe von 1763.

|

[ocr errors]

Wahrheiten leiten, so spricht dieser Sentenzen, zu denen die Erfahrungen in dieser Welt wohl gar noch erst sollen gemacht werden.

Bei keinem Epigrammatisten aber ist mir wenigstens die ähnliche Abwechslung von Empfindungen lästiger ge worden, als bei dem Owen. Nur daß bei diesem der Pedant sich unzählig öfter hören läßt, als der seine Mann von Erfahrung, und daß der Pedant mit aller Gewalt noch oben drein wigig seyn will. Ich halte den in allem Ernste für einen starken Kopf, der ein ganzes Buch des Owens in einem Zuge lesen kann, ohne drehend und schwindlicht zu werden. Ich werde es unfehlbar, und habe immer dieses für die einzige Ursache gehalten, weil eine so große Menge bloß allgemeiner Begriffe, die unter sich keine Verbindung haben, in so kurzer Zeit auf einander folgen; die Einbildung möchte jeden gern, in eben der Geschwindigkeit, in ein individuelles Bild verwandeln, und erliegt endlich unter der vergebenen Bemühung.

Hingegen ist das Moralisiren gerade zu, des Martials Sache gar nicht. Obschon die meisten seiner Gegenstände sittliche Gegenstände sind: so wüßte ich doch von allen lateinischen Dichtern keinen, aus dem sich wenigere Sittensprüche wörtlich ausziehen ließen, als aus ihm. Er hat nur wenig Sinngedichte von der Art, wie das angeführte an den Decianus, welche sich mit einer allgemeinen Moral schlößen; seine Moral ist ganz in Handlung verwebt, und er moralisirt mehr durch Beispiele, als durch Worte. Vollends von der Art, wie das dreizehnte seines zwölften Buchs ist:

Ad Auctum.

Genus, Aucte, lucri divites habent iram.
Odisse quam donasse vilius constat.

welches nichts als eine feine Bemerkung enthält, mit gänz licher Verschweigung des Vorfalls, von dem er sie abge= zogen, oder der sich daraus erklären lassen; von dieser Art, sage ich, wüßte ich außer dem gegenwärtigen nicht noch drei bei ihm aufzufinden. Und auch bei den wenigen scheint es, daß er den veranlassenden Vorfall meht aus gewissen Bedentlichkeiten mit Fleiß verschweigen wollen, als daß er gar keinen dabei im Sinne gehabt. Auctus möchte den Reichen wohl kennen, der so listig eine Ursache vom Zaune gebrochen, sich über ihn, oder über den Dichter zu erzürnen, um sich irgend ein kleines Geschenk zu ersparen, das er ihnen sonst machen müssen. Wenigstens hat Martial dergleichen bloße sittliche Bemerkungen doch immer an eine gewisse Person gerichtet, welche anscheinende Kleinigkeit Logau und Wernike nicht hätten übersehen oder vernach= lässigen sollen. Denn es ist gewiß, daß sie die Rede um ein großes mehr belebt, und wenn wir schon die angeredete Person, und die Ursache, warum nur diese und keine andere angeredet worden, weder kennen noch wissen: so seßt uns doch die bloße Anrede geschwinder in Bewegung, unter unserm eigenen Zirkel umzuschauen, ob da sich nicht jemand

« ZurückWeiter »