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so ansieht, als ob sich der Dichter selbst dadurch das Urtheil
gesprochen. Es ist das dreiundvierzigste des zwölften Buchs,
an einen nicht ganz schlechten Poeten, dessen er unter dem
Namen Sabellus mehrmalen gedenkt.

Facundos mihi de libidinosis
Legisti nimium, Sabelle, versus:
Quales nec Didymi sciunt puellae,
Nec molles Elephantidos libelli:
Sunt illic Veneris novae figurae;
Quales perditus audeat fututor:
Praestent et taceant quid exoleti;

Quo symplegmate quinque copulentur;
Qua plures teneantur a catena;
Extinctam liceat quid ad lucernam.
Tanti non erat esse te disertum!

"

"

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„eines von denen ist, die einen Menschen um so viel schlech„ter machen, je vollkommner er darin wird. Du magst es bald weggehabt haben, daß sich die Begierden bei dem ,,Verfeinten, Versteckten, welches mehr errathen läßt, als „ausdrückt, weit besser befinden, als bei dem plumpen ,,Geradezu. Darum allein vermeidest du dieses, und ver,,schwendest an jenes so viel Wig und Blumen. Bei Leibe „nicht, daß du jemanden Röthe in das Gesicht jagen solltest ! „Röthe ist Schamhaftigkeit, und Schamhaftigkeit ist nie ,, ohne Unwillen oder Furchtsamkeit. Wie taugten diese in ,deinen Kram? Lieber umgehest du diese Vorposten der Zucht so weit, so leise, als nur möglich. Du schonest der Scham,,haftigkeit deiner Leser, um sie unmerklich gänzlich darum zu bringen. Ich beleidige sie dann und wann; aber es , geschieht, um sie thätig und aufmerksam zu erhalten. Im ,,mer nenne mich einen ungeschliffenen, groben Spötter, einen eckeln Possenreißer, wenn du willst. Wer wird „nicht lieber ein Spötter seyn wollen, als ein Verfüh,,rer? Noch lieber ein Possenreißer, als eine listige, glei ,,Bende, maulspißende Hure! Frage bei dem Didymus „nach, wessen Gedichte seine Mädchen am liebsten lesen? ob meine, oder deine? Welche von beiden sie ihren

"

Vavassor erkennt in diesen Versen, ich weiß nicht welchen Triumph, den die Ehrbarkeit auch oft über die erhalte, von denen sie am muthwilligsten unter die Füße getreten werde. Wenn sich unter dem Sabellus, sagt er, Martial nicht selbst meint, so pralle doch der Pfeil, den er gegen dieses sein Ebenbild abdrückt, unmittelbar auf ihn zurück. 1 — Ich kann mich dessen schwerlich bereden. Denn auch der unbesonnenste Schriftsteller nimmt sich vor dergleichen Selbst: zaudernden oder entkräfteten Buhlern vorsingen? Mit verdammungen wohl in Acht. Vielmehr muß Martial von welchen von beiden er sie selbst in dem Geschmacke ihres seinem freiesten Epigramme bis zu dem Gedichte des Sa- Berufs erhält? Dich allein kennen sie; du allein liegst bellus noch weit hin zu seyn geglaubt haben, und ich meine, „auf ihren schmußigen Nachttischen. Ganz natürlich! Denn er hätte diesen abführen können, wenn er sich der Retorsion „ich schlage, und du kizelst. Zwar, höre ich, soll es auch gegen ihn bedienen wollen. „Wie?" hätte Martial sagen ,,eine menschliche Gattung von Waldeseln geben, deren können, „ich mit dir, Eabellus, in gleicher Schuld? Ich,,,dice Haut meine Schläge selbst zu Kizel macht. Aber

,,der ich nichts sage, als was täglich um und neben mir geschieht; der ich es höchstens nur eben so ohne Scham ,,sage, als es geschieht; der ich es aber auch so ohne Echam „sagen muß, wenn es ein Brandmal für den werden soll, von „dem ich es sage: was habe ich mit dir gemein, der du zu „den Lüsten, die ich durch das Lächerliche so gut zu bestreiten „suche, als sich etwas Strafbares durch das Lächerliche be„streiten läßt, der du zu diesen Lüsten mit aller möglichen ,,verführerischen Beredtsamkeit anreizest? Dieses Anreis „zen, diese Erweckung der Begierden ist es, was ich eigent: „lich an dir verdamme, und mich auf keine Weise trifft: „nicht die nackten schamlosen Worte, die ich freilich eben so „gut brauche, als du; aber zu einer andern Absicht, als du. ,So gar räume ich es ein, daß du im Gebrauche dieser ,,Worte weit mäßiger, weit bescheidener bist, als ich. Aber, "guter Freund, im Grunde ist das desto schlimmer. Es „zeigt, daß du dein Handwerk recht wohl verstehst, welches

"

1 Cap. XI. Nunquam mihi magis placuit Martialis, quam cum suam verborum intemperantiam ultus est ipse per se, et Musis, quas conspurcavit, de corio suo, ita si loqui licet, satisfecit. Mirum illud sed tamen verum. Scripsit contra se Martialis, et factum damnavit suum, non modo, ut antea posui, excusavit. Lege ac judica. Facundos mihi de libidinosis etc. Est hoc Epigramma Martialis, scriptum in Sabellum nescio quem simulatum, an in Martialem verum? En quomodo tela adversus alios intenta resiliant, atque in caput jacientis recidant.

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Man wird leicht sehen, warum ich in dieser Rede, welche ich dem Martial in den Mund lege, den Sabellus weit weniger strafbar annehme, als er in dem angeführten Sinngedicht erscheint. Denn es versteht sich von selbst, wenn Martial gegen den allerfeinsten Sabellus, gegen jeden Sänger der unschuldigen Wollust sich auf diese Weise vertheidigen kann: so wird er seine Sache, aus eben den Gründen, um so viel mehr gegen den wahren, eigentlichen, mehr als viehischen Sabellus gewinnen müssen. Es kommt unter beiden Theilen, wie gesagt, nicht auf die bloße schamlose Erwähnung unzähliger Gegenstände an, durch welche meistens nur eine Anständigkeit beleidigt wird, die sich mehr von gesellschaftlichen Verabredungen, als unmittelbar aus der Natur des Menschen herschreibt; sondern es kommt auf die anlockenden Sophistereien an, mit welchen man solche Gegenstände ausrüstet; auf die Anreizung zu Lüsten, zu welchen ohnedem schon so vieles in der Welt anreizt; auf die Ermedung solcher Begierden, die überhaupt in feinen. Büchern erweckt werden müßten. Wenigstens ist der einzige zufällige Nußen, den dahin abzielende Schriften noch haben

können, der Beeiferung eines ehrlichen Mannes nicht sehr | darum auch das Buch im geringsten besser? Gewiß würdig.

2. Aber nun wollte ich auch, daß es zur Rechtfertigung des Martials keiner weitern Ausflucht bedürfe. Und doch bedarf es noch einer sehr großen, damit ihm auch nicht diejenigen Epigramme zur Last fallen, in welchen er offenbar nicht tabelt und spottet, sondern von sich selbst redet, für sich selbst wünscht und fordert. Was sich für diese sagen ließe, wenn es darauf abgesehen wäre, den Martial von dem Verderbnisse seiner Zeit so wenig als möglich angesteckt zu zeigen, wäre indeß vielleicht folgendes.

Es ist falsch, daß der epigrammatische Dichter alles, was er in der ersten Person sagt, von seiner eigenen Per son verstanden wissen will. Kürze und Rundung, welches so nothwendige Eigenschaften seiner Dichtungsart sind, nöthigen ihn öfters, in der ersten Person etwas vorzutragen, woran weder sein Herz noch sein Verstand Theil nimmt. Daß dieses auch dem Martial begegnet sey, daß auch Martial hieraus sich kein Bedenken gemacht habe, ist febr glaublich; und ein unwidersprechliches Beispiel haben wir an dem sechsten Epigramm des ersten Buchs.

Do tibi naumachiam, tu das Epigrammata nobis:
Vis, puto cum libro, Marce, natare tuo.

Wer ist hier die erste Person? der Dichter? Nichts weniger: der Dichter ist vielmehr gerade der, mit welchem jene erste Person spricht. Der Kaiser Domitianus selbst ist es, welchen Martial so redend einführt, ohne uns weder in dem Gedichte, noch in der Aufschrift den geringsten Wink davon zu geben. Was er also hier unterließ, warum könnte er es auch nicht öfterer unterlassen haben? Warum könnte nicht in mehrern Epigrammen nicht Martial selbst, sondern ein Freund und Bekannter desselben sprechen?

Martial bekennt ohnedem, daß er nicht immer aus eiges ner Willkür gedichtet. Er ließ sich auch wohl den Gegen stand zu einem Epigramm aufgeben; denn er beklagt sich gegen einen gewissen Cäcilian, daß er ihm so ungeschickte Gegenstände vorlege, über die es ihm nicht möglich sey, einen gescheidten Einfall zu haben. 1

Vivida cum poscas epigrammata, mortua ponis Lemmata: quid fieri, Caeciliane, potest? Mella jubes Hyblaea tibi, vel Hymettia nasci, Et thyma Cecropiae Corsica ponis api. Nun frage ich, wenn so ein Cäcilian über den und jenen, über dieß und das ein Epigramm verlangte, wird es der Dichter nicht ganz in dem Geiste desselben gemacht haben? Wird er es ihm also auch nicht selbst in den Mund gelegt baben?

Allerdings ist durch diese Wendung gewissermaßen von dem moralischen Charakter des Martials nun alles abzu lehnen, was ihm nachtheilig seyn könnte. Aber wenn der Dichter so schlimm nicht war, als sein Buch: wird denn 1 Libr. XI. ep. 43.

nicht: doch dieses gegen Tugend und Wohlstand in einen unbedingten Schuß zu nehmen, darauf war es von mir auch gar nicht angefangen.

(3.)

Einen Augenblick will ich mich noch bei der leßtern Anmerkung verweilen. Sie dürfte leicht aus der Luft gegriffen zu seyn scheinen, bloß um den ehrbaren Wandel des Dichters, den er von sich selbst versichert, desto wahrscheinlicher zu machen. Es verlohnt sich also der Mühe, sie, ohne Rücksicht auf diesen Punct, durch einige Beispiele mehr zu erhärten, und wo möglich durch einige einleuch tendere, als das einzige angeführte, in welchem zwar frei lich nicht der Dichter, sondern Domitianus spricht, aber doch mit dem Dichter spricht. Aus diesem Umstande, dürfte man meinen, verstünde es sich von selbst, daß die erste Person darin nicht der Dichter seyn könne; aber eben dieser Umstand müsse sich dann auch bei den andern Beispielen zeigen, von welchen sich das nämliche verstehen solle. Das ist: man dürfte die Anmerkung, nach Maßgebung dieses Musters, nur von solchen Epigrammen wollen gelten lassen, die der Dichter an sich selbst überschrieben.

Was ich nun hierüber zu sagen habe, wird zusammen auf nichts schlechteres hinauslaufen, als auf eine Untersuchung über die Frau des Martials. Hat Martial, während seines vierunddreißigjährigen Aufenthalts zu Rom, eine Frau gehabt? oder hat er keine gehabt? Von welcher Sorte war sie? und wie lebte er mit ihr? Wollen wir hören, was er alles in der ersten Person hiervon meldet?

Allerdings hat er zu Rom eine Frau gehabt, sagen die Ausleger. Denn als er von dem Kaiser das Jus trium liberorum erhielt, welches in gewissen bürgerlichen Vorzügen bestand, deren sich eigentlich nur diejenigen Römer zu erfreuen hatten, welche Väter von drei Kindern waren: so machte er an seine Frau folgendes Epigramm: 1

Natorum mihi jus trium roganti
Musarum pretium dedit mearum,
Solus qui poterat. Valebis uxor!

Non debet Domino perire munus.

Ein sehr verbindliches Compliment! Doch eine gute Frau versteht Spaß, und weiß wohl, daß man so was derjenigen gerade am ersten sagt, die man am ungernsten verlieren würde. Gleichwohl hat es Gelehrte gegeben, die diesen Spaß für vollen Ernst aufgenommen. Oder vielmehr ich finde, daß es auch nicht einen einzigen gegeben, der ihn nicht für Ernst aufgenommen. Sie sind nur unter sich ungewiß, wie der Dichter das valebis uxor eigentlich verstanden habe. Ob er bloß damit sagen wollen:,,was bekümmere ich mich nun viel um dich?“ Oder ob er ihr 1 Lib. II. ep. 92.

die völlige Ehescheidung damit angekündigt? Oder ob er ihr gar damit den Tod gewünscht, 1 wenn sie nicht selbst schon so klug gewesen, sich dazu zu entschließen?

So wäre denn kein Viertes möglich? Wie gleichwohl, wenn Valebis uxor überhaupt nur heißen sollte: „Was bedarf ich nun einer Frau? wozu soll mir nun eine Frau?" Mich dünkt, die Worte leiden diesen Sinn, und beweisen zu können glaube ich, daß das Jus trium liberorum auch wirklich Unverehelichten ertheilt worden.

Aber freilich, Martial gedenkt seiner Frau noch weiter. Er sagt von ihr, was man nun freilich von seiner Frau eben nicht einem jeden auf die Nase bindet: 2

Ut patiar moechum, rogat uxor, Galle, sed unum. Huic ego non oculos eruo, Galle, duos?

Die gute Frau und der häßliche Mann! Was konnte sie nach den damaligen Sitten weniger verlangen? Muß er ihr gleich die Augen ausreißen wollen? Es war doch sonst eine so gesezte, so ehrbare, und in dem Ehebette selbst so keusche Matrone! Sie war ihm nur zu keusch, worüber er in einem langen Epigramme mit ihr zankt: 3

Uxor vade foras, aut moribus utere nostris!

Non ego sum Curius, non Numa, non Tatius. Si te delectat gravitas, Lucretia tota

--

Sis licet usque die: Laida nocte volo. Anderswo scheint sie es zwar näher gegeben zu haben; ja näher, als es Martial selbst von ihr verlangte. 4 Aber doch nur alles aus aufrichtiger, inbrünstiger Liebe gegen ihren Mann; ne vagus a thalamis conjugis erret amor: so daß es kaum zusammen zu reimen steht, wie eine, ihrer Gemüthsart nach so fittsame, und aus Gefälligteit gegen ihren Mann so nachgebende Frau, gleichwohl noch einen Gehülfen hat verlangen können, und von ihrem Manne selbst hat verlangen können?

Ich bin unbesorgt, daß die, welchen Martial schlechters dings zu Rom soll verheirathet gewesen seyn, und welche daher überall, wo von einer Ehefrau in der ersten Person bei ihm die Rede ist, seine eigene darunter verstehen, nicht auch noch weit widersprechendere Nachrichten von ihr sollten zu vergleichen wissen. Aber begierig wäre ich zu hören, was sie zu denjenigen Epigrammen sagen, in welchen sich Martial mit eben so klaren Worten für unverheirathet ausgiebt? Denn dieses thut er doch wohl, wenn er z. E. jene güldene Heirathsregel ertheilt? 5

Uxorem quare locupletem ducere nolim
Quaeritis? Uxori nubere nolo meae.
Inferior matrona suo sit, Prisce, marito:

Non aliter fuerint foemina virque pares.

Funccius de imminente latinae linguae senectute, p. 212. Ad Uxorem epigramma, sive neglectam, sive repudiatam, sive

mortuam.

a Lib. III. ep. 92.

3 Lib. XI. ep. 105.

Lib. XI. ep. 44.
Lib. VIII. epigr. 12.

Oder wenn er die Ursache angiebt, warum er die Thelesina nicht heirathe, und warum er sie dennoch wohl heirathen möchte? 1

Uxorem nolo Thelesinam ducere: quare?

Moecha est

Wollen sie wohl sagen, daß man die Zeiten unterscheiden müssen, und daß Martial damals wohl könne Wittwer gewesen seyn? Oder wollen sie lieber sagen, daß hier Martial in eines andern Namen spreche? Wenn aber hier, warum nicht auch dort? Und wenn wenigstens eines von beiden, hier oder dort: warum nicht überhaupt an mehreren Orten? Und das war es nur, worauf ich sie brin

gen wollte.

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Ob nun aber auch gleich sonach weder für, noch wider die Frau des Martials aus den angeführten Epigrammen etwas zu schließen, so ist es doch wahrscheinlicher, daß er zu Rom teine gehabt, sondern daß er sich erst in Spanien verheirathet, als ihn Verdruß und Mangel in seinem Alter wieder dahin zurüd brachten. Hier erst fand er eine liebenswürdige Person, die es sich gefallen ließ, noch so spät sein Glück zu machen. Dieser erwähnt er daher auch erst in dem zwölften Buche, welches er in Spanien schrieb, und erwähnt ihrer da namentlich, und erwähnt ihrer mit so individuellen Umständen, daß man wohl sieht, da allein. sey es ihm Ernst gewesen, von seiner wirklichen Frau zu sprechen. 2 Er sagt von ihr unter andern auch, daß sie nie in Rom gewesen: und also hatte er sie auch nicht in Rom; anzunehmen aber, daß er dem ungeachtet mit ihr schon verheirathet gewesen, und die ganzen vierunddreißig Jahre, die er dort zubrachte, fie in Spanien allein fißen lassen, das hieße ja wohl etwas sehr unwahrscheinliches annehmen, um etwas sehr wahrscheinliches zu läugnen.

(4.)

In eine ähnliche Untersuchung anderer Lebensumstände des Dichters will ich mich nicht einlassen. Ich möchte nach dem Masson, dessen Schrift mir eben nicht bei der Hand ist, wenig Neues vorzubringen haben. Dazu sind das wahre Leben eines Dichters seine Gedichte. Nur was von diesen zu sagen ist, das allein kann noch jezt einen wahren Nugen haben, und die wichtigsten Nachrichten von einem alten Verfasser sind nur in so weit wichtig, als sie seinen Werken zur Erläuterung dienen können.

Was und wie viel uns von dem Martial übrig ist, brauche ich nicht zu sagen. Wenn einiges, was seinen Namen jezt führt, nicht von ihm seyn sollte: so vermissen wir dagegen vielleicht manches andere, das wirklich von ihm war. Ich verstehe unter diesem vornehmlich eine Sammlung jugendlicher Gedichte, an deren ehemaliger Existenz ich nicht sehe, warum Nic. Antonio 3 zweifeln

Lib. II. epig. 49.

2 Lib. XII. ep. 21. 31. 3 Bibl. Hisp. vetus, p. 65.

wollen. Er gedenkt ihrer doch so ausdrücklich in dem hun- | in elegantissimo opere, ceu pannum in purpura, dert und vierzehnten Epigramme des ersten Buches.

Quaecunque lusi juvenis et puer quondam,
Apinasque nostras, quas nec ipse jam novi,
Male collocare si bonas voles horas,
Et invidebis otio tuo, lector:
A Valeriano Pollio petes Quincto,
Per quem perire non licet meis nugis.

Hiermit können auf keine Weise die noch vorhandenen Epis
gramme, oder irgend ein einzelnes Buch derselben gemeint
seyn. Denn ob der Dichter auch schon von diesen, an mehr
als einem Orte, eine sehr bescheidene Meinung äußert, so
konnte er sie doch so weit nicht herunterseßen, noch weniger
das für unreife Früchte seiner poetischen Kindheit erklären,
womit wir ihn in ältern Jahren so ernstlich beschäftigt finden.

Der Quinctus Pollius Valerianus, von dem Martial sagt, daß er den gänzlichen Untergang dieser verworfenen Kleinigkeiten noch verhindere, war also derjenige, welcher sie zum Verkauf abschrieb, oder für seine Rechnung abschreiben ließ ihr Verleger, mit einem Worte. Und auch hier: aus ist es schon klar, daß von den Epigrammen nicht die Rede seyn kann, denn der Buchhändler, welcher diese vertaufte, hieß Atrectus.

Warum ich aber der verlorenen Jugendgedichte unsers Martials so geflissentlich hier gedenke, ist eigentlich dieses | die Ursache: weil ich einen Einfall über sie habe, von dem mich wundert, daß ihn nicht schon mehrere gehabt haben. Ich glaube nämlich, daß sie nicht so ganz untergegangen, sondern verschiedene derselben noch übrig sind, und nur verkannt werden.

Der alte Scholiast des Juvenals führt eine Stelle aus dem Martial an, die sich jezt bei ihm nirgends findet. Allerdings haben wir sonach den Martial nicht ganz, aber darum auch seine Epigrammen nicht ganz, wie Skriver argwohnt? 1 Warum könnte diese Stelle nicht eben in den Jugendgedichten gestanden haben, von denen wir gar nichts übrig zu seyn glauben? Doch wenn gerade nur diese da von übrig wäre, so wäre es freilich so viel als gar nichts.

Das Mehrere, worauf ich ziele, sind diejenigen acht Epigrammen, mit welchen Junius seine Ausgabe des Martials vermehrte. Er fand sie in einer Handschrift der bodlejanischen Bibliothek; und ohne Zweifel, daß sie in dieser Handschrift an eben den Orten eingeschaltet waren, an welchen sie in seiner Ausgabe vorkommen. 2 Es giebt nur wenig spätere Herausgeber des Martials, die sich diese Einschiebsel so völlig gefallen lassen. Am ungestümsten aber stieß sie Striver wieder aus; und kaum, daß er ihnen noch ganz am Schlusse seiner Ausgabe den Plaß vergönnte, ne aliquis ex fungino genere ea desideret. Es ist eine Lust, ihn schimpfen zu hören: Tam fatua, tam stulta

1 Animad. in Spectac. p. 28.

2 Nämlich IV. 78. VII. 99. 100. 101. XII. 79. 101. 102. 103.

quis ferat? Irato prorsus Deo Musisque aversis nata. Procul dubio ab insulsis monachis et scribis deliramenta haec profecta sunt. Nunquam medius fidius nasum habeat oportet, qui ista talia non primo statim odore deprehendat. Aliter catuli olent, aliter sues.

Wer giebt auf solche kritische Trümpfe nicht gern zu? Wer läßt nicht lieber ein wenig Unrecht über Dinge, die kein Gefühl haben, ergehen, als daß er sich durch ihre Ver theidigung den Vorwurf eines elenden Geschmacks zuziehen wollte? Aber mag doch mir geschehen, was da will: ich kann mich unmöglich enthalten, über die feine Nase des Strivers eine Anmerkung zu machen. Ich glaube es, daß sie Schweine und Hunde recht gut zu unterscheiden wußte; ich gebe es ihr zu, daß alle die Fehler, von welchen sie in den streitigen Epigrammen Wind hatte, wirklich darin liegen; kurz, ich habe für die Nase, als Nase, alle Hochachtung. Aber wer hieß denn ihrem Eigenthümer, mit einer Nase mehr empfinden zu wollen, als man mit einer Nase empfinden kann? Wer hieß Skrivern, mit der sinnlichen Empfindung sogleich ein Urtheil verbinden, und beide hernach mit einander vermengen? Er hat Recht, daß die armen Dinger, denen er den Namen des Martials durchaus nicht lassen will, gar nicht sehr wißig sind, daß sie auch nicht immer in einer so guten Sprache geschrieben find, als man von Schriftstellern der damaligen Zeit noch wohl erwarten konnte, und bei dem Martial wirklich findet; aber folgt daraus, daß sie darum Martial auch nicht gemacht hat? Kann ein Verfasser in seiner Jugend, in seiner Kindheit nichts gemacht haben, was den Werken seines reifen Alters, weder an Gedanken noch Ausdruck, durchaus nicht ähnlich sieht? So lange man noch unter sich selbst ist, ist man um so viel mehr auch unter seiner Zeit. Sie mußten ja wohl, die Jugendpossen des Martials, weder viel gute Sprache, noch viel guten Wiß haben: sonst wüßte ich gar nicht, warum er sich ihrer sollte geschämt haben? Verhält sich dieses aber so: warum sollte es nicht möglich seyn, daß ein Liebhaber einige derselben, die ihm noch am besten gefallen, in sein Exemplar der Epigrammen einge tragen hätte? Warum sollte es nicht glaublich seyn, daß eben daher Ein Manuscript Zusäße haben könnte, die man in allen übrigen vermißt? Gewiß ist es doch wohl, daß das ausdrückliche Zeugniß eines Manuscripts immer glaubwürdiger in solchen Dingen ist, als der tahle Machtspruch eines Kritikus, der sich auf nichts als auf seine Nase beruft.

Damit ich jedoch nicht scheinen möge, alles auf meine eigene Hörner zu nehmen: so will ich anführen, daß es vor und nach Strivern, auch gar nicht an Gelehrten gefehlt hat, welche weit glimpflicher von den Vermehrungen des Junius geurtheilt haben. So nennt Ramires de Prado das eine Epigramm:

In Varum. Ad coenam nuper Varus cum forte vocavit, Ornatus dives, parvula coena fuit. Auro, non dapibus oneratur mensa, ministri Apponunt oculis plurima, pauca gulae. Tunc ego, non oculos, sed ventrem pascere veni: Aut appone dapes, Vare, vel aufer opes. elegans et poeta dignum. Und Barth 1 sagt von einem

andern:

De Milone.

Milo domi non est: peregre Milone profecto
Arva vacant: uxor non minus inde parit.
Cur sit ager sterilis, cur uxor lectitet, edam;
Quo fodiatur ager non habet, uxor habet.

ob er es schon selbst für kein Werk des Martials erkennt, erudita tamen hujus Epigrammatis sententia est. Nam lege puto cautum fuisse etc. Wenigstens, wo ist das Mönchmäßige in diesen zwei Proben? Und was haben sie, das schlechterdings nicht aus der Feder eines jungen Römers könnte geflossen seyn, welcher noch keine Verse machen kann, sondern sich erst im Versemachen übt? Eben das gilt von den übrigen sechsen; sogar das allerschlechteste In Ponticum nicht ausgenommen, weil es doch noch immer der kindische Versuch eines angchenden Epigrammatisten, auch aus einer Zeit seyn kann, in der der mittelmäßigste Dichter eine weit bessere Sprache hatte. Denn, wie ich schon erwähnt, der übende Schüler ist weder seinem Zeitalter überhaupt, noch dem insbesondere ähnlich, wozu er selbst mit den Jahren gelangte.

Keineswegs aber will ich in dieses gelindere Urtheil auch diejenigen Stücke mit eingeschlossen wissen, mit welchen Skriver selbst die Zusäße des Junius vermehrte. Denn in diejen herrscht allerdings viel Mönchswiß, wie ihn fein römischer Knabe, von noch so weniger Erziehung, haben konnte. Dazu sehe ich auch nicht, daß Skriver sie ausdrücklich für Epigrammen ausgegeben, die unter dem Namen des Martials angeführt gefunden. Er sagt bloß, daß es Epigrammen sind, die er aus alten Pergamenen, beson ders aus alten Glossarien zusammengeschrieben habe: und dieses hätten die neuern Herausgeber des Martials nicht aus der Acht lassen sollen, welche sowohl jene authentischeren Zusäße des Junius, als diese weit verfänglicheren des Strivers, ohne Unterschied Martiali afficta genannt, und ihrem Autor beigefügt haben.

Weit eher könnte ich jezt selbst jene bessern Stücke mit einem vermehren, welches aus einer sehr alten Handschrift genommen ist, die eine große Anzahl meistens noch ungedruckter Epigrammen verschiedener lateinischer Dichter ent hält. Ich meine das bekannte Manuscript, welches Salmasius vom Joh. Lacurnăus bekam, und das gegenwärtig in der königlichen Bibliothek zu Paris aufbewahrt wird. Von einem Theile desselben hat Gudius eine Abschrift 1 Advers. lib. XXIII. cap. 6.

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genommen, die sich unter seinen Papieren in der Bibliothek zu Wolfenbüttel befindet; und in dieser sehe ich dem Martial folgendes Epigramm zugeeignet, von dem ich nicht wüßte, daß es sonst schon irgendwo gedruckt wäre.

Nec volo me summis fortuna nec adplicet imis,
Sed medium vitae temperet illa gradum.
Invidia excelsos, inopes injuria vexat:

Quam felix vivit quisquis utroque caret!

Auch dieses, meine ich, könnte sich gar wohl aus seinen Jugendgedichten herschreiben, da es nichts als eine feine moralische Gesinnung ausdrückt, von der er in reiferen Jahren nicht glaubte, daß sie zu einem Epigramme bin länglich sey.

Vielleicht ließe sich überhaupt die Frage aufwerfen, ob nicht ohnedem schon aus den Jugendgedichten des Ver faffers mehrere in die Epigrammen übergetragen worden; und dieses in so frühen Zeiten, daß es kein Wunder, wenn sie nach und nach in alle Handschriften gekommen. Wenigstens, wenn Martial zu Ende seines ersten Buchs sagt: Cui legisse satis non est epigrammata centum, Nil illi satis est, Caeciliane, mali;

dieses erste Buch aber jezt nicht hundert, sondern hundert und neunzehn Epigramme enthält: so ist es so gar ausge macht wohl noch nicht, ob er bloß eine runde Anzahl ungefähr angeben wollen, oder ob sich wirklich neunzehn fremde mit eingeschlichen. Dem leztern Falle zu Folge dürfte ein Archetypon, 1 oder eine von dem Dichter selbst durchgesehene und verbesserte Abschrift, der strengen Kritik leicht weit weniger Stoff zum Tadel gegeben haben, als ihr ein jezt gedrucktes Eremplar giebt, welches wider seinen Willen mit verschiedenen sehr mittelmäßigen Stücken vermehrt worden, in deren Verwerfung er ihr längst zuvorgekom

men war.

(5.)

Ich habe oben angemerkt, daß der Buchhändler, wel cher die Jugendgedichte des Martials zu verkaufen hatte, Quinctus Pollius Valerianus hicß, daß aber die Epigrammen nicht bei eben demselben, sondern bei einem andern, Namens Atrectus, zu finden waren, wie der Dichter selbst zum Schlusse des ersten Buches anzeigt. 2 Wenn ich nun hinzusetze, daß ein dritter Buchhändler, Namens Tryphon, (der nämliche, durch den Quinctilian sein Werk ausgehen ließ) besonders die Xenia und Apophoreta desselben gehabt zu haben scheint: 3 so sollte man fast vermuthen, daß auch schon damals jeder Buchhändler seine eigenen Verlagsbücher, wie wir es jezt nennen, besessen, und nicht die ersten die besten abschreiben lassen, die ihm vor die Faust gekommen, und auf die sich ein anderer bereits eine Art

Lib. VII. ep. 10. 2 Ep. 118. 3 Lib. XIII. ep. 3.

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