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G. E. Lessing's

gesammelte Werke

in zwei Bänden.

Zweiter Band.

Leipzig.

G. J. Göschen'sche Verlagshandlung.

1864.

PUBLIC DIENAS

472888

Buchdruckerei der J. G. Cottaschen Buchhandlung in Stuttgart und Augsburg.

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Laokoon

oder

über die Gränzen der Malerei und Poesie.

Mit beiläufigen Erläuterungen verschiedener Puncte der alten Kunstgeschichte.

Vorrede.

Erster Theil.

1766.

Υλη και τρόποις μιμήσεως διαφέρουσι.

Der erste, welcher die Malerei und Poesie mit einander verglich, war ein Mann von feinem Gefühle, der von beiden Künsten eine ähnliche Wirkung auf sich verspürte. Beide, empfand er, stellen uns abwesende Dinge als gegenwärtig, den Schein als Wirklichkeit vor; beide täuschen, und beider Täuschung gefällt.

Ein zweiter suchte in das Innere dieses Gefallens einzudringen, und entdeckte, daß es bei beiden aus einerlei Quelle fließe. Die Schönheit, deren Begriff wir zuerst von lörperlichen Gegenständen abziehen, hat allgemeine Regeln, die sich auf mehrere Dinge anwenden lassen; auf Handlun gen, auf Gedanken sowohl als auf Formen.

Ein dritter, welcher über den Werth und über die Vertheilung dieser allgemeinen Regeln nachdachte, bemerkte, daß einige mehr in der Malerei, andere mehr in der Poesie herrschten; daß also bei diesen die Poesie der Malerei, bei jenen die Malerei der Poesie mit Erläuterungen und Beispielen aushelfen könne.

Das erste war der Liebhaber; das zweite der Philosoph; das dritte der Kunstrichter.

Jene beiden konnten nicht leicht, weder von ihrem Gefühl, noch von ihren Schlüssen, einen unrechten Gebrauch machen. Hingegen bei den Bemerkungen des Kunstrichters beruht das Meiste in der Richtigkeit der Anwendung auf den einzelnen Fall; und es wäre ein Wunder, da es gegen Einen scharfsinnigen Kunstrichter funfzig wißige gegeben bat, wenn diese Anwendung jederzeit mit aller der Vorsicht wäre gemacht worden, welche die Waage zwischen beiden Künsten gleich erhalten muß.

Lessing, Werte. II.

Πλουτ. ποτ. 19. κατα Π. ή κατα Σ. ἐνδ.

Falls Apelles und Protogenes in ihren verlorenen Schriften von der Malerei die Regeln derselben durch die bereits festgesezten Regeln der Poesie bestätigt und erläu tert haben, so darf man sicherlich glauben, daß es mit der Mäßigung und Genauigkeit wird geschehen seyn, mit welcher wir noch jezt den Aristoteles, Cicero, Horaz, Quintilian, in ihren Werken, die Grundsäße und Erfahrungen der Malerei auf die Beredtsamkeit und Dichtkunst anwenden sehen. Es ist das Vorrecht der Alten, keiner Sache weder zu viel noch zu wenig zu thun.

Aber wir Neuern haben in mehrern Stücken geglaubt, uns weit über sie wegzuseßen, wenn wir ihre kleinen Lustwege in Landstraßen verwandelten; sollten auch die kürzern und sicherern Landstraßen darüber zu Pfaden eingehen, wie sie durch Wildnisse führen.

Die blendende Antithese des griechischen Voltaire, daß die Malerei eine stumme Poesie, und die Poesie eine redende Malerei sey, stand wohl in keinem Lehrbuche. Es war ein Einfall, wie Simonides mehrere hatte, dessen wahrer Theil so einleuchtend ist, daß man das Unbestimmte und Falsche, welches er mit sich führt, übersehen zu müssen glaubt.

Gleichwohl übersahen es die Alten nicht. Sondern indem sie den Ausspruch des Simonides auf die Wirkung der beiden Künste einschränkten, vergaßen sie nicht einzus schärfen, daß, ungeachtet der vollkommenen Aehnlichkeit dieser Wirkung, sie dennoch, sowohl in den Gegenstånden als in der Art ihrer Nachahmung, (Yin nai vọinois fundɛ@g) verschieden wären.

Völlig aber, als ob sich gar keine solche Verschiedenheit fände, haben viele der neuesten Kunstrichter aus jener Uebereinstimmung der Malerei und Poesie die crudesten Dinge

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