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„vorübergehen? Die Sonne hat für ihn weniger Licht und der Himmel ,,wenig Gestirne, und wie viel Schönheiten verlieret er nicht auf der Erde? „Wenn andre Augen, die in die Weite reichen, in der Entfernung tausend „groffe und herrliche Gegenstände auf einmal und ohne Verwirrung übersehen, und mit einem Blicke in dieser Weite Anhöhen und fruchtbare „Thäler, und in jener Entfernung blühende Wiesen und einen weit ge= „streckten Wald entdecken, so erblickt er kaum die Blumen, die unter seinen „Füssen aufwachsen, und selbst von diesen bleiben ihm mannichfaltige „Reizungen verborgen, die ein schärferes Auge in ihrem künstlichen Ge= ,,webe wahrnimmt. Alles ist vor ihm, wie mit einem Nebel überzogen; „ganze Gebürge verlieren sich in seinen Augen in Hügel; stolze Palläste „bey einem gewissen Abstande von ihm in Dorfhütten, und vielleicht ganze „Landschaften in einen grünen, mit einigen Gebüschen durchwachsenen „Grasplat. Dem besten Auge hingegen ist ein jeder Theil der Materie „bevölkert, und ihm wimmelt vielleicht ein jedes Laub -von Einwohnern, „wenn dem Kurzsichtigen die Natur fast eine Wüste, einsam und leer von „Bewegung und Leben zu seyn scheinet! Wie unvollkommen müssen nicht „seine Vorstellungen von der Grösse, Ordnung und Vollkommenheit der „Natur, von ihrer angenehmen Mannichfaltigkeit und Kunst bey ihrer so „erhabenen Einfalt und Gleichförmigkeit, und von ihrer bis zur Unbe„greiflichkeit bewundernswürdigen. Harmonie in allen ihren unzählbaren „Abwechslungen seyn, und wie unglücklich ist der nicht, wenn er nicht „mehr errathen, als sehen, und seinem schwachen Gesichte nicht mit seinem „Verstande zu Hülfe kommen kann! Er muß mit seinen Freuden zu geißen wissen, wenn er mit ihrem kleinen Vorrathe auskommen will, da „derjenige, welcher gute Augen gut zu gebrauchen weiß, im Genusse fast verschwendrisch seyn mag, indem er sich nur umsehen darf, um im Ueber"fluffe neue Reizungen, neue Schönheiten und Belustigungen zu ent„decken.

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Noch nicht aus? — Ja; nun ist es einmal aus, das ewige Gleichniß! Der Aufseher fährt fort: „Ebenso ist es mit denjenigen beschaffen 2c. und, Gott fey Dank, wir sehen wieder Land! Was sagen Sie dazu? Giebt es bey allen guten und schlechten Scribenteu wohl ein ähnliches Exempel, wo man, über das Gleichniß, die Sache selbst so lange und so weit aus dem Gesichte verlieret?

VII. Den 16. August. 1759.

Ein und funfzigster Brief.

In das Feld der schönen Wissenschaften und der Critik ist der nordische Aufseher nur selten übergegangen.

Von den dreh eingerückten Oden, die ohne Zweifel den Herrn Cramer selbst zum Verfasser haben, (die eine auf die Geburt,' die andere auf das Leiden des Erlösers, und die dritte auf den Geburtstag des Königs, 3) von diesen verlangen Sie mein Urtheil nicht; das weiß ich schon. Herr Cramer ist der vortreflichste Versificateur; dafür erkennen wir ihn beyde. Daß aber sein poetisches Genie, wenn man ihm überhaupt noch ein poetisches Genie zugestehen kann, sehr einförmig ist, das haben wir oft beyde betauert. Wer eine oder zwey von seinen so genannten Oden gelesen hat, der hat sie ziemlich alle gelesen. In allen findet sich viel poetische Sprache, und die beneidenswürdigste Leichtigkeit zu reimen; aber auch allen mangelt der schöne versteckte Plan, der auch die kleinste Ode des Pindars und Hōraß zu einem so sonderbaren Ganzen macht. Sein Feuer ist, wenn ich so reden darf, ein kaltes Feuer, das mit einer Menge Zeichen der Ausrufung und Frage, blos in die Augen leuchtet.

Es kommen aber noch zwey andere Gedichte vor, die meine Aufmerksamkeit ungleich mehr an sich gezogen haben. Das Klopstodische Siegel ist auf beyden; und das läßt sich so leicht nirgends verkennen. Von dem einen zwar, welches ein geistliches Lied auf die Auferstehung des Erlösers ist, weiß ich auch nicht viel sonderliches zu sagen.

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Es ist,

wie des Herrn Klopstocks Lieder alle sind; so voller Empfindung, daß man oft gar nichts dabeh empfindet. Aber das zweyte ist desto merkwürdiger. Es sind Betrachtungen über die Allgegenwart Gottes, oder vielmehr, des Dichters ausgedrückte Empfindungen über dieses grosse Object. Sie scheinen sich von selbst in symmetrische Zeilen geordnet zu haben, die voller Wohlklang sind, ob sie schon kein bestimmtes Sylbenmaaß haben. Ich muß eine Stelle daraus anführen, um Ihnen einen deutlichern Begrif davon zu machen.

Als du mit dem Tode gerungen,
Mit dem Tode!

1 Stück LIX.

2 Stück XV.

3 Stück XVIII.

4 Stüd XVI.

Heftiger gebetet hattest!

Als dein Schweiß und dein Blut
Auf die Erde geronnen war;
In der ernsten Stunde

Thatest du jene grosse Wahrheit fund,
Die Wahrheit seyn wird,

So lange die Hülle der ewigen Seele
Staub ist!

Du standest, und sprachest

Zu den Schlafenden :
Willig ist eure Seele;
Allein das Fleisch ist schwach.

Dieser Endlichkeit Looß,
Diese Schwere der Erde,

Fühlt auch meine Seele,

Wenn sie zu Gott, zu Gott!

Zu dem Unendlichen!

Sich erheben will!

Anbetend, Vater, sink ich in Staub und fleh!
Vernimm mein Flehn, die Stimme des Endlichen!

Mit Feuer taufe meine Seele,

Daß sie zu dir sich, zu dir, erhebe!

Allgegenwärtig, Vater, umgiebst du mich!
Steh hier, Betrachtung, still, und forsche
Diesem Gedanken der Wonne nach)!

Und dieses vorbereitende Gebet ist der Anfang des Gedichts selbst. Ein würdiger Anfang! Aber wenn ich Ihnen sagen sollte, was ich denn nun aus dem Folgenden, von der Allgegenwart Gottes mehr gelernt, als ich vorher nicht gewußt; welche von meinen dahin gehörigen Begriffen, der Dichter mir mehr aufgeklärt; in welcher Ueberzeugung er mich mehr bestärket: so weiß ich freylich nichts darauf zu antworEigentlich ist das auch des Dichters Werk nicht. Genug, daß mich eine schöne, prächtige Tirade, über die andere, angenehm unterhalten hat; genug, daß ich mir, während dem Lesen, seine Begeisterung mit ihm zu theilen, geschienen habe: muß uns denn alles etwas zu denken geben?

ten.

Ich hebe meine Augen auf, und sehe, Und siehe, der Herr ist überall!. Erde, aus deren Staube

Der erste der Menschen geschaffen ward,

Auf der ich mein erstes Leben lebe!

In der ich verwesen,

Aus der ich auferstehen werde!
Gott, Gott würdigt auch dich,

Dir gegenwärtig zu seyn!

Mit heiligem Schauer

Brech ich die Blum ab!

Gott machte sie!

Gott ist, wo die Blum' ist!

Mit heilgem Schauer

Fühl ich das Wehn,

Hier ist das Rauschen der Lüfte!

Er hieß sie wehen und rauschen,

Der Ewige!

Wo sie wehen, und rauschen,

Ist der Ewige!

Freu dich deines Todes, o Leib!

Wo du verwesen wirst,

Wird der Ewige seyn!

Freu dich deines Todes, o Leib!
In den Tiefen der Schöpfung,
In den Höhen der Schöpfung,
Werden deine Trümmer verwehen!
Auch dort, Verwester, Verstäubter,
Wird er seyn der Ewige!

Die Höhen werden sich bücken!
Die Tiefen sich bücken!

Wenn der Allgegenwärtige nun
Wieder aus Staube

Unsterbliche schaft!

Halleluja dem Schaffenden!
Dem Tödtenden Halleluja!

Halleluja dem Schaffenden!

In diesem stürmischen Feuer ist das ganze Stücke geschrieben. Aber was sagen Sie zu der Versart; wenn ich es anders eine Versart nennen darf? Denn eigentlich ist es weiter nichts als eine künstliche Prosa, in alle kleinen Theile ihrer Perioden aufgelöset, deren jeden man als einen einzeln Vers eines besondern Sylbenmaasses betrachten kann. Sollte es wohl nicht rathsam seyn, zur musikalischen Composition bestimmte Gedichte in diesem prosaischen Sylbenmaasse abzufassen? Sie wissen ja wie wenig es dem Musikus überhaupt hilft, daß der Dichter ein wohlklingendes Metrum gewählet, und alle Schwierigkeiten desselben sorgfältig und glücklich überwunden hat. Oft ist es ihm so gar hinderlich, und er muß, um zu seinem Zwecke zu gelangen, die Harmonie wieder zerstören, die dem Dichter so unsägliche Mühe gemacht hat. Da also der prosaische Wohlklang entweder von dem musikalischen verschlungen wird, oder wohl gar durch die Collision leidet, und Wohlklang zu seyn aufhöret; wäre es nicht besser, daß der Dichter überhaupt für den Musikus in gar keinem Sylbenmaafse schriebe, und eine Arbeit gänzlich unterliesse, die ihm dieser doch niemals danket? Ja ich wollte noch weiter gehen, und diese freye Versart so gar für das Drama empfehlen. Wir haben angefangen, Trauerspiele in Prosa zu schreiben, und es sind viel Leser sehr unzufrieden damit gewesen, daß man auch diese Gattung der eigentlichen Poesie dadurch entreissen zu wollen scheinet. Diese würden sich vielleicht mit einem solchen Quasi-Metro befriedigen lassen; besonders wenn man ihnen sagte, daß z. E. die Verse des Plautus nicht viel gebundener wären. Der Scribent selbst behielte dabey in der That alle Freyheit, die ihm in der Prose zustatten fömmt, und würde bloß Anlaß finden, seine Perioden desto symmetrischer und wohlklingender zu machen. Wie viel Vortheile auch der Schauspieler daraus ziehen könnte, will ich ißt gar nicht erwähnen; wenn sich nehmlich der Dichter bey der Abtheilung dieser freyen Zeilen nach den Regeln der Declamation richtete, und jede Zeile so lang oder kurz machte, als jener jedesmal viel oder wenig Worte in einem Athem zusammen aussprechen müßte. c.

Das einzige Stück des nordischen Aufsehers, welches in die Critik einschlägt, ist das sechs und zwanzigste, und handelt von den

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