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Metaque fervidis evitata rotis. Das Ziel zu erreichen, war das wenigste. Sie mußten um das Ziel herum! Lassen Sie uns nicht weiter lesen. Und wie oft zeiget der Herr von Palthen, ich weiß nicht, welche eingeschränkte Kenntnisse! . . Petrarch sagt von sich: „Ich habe nie „an Schmausen ein Vergnügen gefunden, sondern habe bei mäßiger Kost „und gewöhnlichen Speisen ein vergnügteres Leben geführt, als alle „Nachfolger des Apicius." Und der Herr v. P. sett in einer Anmerkung hinzu: „Es wird hier auf den Apicius Caelius gezielet, welcher zehn Bücher von der Kochkunst geschrieben 2c. - Allein, muß denn ein Mann, der Gerichte zubereiten lehrt, nothwendig ein Schlemmer feyn? Er hätte, wie bekannt einen ganz andern Apicius hier anführen sollen, und würde unter drei berühmten Schlemmern dieses Namens die Wahl gehabt haben.

Das Projekt des Abts von St. Pierre zu einem beständigen Frieden, sagt der Herr v. P., sey ihm nicht zu Gesichte gekommen. Die ganze Welt kennt es. Es ist unendlich sinnreicher als seines, und läuft auf eine proportionirliche Herabseßung der Kriegsheere aller europäischen Staaten hinaus.

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Sie haben Recht; dergleichen schlechte Ueberseter, als ich Ihnen bekannt gemacht habe, sind unter der Critik. Es ist aber doch gut, wenn sich die Critik dann und wann zu ihnen herabläßt; denn der Schade, den sie stiften, ist unbeschreiblich. Wenn durch eine groffe, wunderbare Weltveränderung auf einmal alle Bücher, die deutsch geschriebenen ausgenommen, untergingen; welch eine erbärmliche Figur würden die Virgile und Horaze, die Shaftesbury und Bolingbroks bey der Nachwelt machen!

Oder meinen Sie, daß bey einem so allgemeinen Schiffbruche der Wissenschaften, die deutsche Gelehrsamkeit nur immerhin auch mit versinken möchte?

Das wäre zu bitter geurtheilet! Man verachtet keinen Baum wegen seiner unansehnlichen Blüte, wenn er wegen seiner Frucht zu schäßen ist. Unsere schöne Wissenschaften würden zu vergessen seyn; aber unsere Weltweisheit nicht. Noch zu bitter! Nein, auch in jenen fehlt es uns

1 G. 89.

nicht an Männern, die alsdenn an die Stelle der groffen. Ausländer, und der noch grössern Alten treten müßten und könnten! Klopstoc würde Homer; Cramer, Pindar; Uz, Horak; Gleim, Anakreon; Gessner, Theokrit; Wieland Lucrez

Wieland, Lucrez? So geht es, wenn man träumet! Es finden sich im Traume Dinge oft wieder zusammen, die man seit vielen Jahren, nicht miteinander gedacht hat. Herr Wieland hätte es längst gern aus unserem Gedächtniß vertilgt, daß er der Verfasser der Natur der Dinge ist, und aus dem meinigen schien es auch wirklich vertilgt zu seyn.

Erlauben Sie mir, Ihnen von diesem Manne, der ohne Widerrede einer der schönsten Geister unter uns ist, mehr zu sagen; ich mag zu meinem vorigen Gegenstande nicht zurückkehren. Denn warum schriebe ich Briefe ?

Wenige Gelehrte werden eine mehr doppelte Rolle gespielt haben, als Herr Wieland. Ich mag es nicht wieder erzehlen, was Leute, die ihn in K** B** persönlich gekannt haben, von ihm zu erzehlen wissen. Was geht uns das Privatleben eines Schriftstellers an? -Ich halte nichts davon, aus diesem die Erläuterungen seiner Werke herzuhohlen. So viel ist unwiedersprechlich, daß jenes Lehrgedicht, und die moralischen Briefe uns den Herrn Wieland auf einem ganz andern Wege zeigten, als ihm hernach zu betreten beliebt hat. Wenn diese Veränderung durch innere Triebfedern, (mich plump auszudrücken) durch den eigenen Mechanismus seiner Seele erfolgt ist; so werde ich nicht aufhören, mich über ihn zu verwundern. Ist sie aber durch äuffere Umstände veranlaßt worden, hat er sich, aus Absichten, mit Gewalt in seine izige Denkungsart verseßen müssen, so bedauere ich ihn aus dem Innersten meiner Seele.

Sie wissen es schon zum Theil, wie schlecht er sich gegen den Herrn Ut aufgeführet hat. Herr Ut, nach der Freyheit, zu der jeder seines gleichen berechtiget ist, erklärte sich wieder eine gewisse Art von Dichtern; Herr Wieland hielt sich beleidiget, und anstatt seinen Gegner gleichfalls von der Seite des Schriftstellers anzugreifen, fiel er mit so frommer Galle, mit einem so pietistischen Stolze auf den moralischen Charakter desselben; brauchte so hämische Waffen; verrieth so viel Haß, einen so verabscheuungswürdigen Verfolgungsgeist, daß einen ehrlichen Mann Schauder und Entseßen darüber befallen mußte.

1 In der lezten seiner Sympathien; und hernach in der Zuschrift seiner Empfindungen eines Christen, an den Herrn Oberconsistorialrath Sack.

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Er hatte sogar das Herz, einen verehrungswürdigen Gottesgelehrten zum Werkzeug seiner Erbitterung brauchen zu wollen. Doch dieser fand auch hier Gelegenheit, seine edle Mäßigung, seine philosophische Billigkeit zu zeigen. Denn ohne Zweifel ist er allein Ursache, das Herr Wieland in der Sammlung seiner prosaischen Schriften, aus der Zuschrift der Empfindungen des Christen, die härteste Stelle weggelassen hat.

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Ich sende Ihnen hier diese Sammlung, in welcher Sie manchen neuen Auffaß finden werden. Sie müssen sie alle lesen; denn wenn man einen Wieland nicht lesen wollte, weil man dieses und jenes an ihm auszusetzen findet; welchen von unsern Schriftstellern würde man denn lesen wollen?

Achter Brief.

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Auch mir sind unter den Wielandischen Schriften die Empfindungen des Christen das anstößigste gewesen.

Empfindungen des Christen, heissen Empfindungen, die ein jeder Christ haben kann, und haben soll. Und von dieser Art find die Wielandischen nicht. Es können aufs höchste Empfindungen eines Christen seyn; eines Christen nehmlich, der zu gleicher Zeit ein wißiger Kopf ist, und zwar ein wißiger Kopf, der seine Religion ungemein zu ehren glaubt, wenn er ihre Geheimnisse zu Gegenständen des schönen Denkens macht. Gelingt es ihm nun hiermit, so wird er sich in seine verschönerte Ge= heimnisse verlieben, ein süsser Enthusiasmus wird sich seiner bemeistern, und der erhitzte Kopf wird in allem Ernste anfangen zu glauben, daß dieser Enthusiasmus das wahre Gefühl der Religion sey.

Ist er es aber? Und ist es wahrscheinlich, `daß ein Mensch, der den Erlöser am Kreuze denket, wirklich das dabey denket, was er dabey denken sollte, wenn er seine Andacht auf die Flügel der Horazischen Ode sezt und anhebt: „Wo ist mein entzückter Geist? Welch ein furchtbares „Gesicht um mich her! Schwarze Finsterniß, gleich der ewigen Nacht,

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1 Zürich, bey Orell und Compag. 1758. in drey Theilen. Enthält I. 1) Sympathien. 2) Theages, oder Unterredung von Schönheit und Liebe. 3) Gesicht von einer Welt unschuldiger Menschen. II. 1) Empfindungen des Christen. 2) Hymne auf die Allgegenwart Gottes. 3) Betrachtung über die Gerechtigkeit Gottes. III. 1) Betrachtungen über den Menschen. 2) Gesicht des Mirza. 3) Zweh Selbstgespräche eines tugendhaften Heiden. 4) Plan einer Academie, zu Bildung des Verstandes und Herzens junger Leute. 5) Gespräch des Socrates von der scheinbaren und wahren Schönheit.

„liegt auf dem bebenden Erdkreis: Die Sonne ist erloschen, die verlassene „Natur feufzt; ihr Seufzen bebet gleich dem schwachen Wimmern des „Sterbenden durch die allgemeine Todesstille. Was seh ich? Erbleichte ,,Seraphim schweben aus dem nächtlichen Dunkel hier und da hervor! „Sie schauen mit gefaltenen Händen, wie erstarret herab! Viele verbergen ihr thränendes Antlitz in schwarze Wolken. O des bangen Gesichts! „Ich sehe, ich sehe den Altar der Versöhnung, und das Opfer, das für „die Sünde der Welt verblutet.

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Schön! Aber sind das Empfindungen? Sind Ausschweifungen der Einbildungskraft Empfindungen? Wo diese so geschäftig ist, da ist ganz gewiß das Herz leer, kalt.

So wie es tiefsinnige Geister gab, und noch giebt, welche uns die ganze Religion platterdings wegphilosophiren, weil sie ihr philosophisches System darein verweben wollen: so giebt es nun auch schöne Geister, die uns eben diese Religion wegwitzeln, damit ihre geistlichen Schriften auch zugleich amüsiren können.

Der Ton der Psalmen, welchen die Empfindungen des Herrn Wielands oft annehmen, hat mich an Petersens Stimmen aus Zion wieder erinnert.

Eine Vergleichung zwischen Petersen und Wielanden würde diesem auf keine Weise schimpflich seyn. Petersen war ein sehr gelehrter und sinnreicher Mann, und kein gemeines poetisches Genie. Seine Uranias ist voll treflicher Stellen; und was fann man mehr zu ihrem Lobe sagen, als daß Leibniz sie zu verbessern würdigte, nachdem er selbst den Plan dazu gemacht hatte?

Seine erstgedachten Stimmen sind hundert prosaische Lieder, die er selbst Psalmen nennt. Erlauben Sie mir, Ihnen einige kleine Stücke daraus vorzulegen:

Dren und vierzighter Pfalm.

„Wie ist die Welt doch so überweise worden! Wie hat sich die Magd „über die Frau erhoben!

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„Die Weisheit des Fleisches wafnet sich gegen die göttliche Einfalt; und die Vernunft ficht wider den Glauben.

„Die Weltweisheit setzet sich gegen die göttliche Thorheit; sie meistert Gottes Weisheit und verfälscht sein grosses Wort.

1 Empfindungen XIV. S. 99.

„Sie ist gar zu weise zum Himmelreich; darum kommen sie auch „nicht dahin, wohin die Kinder kommen 2c.

Bwen und achtzigster Pfalm.

„Brüder! Lasset uns hingehen, und unser Leben lassen! Die Wahr„heit ist wohl werth, daß wir sie bis in den Tod bekennen!

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Es ist der treue und wahrhafte Zeuge vor uns hergegangen. Er „hat ein gut Bekenntniß bekannt vor Pontio Pilató. Er mußte auch sterben, als ein Verführer

„Gott seh Dank, daß wir nicht leben, wie die Uebelthäter! Wir „haben zwar unserm Gott gesündiget, aber nicht der Welt.

„Es ist recht und billig, daß uns unser Vater züchtiget; es ist recht, „daß er diesen Leib zerbricht.

„Wir müssen doch einmal unsere Hütten ablegen; warum nicht ißt, „da wir noch mit unserm Tode preisen unsern Gott?

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„So wissen wir auch, daß der Tod seiner Heiligen bey ihm hochgeachtet sey, und daß er ihm seine Lieblinge nicht nehmen lasse

„Brüder! lasset uns nicht fürchten, wie die Heyden und Sünder „pflegen. Furcht ist nicht in der Liebe und in dem Glauben zu unsern „Gott.

„Wir haben bisher dem Herrn gelebet, so wollen wir nun auch dem „Herrn sterben.

„Er wird mit uns durch Feuer und Wasser gehen; er wird uns „nicht ungetröstet, noch ungestärkt" lassen.

„Siehe! Wir sehen ihn, o wie freundlich ist er uns! Er führet uns „über den Tod! Halleluja!

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Was sagen Sie hierzu? Könnte ich nicht die Verehrer des Herrn Wielands (seine Anbeter; er hat dergleichen) auffordern, mir erhabenere und pathetischere Stellen in seinen ganzen Empfindungen zu zeigen? Herr Wieland ist reich an Blühmchen, an poetischem Geschwäte; Pe= tersen an starken Gedanken, an groffen Gesinnungen; ohne Zwang, ohne Schwulst. Beyde haben die Sprache der H. Schrift zu brauchen gewußt, nur daß sie Petersen in ihrer edeln Einfalt gelassen, Wieland aber durch affectirte Tiefsinnigkeiten, durch profane Allusionen, verunstaltet hat.

Und gleichwohl find Petersens Stimmen gar bald verachtet, und vergessen worden. Denn Petersen war ein Schwärmer!

Lessing, sämmtl. Werke. VI.

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Fu.

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