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daß Eduard in dem Schlosse sey, aber er versicherte ihm, daß er die nachdrücklichsten Befehle habe, niemanden zu ihm zu lassen. Edmund verdoppelte sein Anhalten; der Befehlshaber bestand auf seiner Weigerung; endlich faßte jener den unglücklichen Entschluß, diesem ein Schreiben an den Gefangenen anzuvertrauen, in welchem er ihm versicherte, daß er mit allem Ernste an seiner Freiheit arbeiten wolle. Dieses Schreiben ward sogleich der Königin gebracht! Sie hatte ihren Zweck erreicht; Edmund hatte sich strafbar gemacht. Sie vergrösserte ihrem Sohne die Gefahr, in der er sich durch die Ränke seines Oheims befinde; und kurz, Edmund verlor seinen Kopf.

Nun darf ich Ihnen bloß sagen, daß unser Dichter diese gegen den Edmund gebrauchte List, als eine Wahrheit angenommen, und das Schicksal des Edmunds mit dem Schicksale des gefangenen Königs verbunden hat: und sogleich wird Ihnen der ganze Inhalt des Stückes ungefehr in die Gedanken schiessen. Die Dekonomie ist die gewöhnliche Dekonomie der französischen Trauerspiele, an welcher wenig auszusetzen, aber selten auch viel zu rühmen ist. Und eben daher kann ich mich in keine Zerkliederung einlassen.

Das erste Dußend Verse verspricht, in Ansehung des Ausdruckes und der Wendung, nichts geringers als eine Schlegelf che Versification. Lokester zu dem Grafen von Kent.

Ja Freund, dieß ist der Dank, den man am Hofe giebt,

Wo man den Edeln haßt, und den Verräther liebt!

Ich, der der Königin ein Heer nach Suffolk brachte,

Mich bey der Welt verhaßt und sie gefürchtet machte,

Die oft durch meinen Rath, stets durch mein Schwerd gekriegt,
Durch jenen Ruhm erwarb, durch dieses oft gesiegt;
Ich, der an sie zuletzt den König selbst verrathen,

So sehr sein Elend -sprach und Freunde für ihn baten:
Ich werd ist kaum gehört, und niemals mehr befragt,
Und wär ich ohne dich, so wär ich schon verjagt.

Doch dieser schöne Anfang zeigt nur, wie edel die Sprache unsers Dichters seyn könnte, wenn er sich überall die gehörige Mühe gegeben hätte. Er hat sich leider ein wenig zu oft vernachläßiget, und dadurch selbst seinen Charakteren und Situationen den größten Schaden gethan. Charaktere und Situationen sind die Contours des Gemähldes; die Sprache ist die

Colorite; und man bleibt ohne diese nur immer die Helfte von einem Mahler, die Helfte von einem Dichter.

Ich will Sie aber dadurch nicht abgeschreckt haben! So wie der Anfang ist, so werden Sie noch unzähliche Stellen finden. Besonders in den Scenen, die Edmund mit dem jungen Könige, und mit der 3sabella hat. Was kann, einige Kleinigkeiten ausgenommen, stärker seyn, als folgende Stelle? Edmund hat der Königin bittere Wahrheiten in Gegenwart ihres Sohnes hören lassen; und sie verseßt: Er habe eine andere Sprache geführt,

fo lang er noch geglaubt,

Daß er für sich allein nur Englands Thron geraubt.

Edmund.

Nein; sprich, so lang er glaubte,

Daß nicht die Königin für Mortimern ihn raubte;
So lang er noch geglaubt, es stritte seine Hand
Für Freyheit und Gesetz, und Prinz und Vaterland;
So lang er noch geglaubt, daß er der Britten Rechte,
Die Schottland an sich riß, durch seinen Muth verächte;
So lang er noch geglaubt, daß Englands Ruh und Glück
Dein grosser Endzweck wär, und daß man das Geschick
Der Staaten Albions, der Herrschaft schwere Bürde
Den Weisesten des Reichs indeß vertrauen würde:
Allein so bald er sah, daß Geiz nach eigner Macht,
Stolz, blinde Rachbegier den Anschlag ausgedacht,
Daß man nicht für das Glück des besten Prinzen sorgte,
Und zu der Missethat frech seinen Namen borgte,
Daß man den König nicht der Freyheit überließ,
Durch Barbarngleiche Wuth ihn in den Kerker stieß,
Wo man vielleicht noch jezt den Unglückseelgen quälet,
Wenn unaussprechlich Leid ihn nicht bereits entfeelet

Isabella (die ihrem Sohne den Degen von der Seite reissen will.)
Verwegner! Rasender! entgehe meiner Wuth

Eduard.

Kühl in des Lieblings Arm dein aufgebrachtes Blut! 2c.

Lessing, sämmtl. Werke. VI.

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XII. Den 20. März. 1760.

Ein und neunzigster Brief.

Noch ein Wort von der schuldigen Ehrenrettung des Herrn Prof. Gottscheds! Die vermeinte Ehrenrührung, darüber sich Herr Gottsched beschwert, gründet sich auf einen Brief im 17ten Stücke der Schadischen Staats- und gelehrten Zeitung, in welchem ein gewisser G. aus L. versichert, er sey der Verfasser der bekannten Schrift, die der Herr von V. unter dem Titel: Candide ou l'Optimisme, traduit de l'allemand de Mons. le Docteur Ralph, im französischen herausgegeben. Er, Herr G. aus L. habe das Manuscript an seinen vertrauten Freund, den Herrn S. G. nach Paris geschickt, es seh aber demselben entwendet,, und darauf so ins Französische übersetzt worden, ,,wie die Herrn Franzosen gemeiniglich die deutschen Schriften zu übersehen „pflegen." Er verwundert sich über den Herrn v. V. daß er ihm einen solchen Streich gespielet, da er, V. ihm, dem Herrn G. doch mehr als einmal öffentliche Zeugnisse seiner Hochachtung gegeben, und noch mehr befremdet es ihn, daß ihm V. den Namen Doctor Ralph beygelegt, da ihm doch der Name G. beynahe so gut bekannt seyn müßte, als sein eigener. Jedoch, sett Herr G. hinzu, man kann ungefähr die Ursachen „des Neides errathen, seitdem ich einer Gnade gewürdiget worden, von „welcher nicht nur ganz Germanien spricht, sondern die auch in Frankreich hat befannt werden müssen." Herr Gottsched, der selten Spaß verstehet, besorgte, die ganze Welt würde ihn für den Verfasser des Candide halten, „und einem Unschuldigen, wie er sich im Neuesten „ausdrückt, solche groben Irrthümer, und satyrische Verwegenheit zuschreiben, davon ihm in seinem Lehen nicht geträumet hat." Er machte gewaltigen Lerm in seinem Neuesten, schrieb auch deßwegen an Scha= den. Dieser schiebt die Schuld auf den Secretär Dreyer, und versichert, er habe die Schrift, Candide niemals gelesen, und sich daher gar nicht vorstellen können, daß eine Bosheit darunter stecke. Um aber dem Herrn Dreyer gar keine Ausflucht zu lassen, beweiset Herr Schade in bester Form, daß man den Herrn Pr. Gottsched nothwendig für den Urheber besagten Briefes halten müsse; 1) aus dem Anfangsbuchstaben des

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1 Er ist von Mendelssohn und handelt von der Einleitung in die höhere Weltweisheit. 2. von Georg Schade, Altona 1760.

Orts L. 2) aus dem Anfangsbuchstaben des Namens G. 3) aus der Gnade, die dem Herrn Pr. Gottsched von Sr. Königl. Maj. in Preuffen wiederfahren, und endlich 4) aus dem vertrauten Freund S. G. zu Paris. Doch trauet Herr Sch. dem letzten Beweis selbst nicht viel zu, und mit Recht! denn wer weiß, wie viel vertraute Freunde in Paris S. G. heissen mögen.

Dem sey, wie ihm wolle, Gottsched erlangt Genugthuung, und Herr Schade demonstrirt gar deutlich, daß Herr Gottsched unmöglich der Verf. des Candide seyn könne. Ich dächte Gottsched hätte sich immer auf seine Unschuld verlassen können. Kein Vernünftiger wird in ihm den schalkhaften Doctor Ralph suchen. Eher möchte ich Dreyer für den Erfinder der vernünftigen Archäenwanderung, als Gottsched für den Verf. des Candide halten.

N. S.

B.

Ich kann diesen Brief unsers 3. unmöglich ohne einen kleinen Zusatz fortschicken. Der gute 3. sehe ich wohl, verstehet von den Gottschedischen Autorstreichen eben so wenig als von der Schadischen Archäenwanderung. Würde er sonst die Protestation des Professors, daß er der Verfasser des Candide nicht sey, so gutherzig an und aufgenommen haben? Woraus beweiset Herr Gottsched, daß er den Candide nicht könne gemacht haben? Nicht wahr, aus seiner Verabscheuung der darinn vorgetragenen Lehren? Wenn ich Ihnen nun aber beweise, daß er diese Verabscheuung nur vorgiebt, und daß er das aller unsinnigste, was im Candide zu finden ist, in völligem Ernste behauptet? Wie da? Und nichts ist leichter zu beweisen. Erinnern Sie sich wohl des närrischen italiänischen Grafen im Candide, dem nichts mehr gefällt, der alles überbrüßig geworden ist, der von den vortrefflichsten Werken der Alten und Neuern auf eine so scurrille Art urtheilet, daß man nothwendig an seinem gesunden Verstande zweifeln muß? Sollte man nicht glauben, daß dieser rasende Virtuose nur deßwegen eingeführt worden, um ihn durch seinen eigenen Mund lächerlich und verächtlich zu machen? Nothwendig. Und doch betriegen wir uns alle, die wir dieses glauben. Denn siehe, Herr Gottsched erkläret ausdrücklich, in seinem Handlexico der schönen Wissenschaften, daß es die pure lautere Wahrheit seyn soll, was der närrische Italiener sagt. Kann man dieß anders als eine authentische Erklärung, als eine Erklärung annehmen, die der Verfasser

als derjenige giebt, der sich seiner Meinung am besten bewußt seyn muß? Er schreibt nehmlich unter dem Artikel Milton. „Das verlorene Pa„radies hat unter den Deutschen so viele Bewunderer und Tadler gefun„den, daß wir unsere Meinung nicht sagen, sondern nur die Wórte eines „auch unstreitig grossen französischen Dichters (der aber auch gut Engländisch „versteht) hieher sehen wollen. Und nun folgt das atrabiläre Urtheil des Grafen, welches ich Ihnen unmöglich abschreiben kann, weil es wahre Tollheiten sind. Herr Gottsched aber schließt es mit den Worten: „So. schreibt Herr von Voltaire in seinem Optimisme." — Wir kennen den Voltaire nunmehr, der das geschrieben hat! Denn was? Das wäre Voltairens Urtheil über den Milton? Das ist das Urtheil des Sénateur Procuranté Noble Venitien! (Denn ist besinne ich mich erst, daß ihn Herr Gottsched zu keinem Grafen gemacht hat.) Das ist das Urtheil Viri celeberrimi Joannis Christophori Gottschedii P. P. Metaphysices ordinarii et Poeseos extraordinarii in Academia Lipsiensi. Und kurz, glauben Sie mir nur auf mein Wort, ich weiß es eben so gewiß, daß Herr Göttsched den Candide gemacht hat, als Herr Gottsched weiß, daß der Verfasser der Miß Sara Sampson die Briefe, die neueste Litteratur betreffend, macht.

1 Man sehe das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit No. II. von diesem Jahre.

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