Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

,,unbeweglich, daß ihn keine Einwürffe irren können; aber wenn er in irgend „einem gesellschaftlichen Gespräche, durch solche Zudringungen aufgefodert, ,,welche ihn verbinden, beleidigte Wahrheiten zu vertheidigen, auf gewisse „Einwürfe nicht antworten kann; wenn er nicht fähig ist, ihnen ihren falschen Schimmer von Wahrheit und Vernunft zu nehmen, und das Falsche „in feindseligen Beschuldigungen zu entdecken: So wird er wider seinen „Willen die stolzen Verächter seines Glaubens in der Einbildung bestär„ken, daß sie diejenigen, die sich für verbunden achten, Religion zu haben, ,,weit übersehen; sie werden sein Stillschweigen und die Verwirrung, „worein sie ihn brachten, für einen Triumph über sie selbst halten, und „den Schwächern können sie vielleicht mit geringerer Mühe zur Gleichgül,,tigkeit gegen Wahrheiten verführen, die er nicht genug schäßet, weil er sie nicht genug untersucht hat, 2c.

[ocr errors]

Was plaudert der Mann? Sie werden ihn schon noch einmal lesen müssen. Und wenn Sie denn nun sein Bischen Gedanken weghaben; wollten Sie sich nicht getrauen, es mit dem siebenden Theile seiner Worte, eben so stark und schöner vorzutragen?.

Hundert und fünfter Brief.

Nun frage ich Sie, wenn dergleichen labyrinthische Perioden, bey welchen man dreymal Athem holen muß, ehe sich der Sinn schliesset; wenn dergleichen Perioden, die man geschrieben oder gedruckt, durch alle ihre verschränkte. und verschraubte Glieder und Einschiebsel, kaum mit dem Auge verfolgen kann, ohne drehend und schwindlicht zu werden; wenn dergleichen Perioden uns von der bedächtlichen langsamen Aussprache eines Kanzelredners Wort vor Wort zugezählet würden, ob wohl die feurigste Aufmerksamkeit, das beste Gedächtniß sie in ihrem ganzen Zusammenhange fassen, und am Ende auf einmal übersehen könnte? Nimmermehr. Was habe ich denn also für ein Verbrechen begangen, wenn ich gesagt habe, der Stil dieses Verfassers im Nordischen Aufseher, „sey der schlechte Kanzelftil eines seichten Homileten, der nur deswegen solche Pnevmata herpredige, damit die Zuhörer, ehe sie ans Ende derselben. kommen, den Anfang schon mögen vergessen haben, und ihn deutlich hören können, ohne ihn im geringsten zu verstehen?" Habe ich etwas anders als die strengste Wahrheit gesagt? Freylich ist das nicht der einzige schlechte Kanzelstil;

freylich predigen nicht alle seichte Homileten so: sondern nur die seichten Homileten predigen so, die in Mitternachts Rhetorik das Kapitel von den zufammengefeßten Perioden nicht ohne Nußen studiret haben.

Welche invidiöse Wendung aber Herr Basedow dieser meiner Critik giebt, das ist ganz unbegreiflich. Alles nehmlich, was ich wider diesen vornehmsten Verfasser des Nordischen Aufsehers sage, soll ich wider den Herrn Hofprediger Cramer gesagt haben. Von diesem, dem Herrn Hofprediger Cramer, soll ich mit schamlofer Dreistigkeit, ohne den geringsten Beweis gesagt haben: Sein Stil sey der schlechte Kanzelstil eines seichten Homileten 2c. — Träumt Herr Basedow? O so träumt er sehr boshaft.

[ocr errors]

Was habe ich denn mit dem Herrn Cramer zu thun? Ist Herr Cramer jener vornehmste von mir getadelte Verfasser des Nordischen Aufsehers: so sey er es immerhin. War ich denn verbunden, es zu wissen? Doch nein; das will ich nicht einmal für mich anführen. Ich will es gewußt haben. - Geht denn das wider den Herrn Cramer überhaupt, was wider den Herrn Cramer als Nordischen Aufseher geht? Muß die Critik, die einzelne Blätter von ihm trift, alle feine Schriften treffen? Wenn ich zum Erempel zu dem Herrn Basedow sagte: Mein Herr, in dieser ihrer Ausdehnung meines Tadels; ist eben so wenig Billigkeit, als Verstand. Habe ich damit gesagt, in allen Basedowschen Schriften sey eben so wenig Billigkeit als Verstand?

Ich habe immer geglaubt, es sey die Pflicht des Criticus, so oft er ein Werk zu beurtheilen vornimmt, sich nur auf dieses Werk allein einzuschränken; an keinen Verfasser dabey zu denken; sich unbekümmert zu laffen, ob der Verfasser noch andere Bücher, ob er noch schlechtere, ́oder noch bessere geschrieben habe; uns nur aufrichtig zu sagen, was für einenBegrif sich man aus diesem gegenwärtigen allein, mit Grund von ihm machen könne. Das, sage ich, habe ich geglaubt, sey die Pflicht des Criticus. 3ft sie es denn nicht?

Hätte ich zu verstehen geben wollen, daß der Vorwurf, den ich dem vornehmsten Verfasser des Nordischen Aufsehers, wegen seiner unleidlichen Schreibart mache, auch allen andern Schriften des Herrn Hofprediger Cramers zu machen sey: so würde ich es gewiß ausdrücklich gesagt haben: ich würde den Herrn Cramer dabey genennt haben, so wie ich es ohne die geringste Zurückhaltung bey dem allgemeinen Urtheile

über seine Oden gethan habe. Aber wie konnte ich das hier thun, da ich mir deutlich bewußt war, daß Herr Cramer in seinen moralischen Abhandlungen, die in den Bremischen Beyträgen und den vermischten Schriften zerstreuet sind, diese Schreibart nicht habe: daß er diese Schreibart von seinem Chrysostomus und Bossuet nicht könne gelernet haben? Ob er sie in seinen Predigten hat; das weis ich nicht: denn diese habe ich nie gelesen. So viel aber weis ich, wenn er diese Schreibart in seinen Predigten hat, daß ich den Herrn Hofprediger betaure; daß ich seine Zuhörer betaure. Aber es kann nicht seyn; es muß in seinen Predigten mehr Licht, mehr Ordnung, mehr nachdrückliche Kürze herrschen: oder er verkennet die geistliche Beredtfamkeit ganz. Welcher Prophet, welcher Apostel, welcher Kirchenlehrer, hat je das Wort des Herrn in solchen Ciceronischen Perioden verkündiget? In Berioden, die Cicero selbst nur alsdenn flochte, wenn er die Ohren einer unwissenden Menge füßeln, wenn er gerichtliche Ränke brauchen, wenn er mehr betäuben, äls überzeugen wollte?

Und im Grunde sind das nichts weniger, als Ciceronische Perioden, die Arthur Ironside macht. Man suche mit Fleiß die allerlängsten aus den Reden des Römers, und ich will verloren haben, wenn man einen einzigen findet, in welchem alle Symmetrie sowohl unter den Worten, als unter den Gedanken so gewaltig vernachläßiget ist. Und nur diese Symmetrie, von welcher Arthur gar nichts weiß, macht die langen zusammengeseßten Perioden erträglich, besonders wenn sie eben so selten eingestreuet werden, als es die kurzen und einfachen bey ihm sind.

1.

Unterdessen muß bey dem Herrn Basedow Cicero doch derjenige feyn, deffen Beredtsamkeit noch grössere Armseligkeiten des Arthur Ironside decken, und wenn Gott will, gar in Schönheiten verwandeln muß. Sie erinnern sich der eckelhaften Ausdehnung des Eleichnisses von einem Menschen, der ein kurzes und blödes Gesicht hat. Herr Basedow gesteht zwar selbst, daß dieses Gleichniß um fünf bis sechs Zeilen kürzer seyn könnte: Aber können Sie sich einbilden, was er gleichwohl davon sagt? „Ich gestehe es, sagt er, einige groffe Schriftsteller, die mehr De„mosthenisch als Tullianisch sind, würden hier ein so ausführliches Gleich„niß nicht gewählt haben. Aber wer war grösser, Tullius oder Demosthenes? Viele gute Schriftsteller würden dies Gleichniß nicht so haben 1 Man sehe unfern fünfzigsten Brief.

Lessing, sämmtl. Werke. VI.

15

ausführen können, wenn sie auch gewolt hätten. Aber diese würden auch dadurch gezeigt haben, daß ihnen eine gewisse Art der Gröffe in „der Beredtsamkeit fehle, die man an einem Cramer mit Ehrerbietung ,,bewundert. Da haben wirs! Nun will ich gern nicht stärker in den Herrn Basedow dringen; nun will ich ihn gern nicht auffordern, mir doch ein ähnliches so ausgerektes Gleichniß bey dem Tullius zu zeigen. Denn wenn er gestehen müßte, daß auch bey dem Tullius keines anzutreffen wäre, was hätten wir nach der einsichtsvollen Frage: Aber wer war grösser, Tullius oder Demosthenes? anders zu erwarten, als die zweyte Frage: Aber wer ist grösser, Tullius oder Cramer? Lieber will ich bewundern, mit Ehrerbietung bewundern und schweigen.

XXI. Den 22. May. 1760.

Hundert und sechster Brief.

[ocr errors]

Welche verrätherische Blicke Herr Basedow in das menschliche Herz schiesset! Auch meines liegt so klar und aufgedeckt vor seinen Augen, daß ich darüber erstaune. Sie erinnern sich, daß mir das Blatt, in welchem der nordische Aufseher beweisen will, ein Mann ohne Religion könne kein rechtschaffener Mann seyn, misfiel. Ich glaubte, es misfiele mir deswegen, weil darinn von einem unbestimmten Saße unbestimmt raisonniret werde. Aber nein, mein Misfallen hat einen andern Grund. Herr Basedow weiß, daß es mir deswegen misfallen habe, weil in demselben einigen, die ich selbst für rechtschaffene Männer „halte, dieser beliebte Name abgesprochen wird.“ Ich erschrack, als ich diese Worte zum ersten male las. Ich las sie noch einmal, um zu sehen, ob ich wenigstens nicht ein Vielleicht dabey überhüpft hätte. Aber da war kein Vielleicht. Was Herr Basedow weiß, das weiß er ganz gewiß. Alwissender Mann! rief ich aus; Sie kennen mein Herz so vollkommen, so vollkommen, daß daß mir das ihrige ganz Finsterniß, ganz Räthsel ist. — Mag ich es doch auch nicht kennen!

--

Die vornehmste Erinnerung, die ich dem Aufseher gegen seine Erhärtung eines so strengen Ausspruchs machte, war diese, daß er das Wort, ein Mann ohne Religion, in dem Beweise ganz etwas anders bedeuten lasse, als es in dem zu beweisenden Saße bedeute. Und diese Zweydeutigkeit habe ich eine Sophisterey genennt. Der Text ist

lustig, den mir Herr Basedow darüber lieset. Gefeßt, sagt er, daß es mit diesem Vorwurfe auch seine Richtigkeit hätte: „ist es nicht ein „menschlicher Fehler der größten Philosophen, sich selbst durch eine unver„merkte Zweydeutigkeit der Worte zu hintergehen? Niemand hat noch eine „Metaphyfit ohne Fehler geschrieben, und ich getraue mir zu sagen, daß „die Fehler in dieser Wissenschaft mehrentheils aus der Zweydeutigkeit der „Worte entstehen. Wer nur solche Zweydeutigkeiten nicht mit Fleiß braucht, „um andere zu verblenden, wer in ein solches Versehen nicht oft verfällt, wer sich nicht, wenn man ihm seinen Fehler entdeckt hat, durch neue „Zweydeutigkeiten hartnäckig vertheidiget, der kann allemal ein groffer und „verehrungswürdiger Mann seyn, und dem kann man, ohne Lust an ge= „lehrten Scheltworten, nicht Sophistereyen und Fechterstreiche vorwerfen. „Sonst müßte kein Leibniz, Wolf, Mosheim, ja kein grosser Mann, „von seinen Beurtheilern mit Recht verlangen können, daß er mit solchen „unhöflichen Vorwürfen möchte verschont bleiben. — Ich verstehe von der Höflichkeit nichts, die Herr Basedow hier prediget. Er nennet gelehrte Scheltworte, was nichts weniger als Scheltworte find. Wenn ein groffer Mann eine Sophisterey begehet, und ich sage, daß er eine begangen hat: so habe ich das Kind bey seinem Namen genennt. wenn ich ihn deswegen einen Sophisten nennte. Sophisterey schuldig machen, ohne eine Sophift zu seyn; so wie man eine Unwahrheit kann gesagt haben, ohne darum ein Lügner zu seyn; so wie man sich betrinken kann, ohne darum ein Trunkenbold zu seyn. Herr Cramer ist ein groffer und verehrungswürdiger Mann. Nun ja; und er soll es auch bleiben. Aber was verbindet mich denn, von einem groffen und verehrungswürdigen Manne in dem Tone eines kriechenden Klienten zu sprechen? Und ist das der Ton, der einem groffen und verehrungswürdigen Manne gefällt? Ein solcher Mann sieht auf die Wahrheit, und nicht auf die Art; wie sie gesagt wird; und hat er sich wo geirret, so ist es ihm unendlich lieber, wenn man ohne Umstände sagt: das und das dünkt mich eine Sophisterey: als wenn man viel von menschlichen Feh= lern der größten Philosophen präliminiret, und ihn um gnädige Verzeihung bittet, daß man es auch einmal so gemacht hat, wie er es macht, daß man auch einmal seinen eigenen Verstand gebraucht hat.

Ein anderes wäre es,
Man kann sich einer

So viel von der Höflichkeit meiner Erinnerung. Nun hören Sie wie Herr Basedow beweisen will, daß mein Tadel auch ungegründet

« ZurückWeiter »