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Ich werde Sie selten mit einem bessern Briefe unterhalten können, als dieser ist. Auch ist das Gute darinn nicht meine.

Sechszehnter Brief.

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Ich vernehme mit Vergnügen, daß Ihnen die Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste in die Hände gekommen. Lassen Sie sich in ihrer guten Meinung von diesem kritischen Werke nichts irren. Man hat ihr Partheilichkeit und Tadelsucht vorgeworffen; aber konnten sich die mittelmäßigen Schriftsteller, welche sie kritisirt hatte, anders verantworten? Diese Herren, welche so gern jedes Gericht der Critik für eine grausame Inquisition ausschreyen, machen sehr seltsame Forderungen. Sie behaupten, der Kunstrichter müsse nur die Schönheiten eines Werkes aufsuchen, und die Fehler desselben eher bemänteln, als bloß stellen. In zwey Fällen bin ich selbst ihrer Meinung. Einmal, wenn der Kunstrichter Werke von einer ausgemachten Güte vor sich hat; die besten Werke der Alten, zum Erempel. Zweytens, wenn der Kunstrichter nicht sowohl gute Schriftsteller, als nur bloß gute Leser bilden will. Aber in keinem von diesen Fällen befinden sich die Verfasser der Bibliothek. Die Güte eines Werks beruhet nicht auf einzeln Schönheiten; diese einzelne Schönheiten müssen ein schönes Ganze ausmachen, oder der 1 Leipzig, bey Dyk, in groß 8vo. bis zum 2ten Stücke des 4ten Bandes.

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Kenner kann sie nicht anders, als mit einem zürnenden Mißvergnügen lesen. Nur wenn das ganze untadelhaft befunden wird, muß der Kunstrichter von einer nachtheiligen Zergliederung abstehen, und das Werk so, wie der Philosoph die Welt, betrachten. Allein wenn das ganze keine angenehme Wirkung macht, wenn ich offenbar sehe, der Künstler hat angefangen zu arbeiten, ohne selbst zu wissen, was er machen will, alsdenn muß man so gutherzig nicht seyn, und einer schönen Hand wegen, ein häßliches Gesicht, oder eines reizenden Fusses wegen, einen Buckel übersehen. Und daß dieses, wie billig, unsere Verfasser nur sehr selten gethan haben, darin besteht ihre ganze Strenge. Denn einigemal haben sie es doch gethan, und mir sind sie noch lange nicht strenge genug.

Wenn Sie mir daher erlauben, daß ich die Bibliothek meinen Briefen gleichsam zur Basis machen darf; so bitte ich mir auch die Freyheit aus, verschiedenes darin anzeigen zu dürfen, womit ich so vollkommen nicht zufrieden bin. Meine Erinnerungen werden größten Theils dahinaus lauffen, daß die Verfaffer, wie gesagt, hier und da, und nicht bloß gegen Dichter, viel zu nachsehend gewesen find.

Wie wenig, z. E. erinnern sie bey des Hrn. Prof. Gottscheds nöthigem Vorrathe zur Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst; und wie manches ist doch darinn, das man ihm nothwendig aufdecken sollte.

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Können Sie sich einbilden, daß der Mann, welcher die Hans Rosenblüts, die Peter Probsts und Hans Sachsens so wohl kennet, nur denjenigen nicht kennet, der doch bis ißt dem deutschen Theater die meiste Ehre, gemacht hat; unsern Johann Elias Schlegel? Unter dem Jahr 1747 führt er die Theatralischen Werke desselben an, und sagt: „Hier stehen 1. Canut, 2. der Geheimnißvolle; 3. die Troja,,nerinnen; 4. des Sophokles Elektra; 5. die stumme Schönheit; 6. die lange Weile." Die beyden lettern stehen nicht darinn, sondern machen nebst dem Lustspiele, der Triumph der guten Frauen, welches er gar nicht anführet, einen besondern Band, welchen der Verfaffer Beyträge zu dem Dänischen Theater benennet hat.

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Und wie viel andere Unterlassungsfünden hat Hr. Gottsched begangen, die ihm das Lob der Bibliothek sehr streitig machen, „daß er „etwas so vollständiges geliefert habe, als man sonst, bey Sammlungen 1 In dem ersten Stücke des dritten Bandes, S. 85:

„von dieser Art, von der Bemühung eines einzigen Mannes kaum erwar= ,,ten könne."Nicht einmal die dramatischen Werke seines Mylius hat er alle gekannt; denn den Unerträglichen vermissen wir gar, und von den Aerzten muß er auch nicht gewußt haben, daß Mylius Verfasser davon gewesen. Hat er es aber gewußt, und hat er ihn nur deswegen nicht genannt, weil er sich selbst nicht zu nennen für gut befunden; warum nennt er denn den Verfasser der alten Jungfer?

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Ich kenne sonst und bin gar wohl damit. zufrieden, sehr wenig von unserem dramatischen Wuste; aber auch das wenige finde ich bey dem patriotischen Koлoopоow noch lange nicht alle. So fehlen bey dem Jahre 1747 gleich zwey Stücke, der Ehestand, und das Lustspiel auf die Eroberung von Berg op Zoom 2c.

Und vor allen Dingen: warum fehlt denn Anne Dore, oder die Einquartirung, ein Schäferspiel, in einem Aufzuge? Dieses Mensch kennet der Herr Profeffer doch ganz gewiß, und es ist gar nicht dankbar, daß er ihrer wenigstens nicht bey Gelegenheit seiner Schaubühne erwähnet hat.

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VII. Den 16. Februar 1759.
Siebzehnter Brief.

„Niemand, sagen die Verfasser der Bibliothek,' wird leugnen, daß „die deutsche Schaubühne einen groffen Theil ihrer ersten Verbesserungen dem „Herrn Professor Gottsched zu danken- habe.“

Ich bin dieser Niemand; ich leugne es gerade zu. Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten, oder sind wahre Verschlimmerungen.

Als die Neuberin blühte, und so, mancher den Beruf fühlte, sich um sie und die Bühne verdient zu machen, sahe es freylich mit unserer dramatischen Poesie sehr elend aus. Man kannte keine Regeln; man bekümmerte sich um keine Muster. Unfre Staats- und Helden-Actionen waren voller Unsinn, Bombast, Schmuß und Pöbelwiz. Unsre Lustspiele bestanden in Verkleidungen und Zauberehen; und Prügel waren die wißigsten Einfälle derselben. Dieses Verderbniß einzusehen,

1 Des dritten Bandes, erstes Stück. S. 85.

brauchte man eben nicht der feinste und gröste Geist zu seyn. Auch war Herr Gottsched nicht der erste, der es einsahe; er war nur der erste, der sich Kräfte genug zutraute, ihm abzuhelfen. Und wie ging er damit zu Werke? Er verstand ein wenig Französisch und fing an zu überseßen; er ermunterte alles, was reimen und Oui Monsieur verstehen konnte, gleichfalls zu übersehen; er verfertigte, wie ein Schweißerischer Kunstrichter sagt, mit Kleister und Scheere seinen Cato; er ließ den Darius und die Austern, die Elise und den Bock im Processe, den Aurelius und den Wißling, die Banise und den Hypocondristen, ohne Kleister und Scheere machen; er legte seinen Fluch auf das extemporiren; er ließ den Harlequin feyerlich von Theater vertreiben, welches selbst die größte Harlequinade war, die jemals gespielt worden; kurz, er wollte nicht sowohl unser altes Theater verbessern, als der Schöpfer eines ganz neuen seyn. Und was für eines neuen? Eines Französirenden; ohne zu untersuchen, ob dieses französirende Theater der deutschen Denkungsart angemessen sey, oder nicht.

Er hätte aus unsern alten dramatischen Stücken, welche er vertrieb, hinlänglich abmerken können, daß wir mehr in den Geschmack der Engländer, als der Franzosen einschlagen; daß wir in unsern Trauerspielen mehr sehen und denken wollen, als uns das furchtsame französische Trauerspiel zu sehen und zu denken giebt; daß das Grosse, das Schreckliche, das Melancholische, besser auf uns wirkt als das Artige, das Zärtliche, das Verliebte; daß uns die zu grosse Einfalt mehr ermüde, als die zu groffe Berwickelung 28. Er hätte also auf dieser Spur bleiben sollen, und sie würde ihn geraden Weges auf das englische Theater geführet haben. Sagen Sie ja nicht, daß er auch dieses zu nußen gesucht; wie sein Cato es beweise. Denn eben dieses, daß er den Addisonschen Cato für das beste Englische Trauerspiel hält, zeiget deutlich, daß er hier nur mit den Augen der Franzosen gesehen, und damals keinen Shakespear, keinen Johnson, keinen Beaumont und Fletscher 2c. gekannt hat, die er hernach aus Stolz auch nicht hat wollen kennen lernen.

Wenn man die Meisterstücke des Shakespear, mit einigen bescheidenen Veränderungen, unsern Deutschen übersetzt hätte, ich weiß gewiß, es würde von bessern Folgen gewesen seyn, als daß man sie mit dem Corneille und Racine so bekannt gemacht hat. Erstlich würde das Volk an jenem weit mehr Geschmack gefunden haben, als

es an diesen nicht finden kann; und zweytens würde jener ganz andere Köpfe unter uns erweckt haben, als man von diesen zu rühmen weiß. Denn ein Genie kann nur von einem Genie entzündet werden; und am Leichtesten von so einem, das alles bloß der Natur zu danken zu haben scheinet, und durch die mühsamen Vollkommenheiten der Kunst nicht -abschrecket.

Auch nach den Mustern der Alten die Sache zu entscheiden, ist Shakespear ein weit grösserer tragischer Dichter als Corneille; obgleich dieser die Alten sehr wohl, und jener fast gar nicht gekannt hat. Corneille kömmt ihnen in der mechanischen Einrichtung, und Shakespear in dem Wesentlichen näher. Der Engländer erreicht den Zweck der Tragödie fast immer, so sonderbare und ihm eigene Wege er auch wählet; und der Franzose erreicht ihn fast niemals, ob er gleich die gebahnten Wege der Alfen betritt. Nach dem Oedipus des Sophokles muß in der Welt kein Stück mehr Gewalt über unsere Leidenschaften haben, als Othello, als König Leer, als Hamlet z. Hat Corneille ein einziges Trauerspiel, das Sie nur halb so gerühret hätte, als die Zahre des Voltaire? Und die Zahre des Voltaire, wie weit ist ist sie unter dem Mohren von Venedig, dessen schwache Copie sie ist, und von welchem der ganze Character des Drosmans entlehnet worden?

Daß aber unsre alten Stücke wirklich sehr viel Englisches gehabt haben, könnte ich Ihnen mit geringer Mühe weitläuftig beweisen. Nur das bekannteste derselben zu nennen; Doctor Fauft hat eine Menge Scenen, die nur ein Shakespearsches Genie zu denken vermögend gewesen. Und wie verliebt war Deutschland, und ist es zum Theil noch, in seinen Doctor Faust! Einer von meinen Freunden verwahret einen alten Entwurf dieses Trauerspiels, und er hat mir einen Auftritt daraus mitgetheilet, in welchem gewiß ungemein viel grosses liegt. Sind Sie begierig ihn zu lesen? Hier ist er! Faust verlangt den schnellsten Geist der Hölle zu seiner Bedienung. Er macht seine Beschwörungen; es erscheinen derselben sieben; und nun fängt sich die dritte Scene des zweyten Aufzugs aǹ.

[f. Band II, S. 515.]

Was sagen Sie zu dieser Scene? Sie wünschen ein deutsches Stück, das lauter solche Scenen hätte? Ich auch!

fu.

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