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auch das Lob des andern. Ein Kunstwerk kann allen Beyfall verdienen, ohne daß sich zum Ruhme des Künstlers viel besonders sagen läßt. Wiederum kann ein Künstler mit Recht unsere Bewunderung verlangen, auch wenn sein Werk uns die völlige Genüge nicht thut. Dieses vergesse man nie, und es werden sich öfters ganz widersprechende Urtheile verglei= chen lassen, Eben wie hier. Dolce, in seinem Gespräche von der Mahlereh, läßt den Aretino von den angeführten Stanzen des Ariost ein ausserordentliches Aufheben machen; c ich hingegen, wähle sie als ein Exempel eines Gemähldes ohne Gemählde. Wir haben beyde Recht. Dolce bewundert darinn die Kenntnisse, welche der Dichter von der förperlichen Schönheit zu haben zeiget; ich aber sehe bloß auf die Wirkung, welche diese Kenntnisse, in Worte ausgedrückt, auf meine Einbildungskraft haben können. Dolce schließt ́ aus jenen Kenntnissen, daß gute Dichter nicht minder gute Mahler find; und ich aus dieser Wirkung, daß sich das, was die Mahler durch Linien und Farben am besten ausdrücken können, durch Worte grade am schlechtesten ausdrücken läßt. Dolce empfiehlet die Schilderung des Ariost allen Mahlern als das vollkommenste Vorbild einer schönen Frau; und ich empfehle es allen Dichtern als die lehrreichste Warnung, was einem Ariost mißlingen müssen, nicht noch unglücklicher zu versuchen. Es mag seyn, daß wenn Ariost sagt: Di persona era tanto ben formata

Quanto mai finger san Pittori industri,

er die Lehre von den Proportionen, so, wie sie nur immer der fleißigste Künstler in der Natur und aus den Antiken studieret, vollkommen verstanden zu haben, dadurch beweiset. d Er mag sich immer hin, in den blossen Worten:

Spargeasi per la guancia delicata

Misto color di rose e di ligustri,

als den vollkommensten Coloristen, als einen Titian, zeigen. e Man

c) (Dialogo della Pittura, intitolato l'Aretino: Firenze 1735. p. 178.) Se vogliono i Pittori senza fatica trovare un perfetto esempio di bella Donna, leggano quelle Stanze dell'Ariosto, nelle quali egli discrive mirabilmente le bellezze della Fata Alcina: e vedranno parimente, quanto i buoni Poeti siano ancora essi Pittori.

d) (Ibid.) Ecco, che, quanto alla proportione, l'ingeniosissimo Ariosto assegna la migliore, che sappiano formar le mani de' più eccellenti Pittori, usando questa voce industri, per dinotar la diligenza, che conviene al buono artefice.

e) (Ibid. p. 182.) Qui l'Ariosto colorisce, e in questo suo colorire dimostra essere un Titiano.

mag daraus, daß er das Haar der Alcina nur mit dem Golde vergleicht, nicht aber güldenes Haar nennet, noch so deutlich schliessen, daß er den Gebrauch des wirklichen Goldes in der Farbengebung gemißbilliget. f Man mag sogar in seiner herabsteigenden Nase,

Quindi il naso per mezo il viso scende,

das Profil jener alten griechischen, und von griechischen Künstlern auch Römern geliehenen Nasen finden. g Was nußt alle diese Gelehrsamkeit und Einsicht uns Lesern, die wir eine schöne Frau zu sehen glauben wollen, die wir etwas von der sanften Wallung des Geblüts dabey empfinden wollen, die den wirklichen Anblick der Schönheit begleitet? Wenn der Dichter weis, aus welchen Verhältnissen eine schöne Gestalt entspringet, wissen wir es darum auch? Und wenn wir es auch wüßten, läßt er uns hier diese Verhältnisse sehen? Oder erleichtert er uns auch nur im geringsten die Mühe, uns ihrer auf eine lebhafte anschauende Art zu erinnern? Eine Stirn, in die gehörigen Schranken geschlossen, la fronte,

Che lo spazio finia con giusta meta;

eine Nase, an welcher selbst der Neid nichts zu bessern findet, Che non trova l'invidia, ove l'emende;

eine Hand, etwas länglich und schmal in ihrer Breite,

Lunghetta alquanto, et di larghezza angusta:

was für ein Bild geben diese allgemeine Formeln? In dem Munde eines Zeichenmeisters, der seine Schüler auf die Schönheiten des akademischen Modells aufmerksam machen will, möchten sie noch etwas sagen; denn ein Blick auf dieses Modell, und sie sehen die gehörigen Schranken der fröhlichen Stirne, sie sehen den schönsten Schnitt der Nase, die schmale Breite der niedlichen Hand. Aber bey dem Dichter sehe ich nichts, und empfinde mit Verdruß die Vergeblichkeit meiner besten Anstrengung, etwas sehen zu wollen.

In diesem Punkte, in welchem Virgil dem Homer durch Nichtsthun nachahmen können, ist auch Virgil ziemlich glücklich gewesen. Auch seine

f) (Ibid. p. 180.) Poteva l'Ariosto nella guisa, che ha detto chioma bionda, dir chioma d'oro: ma gli parve forse, che havrebbe havuto troppo del Poetico. Da che si può ritrar, che'l Pittore dee imitar l'oro, e non metterlo (come fanno i Miniatori) nelle sue Pitture, in modo, che si possa diré, que' capelli non sono d'oro ma par che risplendano, come l'oro. Was Dolce, in dem Nachfolgenden, aus dem Athenäus anführet, ift merkwürdig, nur daß es sich nicht völlig so daselbst findet. Ich rede an einem andern Orte davon.

g) (Ibid. p. 182.) Il naso, che discende giù, havendo peraventura la consideratione a quelle forme de' nasi, che si veggono ne' ritratti delle belle Romane antiche.

Dido ist ihm weiter nichts als pulcherrima Dido. Wenn er ja umständlicher etwas an ihr beschreibet, so ist es ihr reicher Puß, ihr prächtiger Aufzug:

Tandem progreditur

Sidoniam picto chlamydem circumdata limbo:

Cui pharetra ex auro, crines nodantur in aurum,
Aurea purpuream subnectit fibula vestem. h

Wollte man darum auf ihn anwenden, was jener alte Künstler zu einem Lehrlinge sagte, der eine sehr geschmückte Helena gemahlt hatte, „da du „sie nicht schön mahlen können, hast du sie reich gemahlt:" so würde Virgil antworten, es liegt nicht an mir, daß ich sie nicht schön mahlen „können; der Tadel trift die Schranken meiner Kunst; mein Lob sey, „mich innerhalb diesen Schranken gehalten zu haben.“

Ich darf hier die beyden Lieder des Anakreons nicht vergessen, in welchen er uns die Schönheit seines Mädchens und seines Bathylls zergliedert. Die Wendung die er dabey nimt, macht alles gut. Er glaubt einen Mahler vor sich zu haben, und läßt ihn unter seinen Augen ar= beiten. So, sagt er, mache mir das Haar, so die Stirne, so die Augen, so den Mund, so Hals und Busen, so Hüft und Hände! Was der Künstler nur Theilweise zusammen sehen kann, konnte ihm der Dichter auch nur Theilweise vorschreiben. Seine Absicht ist nicht, daß wir in dieser mündlichen Direction des Mahlers, die ganze Schönheit der ge= liebten Gegenstände erkennen und fühlen sollen; er selbst empfindet die Unfähigkeit des wörtlichen Ausdrucks, und nimt eben daher den Ausdruck der Kunst zu Hülfe, deren Täuschung er so sehr erhebet, daß das ganze Lied mehr ein Lobgedicht auf die Kunst, als auf sein Mädchen zu seyn scheinet. Er sieht nicht das Bild, er sieht sie selbst, und glaubt, daß es nun eben den Mund zum Reden eröfnen werde:

Απεχει βλεπω γαρ αυτην.

Ταχα, κηρε, και λαλήσεις.

Auch in der Angabe des Bathylls, ist die Anpreisung des schönen Knabens mit der Anpreisung der Kunst und des Künstlers so in einander geflochten, daß es zweifelhaft wird, wem zu Ehren Anakreon das Lied eigentlich bestimmt habe. Er sammelt die schönsten Theile aus verschiednen

h) Aeneid. IV. v. 136. i) Od. XXVIII. XXIX.

Gemählden, an welchen eben die vorzügliche Schönheit dieser Theile das Charakteristische war; den Hals nimt er von einem Adonis, Brust und Hände von einem Merkur, die Hüfte von einem Pollur, den Bauch von einem Bacchus; bis er den ganzen Bathyll in einem vollendeten Apollo des Künstlers erblickt.

Μετα δε προσωπον ἐξω,

Τον Αδώνιδος παρελθών,
Ελεφαντινος τραχηλος·
Μεταμαζίον δε ποιέι

Διδυμας τε χειρας Έρμου,
Πολυδευκεος δε μηρούς,
Διονυσίην δε νηδυν

Τον Απολλωνα δε τουτον

Καθελών, ποιει Βαθυλλον.

So weis auch Lucian von der Schönheit der Panthea anders keinen Begriff zu machen, als durch Verweisung auf die schönsten weiblichen Bildsäulen alter Künstler.k Was heißt aber dieses sonst, als bekennen, daß die Sprache vor sich selbst. hier ohne Kraft ist; daß die Poesie stammelt und die Beredtsamkeit verstummet, wenn ihnen nicht die Kunst noch einigermaassen zur Dolmetscherin dienet?

XXI.

Aber verliert die Poesie nicht zu viel, wenn man ihr alle Bilder körperlicher Schönheit nehmen will? - Wer will ihr die nehmen? Wenn man ihr einen einzigen Weg zu verleiden sucht, auf welchem sie zu solchen Bildern zu gelangen gedenket, indem sie die Fußtapfen einer verschwisterten Kunst aufsucht, in denen sie ängstlich herumirret, ohne jemals mit ihr das gleiche Ziel zu erreichen: verschließt man ihr darum auch jeden andern Weg, wo die Kunst hinwiederum ihr nachsehen muß?

Eben der Homer, welcher sich aller stückweisen Schilderung körperlicher Schönheiten so geflissentlich enthält, von dem wir kaum einmal im

k) Einoves §. 3. T. II. p. 461. Edit. Reitz.

Vorbeygehen erfahren, daß Helena weisse Arme a und schönes Haarb ge= habt; eben der Dichter weis dem ohngeachtet uns von ihrer Schönheit einen Begriff zu machen, der alles weit übersteiget, was die Kunst in dieser Absicht zu leisten im Stande ist. Man erinnere sich der Stelle, wo Helena in die Versammlung der Aeltesten des Trojanischen Volkes tritt. Die ehrwürdigen Greise sehen sie, und einer sprach zu den andern: c Ου νεμεσις, Τρωας και εϋκνημιδας Αχαιους

Τοιῃδ ̓ ἀμφι γυναικι πολυν χρονον άλγεα πασχειν·
Αινως ἀθανατῃσι θεῃς εἰς ὠπα ἔοικεν.

Was kann eine lebhaftere Idee von Schönheit gewähren, als das kalte Alter sie des Krieges wohl werth erkennen lassen, der so viel Blut und so viele Thränen kostet?

Was Homer nicht nach seinen Bestandtheilen beschreiben konnte, läßt er uns in seiner Wirkung erkennen. Mahlet uns, Dichter, das Wohlgefallen, die Zuneigung, die Liebe, das Entzücken, welches die Schönheit verursachet, und ihr habt die Schönheit selbst gemahlet. Wer kann sich den geliebten Gegenstand der Sappho, bey deffen Erblickung sie Sinne und Gedanken zu verlieren bekennet, als häßlich denken? Wer glaubt nicht die schönste vollkommenste Gestalt zu sehen, sobald er mit dem Gefühle sympathisiret, welches nur eine solche Gestalt erregen kann? Nicht weil uns Ovid den schönen Körper seiner Lesbia Theil vor Theil zeiget: Quos humeros, quales vidi tetigique lacertos!

Forma papillarum quam fuit apta premil
Quam castigato planus sub pectore venter!

Quantum et quale latus! quam juvenile femur!

sondern weil er es mit der wöllüstigen Trunkenheit thut, nach der unsere Sehnsucht so leicht zu erwecken ist, glauben wir eben des Anblickes zu geniessen, den er genoß..

Ein andrer Weg, auf welchem die Poesie die Kunst in Schilderung körperlicher Schönheit wiederum einholet, ist dieser, daß sie Schönheit in Reiß verwandelt. Reiß ist Schönheit in Bewegung, und eben darum dem Mahler weniger bequem als dem Dichter. Der Mahler kann die Bewegung nur errathen lassen, in der That aber sind seine Figuren ohne

a) Iliad. I. v. 121.

b) Ibid. v. 319.

c) Ibid. v. 156–58.

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