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seiner Zeit seyn müsse? daß er unmöglich ein weit späteres Werk seyn. könne? Damit ich die Zeiten, in welchen die Kunst in Griechenland, bis zum Anfange der römischen Monarchie, ihr Haupt bald wiederum empor hob, bald wiederum sinken ließ, übergehe: warum hätte nicht Laokoon die glückliche Frucht des Wetteifers seyn können, welchen die verschwenderische Pracht der ersten Kayser unter den Künstlern entzünden mußte? Warum könnten nicht Agesander und seine Gehülfen die Zeitverwandten eines Strongylion, eines Arcesilaus, eines Pasiteles, eines Posidonius, eines Diogenes seyn? Wurden nicht die Werke auch dieser Meister zum Theil dem Besten, was die Kunst jemals hervorgebracht hatte, gleich gefchäßet? Und wann noch ungezweifelte Stücke von selbigen vorhanden wären, das Alter ihrer Urheber aber wäre unbekannt, und liesse sich aus nichts schliessen, als aus ihrer Kunst, welche göttliche Eingebung müßte den Kenner verwahren, daß er sie nicht eben sowohl in jene Zeiten feßen zu müssen glaubte, die Herr Winkelmann allein des Laokoons würdig zu seyn achtet?

Es ist wahr, Plinius bemerkt die Zeit, in welcher die Künstler des Laokoons gelebt haben, ausdrücklich nicht. Doch wenn ich aus dem Zusammenhange der ganzen Stelle schliessen sollte, ob er sie mehr unter die alten oder unter die neuern Artisten gerechnet wissen wollen: so bekenne ich, daß ich für das lettere eine grössere Wahrscheinlichkeit darinn zu bemerken glaube. Man urtheile.

Nachdem Plinius von den ältesten und größten Meistern in der Bildhauerkunst, dem Phidias, dem Praxiteles, dem Scopas, etwas ausführlicher gesprochen, und hierauf die übrigen, besonders solche, von deren Werken in Rom etwas vorhanden war, ohne alle chronologische Ordnung namhaft gemacht: so fährt er folgender Gestalt fort: e Nec multo plurium fama est, quorundam claritati in operibus eximiis obstante numero artificum, quoniam nec unus occupat gloriam, nec plures pariter nuncupari possunt, sicut in Laocoonte, qui est in Titi Imperatoris domo, opus omnibus et picturæ et statuariæ artis præponendum. Ex uno lapide eum et liberos draconumque mirabiles nexus de consilii sententia fecere summi artifices, Agesander et Polydorus et Athenodorus Rhodii. Similiter Palatinas domus Cæsarum replevere probatissimis signis Craterus cum Pythodoro, Polydectes cum Hermolao, Pythodorus alius cum Artemone, et e) Libr. XXXVI. sect. 4. p. 730.

singularis Aphrodisius Trallianus. Agrippae Pantheum decoravit Diogenes Atheniensis, et Caryatides in columnis templi ejus probantur inter pauca operum: sicut in fastigio posita signa, sed propter altitudinem loci minus celebrata.

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Von allen den Künstlern, welche in dieser Stelle genennet werden, ist Diogenes von Athen derjenige, dessen Zeitalter am unwidersprechlichsten bestimmt ist. Er hat das Pantheum des Agrippa ausgezieret; er hat also unter dem Augustus gelebt. Doch man erwäge die Worte des Plinius etwas genauer, und ich denke, man wird auch das Zeitalter des Craterus und Pythodorus, des Polydektes und Hermolaus, des zweyten Pythodorus und Artemons, so wie des Aphrodisius Trallianus, eben so unwidersprechlich bestimmt finden. Er sagt von ihnen: Palatinas domus Caesarum replevere probatissimis signis. 3ch frage: kann dieses wohl nur so viel heissen, daß von ihren vortrefflichen Werken die Palläste der Kayser angefüllet gewesen? In dem Verstande nehmlich, daß die Kayser sie überall zusammen suchen, und nach Rom in ihre Wohnungen versezen lassen? Gewiß nicht. Sondern sie müssen ihre Werke ausdrücklich für diese Palläste der Kayser gearbeitet, sie müssen zu den Zeiten dieser Kayser gelebt haben. Daß es späte Künstler gewesen, die nur in Italien gearbeitet, läßt sich auch schon daher schliessen, weil man ihrer sonst nirgends gedacht findet. Hätten sie in Griechenland in frühern Zeiten gearbeitet, so würde Pausanias ein oder das andere Werk von ihnen gesehen, und ihr Andenken uns aufbehalten haben. Ein Pythodorus kömmt zwar bey ihm vor, f allein Harduin hat sehr Unrecht, ihn für den Pythodorus in der Stelle des Plinius zu halten. Denn Pausanias nennet die Bildsäule der Juno, die er von der Arbeit des erstern zu Koronea in Boeotien fahe, drakμa doxarov, welche Benennung er nur den Werken derjenigen Meister giebet, die in den allerersten und rauhesten Zeiten der Kunst, lange vor einem Phidias und Praxiteles, gelebt hatten. Und mit Werken solcher Art werden die Kayser gewiß nicht ihre Palläste ausgezieret haben. Noch weniger ist auf die andere Vermuthung des Harduins zu achten, daß Artemon vielleicht der Mahler gleiches Namens sey, dessen Plinius an einer andern Stelle gedenket. Name und Name geben nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, derenwegen man noch lange nicht befugt ist, der natürlichen Auslegung einer unverfälschten Stelle Gewalt anzuthun. f) Boeotic. cap. XXXIV. p. 778. Edit. Kuhn.

Lessing, sämmtl. Werke. VI.

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Ist es aber sonach ausser allem Zweifel, daß Craterus und Pythodorus, daß Polydektes und Hermolaus, mit den übrigen, unter den Kayfern gelebet, deren Palläste sie mit ihren trefflichen Werken angefüllet: so dünkt mich, kann man auch denjenigen Künstlern kein ander Zeitalter geben, von welchen Plinius auf jene durch ein Similiter übergehet. Und dieses find die Meister des Laokoon. Man überlege es nur: wären Agesander, Polydorus und Athenodorus so alte Meister, als wofür sie Herr Winkelmann hält; wie unschicklich würde ein Schriftsteller, dem die Präcision des Ausdruckes keine Kleinigkeit ist, wenn er von ihnen auf einmal auf die allerneuesten Meister springen müßte, diesen Sprung mit einem Gleichergestalt thun?

Doch man wird einwenden, daß sich dieses Similiter nicht auf die Verwandtschaft in Ansehung des Zeitalters, fondern auf einen andern Umstand beziehe, welchen diese, in Betrachtung der Zeit so unähnliche Meister, miteinander gemein gehabt hätten. Plinius rede nehmlich von solchen Künstlern, die in Gemeinschaft gearbeitet, und wegen dieser Gemeinschaft unbekannter geblieben wären, als sie verdienten. Denn da keiner sich die Ehre des gemeinschaftlichen Werks allein anmassen können, alle aber, die daran Theil gehabt, jederzeit zu nennen, zu weitläuftig gewesen wäre; (quoniam nec unus occupat gloriam, nec plures pariter nuncupari possunt) so wären ihre sämtliche Namen darüber vernachläßiget worden. Dieses sey den Meistern des Laokoons, dieses sey so manchen andern Meistern wiederfahren, welche die Kayfer für ihre Palläste beschäftiget hätten.

Ich gebe dieses zu. Aber auch so noch ist es höchst wahrscheinlich, daß Plinius nur von neuern Künstlern sprechen wollen, die in Gemeinschaft gearbeitet. Denn hätte er auch von älteren reden wollen, warum hätte er nur allein der Meister des Laokoons erwähnet? Warum nicht auch anderer? Eines Onatas und Kalliteles; eines Timokles und Timarchides, oder der Söhne dieses Timarchides, von welchen ein gemeinschaftlich gearbeiteter Jupiter in Rom war. g Herr Winkelmann sagt selbst, daß man von dergleichen älteren Werken, die mehr als einen Vater ge= habt, ein langes Verzeichniß machen könne. h Und Plinius sollte sich nur auf die einzigen Agesander, Polydorus und Athenodorus besonnen haben,

g) Plinius lib. XXXVI. sect. 4. p. 730.

h) Geschichte der Kunst Th. II. S. 331.

wenn er sich nicht ausdrücklich nur auf die neuesten Zeiten hätte einschränfen wollen?

Wird übrigens eine Vermuthung um so viel wahrscheinlicher, je mehrere und grössere Unbegreiflichkeiten sich daraus erklären lassen, so ist es die, daß die Meister des Laokoons unter den ersten Kaysern geblühet haben, gewiß in einem sehr hohen Grade. Denn hätten sie in Griechenland zu den Zeiten, in welche sie Herr Winkelmann seßet, gearbeitet; hätte der Laokoon selbst in Griechenland ehedem gestanden: so müßte das tiefe Stillschweigen, welches die Griechen von einem solchen Werke (opere omnibus et picturae et statuariae artis praeponendo) beobachtet hätten, äusserst befremden. Es müßte äusserst befremden, wenn so grosse Meister weiter gar nichts gearbeitet hätten, oder wenn Pausanias von ihren übrigen Werken in ganz Griechenland, eben so wenig wie von dem Laokoon, zu sehen bekommen hätte. In Rom hingegen konnte das größte Meisterstück lange im Verborgenen bleiben, und wenn Laokoon auch bereits unter dem Augustus wäre verfertiget worden, so dürfte es doch gar nicht sonderbar scheinen, daß erst Plinius seiner gedacht, seiner zuerst und zuletzt gedacht. Denn man erinnere sich nur, was er von einer Venus des Scopas sagt, i die zu Rom in einem Tempel des Mars stand, quemcunque alium locum nobilitatura. Romae quidem magnitudo operum eam obliterat, ac magni officiorum negotiorumque acervi omnes a contemplatione talium abducunt: quoniam otiosorum et in magno loci silentio apta admiratio talis est.

Diejenigen, welche in der Gruppe Laokoon so gern eine Nachahmung des Virgilischen Laokoons sehen wollen, werden, was ich bisher gesagt, mit Vergnügen ergreiffen. Noch fiele mir eine Muthmassung bey, die sie gleichfalls nicht sehr mißbilligen dürften. Vielleicht, könnten sie denken, war es Asinius Pollio, der den Laokoon des Virgils durch griechische Künstler ausführen ließ. Pollio war ein besonderer Freund des Dichters, überlebte den Dichter, und scheinet sogar ein eigenes Werk über die Aeneis geschrieben zu haben. Denn wo sonst, als in einem eigenen Werke über dieses Gedicht, können so leicht die einzeln Anmerkungen gestanden haben, die Servius aus ihm anführt? k Zugleich war Pollio ein Lieb

i) Plinius 1. c. p. 727.

k) Ad ver. 7. lib. II. Aeneid. und besonders ad ver. 183. lib. XI. Man dürfte also wohl nicht Unrecht thun, wenn man das Verzeichniß der verlornen Schriften dieses Mannes mit einem solchen Werke vermehrte.

haber und Kenner der Kunst, besaß eine reiche Sammlung der trefflichsten alten Kunstwerke, ließ von Künstlern seiner Zeit neue fertigen, und dem Geschmacke, den er in seiner Wahl zeigte, war ein so kühnes Stück als Laokoon, vollkommen angemessen: 1 ut fuit acris vehementiae sic quoque spectari monumenta sua voluit. Doch da das Cabinet des Pollio, zu den Zeiten des Plinius, als Laokoon in dem Pallaste des Titus stand, noch ganz unzertrennet an einem besondern Orte beysammen gewesen zu seyn scheinet: so möchte diese Muthmassung von ihrer Wahrscheinlichkeit wiederum etwas verlieren. Und warum könnte es nicht Titus selbst gethan haben, was wir dem Pollio zuschreiben wollen?

XXVII.

Ich werde in meiner Meinung, daß die Meister des Laokoons unter den ersten Kaysern gearbeitet haben, wenigstens so alt gewiß nicht seyn können, als sie Herr Winkelmann ausgiebt, durch eine kleine Nachricht · bestärket, die er selbst zuerst bekannt macht. Sie ist diese: a

„Zu Nettuno, ehemals Antium, hat der Herr Cardinal Alexander „Albani, im Jahr 1717, in einem grossen Gewölbe, welches im Meere „versunken lag, eine Base entdecket, welche von schwarz gräulichem Mar,,mor ist, den man ito Bigio nennet, in welche die Figur eingefüget war; „auf derselben befindet sich folgende Inschrift:

ΑΘΑΝΟΔΩΡΟΣ ΑΓΗΣΑΝΔΡΟΥ

ΡΟΔΙΟΣ ΕΠΟΙΗΣΕ

„Athanodorus des Agesanders Sohn, aus Rhodus, hat es gemacht. Wir „lernen aus dieser Inschrift, daß Vater und Sohn am Laokoon gearbeitet „haben, und vermuthlich war auch Apollodorus (Polydorus) des Agesan,,ders Sohn: denn dieser Athanodorus kann kein anderer seyn, als der, ,,welchen Plinius nennet. Es beweiset ferner diese Inschrift, daß sich „mehr Werke der Kunst, als nur allein drey, wie Plinius will, gefunden „haben auf welchen die Künstler das Wort, Gemacht, in vollendeter und ,,bestimmter Zeit gesetzet, nemlich enоinos, fecit: er berichtet, daß die

1) Plinius lib. XXXVI. sect. 4. p. 729.

a) Geschichte der Kunst Th. II. S. 347.

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