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sie die Fußtapfen einer verschwisterten Kunst aufsucht, in denen sie ängstlich herumirrt, ohne jemals mit ihr das gleiche Ziel zu erreichen: verschließt man ihr darum auch jeden andern Weg, wo die Kunst hinwiederum ihr nachsehen muß?

Eben der Homer, welcher sich aller stückweisen Schilderung körperlicher Schönheiten so geflissentlich enthält, von dem wir kaum einmal im Vorbeigehen erfahren, daß Helena weiße Arme a) und schönes Haarb) gehabt; eben der Dichter weiß dem ohngeachtet uns von ihrer Schönheit einen Begriff zu machen, der alles weit übersteigt, was die Kunst in dieser Absicht zu leisten im Stande ist. Man erinnere sich der Stelle, wo Helena in die Versammlung der Aeltesten des Trojanischen Volkes tritt. Die ehrwürdigen Greise sehen sie, und einer sprach zu den andern c):

Ου νεμέσις, Τρωας και εϋκνημίδας Αχαιούς

Τοιῃδ ̓ ἀμφι γυναικι πολυν χρονον άλγεα πασχειν·
Αινως ἀθανατῃσι θεῃς εἰς ὦπα ἔοικεν.

Was kann eine lebhaftere Idee von Schönheit gewähren, als das kalte Alter sie des Krieges wohl werth erkennen lassen, der so viel Blut und so viele Thränen kostet?1)

Was Homer nicht nach seinen Bestandtheilen beschreiben konnte, läßt er uns in seiner Wirkung erkennen. Malet uns, Dichter, das Wohlgefallen, die Zuneigung, die Liebe, das Entzücken, welches die Schönheit verursacht, und ihr habt die Schönheit selbst gemalt. Wer kann sich den geliebten Gegenstand der Sappho, bei dessen Erblickung sie Sinne und Gedanken zu verlieren bekennt 2), als häßlich denken? Wer glaubt nicht die schönste vollkommenste Gestalt zu sehen, sobald er mit dem Gefühle sympathisirt, welches nur eine solche Gestalt erregen kann? Nicht weil uns Ovid den schönen Körper seiner Lesbia 3) Theil vor Theil zeigt:

a) Iliad. I. v. 121.

b) Ibid. v. 319.

c) lbid. v. 156-58.

1) Solche dichterische Darstellung dieses Themas ist denn auch wirksamer als selbst eines Asmus Carstens' Zeichnung desselben Gegenstandes (vgl. dessen Werke von W. Müller und H. Riegel I, Taf. 27).

2) Vgl. die Ode Nr. 2 in Bergks Sammlung.

3) Ein Schreib- oder Gedächtnißfehler Lessings, der Ovids Geliebte Corinna mit der Lesbia des Catull verwechselt.

Quos humeros, quales vidi tetigique lacertos!
Forma papillarum quam fuit apta premi!
Quam castigato planus sub pectore venter!

Quantum et quale latus! quam juvenile femur!

sondern weil er es mit der wollüstigen Trunkenheit thut', nach der unsere Sehnsucht so leicht zu erwecken ist, glauben wir eben des Anblickes zu genießen, den er genoß.

Ein anderer Weg, auf welchem die Poesie die Kunst in Schilderung körperlicher Schönheit wiederum einholt, ist dieser, daß sie Schönheit in Reiz verwandelt. Reiz ist Schönheit in Bewegung, und eben darum dem Maler weniger bequem als dem Dichter. Der Maler kann die Bewegung nur errathen lassen, in der That aber sind seine Figuren ohne Bewegung. Folglich wird der Reiz bei ihm zur Grimasse. Aber in der Poesie bleibt er was er ist; ein transitorisches Schönes, das wir wiederholt zu sehen wünschen. Es kömmt und geht; und da wir uns überhaupt einer Bewegung leichter und lebhafter erinnern können, als bloßer Formen oder Farben: so muß der Reiz in dem nämlichen Verhältnisse stärker auf uns wirken, als die Schönheit. Alles was noch in dem Gemälde der Alcina gefällt und rührt, ist Reiz. Der Eindruck, den ihre Augen machen, kömmt nicht daher, daß sie schwarz und feurig sind, sondern daher, daß sie,

Pietosi à riguardar, à mover parchi,

mit Holdseligkeit um sich blicken und sich langsam drehen; daß Amor sie umflattert und seinen ganzen Köcher aus ihnen abschießt. Ihr Mund entzückt, nicht weil von eigenthümlichem Zinnober bedeckte Lippen zwei Reihen auserlesener Perlen verschließen; sondern weil hier das liebliche Lächeln gebildet wird, welches, für sich schon, ein Paradies auf Erden eröffnet; weil er es ist, aus dem die freundlichen Worte tönen, die jedes rauhe Herz erweichen. Ihr Busen bezaubert, weniger weil Milch und Helfenbein und Aepfel uns seine weiße und niedliche Figur vorbilden, als vielmehr weil wir ihn sanft auf und nieder wallen sehen, wie die Wellen am äußersten Rande des Ufers, wenn ein spielender Zephyr die See bestreitet :

Due pome acerbe, e pur d'avorio fatte,

Vengono e van, come onda al primo margo,
Quando piacevole aura il mar combatte.

Ich bin versichert, daß lauter solche Züge des Reizes in eine oder zwei Stanzen zusammengedrängt, weit mehr thun würden, als die fünfe alle, in welche sie Ariost zerstreut und mit kalten Zügen der schönen Form, viel zu gelehrt für unsere Empfindungen, durchflochten hat.

Selbst Anakreon wollte lieber in die anscheinende Unschicklichkeit verfallen, eine Unthunlichkeit von dem Maler zu verlangen, als das Bild seines Mädchens nicht mit Reiz beleben.

Τρυφερον δ ̓ ἐσω γενείου,
Περι λυγδίνῳ τραχηλῳ
Χαριτες πετοιντο πασαι.

Ihr sanftes Kinn, befiehlt er dem Künstler, ihren marmorenen Nacken laß alle Grazien umflattern! Wie das? Nach dem genauesten Wortverstande? Der ist keiner malerischen Ausführung fähig. Der Maler konnte dem Kinne die schönste Ründung 4), das schönste Grübchen, Amoris digitulo impressum, (denn das low scheint mir ein Grübchen andeuten zu wollen) er konnte dem Halse die schönste Carnation geben; aber weiter konnte er nichts. Die Wendungen dieses schönen Halses, das Spiel der Muskeln, durch das jenes Grübchen bald mehr bald weniger sichtbar wird, der eigentliche Reiz, war über seine Kräfte. Der Dichter sagte das Höchste, wodurch uns seine Kunst die Schönheit sinnlich zu machen vermag, damit auch der Maler den höchsten Ausdruck in feiner Kunst suchen möge. Ein neues Beispiel zu der obigen Anmerkung, daß der Dichter, auch wenn er von Kunstwerken redet, dennoch nicht verbunden ist, sich mit seiner Beschreibung in den Schranken der Kunst zu halten.

XXII.

Zeuris 1) malte eine Helena, und hatte das Herz, jene berühmten Zeilen des Homers, in welchen die entzückten Greise ihre Empfindung bekennen, darunter zu seßen. Nie sind Malerei und Poesie in einen

4) So Lessing statt des hineinkorrigirten,,Rundung"; so auch Voß, Herder und andere Schriftsteller des 18. Jahrhunderts.

1) Zeugis scheint als einer der ersten (bereits um 400 v. Chr.) schöne Form und Farbe mit fast ausschließender Virtuosität, aber in Nachahmung der Natur,

gleichern Wettstreit gezogen worden. Der Sieg blieb unentschieden, und beide verdienten gekrönt zu werden.

Denn so wie der weise Dichter uns die Schönheit, die er nach ihren Bestandtheilen nicht schildern zu können fühlte, bloß in ihrer Wirkung zeigte: so zeigte der nicht minder weise Maler uns die Schönheit nach nichts als ihren Bestandtheilen, und hielt es seiner Kunst für unanständig, zu irgend einem andern Hülfsmittel Zuflucht zu nehmen. Sein Gemälde bestand aus der einzigen Figur der Helena, die nackend dastand. Denn es ist wahrscheinlich, daß es eben die Helena war, welche er für die zu Crotona 2) malte a). Man vergleiche hiermit, Wundershalber, das Gemälde, welches Caylus dem neuern Künstler aus jenen Zeilen des Homers vorzeichnet: Helena, mit einem weißen Schleier bedeckt, erscheint mitten unter verschiedenen alten Männern, in deren Zahl sich auch Priamus befindet, der an den Zeichen seiner königlichen Würde zu erkennen ist. Der Artist muß sich besonders angelegen sein lassen, uns den Triumph der Schönheit in den gierigen Blicken und in allen den Aeußerungen einer staunenden Bewunderung auf den Gesichtern dieser kalten Greise empfinden zu lassen. Die Scene ist über einem von den Thoren der Stadt. Die Vertiefung3) des Gemäldes kann sich in den freien Himmel, oder gegen höhere Gebäude der Stadt verlieren; jenes würde kühner lassen, eines aber ist so schicklich wie das andere.“

Man denke sich dieses Gemälde von dem größten Meister unserer Zeit ausgeführt, und stelle es gegen das Werk des Zeuris. Welches wird den wahren Triumph der Schönheit zeigen? Dieses, wo ich ihn selbst fühle, oder jenes, wo ich ihn aus den Grimassen gerührter Graubärte schließen soll? Turpe senilis amor; ein

a) Val. Maximus lib. III, cap. 7. Dionysius Halicarnass. Art. Rhet. cap. 12: περι λογων ἐξετάσεως.

dargestellt zu haben. Denn nach Plinius (35, 9, 36) soll er aus einer Zähl von verschiedenen nackt durchmusterten Jungfrauen fünf ausgewählt haben, um ihre Einzelschönheiten zu einem Gesammtbilde zu vereinigen.

2) Für die Einwohner von Kroton (weniger gut Crotona) in Unteritalien, um in dem Tempel der Hera Lakinias eine Stelle zu finden. Nach Plinius a. a. O. ging die Bestellung von den Agrigentinern aus.

3) Dem französischen enfoncemeat, wie es scheint, nachgebildete Bezeichnung des Hintergrundes, welcher Ausdruck vielleicht erst im 18. Jahrhundert entstanden ist.

gieriger Blick macht das ehrwürdigste Gesicht lächerlich, und ein Greis, der jugendliche Begierden verräth, ist sogar ein ekler Gegenstand. Den Homerischen Greisen ist dieser Vorwurf nicht zu machen; denn der Affect, den sie empfinden, ist ein augenblicklicher Funke, den ihre Weisheit sogleich erstickt; nur bestimmt, der Helena Ehre zu machen, aber nicht, sie selbst zu schänden. Sie bekennen ihr Gefühl, und fügen sogleich hinzu:

Αλλα και ὡς, τοιη περ ἐουσ ̓, ἐν νηυσι νεεσθω,

Μηδ' ἡμιν τεκεεσσι τ ̓ ὀπισσω πημα λιποιτο.

Ohne diesen Entschluß wären es alte Gecke; wären sie das, was sie in dem Gemälde des Caylus erscheinen. Und worauf richten sie denn da ihre gierigen Blicke? Auf eine vermummte, verschleierte Figur. Das ist Helena? Es ist mir unbegreiflich, wie ihr Caylus hier den Schleier lassen können. Zwar Homer giebt ihr denselben ausdrücklich:

Αντικα δ ̓ ἀργεννησι καλύψαμενη οθονῃσιν

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aber, um über die Straßen damit zu gehen; und wenn auch schon bei ihm die Alten ihre Bewunderung zeigen, noch ehe sie den Schleier wieder abgenommen oder zurückgeworfen zu haben scheint, so war es nicht das erstemal, daß sie die Alten sahen; ihr Bekenntniß durfte also nicht aus dem jezigen augenblicklichen Anschauen entstehen, sondern sie konnten schon oft empfunden haben, was sie zu empfinden, bei dieser Gelegenheit nur zum erstenmale bekannten. In dem Gemälde findet so etwas nicht Statt. Wenn ich hier entzückte Alte sehe, so will ich auch zugleich sehen, was sie in Ent zückung sezt; und ich werde äußerst betroffen, wenn ich weiter nichts, als, wie gesagt, eine vermummte, verschleierte Figur wahrnehme, die sie brünstig angaffen. Was hat dieses Ding von der Helena? Ihren weißen Schleier, und etwas von ihrem proportionirten Umrisse, so weit Umriß unter Gewändern sichtbar werden kann. Doch vielleicht war es auch des Grafen Meinung nicht, daß ihr Gesicht verdeckt sein sollte, und er nennt den Schleier bloß als ein Stück ihres Anzuges. Ist dieses (seine Worte sind einer solchen Auslegung zwar nicht wohl fähig: Helene couverte d'un voile blanc), so entsteht eine andere Verwunderung bei mir: er empfiehlt

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