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Zorn seßen sie auf Ernst herab. Bei dem Dichter war es der zornige Jupiter, welcher den Blig schleuderte; bei dem Künstler nur der ernste.

reliefs, Gemälde, und man wird nirgends eine Furie finden. Ich nehme diejenigen Figuren aus, die mehr zur Bildersprache als zur Kunst gehören, dergleichen die auf den Münzen vornehmlich sind. Indeß hätte Spence, da er Furien haben mußte, sie doch lieber von den Münzen erborgen sollen (Seguini Numis. pag. 178. Spanhem, de Praest. Numism. Dissert. XIII, p. 639. Les Césars de Julien, par Spanheim p. 48), als daß er sie durch einen wißigen Einfall in ein Werk bringen will, in welchem sie ganz gewiß nicht sind. Er sagt in seinem Polymetis (Dial. XVI, p. 272):,,Obschon die Furien in den Werken der alten Künstler etwas sehr Seltenes sind, so findet sich doch eine Geschichte, in der sie durchgängig von ihnen angebracht werden. Ich meine den Tod des Meleager, als in dessen Vorstellung auf Basreliefs sie öfters die Althäa aufmuntern und antreiben, den unglücklichen Brand, von welchem das Leben ihres einzigen Sohnes abhing, dem Feuer zu übergeben. Denn auch ein Weib würde in ihrer Rache so weit nicht gegangen sein, hätte der Teufel nicht ein wenig zugeschürt. In einem von diesen Basreliefs, bei dem Bellori (in den Admirandis) sieht man zwei Weiber, die mit der Althäa am Altare stehen und allem Ansehen nach Furien sein sollen. Denn wer sonst, als Furien, hätte einer solchen Handlung beiwohnen wollen? Daß sie für diesen Charakter nicht schrecklich genug sind, liegt ohne Zweifel an der Abzeichnung. Das Merkwürdigste aber auf diesem Werke ist die runde Scheibe, unten gegen die Mitte, auf welcher sich offenbar der Kopf einer Furie zeigt. Vielleicht war es die Furie, an die Althäa, so oft sie eine üble That vornahm, ihr Gebet richtete und vornehmlich jezt zu richten alle Ursache hatte 2c.“ Durch solche Wendungen kann man aus Allem Alles machen. Wer sonst, fragt Spence, als Furien, hätte einer solchen Handlung beiwohnen wollen? Ich antworte: die Mägde der Althäa, welche das Feuer anzünden und unterhalten mußten. Ovid sagt (Metamorph. VIII, v. 460. 461):

Protulit hunc (stipitem) genitrix, taedasque in fragmina poni
Imperat, et positis inimicos admovet ignes.

Dergleichen taedas, lange Stücke von Kien, welche die Alten zu Fackeln brauchten, haben auch wirklich beide Personen in den Händen, und die eine hat eben ein solches Stück zerbrochen, wie ihre Stellung anzeigt. Auf der Scheibe, gegen die Mitte des Werks, erkenne ich die Furie eben so wenig. Es ist ein Gesicht, welches einen heftigen Schmerz ausdrückt. Ohne Zweifel soll es der Kopf des Meleagers selbst sein (Metamorph. I. c. v. 515):

Inscius atque absens flamma Meleagros in illa
Uritur: et caecis torreri viscera sentit

Ignibus: et magnos superat virtute dolores.

Der Künstler brauchte ihn gleichsam zum Uebergang in den folgenden Zeitpunkt der nämlichen Geschichte, welcher den sterbenden Meleager gleich darneben zeigt. Was Spence zu Furien macht, hält Montfaucon für Parzen (Antiq. expl. T. I, p. 162), den Kopf auf der Scheibe ausgenommen, den er gleichfalls für eine Furie ausgiebt. Bellori selbst (Admirand. Tab. 77) läßt es unentschieden, ob es Parzen oder Furien sind. Ein Oder, welches genugsam zeigt, daß sie weder das Eine noch das Andere sind. Auch Montfaucons übrige Auslegung sollte genauer sein.

Jammer ward in Betrübniß gemildert. Und wo diese Milderung nicht stattfinden konnte, wo der Jammer eben so verkleinernd als entstellend gewesen wäre, was that da Timanthes? 12) Sein

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Die Weibsperson, welche neben dem Bette sich auf den Ellenbogen stüßt, hätte er Kassandra und nicht Atalanta nennen sollen. Atalanta ist die, welche mit dem Rücken gegen das Bett gekehrt, in einer traurigen Stellung sigt. Der Künstler hat sie mit vielem Verstande von der Familie abgewendet, weil sie nur die Geliebte, nicht die Gemahlin des Meleagers war und ihre Betrübniß über ein Unglück, das sie selbst unschuldiger Weise veranlaßt hatte, die Anverwandten erbittern mußte.

12) Ein Zeitgenosse der großen Maler Zeuris und Parrhasios. Das oben erwähnte Bild (am ausführlichsten ist die Notiz bei Quintilian II, 13, 13) wird mehrfach gerühmt. Das gleiche Verhüllen des Schmerzes kommt auch auf einem pompejanischen Wandgemälde vor; Schnaase hat aber, obgleich er die Natürlichkeit des

Gemälde von der Opferung der Iphigenia, in welchem er allen Umstehenden den ihnen eigenthümlich zukommenden Grad der Traurigkeit ertheilte, das Gesicht des Vaters aber, welches den allerhöchsten hätte zeigen sollen, verhüllte, ist bekannt, und es sind viel artige Dinge darüber gesagt worden. Er hatte sich, sagt dieseri), in den traurigen Physiognomien so erschöpft, daß er dem Vater eine noch traurigere geben zu können verzweifelte. Er bekannte dadurch, sagt jener k), daß der Schmerz eines Vaters bei dergleichen Vorfällen über allen Ausdruck sei. Ich für mein Theil sehe hier weder die Unvermögenheit des Künstlers, noch die Unvermögenheit der Kunst. Mit dem Grade des Affects verstärken sich auch die ihm entsprechenden Züge des Gesichts; der höchste Grad hat die allerentschiedensten Züge, und nichts ist der Kunst leichter als diese auszudrücken. Aber Timanthes kannte die Grenzen, welche die Grazien seiner Kunst seßen. Er wußte, daß sich der Jammer, welcher dem. Agamemnon als Vater zukam, durch Verzerrungen äußert, die allezeit häßlich sind. So weit sich Schönheit und Würde mit dem Ausdrucke verbinden ließ, so weit trieb er ihn. Das Häßliche wäre er gern übergangen, hätte er gern gelindert; aber da ihm seine Composition Beides nicht erlaubte, was blieb ihm anders übrig, als es zu verhüllen ? Was er nicht malen durfte, ließ er errathen. Kurz, diese Verhüllung ist ein Opfer, das der Künstler der Schönheit brachte. Sie ist ein Beispiel, nicht wie man den Ausdruck über die Schranken der Kunst treiben, sondern wie man ihn dem ersten Geseze der Kunst, dem Geseze der Schönheit, unterwerfen soll.

Und dieses nun auf den Laokoon angewendet, so ist die Ursache klar, die ich suche. Der Meister arbeitete auf die höchste Schönheit, unter den angenommenen Umständen des körperlichen Schmerzes. Dieser, in aller seiner entstellenden Heftigkeit, war mit jener nicht zu verbinden. Er mußte ihn also herabseßen; er mußte Schreien

i) Plinius lib. XXXV, sect. 35. Cum moestos pinxisset omnes, praecipue patruum, et tristitiae omnem imaginem consumpsisset, patris ipsius vultum velavit, quem digne non poterat ostendere.

k) Summi moeroris acerbitatem arte exprimi non posse confessus est. Valerius Maximus lib. VIII, cap. 11.

Motivs anerkennt, treffend hervorgehoben, daß es sich hier um eine Richtung handle, ,,welche weniger in der Form, als in einer Poesie des Gedankens ihren Werth hatte“.

in Seufzen mildern: nicht weil das Schreien eine unedle Seele verräth, sondern weil es das Gesicht auf eine ekelhafte Weise verstellt 13). Denn man reiße dem Laokoon in Gedanken nur den Mund auf und urtheile. Man lasse ihn schreien, und sehe. Es war eine Bildung, die Mitleid einflößte, weil sie Schönheit und Schmerz zugleich zeigte; nun ist es eine häßliche, eine abscheuliche Bildung geworden, von der man gern sein Gesicht verwendet, weil der Anblick des Schmerzes Unlust erregt, ohne daß die Schönheit des leidenden Gegenstandes diese Unlust in das füße Gefühl des Mitleids verwandeln kann. Die bloße weite Oeffnung des Mundes bei Seite gesezt, wie gewaltsam und ekel auch die übrigen Theile des Gesichts dadurch verzerrt und verschoben werden ist in der Malerei ein Fleck und in der Bildhauerei eine Vertiefung, welche die widrigste Wirkung von der Welt thut. Montfaucon 14) bewies wenig Geschmack, als er einen alten bärtigen Kopf, mit aufgerissenem Munde, für einen Orakel ertheilenden Jupiter ausgab7). Muß ein Gott schreien, wenn er die Zukunft eröffnet? Würde ein gefälliger Umriß des Mundes seine Rede verdächtig machen? Auch glaube ich es dem Valerius nicht, daß Ajax in dem nur gedachten Gemälde des Timanthes sollte geschrieen haben m). Weit schlechtere Meister aus den Zeiten der schon verfallenen Kunst lassen auch nicht einmal die wildesten

7) Antiquit. expl. T. I, p. 50.

m) Er giebt nämlich die von dem Timanthes wirklich ausgedrückten Grade der Traurigkeit so an: Calchantem tristem, moestum Ulyssem, clamantem Ajacem, lamentantem Menelaum. Der Schreier Ajax müßte eine häßliche Figur gewesen sein, und da weder Cicero noch Quintilian in ihren Beschreibungen dieses Ge= mäldes seiner gedenken, so werde ich ihn um so viel eher für einen Zusah halten dürfen, mit dem es Valerius aus seinem Kopfe bereichern wollen.

13) Von medicinischer Seite her ist bestätigt, daß Laokoon nicht schreien könne, vgl. Ph. J. W. Henke:,,Die Gruppe des Laokoon“ (Leipzig 1862), S. 76; weil der Bauch zu weit eingezogen sei. Dies Moment hatte bereits Goethe's naturwissenschaftlicher Blick erkannt.

14) Der überaus vielseitig gebildete Bernard de Montfaucon (13. Jan. 1655 bis 21. Dec. 1741) gehörte zu den berühmtesten und wirklich bedeutendsten Mitgliedern der ausgezeichneten Congrégation de St.-Maur. Studien und Anschauung verleihen noch heute seinem großen Werke: ,,L'antiquité expliquée et représentée en figures" (Paris 1719-24, 15 Bände Fol.) Werth, wenn auch die Treue der Abbildungen bisweilen sehr zu wünschen läßt.

Barbaren, wenn sie unter dem Schwerte des Siegers Schrecken und Todesangst ergreift, den Mund bis zum Schreien öffnen »).

Es ist gewiß, daß diese Herabsezung des äußersten körperlichen Schmerzes auf einen niedrigern Grad von Gefühl an mehrern alten Kunstwerken sichtbar gewesen. Der leidende Herkules in dem vergifteten Gewande, von der Hand eines alten unbekannten Meisters, war nicht der Sophokleische, der so gräßlich schrie, daß die Lokrischen Felsen und die Euböischen Vorgebirge 15) davon ertönten. Er war mehr finster als wild o). Der Philoktet des Pythagoras Leontinus 16) schien dem Betrachter seinen Schmerz mitzutheilen, welche Wirkung der geringste gräßliche Zug verhindert hätte. Man dürfte fragen, woher ich wisse, daß dieser Meister eine Bildsäule des Philoktet gemacht habe? Aus einer Stelle des Plinius, die meine Verbesserung nicht erwartet haben sollte, so offenbar verfälscht oder verstümmelt ist sie p).

III.

Aber, wie schon gedacht, die Kunst hat in den neuern Zeiten ungleich weitere Grenzen erhalten. Ihre Nachahmung, sagt man, erstrecke sich auf die ganze sichtbare Natur, von welcher das Schöne n) Bellorii Admiranda. Tab. 11. 12.

o) Plinius lib. XXXIV, sect. 19.

p) Eundem, nämlich den Myro, liest man bei dem Plinius (libr. XXXIV, sect. 19) vicit et Pythagoras Leontinus, qui fecit stadiodromon Astylon, qui Olympiae ostenditur : et Libyn puerum tenentem tabulam, eodem loco, et mala ferentem nudum. Syracusis autem claudicantem: cujus hulceris dolorem sentire etiam spectantes videntur. Man erwäge die leßten Worte etwas genauer. Wird nicht darin offenbar von einer Person gesprochen, die wegen eines schmerzhaften Geschwürs überall bekannt ist? Cujus hulceris u. s. w. Und dieses cujus sollte auf das bloße claudicantem und das claudicantem vielleicht auf das noch entferntere puerum gehen? Niemand hatte mehr Recht, wegen eines solchen Geschwürs bekannter zu sein als Philoktet. Ich lese also anstatt claudicantem, Philoctetem, oder halte wenigstens dafür, daß das leztere durch das erstere gleichlautende Wort verdrungen worden, und man beides zusammen Philoctetem claudicantem lesen müsse. Sophokles läßt ihn orißov zať' àvayzav έo̟nɛw, und es mußte ein Hinken verursachen, daß er auf den kranken Fuß weniger herzhaft auftreten konnte.

15) Die einander gegenüber liegen.

16) Das von Plinius erwähnte Bildwerk des Pythagoras von Rhegium, der sich in der Richtung Myrons bewegt zu haben scheint (5. Jahrh. v. Chr.), ist zuerst und gewiß richtig von Lessing auf Philoftet gedeutet worden.

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