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noch Ursache, ihn zu vermeiden. Der Künstler macht für das Auge nur einen einzigen Augenblick. Die Imagination allein kann diesen Augenblick vervielfältigen, indem sie sich die vorhergehenden und die nachfolgenden hinzudenkt. Aber wenn das geschehen soll, jo muß es nachfolgende Augenblicke geben; so muß das, was der Künstler von der ganzen Action zeigt, nicht das sein, was in der Succession der darunter begriffenen Veränderungen das äußerste ist. — Ferner das Werk des Künstlers. ist unveränderlich und fortdauernd; also muß er auch die Gegenstände, die ganz augenblicklich sind, vermeiden; und der höchste Schmerz ist es.

„Dieses Gesetz bestätigt sich, indem es zugleich den Poeten rechtfertigt, der demselben entgegen handelt. Durch die höchste Leidenschaft wird die Schönheit verunstaltet. Aber Schönheit des Körpers ist nicht das, wodurch die Dichtkunst gefallen will; es ist Schönheit der Seele durch Handlungen ausgedrückt: hier also ist der Ausdruck ein höheres Geseß als die Schönheit. Leidenschaft ist nur augenblicklich. Aber die Poesie braucht nicht bloß einen Augenblick zu schildern, sondern ganze Successionen; bei ihr dauert * also das Bild nicht länger, als bis der Dichter ein neues darauf folgen läßt, und das kann mit eben der Geschwindigkeit geschehen, mit der die Natur diese Zustände selbst auf einander folgen läßt.

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, Aber wie im Dramatischen, wo für Auge und Einbildungskraft zugleich gemalt wird? und doch hat Sophokles sich des Vorrechts der übrigen Dichter in diesem Stücke bedient."

Ganz gewiß liegt der Grund in dem Unterschiede des sich bewegenden Gemäldes auf der Scene, und des stillstehenden auf der Leinwand:

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Philoktets Schmerz ist nicht eine Krankheit, sondern eine Wunde. Darüber hat die Imagination schon mehr Gewalt, es sich lebhaft vorzustellen.

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„Es ist nicht bloß Schmerz, sondern Verlassung, Hilflosigkeit, Einsamkeit, lauter Leiden der Seele, die aber alsdann nur recht empfindlich werden, wenn das körperliche Leiden die Bedürfnisse des Trostes und des Beistandes vergrößert. Es ist wahr, der Dichter erreicht seine Absicht in dem körperlichen Schmerze am wenigsten, wenn es bloß seine Absicht ist, in uns ähnliche Empfindungen hervorzubringen. Aber sein Zweck ist der gar nicht. Er

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will Hochachtung und Liebe für seinen Helden einflößen; und was kann das mehr, als alle Zeichen des äußersten Schmerzes, und doch keine einzige Bewegung, keine Begierde,. keine Handlung sehen, diesen Schmerz durch unanständige Mittel wegzuschaffen? wie kann man anders die Größe der Kraft zeigen, als wenn man zuerst die Größe des Widerstandes zeigt, den man durch diese Kraft überwinden läßt?

„Endlich, der Künstler erregt seine Bewegungen in dem Gemüthe der Zuschauer nur immer unmittelbar; die Situation des Helden selbst ist das einzige, was sie hervorbringt; sie sind also nur einfach wie diese. Der Dichter kann auch eine Art von abgeleiteten Bewegungen erregen; er kann die ersten Zuschauer von den Handlungen und Begebenheiten seiner Helden selbst wählen; diese durch ihre besondere Verfassung auf so mannichfaltige Art durch die Leiden des erstern rühren lassen; in ihrer Seele das allgemeine sympathetische Gefühl des Schmerzes auf so vielfache Art modificiren, daß bei dem lezten Zuschauer, für den endlich das ganze Werk bestimmt ist, durch die Vermischung, ganz andere Empfindungen entstehen, als die durch die bloßen Zeichen des Leidens erregt werden können.

„Ist also ein Grund, warum der Künstler seinen Laokoon nicht schreien ließ, kein Grund, warum nicht der Dichter ihn auch hätte können seufzen lassen: so wird, wenn das eine ja die Copie des andern sein soll, das am ersten die Nachahmung sein, wo die Aenderungen des Originals am begreiflichsten und nothwendigsten sind. Virgil hätte ohne Noth geändert, wenn er den Künstler nachgeahmit hätte. Das Schöne für den Anblick ist auch schön für die Imagination. Aber der Künstler änderte aus Ueberlegung und avs Bedürfniß der Kunst. Beim Virgil windet sich die Schlange zweimal um Brust und Hals; auf der Statue windet sie sich um die Schenkel. Das leztere wäre für den Dichter ein eben so schönes Bild gewesen; aber für den Künstler war das erste schlecht, weil Brust und Hals offen, unversteckt sein mußten, wenn nicht ein großer Theil des Ausdrucks verloren gehen sollte.

„Wenn also der Dichter und der Maler in der Bearbeitung einerlei Gegenstandes oft von einander abweichen müssen, so ist es abgeschmackt, vorauszusehen, daß sie sich einander nothwendig

nachgeahmt haben müssen, und sie nach dieser Voraussetzung zu erklären. Aber es herrscht doch zwischen den Gegenständen der Dichter und Maler eine so handgreifliche Aehnlichkeit. Und woher diese, als weil die Maler ihre Sujets aus den Werken der Dichter nehmen?' Ihre Sujets allerdings, aber nicht das Muster ihrer Bearbeitung. Wenn sie Begebenheiten malen wollten, so mußten die Begebenheiten irgendwo aufbehalten worden sein; und von den ältesten, den Götter- und Heldengeschichten, waren nur die Dichter die Bewahrer. Also zusammentreffen mußten sie nothwendig, so oft sie beide einerlei Stoff vor sich hatten; aber in der Art der Behandlung, in dem Gebrauch dieser Materialien mußten sie eben so verschieden sein, als sie in der Wahl derselben gleichförmig waren.

,,Dichter und Maler haben beide Götter und Göttinnen vorzustellen. Aber bei den leztern ist das erste Augenmerk, sie überhaupt kenntlich zu machen; bei den ersten nur ihre gegenwärtige Handlung zu zeigen. Bei den lezten ist es nothwendig, den allgemeinen Charakter, wodurch der Gott zu dem Gott wird, allenthalben auch in ihren besondersten Handlungen und Begebenheiten beizubehalten; bei den ersten wird der Charakter schon durch das bloße Werk und die Idee, die dies rege macht, erhalten. Der Dichter hat volle Freiheit, das Wesen, das einmal in unserer Imagination bestimmt ist, in noch so abwechselnde Veränderungen zu sezen. Sobald wir einmal wissen, wer die Person ist, so dauert ihre Identität der Person in unsrer Idee fort, der gegenwärtige Zustand mag von einem alten schon vorher uns bekannten Zustande noch so sehr unterschieden sein. Aber eine Unbekannte muß man uns nicht in einer andern Situation, unter andern Umständen zeigen, als in der wir sie schon zum Voraus erwarten, oder wir verkennen sie gänzlich. Venus kann beim Dichter zürnen, denn wir verlieren doch die schöne, gefällige, liebkosende Venus nicht aus den Augen, die nur für eine Zeitlang diese ihr fremde Gestalt angenommen hat. Bei dem Künstler wäre sie nicht Venus mehr. Also, wo es vornehmlich darauf ankam, gewisse Personen und Wesen kenntlich zu machen, da mußte oft der Künstler von seinem höchsten Gesez Ausnahmen machen, und das Charakteristische dem Schönen vorziehen. Die Religion machte eine solche Nothwendig

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feit. Also ist es kein Einwurf gegen dieses Gefeß, wenn .bei Werken, die für Tempel gemacht waren, dasselbe nicht beobachtet ist. Um zu beständigen sichern Begriffen von den alten Kunstwerken zu gelangen, wird man den Umfang dieses Wortes einschränken müssen. Nur wo der Künstler nichts als seine Kunst zum Zweck und zur Regel hatte; wo ihn keine äußern Ursachen einschränkten : nur die werden Beispiele und Erfahrungen für den Kenner werden können, seine Regel daraus zu abstrahiren.

„Was aber der Künstler durch beigelegte Sinnbilder erst kenntlich machen muß, das sagt der Dichter bloß durch das Wort, und hat also diese allegorischen Kennzeichen nicht nöthig. — Es ist also Fehler, wenn er das, was der Künstler aus Armuth und Noth als eine Schönheit nachahmt, wenn er seine Götter oder allegorischen Wesen wie Statuen mit ihrem ganzen Rüstzeuge aufstellt, anstatt sie wie belebte Wesen handeln zu lassen.

„Caylus ist so sehr besorgt, dem Künstler und Maler neue Sujets zu geben. Aber zuerst verlangt der Künstler nicht diesen Reichthum, und zum andern ist er ihm unbrauchbar. Er verlangt ihn nicht, weil überhaupt bei ihm die Erfindung das kleinste Verdienst ist, und noch mehr, weil er gern alte bekannte Gegenstände malt oder in Gruppen darstellt, um gleich bei dem ersten Anblicke verstanden zu werden. Er ist ihm unbrauchbar, weil ihm Nachahmung der schönsten Gemälde des Dichters oft durch das Wesen seiner Kunst unmöglich gemacht, auch öfter durch die Absicht derselben verboten wird.

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Unmöglich gemacht wird ihm, zum Beispiel, der Unterschied zwischen dem Sichtbaren und Unsichtbaren, zwischen dem Göttlichen und Menschlichen. Der Dichter nimmt diesen Unterschied an, ohne ihn genau zu bestimmen. Er läßt es der Imagination frei, ihn sich nach der Verschiedenheit der Wirkungen so groß zu denken, als es ihr gefällt. Aber der Maler muß diesen Unterschied fixiren, ihn auf ein gewisses Maß bringen, und eben dadurch das, was in dem dichterischen Bilde groß war, entweder erniedrigen, oder ungeheuer machen.

„Das Unsichtbare ist bei dem Dichter eine bloße Idee, bei dem Künstler wird es eine Art von Mummerei. Die Wolke, die bei dem Ersten diese Unsichtbarkeit bloß andeutet, ohne die Art und

Weise derselben zu bestimmen, wird bei dem Andern eine wirkliche Hülle, die dem gerade widerspricht, was sie andeuten soll. Sind es noch dazu Götter, die unsichtbar gegenwärtig sind, so wird eine Wolke, die sie verbirgt, doppelt unschicklich, weil sie gerade da zu sein scheint, um das Dasein eines Wesens merklich zu machen, das sonst seiner Natur nach unsichtbar sein würde.

Unmöglich gemacht wird ihm die Nachahmung aller der sich bewegenden fortgehenden Gemälde, die nicht eine einzige Situation, sondern die eine ganze Folge derselben schildern, und die das Eigenthum des Dichters sind. Malen heißt bei dem Dichter eine so lebhafte Vorstellung in der Imagination erregen, daß man die Sache zu sehen glaubt. Zu diesem Bilde, das die Imagination sich machen soll, kann der Dichter nur immer einige, aber die Hauptzüge geben; er kann den Gegenstand nur durch gewisse Eigenschaften und Bestimmungen charakterisiren. Wenn er nun gerade die zu wählen weiß, die die Imagination am meisten in den Stand sezen, die übrigen hinzu zu sehen, und so zu sagen, das ganze Individuum vollständig zu machen; wenn er sie in dem Lichte zu zeigen weiß, daß er die Einbildungskraft wirklich ins Spiel bringt und rege macht, diese übrigen Bestimmungen hervor zu bringen: so hat er gethan, was er sich vorseßte, er hat Illusionen erregt, und diese Illusionen sind seine Gemälde. Alle diese Bestimmungen, durch die er der Einbildungskraft so zu sagen nur den Weg weist, wo sie hinsehen soll, ihr gleichsam nur die Data giebt, woraus sie ihr Geschöpf zusammen zu seßen hat, können aber sowohl auf einander folgende Veränderungen, als zugleich seiende Bestimmungen sein; und die ersten sind eigentlich sein. Eigenthum. Wo also der Dichter am meisten malt, d. h. die Sache durch die meisten Handlungen und Veränderungen der Einbildungskraft bezeichnet, da wird der Maler am wenigsten Stoff für sich finden Und eine einzige Situation, die der Dichter nur mit einem Worte anzeigt, bei der er gar keine Arbeit und kein Verdienst hat, als daß er sie nennt, kann die reichste malerische Composition geben.

Dieser Unterschied dichterischer und malerischer Schilderungen hat noch einen höheren Ursprung. Die Zeichen der Malerei sind coexistent. Also nur das Coexistirende, nur Körper kann sie

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