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eigentlich nachahmen; und Handlungen nur, in sofern die gegenwärtige Stellung eines Körpers eine vorhergegangene Bewegung desselben, und diese Bewegung eine Handlung andeutet, durch die sie ist hervorgebracht worden. Die Zeichen der Dichtkunst sind successiv. Also ist ihr Gegenstand eigentlich das Successive. Veränderungen, und in sofern diese gewirkt werden, Handlungen. Körper, nur in sofern die Handlungen Subjekte haben müssen, und diese Subjekte durch die Handlungen bestimmt werden. So schildert Homer die körperlichen Gegenstände durch die Veränderungen, die mit ihnen vorgegangen sind, durch die Art ihrer Entstehung.

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Aber der Dichter kann doch Körper beschreiben, und Homer thut es wirklich.ʻ

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Beschreiben? Allerdings; denn wie wäre es sonst möglich, irgend eine Kenntniß der Körper zu haben, wenn man nicht ihre Eigenschaft mit Worten auszudrücken wüßte? Aber durch diese Beschreibung täuschen, der Imagination ein vollständiges Bild des Ganzen verschaffen; eben die Art des Eindrucks machen, als wenn man die Sache oder ihr Gemälde sähe: das kann er nicht, und das sollte doch eigentlich sein Zweck sein. Wo Täuschung erregt werden soll, muß der Eindruck der Empfindung ähnlich sein. Empfindung unterscheidet sich von allen übrigen Arten der Vorstellung durch die schnelle augenblickliche Uebersehung des Ganzen; durch die Theilheit und Untheilbarkeit der Idee, in der die Eindrücke jedes Theils enthalten und vermischt sind, ohne sich zu unterscheiden. Bei der Beschreibung der Körper mit Worten ist weder diese Geschwindigkeit noch diese Vollständigkeit möglich. Die Vorstellungen der Theile folgen einzeln auf einander: und dann ist unter allen nur immer die Vorstellung des leztern die klare; die übrigen sind verloschen oder schwach, und das Ganze wird niemals vollendet.

Hier sind wir also bei den Grenzen der Poesie und Malerei; zwei auf einander folgende Zustände einer Sache zu gleicher Zeit zu zeigen; zwei Zeitpunkte in' einem Gemälde zu vereinigen, ist ein Eingriff in die Rechte der Poesie. Theile eines Gegenstandes, die zugleich gesehen werden müssen, stückweise nach einander zuzuzählen, ist ein Eingriff in die Rechte der Malerei.

,,, Aber Homer schildert doch Körper.'

„Zuerst giebt es an diesen Grenzen ein gewisses gemeinschaftliches Gebiet; und zwar für die Poesie noch ein weiteres.

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Der Maler darf zuweilen durch die Stellung seiner Körper den Zustand, in dem sie den Augenblick vorher gewesen sind, mit dem gegenwärtigen zugleich anzeigen. Der Dichter kann zuweilen Körper, wenn er sie kurz charakterisiren kann, beschreiben.

„Zum Andern, wenn Homer alle seine Beschreibungen in Geschichte verwandelt, wenn er erzählt, anstatt zu beschreiben, so ist eben dieses Beispiel ein Beweis, daß er bloße Beschreibungen für unfähig gehalten hat, zu gefallen. So ist es mit dem Schild Achills. Erstlich anstatt es uns selbst zu beschreiben, erzählt er uns die Handlungen, durch die es zusammengesezt worden ist. Zum Andern, jedes Gemälde auf dem Schilde selbst verwandelt er in eine Geschichte; er erzählt nicht bloß, was der Künstler aufs Schild gemacht hat, sondern die ganze Handlung, aus der jener einen einzigen Augenblick geschildert hatte. So haben wir zugleich den Vortheil, daß viele Gemälde des Achillischen Schildes sich in ein einziges zusammen ziehen, und daß wir nicht mehr so ängstlich nach Raum zu so vielen Bildern suchen dürfen. Das Gegenwärtige und Zukünftige, was der Künstler nur mußte errathen lassen, das beschrieb Homer. Aber deswegen durfte es nicht ein neues Gemälde auf dem Schilde sein.

„Unter allen körperlichen Gegenständen ist körperliche Schönheit das, was am meisten des augenblicklichen unmittelbaren Anschauens bedarf, was am nothwendigsten mit einem einzigen Blicke gefaßt werden muß, wenn es Illusion erregen soll; also ist es gerade das, was der Dichter am wenigsten schildern muß. Der Dichter kann nichts als (so wie Ariost bei seiner Alcina) abstracte Begriffe von gewissen Theilen der Schönheit geben, die für die Imagination viel zu vage, viel zu unbestimmt und zu unvollständig sind, um die ganze Gestalt daraus herzustellen. Aber erstlich die Schön-heit ist nicht bloß eines Verhältniß der körperlichen Welt. Sie ist in der moralischen eine Kraft, die wirkt. Diese Wirkung zeige der Dichter, und aus der Größe der Wirkung lasse er uns auf die Größe der Kraft schließen. Zweitens, die Schönheit ist nicht bloß in der Lage der Theile, sondern auch in ihrer Be

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wegung. Diese Schönheit ist Reiz, und der ist der Gegenstand des Dichters.

„Aber gerade hier, wo die Schwäche der Poesie ist, da ist die Stärke der Kunst; und sie würde sich ihres größten Vortheils begeben, wenn sie die Schönheit durch irgend etwas anderes, als durch sie selbst, schildern wollte.

„Also 'kennt Caylus diese Vortheile nicht, wenn er dem Maler, va wo er selbst Schöpfer der Schönheit sein könnte, es auflegt, nur was der Dichter aus Noth ist, ein Erzähler ihrer Thaten zu sein. Die Homerische Scene, wo Helena verschleiert in einer Versammlung alter Männer erscheint, in deren Zahl sich auch Priamus befindet, ist also kein schickliches Sujet für den Maler. Erstlich warum soll die Kunst das nur in seinen Wirkungen zeigen, was sie aus seinen eigenen Bestandtheilen zusammenseßen kann? Und zum Andern: diese Wirkung bleibt nicht mehr ein Gemälde, was sie beim Dichter war. Das was wir sehen, sind nichts als verliebte Geberden einiger. Greise; und dieses ist unangenehm, ekelhaft. An die Schönheit, die sie in diese unnatürliche Verfassung bringt, und die im Stande wäre, das Unangenehme dieses Anblicks zu mildern oder vergessen zu machen, müssen wir uns bloß erinnern; diese Erinnerung ist nur unbestimmt und schwach. Also macht gerade das den stärksten Eindruck, was bei der Geschichte das Unwichtigste, beinahe das Hinderlichste zu der Absicht ist (denn selbst der Dichter würde nicht wünschen, daß wir an die Geberden der Greise zuerst dächten, die doch das Erste und Einzige sein mußten, was der Maler ausdrücken könnte), und das, was die Hauptsache ist, wodurch sich die ganze Sache erklärt und interessant macht, das ist unsichtbar.

„Ganz anders nußten die alten Artisten die Schilderungen Homers. Sie suchten zuerst nach Geschichten und Situationen, wo körperliche Schönheit eine Triebfeder oder ein wichtiger Theil der Begebenheiten gewesen war. Hier schilderten sie die Schönheit selbst. Sie brauchten alsdann die Erzählungen Homers, nicht sie nachzuahmen; das wäre oft unmöglich und öfter noch unschicklich gewesen; sondern ihre Imagination mit der Schönheit oder der Größe des Gegenstandes zu erfüllen; die Kraft ihrer eignen Seele zur Hervorbringung der körperlichen Bilder rege zu machen; die

Gestalten der Helden oder Götter sich aus dem, was sie sagen oder thun, anschauend zu machen.

„Wenn alle körperlichen Gegenstände beim Dichter dunkler und schwächer werden, und es einen körperlichen Gegenstand giebt, dessen Eindruck geschwächt und verdunkelt werden muß, wenn er in der Vermischung mit andern angenehm werden soll: so wird dieser gerade am meisten für den Dichter und am wenigsten für den Maler sein. Ein solcher Gegenstand ist die Häßlichkeit. Bei dem Dichter kann das Ungestaltete der Form bald Mitleiden erregen, wenn es Ursache des Leidens und der Einschränkung für eine sonst vollkommene und schöne Seele wird; bald die Person lächerlich machen, wenn es mit dem Ungereimten und Widersinnigen im Charakter und Handlungen verbunden ist, und noch dazu mit der Schönheit und Vollkommenheit contrastirt, welche die Person in ihrer Idee sich selbst zuschreibt; bald Schrecken, wenn die Häßlichkeit nur gleichsam die Verkündigerin und der Vorbote von Unglück und Laster ist.

„Bei dem Maler hingegen ist der Eindruck, den das Sichtbare macht, immer so stark, daß er sich mit den Vorstellungen, die das Geistige und Unsichtbare erregt, wenn diese ungleichartig mit jenem sind, nicht vermischt. Bei ihm also bringt Häßlichkeit nur immer eine einfache Wirkung hervor, und diese Wirkung ist ein Gefühl, das mit dem Ekel verwandt ist. Der Ekel wirkt durch die Vorstellung selbst, nicht durch die Ueberredung von der Wirklichkeit des Gegenstandes. So mißfällt das Häßliche, der Gegenstand mag wirklich oder nachgeahmt sein. Also was sonst Dinge, die in der Wirklichkeit unangenehm sind, in der Nachahmung angenehm machen kann; die Ueberlegung, die uns den Betrug zeigt; und die Wißbegierde, die uns denselben als ein Mittel zur Kenntniß der Gegenstände vorstellt; beides ist bei dem Maler unkräftig, die nachgeahmte Häßlichkeit zu verschönern.“

An dieser Stelle schließen eigentlich Lessings principielle Erörterungen; was nun folgt, trägt den Charakter von Bemerkungen zu Winckelmanns Geschichte der Kunst. Garve hat es vermieden, die wirklichen Fehler in den Lessing'schen Deductionen auch nur anzudeuten; in der That war das Neus daran auch das wirklich

Große und der „Laokoon“ verdient die Anerkennung, daß darin das A-B-C der modernen Aesthetik aufgestellt sei.

Der principielle Unterschied der Malerei (d. h., wie Lessing ausdrücklich erklärt, darunter die ganze bildende Kunst verstanden) und der Poesie war mit Einem Schlage aufgedeckt und dadurch das Wesen beider Kunstgattungen fest bestimmt. Die Nachahmungsoder Darstellungsmittel der Malerei liegen im Raum, die der Poesie in der Zeit; jene bringt das zugleich seiende (Coexistente), diese das nacheinander seiende (Successive) zur Erscheinung. Daher ist die Aufgabe jener der Körper, und die der anderen die Handlung. Die bildende Kunst kann immer nur einen Moment darstellen, der nicht fruchtbar genug gewählt werden kann, sie muß daher das lediglich Transitorische abweisen (mit welcher Forderung Lessing das Princip auf die Spize treibt). Die Poesie kann den Körper, welchen die bildende Kunst in seiner Ganzheit mit einem Schlage darzustellen vermag, nur andeutungsweise durch Handlungen nachahmen (vgl. die homerische Beschreibung des Schildes des Achilles); die darf mithin die Schönheit, welche sich im Bildwerke unmittelbar darstellt, nicht beschreiben, sondern muß ihre Wirkungen vorführen, d. h. den Reiz, welcher Schönheit in Bewegung ist. Sie kann bis zu einem gewissen Grade das Häßliche in den Kreis ihrer Darstellung ziehen; der bildenden Kunst ist dies jedoch nicht erlaubt, weil sie durch die Dauer, welche sie dem Häßlichen verleihen müßte, dies in Widerspruch mit der Schönheit seßen würde: es hörte auf, ein Mittel zu irgend einer Wirkung zu sein.

Die Grenze der Poesie neben der Malerei ist zugleich ihre Größe: der Dichter, der nicht wie der Bildner auf einen Moment beschränkt ist, kann das ganze Reich des Schönen andeutungsweise durch Handlungen nachahmen. Um Deutlichkeit des künstlerischen Ausdrucks zu gewinnen und Wirkungen des Dargestellten anzudeuten, welche über den Moment hinausreichen, bedient sich die Malerei als Nothbehelf des Symbols; dieses kann der Dichter vollständig entbehren, weil er handeln lassen muß.

Aus diesen Aufstellungen ergaben sich zwei sehr wichtige Folgerungen für die Poesie: 1) der Dichter darf nie die Methode der bildenden Kunst übertragen, nie beschreiben wollen; 2) der Dichter bedarf der Allegorie nicht. Damit waren zwei beliebte Gattungen

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