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Der erste Begründer der Chronik, welcher fie bis zum Jare 1372 fortgefürt hat, früher ein armer Pfaffe, war feit 1350 (nach der vile Städte Europas verherenden Pest) Schreiber am Schöppenstule zu Magdeburg, oder wie der lateinische Ausdruck lautet, Notarius, und hat wie auch feine Fortfetzer das Werk im Auftrage feiner Vorgesetzten, der Magdeburger Schöppen, entworfen. „Der Verlauf der Erzälung, fagt Hr. Dr. Janicke über ihn, und der ganze Charakter, den fein Werk trägt, fetzen es außer allen Zweifel, dass der neugewälte Schöppenschreiber fich fer bald mit dem geltenden Rechte bekannt gemacht hat, und feine Tüchtigkeit und Einficht, von der uns fein hinterlassenes Werk den besten Beweis gibt, müssen ihm in kurzer Zeit auch das Vertrauen nicht nur der Schöppen, fondern auch das der gefamten Bürgerschaft erworben haben; denn fonst würde man ihn nicht als Mitglid einer wichtigen Deputation der Stadt Magdeburg an Kaifer Karl IV. geschickt haben." (Das Nähere über dife Deputation lefe man in der Schrift felbst.)

„Wir fehen, fährt Herr Dr. Janicke fort, dass wir es mit keinem schwankenden und weichen Charakter zu tun haben. Es ist eine zähe niderdeutsche Natur, die festhält an dem einmal für Recht Erkannten, die es wagt, die Interessen der Gemeinde mit Mut, Umficht und Würde vor dem mächtigen Kaifer zu vertreten. Die Zeit, in welche feine Sendung fällt, war die Blütezeit der deutschen Städte, und in feiner Erzälung spiegelt fich auch der felbstbewusste, oft an Trotz streifende Freiheitsfinn des damaligen Bürgertums."

Über die Fortsetzer der Chronik, auch meist Schreiber im Dienste der Schöppen oder der Stadt, verspricht der Herausgeber in dem größeren Werke nähere Nachweisungen zu geben.

Referent muss es fich verfagen, auf die Entwicklung der städtischen Verfassungsverhältnisse, namentlich auf die Kämpfe um die Machtbefugnisse zwischen Schöppen und Rat, welche die Chronik lebendig schildert, hier einzugehen. Doch mögen hier noch die Schlussworte der Mitteilungen angefürt werden, mit denen Hr. Dr. Janicke den Geist des Ganzen refumirt.

„Es ist, fagt er, ein wichtiger, bedeutfamer Abschnitt in der Geschichte Magdeburgs, den wir durchlaufen haben: von

der Entstehung des Rats bis zur Teilname der Innungen am Stadtregimente, und widerum von der neuen Aristokratie aus Patriciern und Innungsmeistern bestehend bis zur ausschließlichen Herschaft der Handwerkergilden; und wie heftig auch die politischen Parteiungen die Bürgerschaft zerklüfteten, überall im Vordergrunde das Streben frei zu werden von der bischöflichen Abhängigkeit. -Schon in difer Zeit genießt Magdeburg einen Ruf, wie nur wenige Städte in Deutschland ihn erreicht haben. Hart an der slavischen Grenze gelegen, konnte es dem Scharfblicke des großen Otto nicht entgehen, Magdeburg zum Standort der slavischen Heidenbekerungen zu machen, und die geistige Abhängigkeit, in welche der slavische Osten von dem gebildeteren deutschen Nachbarlande kam, dauerte auch in den letzten beiden Jarhunderten des Mittelalters fort. Städte mit deutschem Rechte erhoben fich auf ehemals und teils noch slavischem Grund und Boden, aber jede neugegründete Stadt und jedes neue Stadtrecht schnitt tief in den Weiterbestand der feindfeligen slavischen Völkerschaften ein, und Magdeburg gebürt kein geringer Teil an dem Rume, deutschem Wefen, deutscher Kraft und deutschem Geiste die Wege zur Oder und zur Weichsel und weit über fie hinaus geebnet zu haben. Sein Schöppenstul hat mächtig dazu beigetragen deutschem Rechte Eingang zu verschaffen, an ihn als den Oberhof wandten fich die Bürger jener Länder, deren Bewoner jetzt die treusten und ergebensten Untertanen des Fürstengeschlechtes find, dem es von Gott beschiden, Wächter und Hüter deutscher Zucht und deutscher Ehre zu fein. Und eben difer bedeutenden Stellung wegen, die Magdeburg in der Geschichte des inhaltreichen Lebens der deutschen Nation einnimmt, mag auch difer kleine Beitrag zur Geschichte der Vaterstadt mit eben der Liebe von den teuren Landsleuten entgegengenommen werden, als der Verfasser ihn darbietet."

Referent kann in difen Wunsch nur mit vollem Herzen einstimmen.

Um den Lefern eine Probe der Übersetzung und der Sprache des Originals zu geben, lasse ich hier eine Stelle der Chronik folgen, und zwar wäle ich der Vergleichung wegen eine der Stellen, welche schon Riedel in Hagens Germania IV. 121 125

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nach der Berliner Handschrift mitgeteilt hat, welche fich auf den Magdeburger Dichter, den Constabel Brun von Sconenbeke, um 1281 bezieht (Riedel gibt die Jareszal 1266, in der Überschrift 1226, wie es scheint, nicht richtig an).

Das waren

,,In difen Zeiten waren hier noch Konstabel. der reichsten Bürger Kinder. Die pflegten dem Spil zur Pfingstzeit vorzustehen, wie dem Roland, dem Schildbaum, der Tafelrunde und anderen Spilen, dem jetzt die Ratmänner vorstehen. An dem eben erzälten Streite nam auch ein Konstabel Teil, der hieß Brun von Schönebeck. Das war ein gelerter Mann. Den baten feine Genossen, die Konstabel, dass er inen ein lustiges Spil erfinne und ausrichte. In Folge dessen nachte er einen Gral und dichtete höfische Briefe. Die fandte er nach Goslar, Hildesheim, Braunschweig, Quedlinburg, Halberstadt und nach anderen Städten; und fie luden zu fich alle Kaufleute, die da Ritterschaft ausüben wollten, dass fie zu inen nach Magdeburg kommen follten: fie hätten eine schöne Frau, die hieße Frau Sophie; die follte dem zu Teil werden, der fie durch feines Benemen und Tapferkeit erwerben könnte. Davon wurden alle Jünglinge freudig erregt. Die von Goslar kamen mit verdeckten Rossen, die von Braunschweig kamen alle Ross und Mann in Grün, und andere Städte hatten auch ire befonderen Wappen und Farben.

Als fie bei der Stadt angekommen waren, wollten sie nicht hineinreiten, man empfinge fie denn mit ritterlichem Kampfe. Das geschah. Zwei Konstabel zogen aus, bestanden fie und empfingen fie mit den Speren. Inzwischen war der Gral auf dem Marsche in Stand gesetzt, und vile Zelte und Pavillons aufgeschlagen. Ebendafelbst war auch ein Baum aufgerichtet, daran hängten die Konstabel, die in dem Grale waren, ire Schilde. Am anderen Tage, als die Gäste die Messe gehört und gegessen hatten, zogen fie vor den Gral und fahen den an. Da ward inen erlaubt, dass jeder einen Schild berüren könnte: welchem Jünglinge difer Schild gehörte, der follte hervorkommen und den bestehen, der ihn angerürt. Das geschah mit inen allen. Zuletzt erwarb Frau Sophien ein alter Kaufinann aus Goslar. Der nam fie mit fich und verheiratete fie darauf und gab ir fo vil mit, dass fie ferner von irem wilden Leben

abließ. Hiervon ist ein ganzes deutsches Buch gemacht. Difer felbe Brun Schönebeck hat auch später vile deutsche Bücher gemacht, als Cantica Canticorum, das Ave Maria und vile andere gute Gedichte."

Cod. Berol. Bl. 66 d.

Cod. Magd. Bl. 162 a.

In dussen tyden weren hyr noch kunstabelen. Dat weren der rykesten borger kinder. De plegen dat spel vor to stande in den pingsten, als den Roland, den schildekenbom, tabelrunde und ander spel, dat nu de ratmannen sulven vorstan. In dem vor geschreven stryde was ein kunstabel, de heit Brun von Sconenbeke. Dat was ein gelart man. Den beden syne gesellen, de kunstabelen, dat he on dichte und bedechte ein vroeydich spel. Des makede he einen gral und dichte hovesche breve, de sande he to Gosler, to Hildesheim und to Brunswyk, Quedelingeborch, Halberstad und to anderen steden; und ladeden to sik alle koplude, de dar ridderschop wolden oven, dat se to on quemen to Magdeborch: se hedden eine schone vruwen, de heit vrou Feie; de scholde men geven den, de se vorwerven konde mit tuchten und manheit. Dar van worden bewegen alle jungelinge in den steden. De van Goslere kemen mit vordeckeden rossen, de van Brunswyk kemen alle mit gronem vordecket und gecleidet, und ander stede hadden ok or sunderlike wapene und varwe.

Do se vor disse stad quemen, se wolden nicht in ryden, men entfeng se mit suste und dustiren. Dat geschach. Twe kunstabele togen ut und bestunden de und entfengen se mit den speren. De wyle was de grale bereit up dem Mersche, und vele telt und pawelune up geslagen. Und dar was ein bom gesat up der Mersche; dar hangeden der kunstabelen schilde an, de in dem grale weren. Des anderen dages do de gesten missen hadden gehort und gegessen, se togen vor den gral und beschauweden den. Dar wart on vororlovet, dat malk*) rorde einen schilt; welkes jungelinges de schilt were, de queme her

Zufammengezogen aus mallik d. i manlik =mhd. mannelich, männiglich, Jedermann (Brem.-Niderf. W.-B. III, 119 f.).

vor und bestunde den rorer. Dat geschach on allen. To lesten vordeinde vrowen Feien ein olt kopman van Goslere. De vorde se mit sik und gaf se to der e und gaf or so vele mede, dat se ores wilden levendes nicht mer ovede. Hyr van is ein ganz dudesch bok gemaket. De sulve Brun Sconenbeke makede seder vele dudescher boke, als Cantica Canticorum, dat Ave Maria und vele gudes gedichtes.

Es

Über die Grundfätze, nach denen bei der Behandlung des Textes der Chronik zu verfaren ist, wird der Herr Herausgeber fich in dem größeren Werke jedenfalls ausfürlich aussprechen. Er bemerkt darüber in der Vorrede, dass er im wefentlichen den Grundfätzen folgen werde, nach denen die Nürnberger Chroniken unter der Leitung Hegels publicirt find. kommt hier aber noch befonders auf die Principien an, nach denen die Rechtschreibung des Mittelniderdeutschen zu regeln ist, da natürlich die Handschriften in difer Beziehung nicht genau übereinstimmen und keine derfelben confequent verfärt. Es hat mir dis den Anlass gegeben, über die dabei zu befolgenden Grundfätze in einem befondern Auffatze einige Bemerkungen zufammenzustellen, auf die ich hier vorläufig verweise.

Gewiss wird ein jeder mit Freude dem Erscheinen des uns verheißenen größeren Werkes entgegensehen, welches eine lange gefülte Lücke in unferer Literatur ausfüllen wird.

Berlin, Oct. 1865.

G. Michaelis.

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