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Wissenschaften ist Wahrheit. Wahrheit ist der Seele nothwendig; und es wird Tyrannei, ihr in Befriedigung dieses wesentlichen Bedürfnisses den geringsten Zwang anzuthun. Der Endzweck der Künste hingegen ist Vergnügen, und das Vergnügen ist entbehrlich. Also darf es allerdings von dem Gesezgeber abhängen, welche Art von Vergnügen, und in welchem Maaße er jede Art desselben verstatten will.

Die bildenden Künste insbesondere, außer dem unfehlbaren Einfluffe, den sie auf den Charakter der Nation haben, sind einer Wirkung fähig, welche die nähere Aufsicht des Gesetzes heischt. Erzeugten schöne Menschen schöne Bildsäulen, so wirkten diese hinwiederum auf jene zurück, und der Staat hatte schönen Bildsäulen schöne Menschen mit zu verdanken. Bei uns scheint sich die zarte Einbildungskraft der Mütter nur in Ungeheuern zu äußern.

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Aus diesem Gesichtspunkte glaube ich in gewissen alten Erzählungen, die man geradezu als Lügen verwirft, etwas wahres zu er: blicken. Den Müttern des Aristomenes, des Aristodamas, Aleranders des Großen, des Scipio, des Augustus, des Galerius, träumte in ihrer Schwangerschaft allen, als ob sie mit einer Schlange zu thun hätten. Die Schlange war ein Zeichen der Gottheit; 1 und die schönen Bildsäulen und Gemälde eines Bacchus, eines Apollo, eines Merfurius, eines Herkules, waren selten ohne eine Schlange. Die ehrlichen Weiber hatten des Tages ihre Augen an dem Gotte geweidet, und der verwirrende Traum erweckte das Bild des Thieres. So rette ich den Traum und gebe die Auslegung Preis, welche der Stolz ihrer Söhne und die Unverschämtheit des Schmeichlers davon machten. Denn eine Ursache mußte es wohl haben, warum die ehebrecherische Phantasie nur immer eine Schlange war.

Doch ich gerathe aus meinem Wege. Ich wollte bloß festseßen,

1 Man irrt sich, wenn man die Schlange nur für das Kennzeichen einer medicinischeu Gottheit hält. Justinus Martyr (Apolog. II. pag. 55. Edit. Sylburg.) sagt ausdrücklich: παρα παντι των νομιζομενων παρ' ύμιν θεων, όφις συμβολον μεγα και μυςήριον ἀναγραφεται; und es wäre leicht eine Weibe von Monumenten angufibren, wo die Schlange Gottheiten begleitet, welche nicht die geringste Beziehung auf die Gejundheit haben.

daß bei den Alten die Schönheit das höchste Gesez der bildenden Künste gewesen sey.

Und dieses festgesezt, folgt nothwendig, daß alles andere, worauf sich die bildenden Künste zugleich mit erstrecken können, wenn es sich mit der Schönheit nicht verträgt, ihr gänzlich weichen, und wenn es sich mit ihr verträgt, ihr wenigstens untergeordnet seyn müssen.

Ich will bei dem Ausdrucke stehen bleiben. Es giebt Leidenschaften und Grade von Leidenschaften, die sich in dem Gesichte durch die häßlichsten Verzerrungen äußern, und den ganzen Körper in so gewaltsame Stellungen seßen, daß alle die schönen Linien, die ihn in einem ruhigern Stande umschreiben, verloren gehen. Dieser enthielten. sich also die alten Künstler entweder ganz und gar, oder seßten sie auf geringere Grade herunter, in welchen sie eines Maaßes von Schönheit fähig sind.

Wuth und Verzweiflung schändete keines von ihren Werken. Jch darf behaupten, daß sie nie eine Furie gebildet haben.

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Man gehe alle die Kunstwerke durch, deren Plinius und Pausanias und andere gedenken, man übersehe die noch jezt vorhandenen alten Statuen, Basreliefs, Gemälde, und man wird nirgends eine Furie finden. Ich nehme diejenigen Figuren aus, die mehr zur Bildersprache als zur Kunst gehören, dergleichen die auf den Münzen vornehmlich find. Indeß hätte Spence, da er Furien haben mußte, sie doch lieber von den Münzen erborgen sollen (Seguini Numis. pag. 178. Spanhem. de Præst. Numism. Dissert. XIII. p. 639. Les Césars de Julien, par Spanheim p. 48), als daß er sie durch einen wikigen Einfall in ein Werk bringen will, in welchem sie ganz gewiß nicht sind. Er sagt in seinem Polymetis (Dial. XVI. p. 272.): „Obschon die Furien in den Werken „der alten Künstler etwas sehr seltenes sind, so findet sich doch eine Geschichte, in der fie „durchgängig von ihnen angebracht werden. Ich meine den Tod des Meleager, als in dessen Vorstellung auf Basreliefs fie öfters die Althäa aufmuntern und antreiben, den „unglücklichen Brand, von welchem das Leben ihres einzigen Sohnes abhing, dem Feuer „zu übergeben. Denn auch ein Weib würde in ihrer Rache so weit nicht gegangen seyn, „hätte der Teufel nicht ein wenig zugeschürt. In einem von diesen Basreliefs, bei dem „Bellori (in den Admirandis) sieht man zwei Weiber, die mit der Althäa am Altare „stehen, und allem Ansehen nach Furien seyn sollen. Denn wer sonst, als Furien, hätte „einer solchen Handlung beiwohnen wollen? Daß fie für diesen Charakter nicht schrecklich „genug sind, liegt ohne Zweifel an der Abzeichnung. Das Merkwürdigste aber auf diesem „Werke ist die runde Scheibe, unten gegen die Mitte, auf welcher sich offenbar der Kopf einer Furie zeigt. Vielleicht war es die Furie, an die Althäa, so oft ste eine üble That „vornahm, ihr Gebet richtete, und vornehmlich jetzt zu richten alle Ursache hatte 2c." Durch folche Wendungen kann man aus allem alles machen. Wer sonst, fragt Spence, als Furien, hätte einer solchen Handlung beiwohnen wollen? Ich antworte: die Mägde der Althäa, welche das Feuer anzünden und unterhalten mußten. Ovid sagt: (Metamorph. VIII. v. 460. 461.)

Zorn setten sie auf Ernst herab. Bei dem Dichter war es der zornige Jupiter, welcher den Bliß schleuderte; bei dem Künstler nur der ernste.

Jammer ward in Betrübniß gemildert. Und wo diese Milderung nicht Statt finden konnte, wo der Jammer eben so verkleinernd als entstellend gewesen wäre, was that da Timanthes? Sein Gemälde von der Opferung der Iphigenia, in welchem er allen Umstehenden den ihnen eigenthümlich zukommenden Grad der Traurigkeit ertheilte, das Gesicht des Vaters aber, welches den allerhöchsten hätte zeigen sollen, verhüllte, ist bekannt, und es sind viele artige Dinge darüber gesagt worden. Er hatte sich, sagt dieser, in den traurigen Physiog= nomien so erschöpft, daß er dem Vater eine noch traurigere geben zu können verzweifelte. Er bekannte dadurch, sagt jener,' daß der Schmerz eines Vaters bei dergleichen Vorfällen über allen Ausdruck

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Protulit hunc (stipitem) genitrix, tædasque in fragmina poni
Imperat, et positis inimicos admovet ignes.

Dergleichen tædas, lange Stücke von Kien, welche die Alten zu Fackeln brauchten, haben auch wirklich beide Personen in den Händen, und die eine hat eben ein solches Stück zerbrochen, wie ihre Stellung anzeigt. Auf der Scheibe, gegen die Mitte des Werks, erkenne ich die Furie eben so wenig. Es ist ein Geficht, welches einen heftigen Schmerz ausdrückt. Ohne Zweifel soll es der Kopf des Meleagers' selbst seyn (Metamorph. 1. c. ▼. 515.).

Inscius atque absens flamma Meleagros in illa
Uritur et cæcis torreri viscera sentit

Ignibus et magnos superat virtute dolores.

Der Künstler brauchte ihn gleichsam zum Uebergange in den folgenden Zeitpunkt der nämlichen Geschichte, welcher den sterbenden Meleager gleich darneben zeigt. Was Spence zu Furien macht, hält Montfaucon für Parzen (Antiqu. expl. T. I. p. 162), den Kopf auf der Scheibe ausgenommen, den er gleichfalls für eine Furie ausgiebt. Bellori selbst (Admirand. Tab. 77.) läßt es unentschieden, ob es Parzen oder Furien find. Ein Oder, welches genugsam zeigt, daß sie weder das eine noch das andere find. Auch Montfaucons übrige Auslegung sollte genauer seyn. Die Weibsperson, welche neben dem Bette sich auf den Ellenbogen stüßt, hätte er Caffandra und nicht Atalanta nennen sollen. Atalanta ist die, welche mit dem Rücken gegen das Bette gekehrt, in einer traurigen Stellung sikt. Der Künstler hat sie mit vielem Verstande von der Familie abgewendet, weil sie nur die Geliebte, nicht die Gemahlin des Meleagers war, und ihre Betrübniß über ein Unglück das sie selbst unschuldiger Weise veranlaßt hatte, die Anverwandten erbittern mußte.

1 Plinius lib. XXXV. sect. 35. Cum moestos pinxisset omnes, præcipue patruum, et tristitiæ omnem imaginem consumpsisset, patris ipsius vultum velavit, quem digne non poterat ostendere.

* Summi moeroris acerbitatem arte exprimi non posse confessus est. Valerius Maximus lib. VIII. cap. 11.

sey. Ich für mein Theil sehe hier weder die Unvermögenheit des Künstlers, noch die Unvermögenheit der Kunst. Mit dem Grade des Affects verstärken sich auch die ihm entsprechenden Züge des Gesichts; der höchste Grad hat die allerentschiedensten Züge, und nichts ist der Kunst leichter, als diese auszudrücken. Aber Timanthes kannte die Gränzen, welche die Grazien seiner Kunst sezen. Er wußte, daß sich der Jammer, welcher dem Agamemnon als Vater zukam, durch Verzerrungen äußert, die allezeit häßlich sind. So weit sich Schönheit und Würde mit dem Ausdrucke verbinden ließ, so weit trieb er ihn. Das Häßliche wäre er gern übergangen, hätte er gern gelindert; aber da ihm seine Composition beides nicht erlaubte, was blieb ihm anders übrig, als es zu verhüllen? Was er nicht malen durfte, ließ er errathen. Kurz, diese Verhüllung ist ein Opfer, das der Künstler der Schönheit brachte. Sie ist ein Beispiel, nicht wie man den Ausdruck über die Schranken der Kunst treiben, sondern wie man ihn dem ersten Geseze der Kunst, dem Geseße der Schönheit, unterwerfen soll.

dem

Und dieses nun auf den Laokoon angewendet, so ist die Ursache klar, die ich suche. Der Meister arbeitete auf die höchste Schönheit, unter den angenommenen Umständen des körperlichen Schmerzes. Dieser, in aller seiner entstellenden Heftigkeit, war mit jener nicht zu verbinden. Er mußte ihn also herabsehen; er mußte Schreien in Seufzen mildern: nicht weil das Schreien eine unedle Seele verräth, sondern weil es das Gesicht auf eine eckelhafte Weise verstellt. Denn man reiße de Laokoon in Gedanken_nur den Mund auf, und urtheile. Man lasse ihn schreien, und sehe. Es war eine Bildung, die Mitleid einflößte, weil sie Schönheit und Schmerz zugleich zeigte; nun ist es eine häßliche, eine abscheuliche Bildung geworden, von der man gern sein Gesicht verwendet, weil der Anblick des Schmerzes Unlust erregt, ohne daß die Schönheit des leidenden Gegenstandes diese Unlust in das süße Gefühl des Mitleids verwandeln kann.

Die bloße weite Oeffnung des Mundes, bei Seite gesezt, wie gewaltsam und eckel auch die übrigen Theile des Gesichts dadurch verzerrt und verschoben werden, ist in der Malerei ein Fleck und in der Bildhauerei eine Vertiefung, welche die

widrigste

Wirkung von

der Welt thut. Montfaucon bewies wenig Geschmack, als er einen alten bärtigen Kopf, mit aufgerissenem Munde, für einen Orakel ertheilenden Jupiter ausgab. Muß ein Gott schreien, wenn er die Zukunft eröffnet? Würde ein gefälliger Umriß des Mundes seine Rede verdächtig machen? Auch glaube ich es dem Valerius nicht, daß Ajar in dem nur gedachten Gemälde des Timanthes sollte geschrieen haben.* Weit schlechtere Meister aus den Zeiten der schon verfallenen Kunst lassen auch nicht einmal die wildesten Barbaren, wenn sie unter dem Schwerte des Siegers Schrecken und Todesangst ergreift, den Mund bis zum Schreien öffnen. 3

Es ist gewiß, daß diese Herabseßung des äußersten körperlichen Schmerzes auf einen niedrigern Grad von Gefühl an mehrern alten Kunstwerken sichtbar gewesen. Der leidende Herkules in dem vergifteten Gewande von der Hand eines alten unbekannten Meisters war nicht der Sophokleische, der so gräßlich schrie, daß die Lokrischen Felsen, und die Euböischen Vorgebirge davon ertönten. Er war mehr finster, als wild. Der Philoktet des Pythagoras Leontinus schien dem Betrachter seinen Schmerz mitzutheilen, welche Wirkung der ge= ringste gräßliche Zug verhindert hätte. Man dürfte fragen, woher ich wisse, daß dieser Meister eine Bildsäule des Philoktet gemacht habe? Aus einer Stelle des Plinius, die meine Verbesserung nicht erwartet haben sollte, so offenbar verfälscht oder verstümmelt ist sie. "

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1 Antiquit. expl. T. I. p. 50.

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• Er giebt nämlich die von dem Timanthes wirklich ausgedrückten Grade der Traurig= feit so an: Calchantem tristem, moestum Ulyssem, clamantem Ajacem, lamentantem Menelaum. Der Schreier Ajax müßte eine häßliche Figur gewesen seyn, und da weder Cicero noch Quintilian in ihren Beschreibungen dieses Gemäldes seiner gedenken, so werde ich ihn um so viel eher für einen Zusah halten dürfen, mit dem es Valerius aus seinem Kopfe bereichern wollen.

8 Bellorii Admiranda. Tab. 11. 12.

4 Plinius libr. XXXIV. sect. 19.

• Eundem, nämlich den Myro, liest man bei dem Plinius (libr. XXXIV. sect. 19.) vicit et Pythagoras Leontinus, qui fecit stadiodromon Astylon, qui Olympia ostenditur : et Libyn puerum tenentem tabulam, eodem loco, et mala ferentem nudum. Syracusis autem claudicantem: cujus hulceris dolorem sentire etiam spectantes videntur. Man erwäge die leßten Worte etwas genauer. Wird nicht darin offenbar von einer Person gesprochen, die wegen eines schmerzhaften Geschwürs überall bekannt ist? Cujus hulceris u. s. w. Und dieses cujus sollte auf das bloße claudicantem und das claudicantem vielleicht auf das noch entferntere puerum gehen? Nie

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