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Nun will ich die Voraussetzung umkehren: der Dichter soll den Künstlern nachgeahmt haben. Es giebt Gelehrte, die diese Vorausjezung als eine Wahrheit behaupten. Daß sie historische Gründe dazu haben könnten, wüßte ich nicht. Aber, da sie das Kunstwerk so überschwenglich schön fanden, so konnten sie sich nicht bereden, daß es aus so später Zeit seyn sollte. Es mußte aus der Zeit seyn, da die Kunst in ihrer vollkommensten Blüthe war, weil es daraus zu seyn verdiente.

Es hat sich gezeigt, daß, so vortrefflich das Gemälde des Virgils ist, die Künstler dennoch verschiedene Züge desselben nicht brauchen können. Der Sat leidet also seine Einschränkung, daß eine gute poetische Schilderung auch ein gutes wirkliches Gemälde geben müsse, und daß der Dichter nur in so weit gut geschildert habe, als ihm der Artist in allen Zügen folgen könne. Man ist geneigt diese Einfchränkung zu vermuthen, noch ehe man sie durch Beispiele erhärtet sieht; bloß aus Erwägung der weitern Sphäre der Poesie, aus dem unendlichen Felde unserer Einbildungskraft, aus der Geistigkeit ihrer Bilder, die in größter Menge und Mannigfaltigkeit neben einander stehen können, ohne daß eines das andere deckt oder schändet, wie es wohl die Dinge selbst, oder die natürlichen Zeichen derselben in den engen Schränken des Raumes oder der Zeit thun würden.

Wenn aber das Kleinere das Größere nicht fassen kann, so kann das Kleinere in dem Größeren enthalten seyn. Ich will sagen: wenn nicht jeder Zug, den der malende Dichter braucht, eben die gute Wirkung auf der Fläche oder in dem Marmer haben kann: so möchte vielleicht jeder Zug, dessen sich der Artist bedient, in dem Werke des Dichters von eben so guter Wirkung seyn können? Unstreitig; denn was wir in einem Kunstwerke schön finden, das findet nicht unser Auge, sondern unsere Einbildungskraft durch das Auge, schön. Das nämliche Bild mag also in unserer Einbildungskraft durch willkürliche

1 Maffei, Richardson, und noch neuerlich der Herr von Hagedorn. (Betrachtungen. über die Malerei S. 37. Richardson, Traité de la Peinture. Tome III. p. 513.) De Fontaines verdient es wohl nicht, daß ich ihn diesen Männern beifüge. Er hält zwar, in den Anmerkungen zu seiner Uebersehung des Virgils, gleichfalls dafür, daß der Dichter die Gruppe in Augen gehabt habe; er ist aber so unwissend, daß er sie für ein Werk des Phidias ausgiebt.

oder natürliche Zeichen wieder erregt werden, so muß auch jederzeit das nämliche Wohlgefallen, obschon nicht in dem nämlichen Grade, wieder entstehen.

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Dieses aber eingestanden, muß ich bekennen, daß mir die Voraussehung, Virgil habe die Künstler nachgeahmt, weit unbegreiflicher wird, als mir das Widerspiel derselben geworden ist. Wenn die Künstler dem Dichter gefolgt sind, so kann ich mir von allen ihren Abweichungen Rede und Antwort geben. Sie mußten abweichen, weil die nämlichen Züge des Dichters in ihrem Werke Unbequemlichkeiten verursacht haben würden, die sich bei ihm nicht äußern. Aber warum mußte der Dichter abweichen? Wenn er der Gruppe in allen und jeden Stücken treulich nachgegangen wäre, würde er uns nicht immer noch ein vortreffliches Gemälde geliefert haben? 1

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Ich kann mich deßfalls auf nichts entscheidenderes berufen, als auf das Gedicht des Sadolet. Es ist eines alten Dichters würdig, und da es sehr wohl die Stelle eines Kupfers vertreten kann, so glaube ich es hier ganz einrücken zu dürfen.

DE LAOCOONTIS STATUA

IACOBI SADOLETI CARMEN.

Ecce alto terra e cumulo, ingentisque ruinæ
Visceribus, iterum reducem longinqua reduxit
Laocoonta dies; aulis regalibus olim

Qui stetit, atque tuos ornabat, Tite, penates.
Divinæ simulacrum artis, nec docta vetustas
Nobilius spectabat opus, nunc celsa revisit
Exemptum tenebris redivivæ monia Romæ.
Quid primum summumve loquar? miserumne parentem
Et prolem geminam? an sinuatos flexibus angues
Terribili aspectu? caudasque irasque draconum
Vulneraque et veros, saxo moriente, dolores ?
Horret ad hæc animus, mutaque ab imagine pulsat
Pectora, non parvo pietas commixta tremori.
Prolixum bini spiris glomerantur in orbem
Ardentes colubri, et sinuosis orbibus errant,
Ternaque multiplici constringunt corpora nexu.
Vix oculi sufferre valent, crudele tuendo
Exitium, casusque feros: micat alter, et ipsum
Laocoonta petit, totumque infraque supraque
Implicat et rabido tandem ferit ilia morsu.
Connexum refugit corpus, torquentia sese
Membra, latusque retro sinuatum a vulnere cernas.
Ille dolore acri, et laniatu impulsus acerbo,
Dat gemitum ingentem, crudosque evellere dentes

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Ich begreife wohl, wie seine für sich selbst arbeitende Phantasie ihn auf diesen und jenen Zug bringen können; aber die Ursachen, warum seine Beurtheilungskraft schöne Züge, die er vor Augen gehabt, in diese andere Züge verwandeln zu müssen glaubte, diese wollen mir nirgends einleuchten.

Mich dünkt sogar, wenn Virgil die Gruppe zu seinem Vorbilde gehabt hätte, daß er sich schwerlich würde haben mäßigen können, die

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Connixus, lævam impatiens ad terga Chelydri
Objicit: intendunt nervi, collectaque ab omni
Corpore vis frustra summis conatibus instat.
Ferre nequit rabiem, et de vulnere murmur anhelum est.
At serpens lapsu crebro redeunte subintrat
Lubricus, intortoque ligat genua infima nodo.
Absistunt suræ, spirisque prementibus arctum
Crus tumet, obsepto turgent vitalia pulsu,
Liventesque atro distendunt sanguine venas.
Nec minus in natos eadem vis effera sævit
Implexuque angit rapido, miserandaque membra
Dilacerat jamque alterius depasta cruentum
Pectus, suprema genitorem voce cientis,
Circumjectu orbis, validoque volumine fulcit.
Alter adhuc nullo violatus corpora morsu,
Dum parat adducta caudam divellere planta,
Horret ad adspectum miseri patris, hæret in illo,

Et jam jam ingentes fletus, lachrymasque cadentes
Anceps in dubio retinet timor. Ergo perenni

Qui tantum statuistis opus jam laude nitentes,
Artifices magni (quanquam et melioribus actis
Quæritur æternum nomen, multoque licebat
Clarius ingenium venturæ tradere famæ)
Attamen ad laudem quæcunque oblata facultas
Egregium hanc rapere, et summa ad fastigia niti.
Vos rigidum lapidem vivis animare figuris
Eximii, et vivos spiranti in marmore sensus
Inserere, aspicimus motumque iramque doloremque,
Et pene audimus gemitus: vos extulit olim
Clara Rhodos, vestræ jacuerunt artis honores
Tempore ab immenso, quos rursum in luce secunda
Roma videt, celebratque frequens: operisque vetusti
Gratia parta recens. Quanto præstantius ergo est
Ingenio, aut quovis extendere fata labore,

Quam fastus et opes et inanem extendere luxum.

(v. Leodegarii a Quercu Farrago Poematum T. II. p. 63.) Auch Gruter hat dieses Gedicht, nebst andern des Sadolets, seiner bekannten Sammlung (Delic. poet. Italorum Parte alt. p. 582.) mit einverleibt; allein sehr fehlerhaft. Für bini (v. 14.) liest er vivi; für errant (v. 15.) oram, u. s. iv.

Verstrickung aller drei Körper in einen Knoten gleichsam nur errathen Knoten gleichsam 'nur zu lassen., Sie würde sein Auge zu lebhaft gerührt haben, er würde eine zu von ihr empfunden haben, als daß sie nicht treffliche m auch in seiner Beschreibung mehr vorstechen sollte. Ich habe gesagt: es war jezt die Zeit nicht, diese Verstrickung auszumalen. Nein; aber ein einziges Wort mehr würde ihr in dent Schatten worin sie der Dichter lassen mußte, einen sehr entscheidenden Druck vielleicht gegeben haben. Was der Artist ohne dieses Wort entdecken konnte, würde der Dichter, wenn er es bei dem Artisten gesehen hätte; nicht ohne dasselbe gelassen haben.

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Der Artist hatte die dringendsten Ursachen, das Leiden des Laokoon nicht in Geschrei ausbrechen zu lassen. Wenn aber 1. aber der Dichter die so rührende Verbindung von Schmerz und Schönheit in dem Kunstwerke vor sich gehabt hätte, was hätte ihn eben so unvermeidlich nöthigen können, die Idee von männlichem Anstände und großmüthiger Geduld, welche aus dieser Verbindung des Schmerzes und der Schönheit entspringt, so völlig unangedeutet zu lassen und uns auf einmal mit dem gräßlichen Geschrei seines. Laokoons zu schrecken? Richardson sagt: Virgils Laokoon muß schreien, weil der Dichter nicht sowohl Mitleid für ihn, als Schrecken und Entsetzen bei den Trojanern, erregen will. Ich will es zugeben, obgleich Richardson nicht erwogen zu haben scheint, daß der Dichter die Beschreibung nicht in seiner eigenen Person macht, sondern sie den Aeneas machen läßt, und gegen die Dido machen läßt, deren Mitleid Aeneas nicht genug bestürmen konnte. Allein mich befremdet nicht das Geschrei, sondern der Mangel aller Gradation bis zu diesem Geschrei, auf welche das Kunstwerk den Dichter natürlicher Weise hätte bringen müssen, wenn er es, wie wir voraussehen, zu seinem Vorbilde gehabt hätte. Richardson fügt hinzu: die Geschichte des Laokoon solle bloß zu der pathetischen Beschreibung der endlichen Zerstörung leiten; der Dichter habe sie also

1 De la Peinture, Tome III. p. 516. C'est l'horreur que les Troïens ont conçue contre Laocoon, qui était nécessaire à Virgile pour la conduite de son Poëme; et cela le mène à cette Description pathétique de la destruction de la patrie de son Héros. Aussi Virgile n'avait garde de diviser l'attention sur la dernière nuit, pour une grande ville entière, par la peinture d'un petit malheur d'un Particulier.

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s the nicht interessanter machen dürfen, um unsere Aufmerksamkeit, welche diese lebte schreckliche Nacht ganz fordere, durch das Unglück eines einzelnen Bürgers nicht zu zerstreuen. Allein das heißt die Sache aus einem malerischen Augenpuncte betrachten wollen, aus welchem sie gar nicht betrachtet werden kann. Das Unglück des Laokoon und die ZerStörung sind bei dem Dichter keine Gemälde neben einander; sie machen beide kein Ganzes aus, das unser Auge auf einmal übersehen könnte oder sollte; und nur in diesem Falle wäre es zu besorgen, daß unsere Blicke mehr auf den Laokoon als auf die brennende Stadt fallen dürften. Beider Beschreibungen folgen auf einander und ich sehen nicht, welchen Nachtheil es der folgenden bringen lönnte, wenn uns die porhergehende auch noch so sehr gerührt hätte. Es sey denn, daß die folgende an sich selbst nicht rührend genug wäre. the wärend the lind 2 nomi Noch weniger Ursache würde der Dichter gehabt haben, die Windungen der Schlangen zu verändern, Sie beschäftigen in dem Kunstwerke die Hände und verstricken, die Füße. So sehr dem Auge diese Bertheilung gefällt, so lebhaft ist, das Bild, welches in den Einbildung davon zurückbleibt. Es ist so deutlich und rein, daß es sich burch Worte nicht viel schwächer darstellen läßt, als durch natürliche Zeichen. P med god odmotu!! oddrbror mod en ongelim todo predné#micat alter, et ipsum ded moflouted Bull,mil odj Laocconta petit, totumque infraque, supraquenduro moda sjar Implicat et rabido tandem ferit; ilia morsumitions2 adlibuim mom4a serie-lus perbittiva tebiltjn binismog comt ommisj 9 At serpens lapsu crebro redeunte subintrat puuminhole othe bro Lubricus, intortoque ligat genua infima nodoals volimit 197 Das sind Zeilen des Sadolet, die von dem Virgil ohne Zweifel noch malerischer gekommen wären, wenn ein sichtbares Vorbild seine Phan taste befeuert hatte, und die alsdann gewiß besser gewesen wären, als was er uns jett jest dafür giebt and tuna, Dnia minash5 sid da pr 95 dipedium collo squar Bis medium amplexi, bis

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Terga dati, superant capite et

squamea circum

gibi and rant capite et cervicibus altis. dod ola int med off adbloat,meginoloid dur pruulo Diese Züge füllen unsere Einbildungskraft allerdings; aber sie muß nicht dabei verweilen, sie muß sie nicht aufs reine zu bringen suchen,

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