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Schreien ist der natürliche Ausdruck des körperlichen Schmerzes. Homers verwundete Krieger fallen nicht selten mit Geschrei zu Boden. Die geritte Venus schreit laut; nicht um sie durch dieses Geschrei als die weichliche Göttin der Wollust zu schildern, vielmehr um der leidenden Natur ihr Recht zu geben. Denn selbst der eherne Mars, als er die Lanze des Diomedes fühlt, schreit so gräßlich, als schrieen zehntausend wüthende Krieger zugleich, daß beide Heere sich entseßen. "

So weit auch Homer sonst seine Helden über die menschliche Natur erhebt, so treu bleiben sie ihr doch stets, wenn es auf das Gefühl der Schmerzen und Beleidigungen, Beleidigungen, wenn es auf die Aeußerung dieses Gefühls durch Schreien, oder durch Thränen, oder durch Scheltworte ankommt. Nach ihren Thaten sind es Geschöpfe höherer Art; nach ihren Empfindungen wahre Menschen.

Ich weiß es, wir feinern Europäer einer klügern Nachwelt wissen über unsern Mund und über unsere Augen besser zu herrschen. Höflichkeit und Anstand verbieten Geschrei und Thränen. Die thätige Tapferkeit des ersten rauhen Weltalters hat sich bei uns in eine leidende verwandelt. Doch selbst unsere Urältern waren in dieser größer, als in jener. Aber unsere Urältern waren Barbaren. Alle Schmerzen verbeißen, dem Streiche des Todes mit unverwandtém Auge entgegen sehen, unter den Bissen der Nattern lachend sterben, weder seine Sünde noch den Verlust seines liebsten Freundes beweinen, sind Züge des alten nordischen Heldenmuths. Palnatoko gab seinen Jomsburgern das Gesez, nichts zu fürchten, und das Wort Furcht auch nicht einmal zu nennen.

Nicht so der Grieche! Er fühlte und fürchtete sich; er äußerte seine Schmerzen und seinen Kummer; er schämte sich keiner der menschlichen Schwachheiten; keine mußte ihn aber auf dem Wege nach Ehre, und von Erfüllung seiner Pflicht zurückhalten. Was bei dem Barbaren aus Wildheit und Verhärtung entsprang, das wirkten bei ihm Grundfäße. Bei ihm war der Heroismus wie die verborgenen Junken im

1 Iliad. Ε. ν. 343. Η δε μεγα ἰαχουσα

cap. I.

Iliad. E. v. 859.

Th. Bartholinus de causis contemptæ a Danis adhuc gentilibus mortis,

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Kiesel, die ruhig schlafen, so lange keine äußere Gewalt sie weckt, und dem Steine weder seine Klarheit noch seine Kälte nehmen. Bei dem Barbaren war der Heroismus eine helle freffende Flamme, die immer tofte und jede andere gute Eigenschaft in ihm berzehrte, wenigstens Gigenschaft schwärzte. -Wenn Homer die Trojaner mit wildem Geschrei, die riechen hingegen in entschloffener Stille zur Schlacht führt, so merken die Ausleger sehr wohl daß der Dichter hierdurch jene als Barmonk an baren, diese als gesittete Völker schildern wollen. Mich wundert, daß sie an einer andern Stelle eine ähnliche charakteristische Entgegen= sezung nicht bemerkt haben. Die feindlichen Heere haben einen Waffenstillstand getroffen; sie sind mit Verbrennung ihrer Todten be= schäftigt, welches auf beiden Theilen nicht ohne heiße Thränen abgeht; δακρυα θερμα χεοντες. 2lber βriamus verbietet feinen Trojanern au meinen; οὐδ' εἰα κλαιειν Πριαμος μέγας. Er verbietet ihnen zu weinen, sagt die Dacier, weil er besorgt, sie möchten sich zu sehr erweichen, und morgen mit weniger Muth an den Streit gehen. Wohl; doch frage ich: warum muß nur Priamus dieses besorgen? Warum ertheilt nicht auch Agamemnon seinen Griechen das nämliche Verbot? Der Sinn des Dichters geht tiefer. Er will suns lehren, daß nur der gesittete Grieche zugleich weinen und tapfer seyn könne,

perber eruidem miffe. Νεμεσσομαι γε μεν οὐδεν κλαίειν, labt et läßt er an einem andern Ort den verständigen Sohn des weisen Nestors fagen.

• Der ungesittete Trojaner, um es zu seyn, alle Menschlichkeit

Es ist merkwürdig, daß unter den wenigen Trauerspielen, die aus dem Alterthume auf uns gekommen sind, sich zwei Stücke finden, in welchen der körperliche Schmerz nicht der kleinste Theil des Unglücks ist, das den leidenden Helden trifft. Außer dem Philoktet, der sterbende Herkules. Und auch diesen läßt Sophokles klagen, winseln, weinen und schreien. Dank sey unsern artigen Nachbarn, diesen Meistern des Anständigen, daß nunmehr ein winselnder Philoktet, ein schreiender Herkules, die lächerlichsten unerträglichsten Personen

1 Iliad. H. v. 421.

Odyss. 4. 195.

ihnen

auf der Bühne seyn würden. Zwar hat sich einer ihrer neuesten Dichter1 an den Philoktet gewagt. Aber durfte er es wagen, den wahren Philoftet zu zeigen?

Selbst ein Laokoon findet sich unter den verlorenen Stücken des Sophokles. Wenn uns das Schicksal doch auch diesen Laokoon ge= gönnt hätte! Aus den leichten Erwähnungen, die seiner einige alte Grammatiker thun, läßt sich nicht schließen, wie der Dichter diesen Stoff behandelt habe. So viel bin ich versichert, daß er den Laokoon nicht stoischer als den Philoktet und Herkules wird geschildert haben. Alles Stoische ist untheatralisch; und unser Mitleiden ist, allezeit dem Leiden gleichmäßig, welches der interessirende Gegenstand äußert. Sieht man ihn sein Elend mit großer Seele ertragen, so wird diese große Seele zwar unsere Bewunderung erwecken, aber die Bewunderung ist ein kalter Affekt, dessen unthätiges Staunen jede andere wärmere Leidenschaft, sowie jede andere deutliche Vorstellung ausschließt.

Und nunmehr komme ich zu meiner Folgerung. Wenn es wahr ist, daß das Schreien bei Empfindung körperlichen Schmerzes, be sonders nach der alten griechischen Denkungsart, gar wohl mit einer großen Seele bestehen t kann: so kann der Ausdruck einer solchen Seele die Ursache nicht seyn, warum dem ungeachtet der Künstler in seinem Marmor dieses Schreien nicht nachahmen wollen, sondern es muß einen andern Grund haben, warum er hier von seinem ebenbuhler, dem Dichter, abgeht, der dieses Geschrei mit bestem Vorsaße ausdrückt.

II.

Es sey Fabel oder Geschichte, daß die Liebe den ersten Versuch in den bildenden Künsten gemacht habe: so viel ist gewiß, daß sie den großen alten Meistern die Hand zu führen nicht müde geworden. Denn wird jezt die Malerei überhaupt als die Kunst, welche Körper auf Flächen nachahmt, in ihrem ganzen Umfange betrieben: so hatte der weise Grieche ihr weit engere Gränzen gesezt und sie bloß auf die Nachahmung schöner Körper eingeschränkt. Sein Künstler schilderte

• Chataubrun.

nichts als das Schöne; selbst das gemeine Schöne, das Schöne niederer Gattungen, war nur sein zufälliger Vorwurf, seine Uebung, seine Erholung. Die Vollkommenheit des Gegenstandes selbst mußte in seinem Werke entzücken; er war zu groß, von seinen Betrachtern zu verlangen, daß sie sich mit dem bloßen kalten Vergnügen, welches aus der getroffenen Aehnlichkeit, aus der Erwägung seiner Geschicklichkeit entspringt, begnügen sollten; an seiner Kunst war ihm nichts lieber, dünkte ihm nichts edler, als der Endzweck der Kunst.

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,,Wer wird dich malen wollen, da dich niemand sehen will," sagt ein alter Epigrammatist über einen höchst ungestalteten Menschen. Mancher neuere Künstler würde sagen: Sey so ungestalten wie mög„lich; ich will dich doch malen. Mag dich schon niemand gern sehen, „so soll man doch mein Gemälde gern sehen; nicht in so fern es dich „vorstellt, sondern in so fern es ein Beweis meiner Kunst ist, die ein „solches Scheusal so ähnlich nachzubilden weiß.“

Freilich ist der Hang zu dieser üppigen Prahlerei mit leidigen Geschicklichkeiten, die durch den Werth ihrer Gegenstände nicht geadelt werden, zu natürlich, als daß nicht auch die Griechen ihren Pauson, ihren Pyreicus sollten gehabt haben. Sie hatten sie; aber sie ließen ihnen strenge Gerechtigkeit widerfahren. Pauson, der sich noch unter dem Schönen der gemeinen Natur hielt, dessen niedriger Geschmack das Fehlerhafte und Häßliche an der menschlichen Bildung am liebsten ausdrückte, '

1 Antiochus. (Antholog. libr. II. cap. 4.) Harduin über den Plinius (lib. 35. sect. 36. p. m. 698.) legt dieses Epigramm einem Piso bei. Es findet sich aber unter allen griechischen Epigrammatisten keiner dieses Namens.

Jungen Leuten, befiehlt daher Aristoteles, muß man seine Gemälde nicht zeigen, um ihre Einbildungskraft, so viel wie möglich, von allen Bildern des Häßlichen rein zu halten. (Polit. libr. VIII. cap. 5. p. 526. Edit. Conring.) Herr Boden will zwar in dieser Stelle anstatt Pauson, Pausanias gelesen wissen, weil von diesem bekannt sey, daß er unzüchtige Figuren gemalt habe (de Umbra poetica comment. I. p. XIII.). Als ob man es erst von einem philosophischen Gesetzgeber lernen müßte, die Jugend von dergleichen Reizungen der Wollust zu entfernen! Er hätte die bekannte Stelle in der Dichtfunst (cap. II.) nur in Vergleichung ziehen dürfen, um seine Vermuthung zurück zu behalten. Es giebt Ausleger, z. E. Kühn über den Aelian (Var. Hist. lib. IV, cap. 3.), welche den Unterschied, den Aristoteles daselbst zwischen dem Polygnotus, Dionyfius und Pauson angiebt, darin seßen, daß Polygnotus Götter und Helden, Dionyfius Menschen und Pauson Thiere gemalt habe. Sie malten allesammt menschliche Figuren, und daß Pauson einmal ein Pferd malte, beweist noch nicht, daß er ein Thiermaler gewesen, wofür ihn Hr. Boden hält. Ihren Rang bestimmten die Grade des Schönen, die ste ihren

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lebte in der verächtlichsten Armuth. Und Pyreicus, der Barbierstuben, schmußige Werkstätte, Esel und Küchenkräuter, mit allem dem Fleiße eines niederländischen Künstlers malte, als ob dergleichen Dinge in der Natur so viel Reiz hätten und so selten zu erblicken wären, bekam den Zunamen des Rhyparographen, des Kothmalers, obgleich der wollüstige Reiche seine Werke mit Gold aufwog, um ihrer Nichtigkeit auch durch diesen eingebildeten Werth zu Hülfe zu kommen.autores:

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Die Obrigkeit selbst hielt es ihrer Aufmerksamkeit nicht für unwürdig, den Künstler mit Gewalt in seiner wahren Sphäre zu erhalten. Das Gesez der Thebaner, welches ihm die Nachahmung ins Schönere befahl und die Nachahmung ins Häßlichere bei Strafe verbot, ist bekannt. Es war kein Gesez wider den Stümper, wofür es gemeiniglich, und selbst vom Junius, gehalten wird. Es verdammte die griechischen Ghezzi; den unwürdigen Kunstgriff, die Aehnlichkeit durch Uebertreibung der häßlichern Theile des Urbildes zu erreichen; mit einem Worte, die Carricatur.

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Aus eben dem Geiste des Schönen war auch das Geseß der Hellanodiken geflossen. Jeder Olympische Sieger erhielt eine Statue; aber nur dem dreimaligen Sieger ward eine Jkonische gesezt. Der mittelmäßigen Portraits sollten unter den Kunstwerken nicht zu viel werden. Denn obschon auch das Portrait ein Ideal zuläßt, so muß doch die Aehnlichkeit darüber herrschen; es ist das Ideal eines gewissen Menschen, nicht das Ideal eines Menschen überhaupt.

Wir lachen, wenn wir hören, daß bei den Alten auch die Künste bürgerlichen Gesezen unterworfen gewesen. Aber wir haben nicht immer Recht, wenn wir lachen. Unstreitig müssen sich die Geseze über die Wissenschaften keine Gewalt anmaßen, denn der Endzweck der

menschlichen Figuren gaben, und Dionysius konnte nur deßwegen nichts als Menschen malen, und hieß nur darum vor allen andern der Anthropograph, weil er der Natur zu sklavisch folgte, und sich nicht bis zum Ideal erheben konnte, unter welchem Götter und Helden zu malen ein Religionsverbrechen gewesen wäre

1 Aristophanes Plut. v. 602. et Acharnens. v. 854.

2 Plinius lib. XXX. sect. 37. Edit. Hard.

De Pictura vet. lib. II. cap. IV. §. 1.

Plinius lib. XXXIV. sect. 9.

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