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dem Homer zu malen, bloss weil sie eine reiche Composition, vorzügliche Contraste, künstliche Beleuchtungen darbieten, schien der alten Artisten ihr Geschmack nicht zu sein; und konnte es nicht sein, so lange sich noch die Kunst in den 5 engern Grenzen ihrer höchsten Bestimmung hielt. Sie nährten sich dafür mit dem Geiste des Dichters; sie füllten ihre Einbildungskraft mit seinen erhabensten Zügen; das Feuer seines Enthusiasmus entflammte den ihrigen; sie sahen und empfanden wie er und so wurden ihre Werke 10 Abdrücke der Homerischen, nicht in dem Verhältnisse eines Portraits zu seinem Originale, sondern in dem Verhältnisse eines Sohnes zu seinem Vater; ähnlich, aber verschieden. Die Aehnlichkeit liegt öfters nur in einem einzigen Zuge; die Virgil, or Apelles, or Homer, as hunting with her Nymphs; but as employed with them in that sort of dances, which of old were regarded as very solemn acts of devotion.' In einer Anmerkung fügt er hinzu: 'The expression of raise, used by Homer on this occasion, is scarce proper for hunting; as that of 'Choros exercere,' in Virgil, should be understood of the religious dances of old, because dancing, in the old Roman idea of it, was indecent even for men, in public; unless it were the sort of dances used in Honour of Mars, or Bacchus, or some other of their gods.' Spence will nämlich jene feierlichen Tänze verstanden wissen, welche bei den Alten mit unter die gottesdienstlichen Handlungen gerechnet wurden. Und daher, meinet er, brauche denn auch Plinius das Wort 'sacrificare:' 'It is in consequence of this that Pliny, in speaking of Diana's Nymphs on this very occasion, uses the word "sacrificare" of them; which quite determines these dances of theirs to have been of the religious kind.' Er vergisst, dass bei dem Virgil die Diana selbst mit tanzet: 'exercet Diana choros.' Sollte nun dieser Tanz ein gottesdienstlicher Tanz sein: zu wessen Verehrung tanzte ihn die Diana? Zu ihrer eignen? Oder zur Verehrung einer andern Gottheit? Beides ist widersinnig. Und wenn die alten Römer das Tanzen überhaupt einer ernsthaften Person nicht für sehr anständig hielten, mussten darum ihre Dichter die Gravität ihres Volkes auch in die Sitten der Götter übertragen, die von den ältern griechischen Dichtern ganz anders festgesetzet waren? Wenn Horaz von der Venus sagt (Od. iv. lib. i. ver. 5 sqq.:

'Jam Cytherea choros ducit Venus, imminente luna:
Junctaeque Nymphis Gratiae decentes

Alterno teriam quatiunt pede. . . .

waren dieses auch heilige gottesdienstliche Tänze? Ich verliere zu viele Worte über eine solche Grille.

übrigen alle haben unter sich nichts gleiches, als dass sie mit dem ähnlichen Zuge in dem einen sowohl als in dem andern harmoniren.

Da übrigens die Homerischen Meisterstücke der Poesie älter waren, als irgend ein Meisterstück der Kunst; da Homer 5 die Natur eher mit einem malerischen Auge betrachtet hatte, als ein Phidias und Apelles: so ist es nicht zu verwundern, dass die Artisten verschiedene, ihnen besonders nützliche Bemerkungen, ehe sie Zeit hatten, sie in der Natur selbst zu machen, schon bei dem Homer gemacht 10 fanden, wo sie dieselben begierig ergriffen, um durch den Homer die Natur nachzuahmen. Phidias bekannte, dass die Zeilen 1:

15

Η, καὶ κυανέησιν ἐπ ̓ ὄφρυσι νεῦσε Κρονίων· ̓Αμβρόσιαι δ' ἄρα χαῖται ἐπερρώσαντο ἄνακτος, Κρατὸς ἀπ ̓ ἀθανάτοιο μέγαν δ ̓ ἐλέλιξεν Ολυμπον ihm bei seinem olympischen Jupiter zum Vorbilde gedienet, und dass ihm nur durch ihre Hülfe ein göttliches Antlitz, 'propemodum ex ipso coelo petitum,' gelungen sei. Wem dieses nichts mehr gesagt heisst, als dass die Phantasie des Künst- 20 lers durch das erhabene Bild des Dichters befeuert, und eben so erhabener Vorstellungen fähig gemacht worden, der, dünkt mich, übersieht das Wesentlichste, und begnügt sich mit etwas ganz allgemeinem, wo sich, zu einer weit gründlichern Befriedigung, etwas sehr specielles angeben lässt. 25 So viel ich urtheile, bekannte Phidias zugleich, dass er in dieser Stelle zuerst bemerkt habe, wie viel Ausdruck in den Augenbraunen liege, 'quanta pars animi 2' sich in ihnen zeige. Vielleicht, dass sie ihn auch auf das Haar mehr Fleiss zu

1 Iliad, A. 528. Valerius Maximus, lib. iii. cap. 7. ext. 4.

2 Plinius, lib. x. sect. 51. p. 616. Edit. Hard. [Lessing bezieht sich hier auf Plin. xi. 51. 138: ' in adsensu eius supercilia homini et pariter et alterna mobilia, et in iis pars animi.]

to a celacher wenden bewegte, um das einigermassen auszudrücken, was Homer ambrosisches Haar nennt. Denn es ist gewiss, dass die alten Künstler vor dem Phidias das Sprechende und Bedeutende der Mienen wenig verstanden, und besonders das 5 Haar sehr vernachlässiget hatten. Noch Myron war in beiden Stücken tadelhaft, wie Plinius anmerkt1, und nach ebendemselben war Pythagoras Leontinus der erste, der sich durch ein zierliches Haar hervorthat Was Phidias aus dem Homer lernte, lernten die andern Künstler aus den Werken 10 des Phidias.

Ich will noch ein Beispiel dieser Art anführen, welches mich allezeit sehr vergnügt hat. Man erinnere sich, was Hogarth über den Apollo zu Belvedere anmerkt. 'Dieser Apollo,' sagt er, 'und der Antinous sind beide in eben dem15 selben Palaste zu Rom zu sehen. Wenn aber Antinous den Zuschauer mit Verwunderung erfüllet, so setzet ihn der Apollo in Erstaunen, und zwar, wie sich die Reisenden ausdrücken, durch einen Anblick, welcher etwas mehr als menschliches zeiget, welches sie gemeiniglich gar nicht zu 20 beschreiben im Stande sind. Und diese Wirkung ist, sagen sie, um desto bewundernswürdiger, da, wenn man es untersucht, das Unproportionirliche daran auch einem gemeinen Auge klar ist. Einer der besten Bildhauer, welche wir in England haben, der neulich dahin reisete, diese Bildsäule zu 25 sehen, bekräftigte mir das, was jetzt gesagt worden, besonders dass die Füsse und Schenkel, in Ansehung der obern Theile, zu lang und zu breit sind. Und Andreas Sacchi, einer der grössten italienischen Maler, scheinet eben dieser Meinung

1 Plinius, lib. xxxiv. sect. 19. § 58. p. 651: 'Ipse tamen corporum tenus curiosus, animi sensus non expressisse videtur, capillum quoque et pubem non emendatius fecisse, quam rudis antiquitas instituisset.'

2 Ibid. § 59: Hic primus nervos et venas expressit, capillumque diligentius.'

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Zergliederung der Schönheit, s. 47. Berl. Ausg.

gewesen zu sein, sonst würde er schwerlich (in einem be-
rühmten Gemälde, welches jetzt in England ist) seinem
Apollo wie er den Tonkünster Pasquilini krönt, das völlige
Verhältniss des Antinous gegeben haben, da er übrigens
wirklich eine Copie von dem Apollo zu sein scheinet. Ob wir 5
gleich an sehr grossen Werken oft sehen, dass ein geringerer
Theil aus der Acht gelassen worden, so kann dieses doch hier
der Fall nicht sein, denn an einer schönen Bildsäule ist ein
richtiges Verhältniss eine von ihren wesentlichen Schönheiten.
Daher ist zu schliessen, dass diese Glieder mit Fleiss müssen 10
sein verlängert worden, sonst würde es leicht haben können
vermieden werden. Wenn wir also die Schönheiten dieser
Figur durch und durch untersuchen, so werden wir mit
Grunde urtheilen, dass das, was man bisher für unbeschreib-
lich vortrefflich an ihrem allgemeinen Anblicke gehalten, von 15
dem hergerühret hat, was ein Fehler in einem Theile derselben
zu sein geschienen.'-Alles dieses ist sehr einleuchtend; und
schon Homer, füge ich hinzu, hat es empfunden und ange-
deutet, dass es ein erhabenes Ansehen giebt, welches bloss aus
diesem Zusatze von Grösse in den Abmessungen der Füsse 20
und Schenkel entspringt. Denn wenn Antenor die Gestalt
des Ulysses mit der Gestalt des Menelaus vergleichen will, so
lässt er ihn sagen 1:

Στάντων μὲν, Μενέλαος ὑπείρεχεν εὐρέας ὤμους,
*Αμφω δ ̓ ἑζομένω, γεραρώτερος ἦεν Οδυσσεύς.

25

'Wann beide standen, so ragte Menelaus mit den beiden Schultern hoch hervor; wann aber beide sassen, war Ulysses der ansehnlichere.' Da Ulysses also das Ansehen im Sitzen gewann, welches Menelaus im Sitzen verlor, so ist das Verhältniss leicht zu bestimmen, welches beider Oberleib zu den 30 Füssen und Schenkeln gehabt. Ulysses hatte einen Zusatz

Iliad, г. 210, 211.

von Grösse in den Proportionen des erstern, Menelaus in den Proportionen der letztern.

XXIII.

ARGUMENT.

We saw that a successive enumeration of the various elements of a beautiful object destroys the effect which beauty produces in nature. The same holds true in regard to the description of ugliness. As we hear only part of it described at a time, and as, when arrived at the end of the description, we are unable to place vividly before us the entire picture in terrible reality, the effect of ugliness is necessarily weakened. But it is this very circumstance which-contrary to the rule we laid down in regard to the description of the beautiful-justifies the poet in making use of ugliness as an element in his work. The poet will make use of it in order to produce certain mixed sensations, above all the ridiculous and the horrible. The ridiculous is produced by drawing a contrast between imaginary perfections and real imperfections. Thersites is ugly and at the same time conceited, therefore ridiculous. But unless harmlessness or impotence to work evil be found as an element in this contrast, the ridiculous is changed into the terrible. Ugliness when harmless, as in the case of Thersites, may be ridiculous, but it becomes horrible when it is hurtful, as in the case of Richard III.

EIN einziger unschicklicher Theil kann die übereinstimmende Wirkung vieler zur Schönheit stören. Doch wird 5 der Gegenstand darum noch nicht hässlich. Auch die Hässlichkeit erfordert mehrere unschickliche Theile, die wir ebenfalls auf einmal müssen übersehen können, wenn wir dabei das Gegentheil von dem empfinden sollen, was uns die Schönheit empfinden lässt.

ΙΟ Sonach würde auch die Hässlichkeit, ihrem Wesen nach, kein Vorwurf der Poesie sein können; und dennoch hat Homer die äusserste Hässlichkeit in dem Thersites geschildert, und sie nach ihren Theilen neben einander geschildert. Warum war ihm bei der Hässlichkeit vergönnet, was er bei

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