Abbildungen der Seite
PDF
EPUB
[ocr errors]

2. Der Geschmack löset auf und scheidet; eine schnelle oder behutfamere Analyse ist sein erstes Geschäft, ohne welches er nicht statt findet. Das Gefühl nimmt ganz auf, oder giebt dem Gegenstande sich ganz hin; der Eindruck, den es empfindet, ist stark, aber ungegliedert. So empfinden rohe Menschen; bei überraschend großen Gegenständen empfinden wir alle also. Menschen dagegen von ruhig - zarten, nicht schlaffen Sinnen, die bei dem Erfassen des Ganzen leicht in die Theile übergehen, und sich eben so leicht aus diesen das Ganze bilden, sie sind vorzüglich zum feinen, richtigen Geschmack geeignet. Andre, in denen Eine Empfindung alle überwiegt, bleiben nicht nur vielen Gegenständen unempfindlich, sondern hangen auch in ihrer Welt der Gefühle vom Stoß und Triebe des

Moments so gewaltig ab, daß ihnen Zeis und Fähigkeit zur Analyse mangelt. Los grandes bocades fon para grandes paladares, fagt das Spanische Sprüchwort, *) und Graziano bestimmt damit segar eis ne eigene Gattung des hohen Geschmacks (gufto relevante). Die mittlere Region zwischen dem zu Vesten und zu Zarten ist unstreitig die Temperatur der feinen, doch nicht überfeinen Analyse. Daher heißt Fosten (yevεoday) eigentlich prüfen.

3. Da diese Analyse indeß nur zur Aneignung des Gegenstandes geschieht, ohne welche alles Analysiren lästig und vergeblich wird, so ist, was alle gebildes tete Nationen durchs Wort Geschmack ei

*) Für einen großen Mund gehören große Bissen. Orac, manuel de Lor. Graziano. Afor. 65.

gentlich bezeichnen wollten, der leßte, höchste, feinzusammenfassende Punkt des Reizes einer Sache, von dem sich weiter keine Gründe angeben lassen, der aber als ein „Ich weiß nicht Was" des Wohlgefallens oder Mißfallens innig vergnügt, mächtig wirket. So sprachen Montesquieu, Voltais re, Mengs, Cooper, Gerard, u. a. über den Geschmack als über die feins fte und lehte Politur des Urtheils in einer zusammenfassen. den Empfindung des Ganzen; und unterschieden ihn sowohl vom Genie als von dem Empfindungslosen Urtheil des kalten Verstandes. Genie bringet hervor; glücklich, wenn es mit Geschmack hervorbringt, d. 1. mit Zusammenfassung des Vielen zu einer harmonisch - ergóßen. den Einheit. Eben diese Einheit mache

dem Genius die Hervorbringung, andern die Anschauung feines Werks leicht und anmuthig; die Mühe der Politur selbst wird ihm angenehm, indem das Ziel ihm beständig vorsteht, die leicht zu fass sende, in allen Theilen übereinstim mende, anmuthige Einheit. Ge schmack kann die Stelle des Genies nie er sehen, oder er erkünstelt schwächliche Ar beit, der bei allem Glatten und Einneh, menden das Wesentliche, Geist und Leben, fehlet; wohl aber wåre es nur ein rohes Genie, das ohn' allen Geschmack arbeitet.

Der Geschmacksurtheiler nennt sich gewöhnlich Kenner; warum ist der stolJe Name zum Schimpf worden? Eben weil er meistens aus dem Bezirk des Geschmacks hinausschreitet und nach den beis ben Eigenthümlichkeiten des Geschmacksurs

theile, die die „Kritik" feierlich feststellt, '„seinen Gegenstand in Ansehung des Wohlges fallens als Schönheit) mit einem Ans spruch auf Sedermanns Beistims mung ohne Bewelsgründe bestimmt, mithin unaufhörlich postalwet." Diesem Kennerstolz, dem das Kunsturtheil in einem vornehm- entscheidenden Kitel auf der Zunge wohnet, ist die Kunst sowohl als der gesunde Verstand feind; sein Spiel ist ihnen lächerlich, sein Gebot verächtlich. Das echte Geschmacksurtheil ist für andre Aussage, Zeugniß, kein Richterspruch; je feiner es den feinsten Punkt des Wohlgefälligen trifft, desto mehr be scheidet es sich, daß es nicht für die Menge kostet. Dieser behagt die Ananas oft weniger als die Distel.

2. Ver

« ZurückWeiter »