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Fesseln angelegt werden konnten. Jeder Sinn, jede Leidenschaft, jedwedes Alter, jeder Stand, jede Gesellschaft haben ihre Sprache; angemessene Eigenthüm lichkeit der Worte und Wortfügungen ist allenthalben ihre schönste Zier, ih re bequemste Kampfrüstung. Hätte Jeder, der spricht und schreibt, diese Kunst inne; wie manche falsche Wortkünfte (Aoyodaidanioμov) würden wir entbehren!

Doch wir vergessen die Kritik. „Für fich würde ein verlassener Mensch auf einer wu sten. Insel weder seine Hütte, noch sich selbst auspußen, oder Blumen aufsuchen, noch weniger sie pflanzen, um sich damit auszus schmücken; sondern nur in Gesellschaft

tommt es ihm ein, nicht blos Mensch, sondern nach seiner Art ein feiner Mensch zu seyn (der Anfang der Civilisirung): denn als einen felchen beurtheilt man dens jenigen, 'der seine Luft andern mitzuthei Ten geneigt und geschickt ist, und den ein Obs jekt nicht befriedigt, wenn er das Wohlgefallen an demselben nicht in Gemeinschaft mit andern fühlen kann. Auch erwartet und fordert ein jeder die Rücksicht auf allgemeine Mittheilung von jedermann, gleichs sam aus einem ursprünglichen Vertrages der durch die Menschheit selbst d ́iktirt ist, und so werden freilich anfangs nur Reize, z. B. Farben, um sich zu bemahlen, oder Blumen, Muschelschaalen, schönfarbige Vogelfedern, mit der Zeit aber auch schöne Fors men, als an Canots, Kleidern u. s. w., die gar kein Vergnügen, d. i. Wohlgefallen des Genusses bei sich führen, in der Gesell;

schaft wichtig und mit großem Interesse verz bunden, bis endlich die auf den höchsten Punkt gekommene Civilifirung daraus beinahe das Hauptwerk der verfeinerten Neigung macht und Empfindungen nur so viel werth ges halten werden, als - fie fich allgemein mittheilen lassen, wo denn, wenn gleich die Lust, die jeder an einem solchen Gegenstans. de hat, nur unbeträchtlich und für sich ohne merkliches Interesse ist, doch die Idee von ihrer allgemeinen Mittheilbarkeit ihren Werth beinah unendlich vergrößert.“ *) Ist dies die reine Geschichte der Menschheit in Betracht ihres Wohlgefallens am Schönen? Ein auf einer wüsten Insel Verlaffener ist so wenig ein reines Erem plar des ursprünglichen Naturmenschen, als wenig das Auspußen des Mannes

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würdige Beschäftigung ist. War der Verlassene in der Gesellschaft (denn in dieser ist er gebohren) zur Reinheit gewöhnt; so wird er auch in der Einsamkeit feine Hütte rein halten. Liebte und kannte er die Blumen, so wird er sie auch jezt aufsuchen, pflanzen, anwenden, wie er gutfindet. War er menschlich zu leben gewohnt; so wird er auch hier nach seiner Art als ein feiner Mensch leben, wenn er gleich, unglücklicher Weise, seine Lust andern nicht mittheilen könnte. Nun aber (Dank der Natur!) sind wir auf keine wüste Insel hingeworfene, sondern der Gesellschaft gehörige Geschöpfe; sie ist uns, wir sind ihr angeerbet. Gegenseitige Mittheilung fodern und genießen wir nicht „aus einem ursprünglichen Vertrage, der durch die Menschheit selbst diktirt ist;" (fremde Wortspiele!) sondern weil ein gemein

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schaftliches Bedürfniß uns bindet, weil wir zu gegenseitiger Mittheilung die drin. gendsten, Neigungen und Triebe in uns fühlen. Farben, Muscheln und Vogelfe dern sind keine ursprünglich diktirten „Reize" der Menschheit, denen mit der Zeit nur die Formen nachgekommen was ren; und eine wohlgefällige Zier in Klei dung hat sie nicht auch einen „Genuß“ bet sich? Wäre aber die auf den „höchsten Grad gekommene Civilifirung“ so weit gekommen, daß sie aus Canots und Vogelfedern das Hauptwerk der verfeinerten Neis gung machte, so zeigte sie eben damit, daß sie nichts weniger als die höchste Civis lisirung sey; so wie „Empfindungen nur sö weit werth zu halten, als sie sich allgemein mittheilen lassen," Mangel an aller Empfindung zeiget. Wenn die dem Lüstenden selbst unbeträchtliche Luft an einem

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