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seinen Angaben, die ich nach dem eigenen Augenscheine ertheilt zu seyn glauben durfte, so forglos gefolgt bin.

Nein, der Borghesische Fechter scheint sich nicht mit dem Schilde vor etwas zu verwahren, was von oben herkömmt; schlechterdings nicht. Denn wenn er dieses scheinen sollte, müßte nicht nothwendig der Schild auf dem Arme fast horizontal liegen, und die Knöchelseite der Hand nach oben gekehrt seyn? Aber das ist sie nicht; die Knöchel sind auswärts, und das Schild hat fast perpendikular an dem Arme gehangen, welches auch aus dem Polster des obern Schildriemen abzunehmen. Der Kopf und die Augen sind auch nicht höher gerichtet, als nöthig ist, hinter und über dem Schilde weg zu sehen, und aus der gestreckten niedrigen Lage dem Feinde ins Auge blicken zu können. In den meisten Kupfern geht der linke Arm viel zu hoch in die Luft; die Zeichner haben ihn aus einem viel tiefern Gesichtspunkte genommen, als den übrigen Körper. Die eingreifende Hand sollte mit der Stirne faft in gerader Linie liegen, dessen mich nicht nur verschiedene Abgüsse überzeugen, sondern auch Herr Anton Tischbein versichert, welcher in Rom diese Statue studirt, und sie mehr als zehnmal aus mehr als zehn verschiedenen Gesichtspunkten gezeichnet hat. Ich habe mir unter seinen Zeichnungen diejenige, die ich zu meiner Absicht hier für die bequemste halte, aussuchen dürfen, und lege sie Ihnen bei. In der Sammlung des Maffei ist es schon aus der Vergleichung beider Tafeln, die sich daselbst von dem Fechter befinden, augenscheinlich, wie falsch und um wie vieles zu hoch der linke Arm in der einen derselben gezeichnet ist.

Ich habe es Winkelmannen zwar nachgeschrieben, daß sich der Fechter mit dem Schilde vor etwas zu verwahren scheine, was von oben her kömmt. Aber ich habe bei diesem von oben her weiter nichts gedacht, als in so fern es sich von jedem Hiebe sagen läßt, der von oben herein, höchstens von einem Pferde herab, geführt wird. Winkelmann aber scheint einen aus der Luft stürzenden Pfeil oder Stein dabei gedacht zu haben, welcher mit dem Schilde aufgefangen werde; denn anstatt daß er, in seiner Geschichte der Kunst, überhaupt nur in dem Fechter einen Soldaten erkennt, der sich in einem der= gleichen Stande besonders hervorgethan habe, glaubt er in seinem

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neuesten Werke 1 jogar den Vorfall bestimmen zu können, bei welchem dieses geschehen sey, nämlich bei einer Belagerung.

Wenigstens, glaube ich, würde er einen Ausfall der Belagerten haben annehmen müssen, wenn man in ihn gedrungen wäre, sich) umständlicher, auch nach der übrigen Lage der streitigen Vorstellung, zu erklären. Denn nur bei dieser kann der Belagerer mit dem Feinde zugleich aus der Ferne und in der Nähe zu streiten haben; nur bei dieser kann er genöthigt seyn, sich von oben her gegen das, was von den Mauern der belagerten Stadt auf ihn geworfen wird, zu decken," indem er zugleich handgemein geworden ist. Handgemein aber ist diese Figur, die wir den Fechter nennen; das ist offenbar. Sie ist nicht in dem bloßen unthätigen Stande der Vertheidigung; sie greift zugleich selbst an, und ist bereit, einen wohl abgepaßten Stoß aus allen Kräften zu verseßen. Sie hat eben mit dem Schilde ausgeschlagen, und wendet sich auf dem rechten Fuße, auf welchem die ganze Last des Körpers liegt, gegen die geschüßte Seite, um da dem Feinde in seine Blöße zu fallen.

Bis hieher ist also von den Einwendungen des Götting'schen Gelehrten dieses die schließendere! Der Soldat des Chabrias sollte den anprellenden Feind bloß abhalten; die Stellung des Borghesischen Fechters aber ist so, daß er nicht sowohl den Angriff aufhält, als selbst im lebhaftesten Ausfalle begriffen ist; folglich kann dieser nicht jener, jener nicht dieser seyn." Sehr richtig; hierauf ist wenig oder nichts zu antworten; ich habe mich in meinem vorigen Briefe auch schon erklärt, woher es gekommen, daß mich das Angreifende in der Figur so schwach gerührt hat: aus der Verwechslung der Füße näm lich, zu welcher mich Winkelmann wo nicht verleitet, in der er mich wenigstens bestärkt hat.

Achtunddreißigster Brief.

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Aber noch war ich in meinem Vorigen nicht, wo ich seyn wollte. Der bildende Künstler hat eben das Recht, welches der Dichter

Monumenti antichi et inediti, Tratt. prel. p. 94 et Ind. IV. Il preteso Gladiatore sembra statua eretta in memoria d'un guerriero che si era segnalato nell' assedio di qualche città.

bat; auch sein Werk soll tein bloßes Denkmal einer historischen Wahr: heit seyn; beide dürfen von dem Einzelnen, so wie es existirt hat, ab: weichen, sobald ihnen diese Abweichung eine höhere Schönheit ihrer Kunst gewährt.

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Wenn also der Agasias, dem es die Athenienser aufgaben, den Chabrias zu bilden, gefunden hätte, daß der unthätige Stand der Schußwehr, den dieser Feldherr seinen Soldaten gebot, nicht die vor theilhafteste Stellung für ein permanentes Werk der Nachahmung seyn würde: was hätte ihn abhalten können, einen spätern Augenblick zu wählen, und uns den Helden in derjenigen Lage zu zeigen, in die er nothwendig hätte gerathen müssen, wenn der Feind nicht zurück gegangen, sondern wirklich mit ihm handgemein geworden wäre? Hätte nicht sodann nothwendig Angriff und Vertheidigung verbunden seyn müssen? Und hätten sie es ungefähr nicht eben so seyn können, wie sie es in der streitigen Statue find?

Welche hartnäckige Spitfindigkeiten! werden Sie sagen. Ich denke nicht, mein Freund, daß man eine Schanze darum sogleich aufgiebt, weil man voraussieht, daß sie in die Länge doch nicht zu behaupten sey. Noch weniger muß man, wenn der tapfere Tydeus an dem einen Thore stürmt, die Stadt dem minder zu fürchtenden Parthenopaus, der vor dem andern lauert, überliefern wollen.

Beschuldigen Sie mich also nur keiner Sophisterei, daß, indem ich mein Unrecht schon erkenne, ich mich dennoch gegen schwächere Beweise verhärte. →→→

Das Wesentliche meiner Deutung beruhet auf der Trennung, welche ich in den Worten des Nepos, obnixo genu scuto, annehmen zu dürfen meinte. Wie sehr ist nicht schon über die Zweideutigkeit der lateinischen Sprache geklagt worden! Scuto kann eben sowohl zu obnixo gehören, als nicht gehören; das eine macht einen eben so guten Sinn als das andere; weder die Grammatik, noch die Sache, können für dieses oder für jenes entscheiden; alle hermeneutische Mittel, die uns die Stelle selbst anbietet, sind vergebens. Ich durfte also unter beiden Auslegungen wählen; und was Wunder, daß ich die wählte, durch welche ich zugleich eine andere Dunkelheit aufklären zu können glaubte?

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