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Ein paar Dichter, die sich während des theoretischen Streites zwischen Gottsched und Bodmer mit einer gewissen Selbstständigkeit auf Seite der Schweizer wandten, Phra und Samuel Gotthold Lange, Sohn des Joachim Lange in Halle, des Verfassers einer lange gebrauchten lateinischen Grammatik, hatten durch die von Bodmer besorgte Herausgabe ihrer freundschaftlichen Lieder eine damals wiche tige Bedeutung erlangt, die ihnen nach dem Gehalt ihrer Gedichte nicht zufam. Lange hatte nach dem frühen Tode seines Freundes Pyra die Erbschaft des Nuhmes übernommen und stiftete mit Gleim in Halberstadt, Meier in Halle und den Schweizern Sulzer und Hirzel eine Freundschaft, wie sie Gleim mit seinem Michaelis, Jacobi und Andern noch lange Jahre fortsette. Lange liebte besonders den Horaz und lieferte für Meiers Anfangsgründe der Aesthetik die deutschen Uebersezungen aus lateinischen Dichtern. Er gab auch 'Horazische Oden' heraus, denen eine wirklich horazische Ader' nachgerühmt wurde, während sie durch ihre specifisch-christliche Färbung sich wesentlich von der horazischen Art unterschieden, als cinfache Gedichte aber leidlichen Eindruck machten. In der Vorrede kündigte er eine Uebersezung des Horaz an, die 1752 mit gegenüberstehendem lateinischen Texte erschien und ausdrücklich auf treue Wiedergabe des Originals Aufpruch machte. Die Arbeit war lange mit großen Hoffnungen erwartet. Lessing verschlang sie mehr als er sie las, fühlte sich aber bald durch den platten Stil und ebenso sehr durch die groben Uebersezungsfehler, wo ducentia durch zweihundert wiedergegeben war, auf das Bitterste enttäuscht. Er drückte sein Erstaunen in einem Briefe vom 9. Juni 1752 an den Professor Sam. Nicolai aus und bemerkte zugleich, daß er eine schon fertige Beurtheilung der ganzen Arbeit drucken zu lassen große Lust habe. Nicolai, ein Freund Langes, suchte das abzuwenden und schlug Lange vor, ohne von Lessing dazu autorisiert zu sein, die Beurtheilung sich geben zu lassen, um die Fehler zu verbessern, und Lessing dafür zu honorieren. Lange, der nicht wußte, daß diefer Vorschlag lediglich von Nicolai ausgieng, lehnte denjelben ab; Nicolai aber machte Lessing bemerklich, daß es niemand zu rathen sei, Langen öffentlich anzugreifen, der noch auf eine Anstellung in Preußen rechne. Das konnte Leffing nicht abschrecken. Er ließ im zweiten Bande seiner Schriften, der im Spätjahr 1753 erschien, cinen 'Brief', den 24., erscheinen, in welchem einige der gröbften Uebersezungsfehler nachbrücklich gerügt wurden. Diesen Brief druďte

seyn sollte, ob auf Sie oder auf mich: auf Sie, daß Sie meine Er wartung so getäuscht hatten, oder auf mich, daß ich mir so viel von Ihnen versprochen hatte. Ich klagte in mehr als einem Briefe an meine Freunde darüber und zum Unglüde behielt ich von einem, den ich ausdrücklich deßwegen schrieb, die Abschrift. Diese fiel mir bei Herausgebung des zweiten Theils meiner Schriften wieder in die Hände, und nach einer kleinen Ueberlegung beschloß ich, Gebrauch davon zu machen. Noch bis jezt, dachte ich bei mir selbst, hat niemand das Publicum vor dieser Mißgeburt gewarnt; man hat sie sogar angepriesen. Wer weiß, in wie viel Händen angehender Leser des Horaz sie schon ist, wer weiß, wie viele derselben sie schon betrogen bat? Soll Herr Lange glauben, daß er eine solche Quelle des Ges schmacks mit seinem Kothe verunreinigen dürfe, ohne daß andere, welche so gut als er daraus schöpfen wollen, darüber murren? Will niemand mit der Sprache heraus? — -Und furz, mein Brief ward gedruckt. Bald darauf ward er in einem öffentlichen Blatte wieder abgedruckt, Sie bekommen ihn da zu lesen, Sie erzürnen sich, Sie wollen darauf antworten, Sie seßen sich und schreiben ein paar Bogen voll; aber ein paar Bogen, die so viel erbärmliches Zeug enthalten, daß ich mich wahrhaftig von Grund des Herzens schäme, auf einen so elenden Gegner gestoßen zu seyn.

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Daß Sie dieses sind, will ich Ihnen, mein Herr Pastor, in dem ersten Theile meines Briefes erweisen. Der zweite Theil aber soll Ihnen darthun, daß Sie noch außer Ihrer Unwissenheit eine sehr nichtswürdige Art zu denken verrathen haben, und mit einem Worte, daß Sie ein Verleumder sind. Den ersten Theil will ich wieder in zwei kleine absondern: Anfangs will ich zeigen, daß Sie die von mir getadelten Stellen nicht gerettet haben, und daß sie nicht zu retten sind; zweitens werde ich mir das Vergnügen machen, Ihnen mit einer Anzahl neuer Fehler aufzuwarten. — Verzeihen Sie mir, daß ich

in einem Briefe so ordentlich seyn muß!

Ein Glas frisches Brunnenwasser, die Wallung Ihres kochenden Geblüts ein wenig niederzuschlagen, wird Ihnen sehr dienlich seyn, ehe wir zur ersten Unterabtheilung schreiten. Noch eins, Herr Pastor! Nun lassen Sie uns anfangen.

1. B. Ode 1.

Sublimi feriam sidera vertice.

Ich habe getadelt, daß vertex hier durch Nacken ist überseßt worden. Es ist mit Fleiß geschehen, antworten Sie. So? Und also haben Sie mit Fleiß etwas abgeschmacktes gesagt? Doch lassen Sie uns Ihre Gründe betrachten. Erstlich entschuldigen Sie sich damit, Dacier habe auch gewußt, was vertex heiße, und habe es gleichwohl durch Stirne überseßt. Ist denn aber Stirn und Nacken einerlei? Dacier verschönert einigermaßen das Bild, Sie aber verhunzen es. Oder glauben Sie im Ernst, daß man mit dem Nacken in der Höhe an etwas anstoßen kann, ohne ihn vorher gebrochen zu haben? Dacier über dieses mußte Stirne seßen, und wissen Sie warum? Ja, wenn es nicht schiene, als ob Sie von dem Französischen eben so wenig verstünden, als von dem Lateinischen, so traute ich es Ihnen zu. Lernen Sie also, Herr Pastor, was Ihnen in Laublingen freilich niemand lehren kann: daß die französische Sprache kein eigenes Wort hat, der Lateiner vertex oder unser Scheitel auszudrücken. Wenn sie es ja ausdrücken will, so muß sie sagen: sommet de la tête. Wie aber würde dieses gellungen haben, wenn es Dacier in einer nachdrücklichen Uebersetzung eines Dichters hätte brauchen wollen? Daß meine Anmerkung ihren Grund habe, können Sie schon daraus sehen, weil er nicht einmal in der wörtlichen Ueberseßung, die er bei abweichenden Stellen unter den Text zu sezen gewohnt ist, das sommet de la tête hat brauchen können, sondern bloß und allein sagen muß, de ma tête glorieuse je frapperai les astres. Sind Sie nun in gleichem Falle? Ist Nacken etwa kürzer, oder nachdrücklicher, oder edler als Scheitel ? - Lassen Sie uns Ihre zweite Ursache ansehen. Ich habe, sagen Sie, mehr nach dem Verstande, als nach den Worten überseßt, (in der Vorrede sagen Sie gleich das Gegentheil) und habe meinem Horaz auf das genauste nachfolgen wollen. Sie seßen sehr wißig hinzu: ich sollte mir ihn nicht als ein Cartesianisches Teufelchen vorstellen, welches im Glase schnell aufwärts fährt, oben anstößt und die Beine gerade herunter hangen läßt. Wen machen Sie denn damit lächerlich, Herr Pastor? Mich nicht. Wenn Horaz nicht sagen will:,,Dann werde ich vor stolzer Freude auffahren, und

„mit erhabnem Scheitel an die Sterne stoßen," was sagt er denn? Wir sprechen in gemeinem Leben: vor Freuden mit dem Kopfe wider die Decke springen. Veredeln Sie diesen Ausdruck, so werden Sie den Horazischen haben. Eine proverbialische Hyperbel haben alle Ausleger darin erkannt, und Dacier selbst führt die Stelle des Theo= critus:

Ες οὐρανον ἀμμιν ἀλευμαι

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als eine ähnliche an. Hat sich dieser nun auch den Horaz als ein Glasmännchen vorgestellt? Doch Sie finden ganz etwas anderes in den streitigen Worten, und sehen hier den Dichter, wie er an dem Sternenhimmel schwebt und herab schaut, daß er doch auf Sie herab schauen und sich wegen seiner Schönheiten mit Ihnen in ein Verständniß einlassen möchte! Ich soll mir ihn nicht als ein Cartesianisches Teufelchen einbilden, und Sie, Herr Pastor, . . Sie machen ihn zu einem Diebe am Galgen, oder wenigstens zu einem armen Terminusbilde, welches mit dem Nacken ein Gebälke tragen muß. Ich sage mit Bedacht, tragen, weil ich jezt gleich auf einen Verdacht komme, der nicht unwahrscheinlich ist. Hui, daß Sie denken, feriam heiße: ich will tragen, weil Sie sich erinnern, von feram einmal ein gleiches gehört zu haben? Wenn das nicht ist, so können Sie unmöglich anders als im hißigen Fieber auf den Nacken gekommen seyn.

1. B. Ode 2.
galeaeque leves.

Sie sind ein posfirlicher Mann, mein Herr Gegner! Und also glauben Sie es noch nicht, daß levis, wenn die erste Sylbe lang ist, allezeit glatt oder blank heißt? Und also meinen Sie wirklich, daß es bloß auf meinen Befehl so heißen solle? Wahrhaftig, Sie sind listig! Die Gebote der Grammatik zu meinen Geboten zu machen, damit Sie ihnen nicht folgen dürfen! Ein Streich, den ich bewundere! Doch Scherz bei Seite; haben Sie denn niemals gehört, wie levis nach der Meinung großer Stylisten eigentlich solle geschrieben werden? Haben Sie nie gehört, daß alle Diphthonge lang sind? Ich vermuthe, daß in Laublingen ein Schulmeister seyn wird, welcher

auch ein Wort Latein zu verstehen denkt. Erkundigen Sie sich bei diesem, wenn ich Ihnen rathen darf. Sollte er aber eben so unwissend seyn als Sie, so will ich kommen und die Bauern aufheßen, daß sie ihm Knall und Fall die Schippe geben. Ich weiß auch schon, wen ich ihnen zum neuen Schulmeister vorschlagen will. Mich. Ihr Votum, Herr Pastor, habe ich schon. Nicht? Alsdann wollen wir wieder gute Freunde werden, und gemeinschaftlich Ihre Ueberseßung rechtschaffen durchackern. Vor der Hand aber können Sie auf meine Gcfahr die leichten Helme immer in blanke verwandeln; denn was Ihre Ausflucht anbelongt, von der weiß ich nicht, wie ich bitter genug darüber spotten soll. Horaz, sagen Sie, kehrt sich zuweilen nicht an das Sylbenmaaß, so wenig als an die Schönheit der Wortfügung.

Kann man sich etwas seltsameres träumen lassen? Horaz muß Schnißer machen, damit der Herr Pastor in Laublingen keine möge gemacht haben. Doch stille! es steht ein Beweis dabei. In der 19ten Ode des zweiten Buchs soll Horaz noch einmal die erste Sylbe in levis lang gebraucht haben, ob es schon daselbst offenbar leicht heiße:

Disjecta non levi ruina.

Allein, wenn ich bitten darf, lassen Sie den Staub weg, den Sie uns in die Augen streuen wollen. Schämen Sie sich nicht, eine fehlerhafte Lesart sich zu Nuße zu machen? Es ist wahr, wie Sie den Bers anführen, würde ich beinahe nicht wissen, was ich antworten sollte. Zum guten Glücke aber kann ich unsern Lesern sagen, daß die besten Kunstrichter für levi hier leni lesen, und daß man ihnen nothwendig beifallen muß. Ich berufe mich deßwegen von Herr Langen dem Ueberseßer auf Herr Langen den Dichter. Dieser soll mir sagen, ob nicht non levis ruina, ein nicht leichter Fall, für den Horaz ein fehr gemeiner Ausdruck seyn würde? Und ob das Beiwort non lenis, ein nicht sanster, ihm nicht weit anständiger sey? Sie seßen mir die besten Handschriften entgegen. Welche haben Sie denn gesehen, mein Herr Pastor? War keine von denen darunter, von welchèn Lambinus ausdrücklich sagt: leni habent aliquot libri manuscripti? Und wissen Sie denn nicht, daß auch in den allerbesten die Verwechslung des n in u und umgekehrt nicht selten ist? Ueberlegen Sie dieses,

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