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Vor ihren Winken stehn gestorbene Geschichten
Aus alten Gråbern auf, und leben in Gedichten.
Begeistert von der Dichtung, singt iho ihr Gesang
Den Ursprung eines Reiches, ißt seinen Untergang:
Wie Troja, zehn Jahr vertheidigt und bekrieget,
Zuleht, der Feinde Raub, in seiner Asche lieget:
Wie der erboste Grieche, des Priamus Geschlecht
Im lehten Cohn vertilgend, des Paris Schandthat
råcht.

Dann führet sie den Sohn der Venus mit den Göttern
Der Stadt, die Troja war, umsonst verfolgt von Wet:

tern

Der Juno, durch Gefahren an seiner Mutter Hand
Nach Latiens Gestaden, ins neue Vaterland. *)

Bald singet sie den Held, der alle Schaaren hemmte,
Womit ganz Asien der Perser überschwemmte:
Singt, wie, gleich einem Felsen, geruhig, unbewegt
Von hundert tausend Wellen, womit das Meer ihn
schlägt,

Der große Feldherr **) stand, und sahe, wie die Wogen
Des Kriegs von seiner Brust gebrochen rückwärts flo:
gen,

Bis er mit wenig Edlen den Lohn der Helden fand,
Den besten Tod zu sterben, den Tod fürs Vaterland.

Bald fliegt sie Himmel an, singt, wie ein Heer Rez bellen, Bewaffnet wider Gott, hinabgestürzt zur Höllen, Und obgleich überwunden, ohnmächtig, tief versenkt In Qual von Scham und Reue, doch noch auf Rache denkt:

Voll seiner Nachbegier, sich durch die Schöpfung schwin:
get,

Und einer jungen Welt die neue Sünde bringet:
Singt, wie der Tod die Menschen erwürget, und ein

Fluch,

Um ihrer Sünde

willen, den bangen Erdkreis
schlug. ***)
D 3

Bald

*) Virgils Aeneis.
**) Leonidas in Glovers Gedichte.
***) Miltons verlornes Paradies.

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214

Lehrgedichte artistischen Inhalts.

Bald wieder, wie von Gott zu der verfluchten
Erde

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Ein zweytes Schöpfungswort herunter rief: es werde!
Wie der, der aus dem Busen der Nacht die Sonne
schlug,

Jht sterblich, als Erlöser die Schuld der Menschen trug,
Verfolgt von Priesterstolz, verkauft vom schnöden Geize,
Geschmäht, gegeiffelt, blaß und blutend hing am Kreus

ze;

Wie Gott mit Richterblicken, gefühlt auf Golgatha *)
Vom leidenden Versöhner, vom Thron herunter sah;
Wie, da des Todes Schaur den Sterbenden erschüts
tern,

1

Licht wird zu Finsterniß, und alle Welten zittern. — *) Der Messias; man zielt auf einige befondre Stellen.

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Beschreibende Gedichte.

Bernis.

In den leichtern und anmuthigern Gattungen der Pocs fie ist unter den franzdfischen Dichtern der Kardinal Bernis (geb. 1715.) einer der glücklichsten, und ihm vornehmlich hat man die Einführung der gefålligen, tåndeluden Manier zu danken, in welcher die neuern Dichter dieser Nation zum Theil so viel Glück gemacht haben. Eben dieser leichte, gefällige Ton herrscht auch in zwei längern Gedichten von ihm : Le Palais des Heures, ou les Quatre Points du Jour, worin er die vier Tageszeiten, und Les Quatre Saisons, ou les Georgiques Françoises, worin er die vier Jahrszeiten mahlerisch bes ́ fingt. Jene sind eine reizende Folge lachender und aumuthiger Gemahlde; diese leztern aber Schilderungen im eds Jern und größern Geschmack, mit mannichfaltigen, besons ders mythischen, Bildern untermischt. Folgendes Gemähl de des Herbstes ist eins von dieser lehtern Art, belebt durch Phantaße und feines Gefühl.

L'AUTOMNE.

Quels parfums rempliffent les airs?
Ou porter mes regards avides?

Bernis.

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