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vollstem Maasse anzuerkennen unterliesse. Er habe sowohl von dem Viehoffschen wie von dem Schäferschen Buche den freiesten Gebrauch gemacht.

So dreht und wendet er sich, um schliesslich doch der Wahrheit die Ehre zu geben, dass er sein nach der anmuthigen Art der Britten und Franzosen entworfenes Gebäude aus dem Material deutscher Forscher gebaut habe. Die folgende Ehrenrettung anlangend, dass sein Buch nach Geist, Form und Inhalt von den genannten beiden so verschieden sei, so viel, was sie nicht haben, enthalte und so viel übergehe, was sie enthalten, dass ein Leser, der die Arbeiten vergleicht, von der ihm gewordenen Hülfe nichts merken würde, so bezieht sich das, was bei Lewes ein Mehr ist, auf Reflexionen, die häufig besser nicht geschrieben wären seinem Buche aber, wie gewandt es auch verfasst sei, ist beinahe auf Schritt und Tritt die Quelle deutscher Forscher nachzuweisen, welche natürlich auch eine andere sein kann als Viehoff und Schäfer. Es lässt sich also im Gegentheil sehr leicht „merken," woher Lewes gerade geschöpft hat.

Es verlangt uns aber danach, dem Leser einen positiven Beweis an die Hand zu geben, wie unrecht die Deutschen thaten, von dem Werke des Ausländers so viel Aufhebens zu machen.

Zum Ende seiner Vorrede heisst es: „Den Analysen und Kritiken von Göthe's einzelnen Werken habe ich einen bedeutenden Raum gewidmet. Nehmen doch im Leben des Heerführers seine Feldzüge nothwendiger Weise viel Platz ein. Die naturwissenschaftlichen Schriften habe ich in einer Ausführlichkeit behandelt, die unverhältnissmässig erscheinen mag."

Was nun das Letztere anbetrifft, so ist die Darstellung von Lewes durchaus nicht genügend. So z. B. schwankt er bei der Beurtheilung der Farbenlehre und weiss nicht recht, welcher Partei er huldigen soll. Seine Verehrung für Göthe ist gross, aber die Urtheile der Physiker verwirren ihn.

Was weiter die Analysen und Kritiken der einzelnen Werke angeht, so nehmen wir wohl am Geeignetsten seine Behandlung des vollendetsten Gedichtes von Göthe, Hermann und Dorothea. An und für sich greifen wir dieselbe ganz zufällig heraus. Wir finden diesem Gedichte den vierten Abschnitt des sechsten Buches gewidmet.

Lewes leitet mit einer Betrachtung ein, dass das Genie aus dem kleinsten Stoff zu schaffen weiss und dass, da es dem Künstler nie an

Stoffen fehlen kann, wenn er nur Augen hat sie zu sehen, grosse Dichter auch nicht nach würdigen Stoffen umher zu sinnen pflegen: im Gegentheil genüge ihnen der flüchtigste Wink zu einem Kern für ein glänzendes Werk etc.

Das mag nun im Allgemeinen für das Genie richtig bemerkt sein, auf Göthe indess passt diese Bemerkung gar nicht. Göthe als durchaus eigenthümliche Dichternatur konnte durch einen flüchtigen Wink nicht bestimmt werden; er wählte seine Stoffe, wie sich das auch nachweisen lässt, mit grösstem Bedacht und nach langem Suchen und Sinnen. Namentlich aber gilt dies von dem Stoffe, der Hermann and Dorothea zu Grunde liegt. Man muss sich nicht denken, dass, weil er einmal zufällig eine alte Brochüre in die Hände bekommen oder in irgend einem Zeitungsblatt die Geschichte der Salzburgischen Emigranten gelesen, er den blitzartigen Entschluss gefasst, daraus ein Gedicht entstehen zu lassen, sondern die dichterische Reife drängte ihn zu dem Epos, und aus den hundert Stoffen, die bei ihm aufgespeichert lagen, wählte er denjenigen, welcher seiner übrigen Geistesrichtung am genehmsten war. Die Wahl war keine Improvisation, sondern ein Act der Ausscheidung und lange überlegten Sonderung.

Es würde nun einem Schriftsteller, der in seinem Werke Analysen und Kritiken zu geben sich vorgesetzt hat, wie Lewes es mit eigenen Worten ankündigt, zugekommen sein, wenigstens der Zahl und dem Namen nach die Quellen aufzuführen, aus deren einer Göthe mittelbar oder unmittelbar geschöpft hat. Hingegen theilt Lewes nur den Titel derjenigen Schrift mit, die Göthe'n wahrscheinlich vorgelegen hat, und nimmt hier eine Wahrscheinlichkeit für die Gewissheit. Im Gegensatz dazu verweist Viehoff in seiner Biographie auf zwei Specialarbeiten im Archiv für den deutschen Unterricht, Jahrgang 1844, und im Archiv für das Studium neuerer Sprachen und Literaturen, Heft 1.

Nachdem nun Lewes und Viehoff einen kurzen Auszug aus diesem Berichte gegeben haben, Lewes wohllautend, Viehoff wohllautend und getreu, bleibt bei beiden der Gedankengang derselbe. Sie betrachten nämlich beide die Aenderung von Zeit und Ort, nur dass Viehoff übergehend sich in eine Erörterung über die Natur des Gedichtes einlässt, wovon bei Lewes sich keine Spur findet. Aber nicht nur nicht das. Dieser giebt zwar eine Beschreibung der Gesänge, welche, obgleich sie

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Lücken enthält, im Wesentlichen doch in plastischer Weise den Inhalt zurückstrahlt und wohl geeignet scheint, eine Anschauung von demselben zu vermitteln. Wenn aber Lewes zwischendurch sagt: „Trotz aller Mängel bietet diese Skizze eine klarere Anschauung von dem Gedichte als eine ästhetische Erörterung in der Weise der sogenannten philosophischen Kritik," und zum Schluss: „Das ist die Geschichte von Hermann und Dorothea. Nun müsste ich nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge wohl über die vielverhandelten Fragen mich aussprechen, ob dies Gedicht eigentlich ein Epos oder eine Idylle oder in höherer Einheit ein idyllisches Epos sei. In dergleichen Unterscheidungen und Classificirungen sind ja die Kritiker stark; sie wissen uns zu sagen, was das eigentliche Epos ist und worin es sich vom romantischen und bürgerlichen unterscheidet, und diese schweren Batterien richten sie dann auf Hermann und Dorothea. Wohl! Wen dergleichen Untersuchungen befriedigen, der folge seiner Neigung und betreibe sie ungestört. Mir aber scheint die Frage, ob Hermann und Dorothea ein Epos sei oder nicht, und was für eine Art von Epos es sei, sehr müssig. Es ist ein Gedicht das genügt" wenn er das sagt und wenn er sich endlich über ästhetische Untersuchungen von Hegel und Rosenkranz lustig macht, so ist dies allerdings ein Standpunkt, den es auch in unserer Literatur gegeben hat, welchen wir aber glücklich glauben überwunden zu haben, nämlich den der literarisch-politischnaturwissenschaftlichen ,,Krautesserei," der alles verdammte, was nicht auf die einfachste Weise zubereitet war und auf die leichteste Art verdaut werden konnte. Nach der von Lewes in diesem Abschnitte gewählten Methode würde ein Unternehmen, die Götheschen Dichtungen in schlichte Prosa zu verwandeln (wie es beispielsweise mit Hermann und Dorothea geschehen: „Hermann und Dorothea (Nach Göthe). Leipzig 1822. J. T. J. Sonntag in Merseburg," der Verfasser hat sich schicklicher Weise nicht genannt), uns eben so dankenswerth erschienen sein, wie eine Biographie Göthe's von Lewes. Der Verfasser muss dann nur nicht im Anfange von Analyse und Kritik sprechen.

Viehoff hat eine Analyse des Gedichts, Lewes aber nicht. Viehoff hat eine genügende kritische Erörterung, der Andere indess wiederum so gut wie Nichts. Oder will Lewes es für eine Kritik gehalten haben, wenn er sagt: „Hermann und Dorothea ist ein Gedicht?" Damit kann man freilich sehr viel, aber doch auch recht wenig sagen. Oder welche hohe Wahrheit glaubt der Engländer in den folgenden Zeilen

"denn

niedergelegt zu haben: „Wenn es (das Gedicht Hermann und Dorothea) sich nebenher von allen anderen Gedichten unterscheidet, so schadet das nichts, und wenn es anderen Gedichten ähnlich ist, so erhöht das seinen Reiz nicht weiter."? Es ist ferner nicht wahr, wenn er sagt das Gedicht sei von allen Idyllen am wahrhaftesten idyllisch,“ Gothe's Hermann und Dorothea ist kein Idyll. Es ist durchaus unrichtig, wenn er meint, „von allen Gedichten, die Landleben und Landleute schildern, sei es das wahrste," denn in Wahrheit schildert es weder Landleben noch Landleute. Der gröbste Schnitzer kommt aber am Ende aller Enden zum Vorschein, dadurch dass Lewes Folgendes behauptet: „Man fühlt, dass die kräftige Bergluft von Ilmenau, wo er (Göthe) das Gedicht im Laufe von sechs Monaten der Hauptsache nach verfasste, den Dichter aus der matten, prosaischen Stimmung erhob und ihm seine ganze sichere Kraft gab."

Nun ist aber das Gedicht nicht in Ilmenau abgefasst, sondern dem ersten Entwurfe, also der Hauptsache nach in einem einzigen Monat, dem September 1796, in Jena, daher nicht im Laufe von sechsen. Gebessert wurde daran nachweislich auch weder in Ilmenau noch während sechs Monaten, sondern in Jena, Weimar und auf der Leipzig-Dessauer Reise, im Ganzen in mehr als acht Monaten bis hinein in den Juni 1797, so dass es unbegreiflich ware, wie Lewes zu Ilmenau gekommen ist, wenn sich nicht eine Vermuthung bei Viehoff (1) fände, nach welcher Göthe sich schon im vorhergehenden Jahre, also 1795, in den Monaten August und September bei seinem Aufenthalte in Ilmenau viel mit dem Gegenstande beschäftigt habe. Viehoff meint natürlich nur mental, und Lewes hat die Sache falsch gedeutet. Folgende Briefstellen aus dem October 1796 geben auch nichts Positives an die Hand. Göthe an Schiller unter dem 29. October: „Ich bin genöthigt auf einige Tage nach Ilmenau zu gehen. Ein schönes Glück wär's, wenn mir in Ilmenau noch ein Stück des epischen Gedichts (?) gelänge." Und Schiller's Antwort nach Ilmenau vom 31. desselben Monats: „Ich begrüsse Sie in Ihrem einsamen Thal und wünsche, dass Ihnen die holdeste aller Musen da begegnen möge. Wenigstens können Sie dort das Städtchen Ihres Hermann finden, und einen Apotheker und ein grünes Haus mit Stukaturarbeit giebt es dort wohl auch." Wie er indess zu den sechs

Monaten kommt, ist damit noch nicht erklärt; dieselben sind möglicher Weise, wie überhaupt gar zu Vieles in seinem Buche, nach Wahrscheinlichkeitsrechnung angenommen.

Hat er diese Wahrscheinlichkeitsrechnung vielleicht in Weimar gelernt? Wohl schwerlich. Dieselbe kann möglicher Weise zu seinen Vorstudien gehört haben, die er für den Schauspieler-état machen

musste.

Doch scheiden wir nicht mit einer bittern Bemerkung. Wir haben das freilich etwas oberflächliche Verdienst von Lewes anerkannt und wünschen deshalb um so mehr, dass man der Forschung unserer deutschen Gelehrten, in diesem Falle besonders unsers Viehoff, ebenfalls gerecht werde. Diese Mahnung nun geht vornehmlich an die

Deutschen selber.

Jena.

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