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zösischen und englischen Prosa geworden. Man kann beiden veraltete Formen und Ausdrucksweisen vorwerfen; in beiden finden sich Elemente, die die Sprache auf ihrem Entwicklungsgange weiterhin abgestreift hat; neben ihnen finden sich andere Schriftsteller von hoher, in mancher Beziehung höherer Bedeutung. Aber das eigentlich Entscheidende ist doch, dass sie zum ersten Male allgemein, von allen gebildeten Schichten gelesene Prosaschriftsteller in der Landessprache gewesen, und dass sie es mit immer steigendem Ruhme bis auf den heutigen Tag geblieben sind; dass wenn bei andern, Gleichzeitigen oder Vorgängern, sich nach irgend einer Seite hin eine grössere formelle Vollendung zeigte, sie doch bei weitem die einflussreichsten Muster geworden sind. So kann man allerdings sagen: Montaigne und Bacon haben die mustergültige Prosaliteratur Frankreichs und Englands eingeleitet.

Dass sie dies aber vermochten, liegt vor Allem in dem von ihnen behandelten Stoffe. Es ist die gemeinsame Erscheinung in allen Anfängen einer nationalen Prosa, dass die Muttersprache insgemein noch zu ungelenk und ihre Ausdrücke und Bezeichnungen noch zu unklar und unbestimmt, insbesondere die technischen Ausdrücke zu mangelhaft sind, für ein wirklich methodisches Denken, für Gedankensysteme von wahrhaft wissenschaftlicher Methode. Den Anfang der Prosadarstellung macht vielmehr durchgängig die in ihrem Gange weit weniger gebundene und freiere Geschichtsdarstellung zunächst noch der naiven Gattung, die wunderbare Ereignisse auf Treue und Glauben ohne alle oder mit mässiger Reflexion erzählt. Dazu kommt die kleine Erzählung, fingirte Geschichte in prosaischer Form, die Novelle; es schliesst sich leicht die rhetorische Prosa an, die mehr den Ausdruck des Gefühls und der Leidenschaft, als feste Ueberzeugung, als Betheiligung des Verstandes anstrebt. Endlich die reflectirende Prosa, die in mehr oder minder subjectiver Form, ohne sich an die strenge Methode dialektischer Begriffsentwicklung zu binden, die Fülle persönlicher Erscheinungen, Gedanken über allerlei Gegenstände der moralischen und der äussern Welt, über Menschenschicksal und Menschenleben mittheilt. Man muss sich wohl hüten, dergleichen Schriften philosophische zu nennen. Sie können der Philo

sophie wohl vorarbeiten, indem sie allgemeine Ueberzeugungen erschüttern und andere neu bilden helfen und wohl auch dem Genie einen kräftigen Anstoss geben. Aber sie dürfen keineswegs für Philosophie gelten. Diese ist eine sehr strenge, mit sehr exacten Methoden sehr genau verfahrende Wissenschaft, die dem subjectiven Meinen keinen oder geringen Spielraum übrig lässt; eine Wissenschaft, in ihren Methoden so bündig, wenn auch in ihren Resultaten nicht so unumstösslich, wie die Geometrie. Jene Werke einer ungebundenen, freien, subjectiven Reflexion verhalten sich zu den Werken der Philosophie wie reine Dilettantenerzeugnisse zu denjenigen des strengen Gelehrten oder des wirklichen Künstlers. Der eigentliche zünftige Gelehrte weist sich auch in der Philosophie dadurch aus, dass er an der Gesammtarbeit einer grössern Zahl mitarbeitet, dass er die Fragen da aufnimmt, wo sie ein Anderer hat liegen lassen, dass die Andern ihm, er den Andern in die Hände arbeitet. Solchen Werth können Dilettantenarbeiten nicht haben; aber sie können sehr anregend wirken, wenn sie von sehr bedeutenden Persönlichkeiten ausgehen. Denn in dem Werke des Liebhabers spricht sich nicht sowohl die Sache und ihr objectives Bedürfniss, als die subjective Stimmung des Urhebers aus. Jene Väter der Prosa: Montaigne und Bacon, werden uns nicht als Philosophen, sondern als solche dilettantische Vorläufer der eigentlich wissenschaftlichen Philosophie zu gelten haben. Das drückt sich schon in dem Titel des Montaigneschen Werkes: „Versuche" aus, und wenn Bacon ebenfalls Versuche geschrieben hat, so hat er sich in dieselbe Kategorie von Schriftstellern gezählt. Uebrigens sind in einzelnen Capiteln der Versuche Montaigne's ganze Bücher hineinverarbeitet, wie in der Apologie Raimond's von Sabonde, oder in seinem Capitel über die Erziehung, oder in dem über den Unwerth der Heilkunst. Hätte Bacon, eben so verfahren und etwa seine Erneuerung der Philosophie in seine Essais hineinverarbeitet, so würde sein Verhältniss zur Wissenschaft der Philosophie deutlicher herausgetreten sein. Der Haltung und dem Wesen nach hätten sich seine sämmtlichen philosophischen Schriften in diesen Rahmen sehr gut gepasst. Ja, jenes berühmte Buch über das Wachsthum und die Fortschritte der Wissenschaften zerfällt ganz deutlich

in eine Reihe von Essais, die mit Bacon's Versuchen über politische und moralische Gegenstände grosse Aehnlichkeiten haben. - Wo er sich aber über dieses sein eigentliches Gebiet hinauswagt, wie in dem Neuen Organon der Wissenschaften, da erscheint er in einer unverkennbaren Schwäche.

Wir haben es also hier mit Montaigne und Bacon als Essayisten zu thun.

So viel genüge, um die Gleichheit der literarischen Stellung der beiden Männer klar zu machen. Wir werden jetzt zu untersuchen haben, in wie verschiedener Weise die beiden Männer im gleichen Fach, unter annähernd gleichen geschichtlichen Verhältnissen sich als Menschen und Schriftsteller darstellen. Da werden wir nun finden, dass schärfere Contraste, als zwischen ihnen, sich kaum zwischen Menschen denken lassen in Lebensschicksalen, Neigungen und Charakter.

Montaigne war der Sprössling einer angesehenen, reichbegüterten Adelsfamilie und lebte zu einer für ein Talent wie das seine vielfach herausfordernden Zeit. Früh zu dem Amte eines Parlamentsrathes gelangt, dann durch den Tod des Vaters Herr einer werthvollen Besitzung, widmet er sich mit Zurückziehung von allen Geschäften allein und ausschliesslich den Interessen seiner Ausbildung, einem heitern und weisen Lebensgenusse in stiller Zurückgezogenheit. Er bereist Italien, die Schweiz, Deutschland, setzt sich mit einer grossen Anzahl ausgezeichneter Gelehrten in Verbindung und lebt auf seinem Schlosse im Genusse süsser, zum Theil schwärmerischer Freundschaft. Wo es nöthig war und fremdes Vertrauen ihn ehrte, wo fremde Interessen seine Mühe in Anspruch nahmen, entzog er sich auch einer öffentlichen Thätigkeit nicht, so sehr ihm dies Heraustreten aus seiner behaglichen Musse eine Last war. Er hat 1581-1582 das Amt eines Maire von Bordeaux verwaltet, ein Amt, das damals nicht ohne wichtigere Befugnisse war; im Auftrage derselben Stadt ging er 1582 an den Hof; 1588 nahm er an der Ständeversammlung in Blois Theil. Doch war er nicht mit ganzer Seele bei solchen Geschäften, und er selbst klagt sich hart an, dass er zu praktischer Thätigkeit zu wenig aufgelegt und sogar zu lässig sei, um für seine Freunde ernstlich einzutreten. Er ist kein Schriftsteller von Fach. Zum

Schreiben treibt ihn allein das Bedürfniss an, sich selber seinen Freunden darzustellen mit seinem ganzen Charakter und allen seinen Meinungen. Seine Essais sind systemlose Studien über allerlei Gegenstände seines Nachdenkens. Es hat nie einen Menschen gegeben, der bescheidener als Mensch und als Schriftsteller von sich gesprochen und gedacht hätte; liebenswürdiger, weniger ehrgeizig ist kaum Jemand denkbar. Dazu war er gewissenhaft, mässig, gutmüthig wie ein Kind, und nichts strebt er so an, wie Gleichmässigkeit im Streben und Begehren, im Dulden und Tragen, auch in einem zuletzt durch Kränklichkeit und körperlichen Schmerz vielfach getrübten Leben.

Dem gegenüber bietet Bacon ein ganz anderes Bild. Sein Oheim ist Lord Burleigh, Elisabeth's Premierminister, sein Vater ist Grosssiegelbewahrer. Dieser stirbt zu zeitig, um für seinen Sohn sorgen zu können. Der Premierminister hält den talentvollen Neffen zu Gunsten eines talentlosen Sohnes auf der Laufbahn der Ehren zurück. Bacon hat also für sich selbst zu sorgen. Er spricht immer wieder die Ansicht aus, dass er für wissenschaftliches Studium und nicht für die Geschäfte geboren sei, aber Macht und Einfluss in der Welt hat zu viel Verlockendes für ihn. So wird sein Leben leider ein Bild des gewissenlosesten, aufstrebenden Ehrgeizes. Kein Mittel ist ihm zu schlecht, und alle gehässigen Eigenschaften der Gewissenlosigkeit, die sich in die Höhe bringen will, treten uns in Bacon's Leben entgegen. Er verräth seinen Freund, wenn dieser in Ungnade gefallen; er foltert Unschuldige, wenn es der Hof verlangt; er lässt ungerechte Hinrichtungen ausführen, um sich bei den Machthabern beliebt zu machen. Nichts ist ihm heilig, am wenigsten aber seine eigene Ehre. Endlich hat er die höchste Staffel der Ehren erreicht: er ist Grosssiegelbewahrer und Lordkanzler, der oberste Richter des Königreichs; er ist Lord und Viscount. Aber das Alles hat er auf Kosten seines Gewissens und seiner Ehre erreicht. Um sich an einem gehassten Widersacher zu rächen, beginnt er die schändlichsten Intriguen, und der Hass macht ihn unvorsichtig. Er muss Abbitte thun, wenn er sich halten will. Um den übermüthigen Günstling, den Verderber des Reichs, Buckingham, zu besänftigen, sehen wir 'ihn in dessen Vorzimmer das grosse Reichssiegel in der Hand zwei

Tage hintereinander knien und sich Vergebung erbitten; wenn er es bis dahin noch nicht ganz war, so ist er jetzt ein blindes Werkzeug in der Hand des Günstlings. Die Massregeln, die er selbst am meisten verurtheilt, muss er ausführen aus Furcht, zum Verderben des Staats; die oberste Quelle des Rechts muss er vergiften lassen durch Buckingham's Einsprüche in seine Rechtsurtheile. Aber er thut noch mehr, als was der Fluch einer so erlangten Grösse ist. Bei seiner Neigung zur Verschwendung, bei seiner Unfähigkeit, sein Hauswesen in Ordnung zu halten, bei einer Eitelkeit, die besonders auf den Glanz des äussern Auftretens gerichtet ist, bedarf er mehr Geld, als er hat, und so unterliegt er, der oberste Richter des Königreichs, gemeiner Bestechlichkeit. Durch ein schimpfliches Urtheil des Oberhauses wegen Bestechlichkeit bestraft, seiner Ehrenstellen entsetzt, in den Tower gesperrt, dann vom Hofe begnadigt, zunächst seine ehrgeizigen Pläne weiterspinnend, dann resignirend und mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt, bringt er seine letzten Lebensjahre hin, über drückenden Mangel klagend, weil er nur ein Einkommen von etwa 2500 Pfund hat, (was etwa dem Fünffachen heute entsprechen möchte) und hinterlässt eine enorme Schuldenlast. Das sind die Umrisse des Lebens und Charakters eines berühmten Schriftstellers über Moralphilosophie. Man hat noch in der letzten Zeit versucht, sein Andenken von den schwärzesten Flecken zu reinigen und die Vergehen, deren man ihn anklagt, zu beschönigen. Vergebens. Was ihn am härtesten anklagt und die Erbärmlichkeit seines sittlichen Charakters am unwiderleglichsten beweist, das sind nicht Aussagen Anderer, sondern zum Theil seine eigenen Schriften, die er zu seiner Vertheidigung geschrieben, seine eigenen Geständnisse, die er abgelegt hat, der ganze Lauf und Zusammenhang seines Lebens.

Ganz eben so schneidend sind die Gegensätze zwischen den beiden Männern, wenn wir auf Ton und Form ihrer betreffenden Schriften sehen. Bacon hat nach Montaigne geschrieben. Montaigne's Essais erschienen 1580, die von Bacon 1597. Bacon hat offenbar von Montaigne seine Anregung empfangen; das beweist schon der gleiche Titel. Wie er sich zu diesem Vorbilde verhalten, zeigt der erste Bacon'sche Essai. Dort

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