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Gott fühlt, Gott, der gemacht zu einer grossen
Familie uns all', zu unserm Vater

Sich selber und die Welt zu unsrer Heimat.

Die Vergangenheit.
(Wilson.)

Wie wild und wirr ist dieses Leben,
Ein langes, tiefes, schweres Ach!
Wenn halbertränkt im Thränenbach
Das Auge sieht vorüberschweben
Der Jugend Bilder dämmerndschwach,
Vergessen schon, indem sie gehn,
Wie wir am Ufer Well' an Welle
Zerfliessen sehn;

Sowie an stillen Himmelshöhn
Die Ambrawolken jetzo weilen,
Dann wie ein Traum enteilen.
Des Mondes Strahlen spielen schön,
Hell auf des hellen Weihers Brust;
Die Seele schaut's mit süsser Lust,
Doch glauben wir, wenn sie vergehn,
Kaum, dass wir sie gesehn.
Wie himmlisch tönt der Harfe Klang,
O möcht' er nimmer doch verwehn!
Die Seele wird zur Zelle,

Er schweigt.

Wo nie Musik erklang.

Traum folgt auf Traum die lange Nacht,

Wie schön und schöner immer!

Doch, eh die Morgenblum' erwacht,
Verschwand der Zauberschimmer.
Und manches Engelsangesicht,
Aus welchem Lieb' und Güte spricht,
Zieht uns vorüber hier.

Die Zeit entflieht, kaum wissen wir
Ob das Gesicht, das uns entzückte,
Freud' oder Leid ausdrückte.

Betrachtungen

bei dem Abschied von einem Wohnorte.
(Coleridge.)

Niedrig war unser Hüttchen, hohe Rosen
Sahn in das Kammerfenster. In des Mittags,
Abends und Morgens Stille konnten wir

Das Meer schwach murmeln hören. Unsere Myrten Blühten im Freien, und die Pfort' umschlang Dichtrankender Jasmin. Die kleine Landschaft

War grün und waldig, und das Aug' erquickend.
Es war ein Ort, man durft' ihn wahrhaft nennen
Das abgeschiedne Thal. Einst sah ich, wie
(Den Sabbathtag durch Ruhe heiligend)

Ein reicher Kaufmannssohn, ein Bürger Bristols,
Dort weilt und seinen Durst nach Gold
Beschwichtigend, so schien's, und weiseren
Gefühlen Zutritt schenkend; denn er schwieg
Rundum mit sanftem Trübsinn blickend, seufzt',
Und sprach, es sei ein hochgesegnet Platzchen.
Gesegnet waren wir. Geduldgen Ohrs
Der unsichtbaren Lerche Lied 'behorchend,
(Unsichtbar war sie oder augenblicks

Nur auf der Sonne Fittig sichtbar) sagt' ich
Oft flüsternd zur Geliebten: So, mein Kind, ist
Der unaufdringliche Gesang des Glücks,
Unirdsche Sangslust, dann gehört nur, wann
Die Seele sucht zu hören, alles still ist,

Das Herz nur horcht! Die Zeit zwar, wo zuerst
Von jenem Thal den stein'gen Berg ich aufklomm,
Gefahrvoll kämpfend bis zum Gipfel, o

Welch schöner Anblick! Hier der bleiche Berg,
Der kahle bleiche Berg besät mit Schafen,
Schattig Gewölk, die sonn'gen Felder zeichnend,
Der Fluss, von busch'gen Felsen überragt,
Jetzt hell und voll, gekrümmt mit nackten Ufern,
Und Sitze, Flächen, die Abtei, der Wald,

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Und Hütten, Dörfer, dämmernd fern der Stadtthurm,
Dort der Kanal, die Inseln, weissen Segel,

Gleich Wolken, Küsten, Höhn, und strandlos Meer!
Es schien Allgegenwart! Gott hatte, schien's,
Sich einen Tempel hier erbaut, der Weltraum
Schien abgebildet hier im Rundbezirk ;

Kein Wunsch entweihte mein bewältigt Herz.
O schöne Zeit! 's war Schwelgerei

zu sein!

O Thal und Hütt' und Hochberg! theure, stille! Ich musst', ich musst' euch lassen. War es recht, Bei Qual und Tod so vieler meiner Brüder Die mir vertrauten Stunden zu verträumen, Auf Rosenlager feig das Herz verweichelnd Mit zarten thatermangelnden Gefühlen? Süss ist der Thau, der eines Howards Aug' Auf dessen Wang' enttropft, den er emporhob; Und wer mir Gutes ohne Rührung thut, Archiv f. n. Sprachen. XXXI.

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34 Aus dem Nachlasse des Directors Dr. F. L. Kannegiesser.

Thut es nur halb, er schilt mich bei der Hülfe,
Wohlthäter ist er mir, doch nicht mein Bruder!
Doch sei Wohlthätigkeit auch kalt, doch preise,
Ja preise sie, o Seele, wenn du denkst
Des trägen Mitleids träumerischer Zunft,
Die um die Armen seufzt, jedoch sie scheut,
Nährend in angenehmer Einöd' ihre
Saumsel'ge Lieb' und ekle Sympathie !

Ich geh drum, Haupt und Herz und Hand vereinend,
Thätig und fest, blutlosen Kampf zu streiten
Der Freiheit, Wissenschaft und Christentreue.

Doch oft, wenn nach ehrvoller Arbeit ruht
Die müde Seel' und wachend liebt zu träumen,
Soll, theure Hütte, dich mein Geist besuchen,
Dein Gaissblatt, deine fensterhohen Rosen
Und nicht vor milder Seeluft scheuen Myrtén
Und theure Wünsche seufzen, süsser Wohnsitz!
Ach, hätte Niemand grössr'! und Jeder solche!
So könnt' es sein doch ist die Zeit noch nicht.
Beschleun'ge sie, o Vater! Dein Reich komme!

Ueber französische Volkspoësie.

Ehe ich genauer auf meinen Gegenstand eingehe, scheint es mir nöthig, die Frage zu erörtern, was man unter französischer Volkspoësie zu verstehen habe. Sollte damit z. B. diejenige Poësie zu bezeichnen sein, welche unter dem Volke am gangbarsten ist, so wüsste ich nur einen französischen Dichter, dessen. Liedern dieses Prädicat zukäme. In Deutschland schwärmt Alles bis zur Kammerzofe hinab für Schiller: eine französische Bonne, die nicht ihren Béranger auswendig wüsste, würde für ein Mädchen ohne Bildung gelten. Und doch kann ich mich nicht entschliessen, Bérangers Poësie Volkspoësie zu nennen: ich müsste denn dem Pariser beistimmen, der da behauptet, Paris c'est la France. Aber ganz abgesehen von der Misslichkeit solcher Aussprüche ich erinnere nur an den berühmten l'empire c'est la paix, oder wie eine andere Lesart besagt l'empire c'est l'épée, so sprechen die gebildeten Franzosen selbst Béranger meistens das Prädicat eines poëte ab; das Höchste, was sie ihm bewilligen, ist, dass sie ihn einen poëte-chansonnier nennen, gewöhnlich und richtig heissen sie ihn nur chansonnier. Ueber seine Verdienste als Politiker mag ich nicht aburtheilen, sondern bemerke von meinem subjectiven Standpunkte aus nur, dass ich es bedauerlich finde, wenn sogar die Poësie der Politik dienstbar sein soll: im Uebrigen scheint er es mir darauf abgesehen zu haben, Lisette und ihre Tugenden zu preisen und daneben seine piquette in Ruhe zu trinken. Sein Ehrgeiz war befriedigt durch die Kronen, mit denen ihn die Grisetten, oder wie sie sich lieber nennen hören, die étudiantes in der Closerie des lilas bekränzten; die

Literatur kann ihm eine Stelle nur als Vorläufer derjenigen Dichter anweisen, welche in den dames aux camélias das Ideal ihrer Verherrlichung gefunden haben.

Immer aber habe ich noch nicht auseinandergesetzt, was ich unter Volkspoësie verstehe. Um dem Ziele näher zu rücken, will ich darunter eine Gattung bezeichnen, die gar nicht unter die Literatur fällt, wenigstens von der Literatur in ihrer gegenwärtigen Gestalt verschmäht wird und mit Recht verschmäht werden muss.

Um die Sache anschaulicher zu machen, will ich einen Blick auf deutsche Verhältnisse werfen. Der gebildete Mann verschmäht es in der Regel, auf das hinzuhören, was das Volk singt; mit welchem Rechte freilich, lasse ich dahingestellt. Und doch singt das Volk mit Vorliebe seine eigenen Lieder, und zwar meist Lieder, die es nicht in der Schule mit der dazu gehörigen Melodie gelernt, sondern hauptsächlich von älteren Personen traditionsweise überliefert bekommen hat. Um ein recht anschauliches Beispiel von dem schauerlichen Unsinn zu geben, welchen derartige Lieder zuweilen enthalten, sei es mir vergönnt, eins mitzutheilen, zu dessen Kenntniss ich auf ziemlich abenteuerliche Weise gekommen bin. Im vergangenen Sommer nämlich hielt ich mich einige Zeit bei meinem Papa im Warthebruche auf und arbeitete meist in einer ziemlich versteckten Gartenlaube. Im Garten nebenbei war gewöhnlich eine ziemlich leidliche Bauerndirne beschäftigt, welche sich ihre Arbeit mit Gesang verkürzte. Es war immer dasselbe Lied, welches sie anstimmte, und da ich es ziemlich sonderbar fand, so horchte ich eines Tages der Sirene die Worte ab und war nicht wenig überrascht, folgende Romanze aufgezeichnet zu haben. Sie lautet wortgetreu:

Im Lande aller Frommen

Wohnt Fräulein Isabell,

Sie schoss mit Pfeil und Bogen
So gut als Wilhelm Tell.

Sie war sehr stolz, sehr spröde,
Sehr kalt bei Lieb und Scherz;

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