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wenn Du einmal einen Wunsch hast, so wollte ich auch, dass Du ihn erreichtest; auch bin ich gestern, wie Du wirst bemerkt haben, ganz in Deine Ideen hineingegangen. Noch einmal verzeihe mir meine Weisheit.

Veltthusen*) hat mich um eine gute Stunde gebracht; es ist spät. Ich umarme Dich, ach, nur in Gedanken! Leisewitz.

Nro. 4.

(Hannover.) Freitags, den 28. Nov. 1777.

Liebes Clever-Aesschen!

Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Du jemals ein Sperling, und in dieser Gestalt unter den grausamen Händen eines muthwilligen Knaben gewesen sein solltest; und wenn das nicht ist, so kannst Du Dir keinen Begriff davon machen, wie mich die Liebe in diesen letzten zwei Tagen verhandhabt hat. Ich hoffe, Du wirst den Leiden des jungen Leisewitz eine empfindsame Thräne schenken.

Du weisst, der Mensch und also auch Dein gehorsamster Dienerbesteht aus zwei Theilen: einer vernünftigen Seele und einem wohlgestalteten Leibe. Beide hat das Schicksal genug gequält, und wie ich glaube, sich doch noch geärgert, dass ich nicht einen dritten Theil hatte, weil es mich alsdann noch um ein Drittheil mehr hätte martern können.

Ungeachtet einiger nachdenklichen Ahnungen, die ich gottloser Weise in den Wind schlug, liess ich es mir doch am Mittwochen einfallen, Dich zu besuchen; brauchte alle menschenmögliche Vorsicht, entdeckte auf Deinem Zimmer Licht, und hoffte, in wenigen Augenblicken in Deinen Armen zu sein. Vorläufig ging ich zur Tante, **) sprach, wie ich selbst gestehen muss, sehr vernünftig von Diesem und Jenem, und Jenem und Diesem, als sie auf einmal anfing: „Es sollte mir leid thun, wenn Er auf Clever-Aesschen lauerte. Clever-Aesschen ist nicht zu Hause.“

*) Kriegssecretair zu Hannover, ein geistig bedeutender Mann. **) Gattin des Hofapothekers Andreae.

Der vom Himmel gefallen war, war ich; denn im Vertrauen gesagt, ich lauerte sehr stark auf Clever-Aesschen. Unterdessen verbiss ich meinen Verdruss mit vieler Verstellung, sprach noch etwas mit dem Onkel, *) der mittlerweile nach Haus kam, und ging Abends in den Club, wo ich noch so ziemlich vergnügt war, und wider meine Gewohnheit mit Vergnügen französisch sprach.

Nachdem ich gestern Morgen vor Deinem Bilde meine verliebte Andacht verrichtet hatte im Vorbeigehen muss ich darüber eine Anmerkung machen. Wie meine Gegner in Braunschweig gegen meine Person nichts weiter einwenden können, so sprengen sie aus, ich wäre reformirt, ein Umstand, der mich unfähig machte, eine Stelle im Lande zu bekleiden. Die Sache widerlegte sich bald; hätte mich aber Jemand vor Deinem Bilde gesehen, so hätte er gewiss gesagt, ich wäre katholisch, weil ich die Heiligen anbetete. Ich wäre wirklich in Verlegenheit gekommen, was ich hätte antworten sollen.

Wie ich angebetet hatte, es war um acht, so überlegte ich meinen Tag, und glaubte, es wäre unmöglich, Dich zu sehen. Um zehn, und also mehr gegen Nachmittag, dachte ich, vielleicht lässt sich das Ding doch machen.

Unglücklicher Weise bestätigte mich in diesen Gedanken ein Besuch, den ich von einem alten Bekannten erhielt. Dieser Mann ist ein wahrer Aventürier, Student, Prediger, Husar, Hofmeister, und Gott weiss was gewesen; jetzt bekommt er eine Kammerbedienung. Bei seinen vielen Schicksalen hat er sich ungemein viel Weltklugheit erworben, kennt Menschen und Sachen, und weiss beide am rechten Orte anzugreifen. Ungeachtet er zum Exempel einer der kühnsten Leute ist, die ich kenne, unzählige Duelle gehabt hat, und sich so viel daraus macht, wie ich, wenn ich ein Glas Wasser trinke: so hat er doch jetzt die sanfte bescheidene Miene eines jungen Mädchens. Er ging weg, ich überdachte seinen Lebenslauf; „Der Teu

Joh. Gerh. Reinhard Andreae, geb. am 17. Dec. 1724 zu Hannover; gest. daselbst am 1. Mai 1793 als Hof-Apotheker. Seine Schriften verzeichnet: Heinr. Wilh. Rotermund Das gelehrte Hannover, Bremen 1823, I. p. 39-40.

fel," “rief ich, „es ist doch eine schöne Sache um die Klugheit, ich will auch pfiffig sein, und durch List heute zu Sophien!" Ich schrieb in dieser Absicht das Epheubillet, weil ich hoffte, dass man mich bei der Gelegenheit bitten würde; es ward nichts daraus, wie Du weisst, und ich hätte voraussehen können. Es ist das einer von meinen einfältigen verliebten Streichen, womit ich es sonst doch noch ganz billig gemacht habe. So wie auch meine Hoffnung hin war, so sah ich auch gleich den ganzen elenden Grund, auf dem sie gebauet war, und ärgerte mich über meine dumme List, die auch wirklich um ein gut Theil schlimmer ist, als dumme Dummheit.

Ich vertröstete mich mit dem Sprichworte: der Baum fällt nicht auf den ersten Hieb, ich bin noch ein Anfänger in der Pfiffigkeit, ein Mann, und kein Weib. Denn Ihr seid in Absicht der List Genies, wir Schulgelehrte; Euch wird das angeboren, was wir lernen müssen, und nie gut lernen.

Der Onkel ist auf der Wallmoden'schen Auction, ich will hin, und mit ihm weggehen. Es lässt sich zehn gegen eins wetten, dass er mich zu sich bittet, alsdann ist es erst sechs; höchstens um halb sieben die wärmste Umarmung mein.

Ein schönes Project; nur Schade, dass der Onkel nicht auf der Auction war. Das war die letzte Hoffnung, Dich zu sehen; ich dachte auf weiter nichts mehr, als wie ich den Rest des Abends mit einem guten Freunde verplaudern wollte.

Ich ging zu Klockenbring, *) der mir in der Thür begegnete, und bedauerte, dass er nothwendig ausgehen müsse; wenn er um acht Uhr nach Haus käme, wollte er es mir sagen lassen.

Mein Weg führte mich nach Haus, und ich dachte, ein

*) Friedr. Arn. Klockenbring, geb. am 31. Juli 1742 zu Schnackenburg im Luneburgischen, gest. am 12. Juni 1795 zu Hannover als GeheimerCanzleisecretair. Ein persönlich sehr interessanter Mann, der als Freund Lichtenberg's und anderer Widersacher des Leibarztes Zimmermann, in dem 1790 erschienenen, berüchtigten Pasquill „Bahrdt mit der eisernen Stirn“ unbarmherzig mitgenommen wurde. Ueber seine Schriften ist zu vergleichen: Heinr. Wilh. Rotermund Das gelehrte Hannover. Bremen 1823. II. p. 556-559, und: Sam. Baur allgem. histor. Handwörterb. Ulm 1803.

p. 569.

paar Stunden mit dem Gedanken an Dich zu verträumen; aber auch das war vergebens. Oben war Picknick und hilf Himmel! was für ein Geigen und Pfeifen, Stampfen und Springen, Knarren der Balken, Zittern der Wände, Klingen der Gläser in den Fenstern und der Pendüle. Ich erwartete das Ende der Welt. Glücklicher Weise erinnerte ich mich aus meinem Katechismus, dass die Welt einmal durch Feuer, und einmal durch Wasser, so viel ich aber weiss, nie vermittelst eines Balles untergehen soll. Das machte mich ruhiger, aber nicht munterer. Da ich nicht an Dich denken konnte, wollte ich an nichts denken, und das Nichtdenken war das Einzige, was mir heute gerieth. Ich sass eine Stunde ohne ein Zeichen eines vernünftigen Geschöpfes von mir zu geben, als dass ich zweimal das Licht putzte. Dazu mag so gar viel Verstand nicht gehören; aber ich habe es doch nie von einem unvernünftigen Viehe, weder von einem Elephanten, noch von einer Käsemilbe gesehen.

Es ging auf neun; ich warf meinen Pelz um, und wanderte nach Vauxhall, wo ich einige meiner Bekannten von der bande joyeuse beim Spiel anzutreffen hoffte. Vergebens; ich trat in einen kalten, finstern Saal, worin Niemand, als anderthalb Dutzend Stühle waren, mit denen ich leider nicht tanzen kann, weil ich Gottlob! nicht die Doctorin Müller bin. Das Schlimmste war, dass die Küche eben so kalt und finster war, wie der Saal; unterdessen versprach man mir zu essen, wenn ich warten wollte.

Ich wartete. Endlich kam das Essen, das ich Dir beschreiben will, denn da Du diesen Brief vermuthlich Deiner guten Freundin, der Geheimen - Justizräthin zeigen wirst, so wollte ich gern, dass sie etwas darin fände, das sie interessirte. Da war ein Eierkuchen, sechs Schnitt rothe Rüben, zwei Stück Bisquit und alte Butter, der man die Gestalt von ganz frischer gegeben hatte. Das alte Wesen in der neuen Form erinnerte mich natürlicher Weise an die Mutter Schachten in ihrem modigen Sonnenhute. Ich liess meinen ganzen Zorn an dem Eierkuchen aus, den ich, bis auf ein fingerbreites Stück, ausrottete. Du wirst in der Beschreibung der Zerstörung Jerusalems finden, dass es der Kaiser Titus eben so machte, er liess nur einige

wenige Thürme übrig, zum Zeichen, dass einmal eine Stadt dagestanden habe. Ich beschloss meine Mahlzeit damit, dass ich meinen Wein zum Fenster hinaus in's Wasser goss. Ich hoffe nicht, dass ihm das ungewohnt vorkommen soll; einige Theile von ihm sind vermuthlich schon darin gewesen, und freuen sich, wohlbehalten zu den lieben Ihrigen zu kommen.

Ich war jetzt ganz munter, beschäftigte mich so selig mit dem Gedanken an Dich, mit dem, was ich Dir schon danke und noch danken werde! Diese Ideen machten mich so glücklich, ich hätte noch viele Stunden in ihnen verträumen können. Ich dachte wie Nantchen:

O Gedächtniss, schon in Dir
Liegt ein ganzer Himmel mir!
Worte, wie sie abgerissen,
Kaum ein Seufzer von ihr stiess,

Hör' ich wieder; fühl' sie küssen,

Welche Sprache sagt, wie süss!

Sieh', ein Thränchen! Komm herab,

Meine Lippe küsst Dich ab!

Könnt' ich so in mich gehüllet,
Ohne Speis' und ohne Trank,
Nur so sitzen Tag für Tag,

Bis zum letzten Herzensschlag!

Herr Westernacher*) dachte unterdessen anders, er konnte es unmöglich ansehen, dass dem fremden Herrn im Saale die Zeit lange währen sollte. Er kam, rieb die Hände, und merkte an: „Mit den amerikanischen Nachrichten dauert es lange." ,,Sehr lange," antwortete ich finster. Aber mein Mann liess sich so leicht nicht abweisen. Er brachte in der Geschwindigkeit eine Armee geschwinder wie einen Eierkuchen - zusammen, und nun gerade auf den General Washington zu. Für mich war es ein erwünschter Umstand, dass er am rechten

*) Nach gefälliger Mittheilung des Herrn Archivraths Kestner zu Hannover, wurde Westenacher's Gasthaus von der besten Gesellschaft viel besucht, und besonders von älteren Herren des guten Weines wegen gerühmt. Es wäre daher möglich, dass der feurige Liebhaber Leisewitz in seiner ärgerlichen Stimmung dem Renommée des Westenacher'schen Weinkellers Unrecht gethan hätte.

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